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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140606019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914060601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914060601
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-06
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Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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SSWAWW kunsl uncj wissensebgft Mus -er historischen Mbteiiung -er Stuttgarter MussteUung für Gesun-Heitspstege. „Der Mann in Südwcstdcutschland", so be- titelt sich ein größerer Raum in der Histori schen Abteilung der Stuttgarter Ausstellung sür Gesundheitspflege. ES sind hier die 30 charak-- teristischstcn Schädel samt den zugehörigen Kul- turerzeugnisscn in einer übersichtlichen Reihe zn- sammengcstellt. Die Schränke sür diese Abtei lung sind sür diesen Zweck besonders gebaut worden. Noch nirgends war seither in so lücken loser Weise dieses ganze anthropologische Ma terial, welches zurzeit sich eines außerordentlich großen Interesses in Fach- und Laienkrcisen er freut, beisammen zu sehen. Pom ältesten Zeug nis des Vorhandenseins des Menschen auf euro päischem Boden, von dem menschlichen Unter kiefer auS den Maurer-Sanden bei Heidelberg bis zu den jetzt in Württemberg lebenden Rasscn- thpen erstreckt sich die Zusammenstellung und gibt dadurch reiche Gelegenheit zu verglei chenden und cntwicklungsgcschichtlichcn Studien. Diese Uebersicht ist das Hauptverdicnst des her vorragenden Anthropologen und Urgeschichts forschers Hofrat Dr. Schliz-Heilbronn. Zusam men mit den archäologischen Fachgelehrten der Königlichen Altertümersammlung-Stuttgart hat er diese Abteilung zusammengebracht und durch drei darüber aufgehängte Tafeln, welche die typischen Schädelformen in Ansicht von der Seite und von oben geben, illustriert. Die unter scheidenden Merkmale und die Herkunft jeden Schädels ist ferner durch kurze Anschriften er läutert. Die unter jeden Schädel gelegte Zusammenstellung der bezeichnendsten Artefakte der Epoche, welcher der Schädel angehört, gibt zugleich eine Uebersicht über unsere ganze Kul turentwicklung in Südwestdeutschland von der Urzeit, d. h. dem Diluvium, bis zur Gegen wart herunter. Die meisten Schädel sind Ori ginale auS Ausgrabungen in Württemberg und sind im Besitz der Königlichen Naturaliensamm- lung und der Königlichen Altertümersammlung. Einige Originale sind geliehen von den Museen Breslau und Karlsruhe. Die ältesten, der Eis zeit angehörigen Schädel, teils aus Frankreich, teils aus den Ostländern, sind in Gipsabguß ausgestellt. Der Katalog der Ausstellung ent hält aus der Feder von Hofrat Dr. Schliz cmc kurze Darstellung der einschlägigen Gesichts punkte. Ec zeigt, wie aus den Grundlagen der Urzeit sich die heutigen Rassen in Siidwcst- deutschland herausgcbildct haben. Wer mit Auf merksamkeit dieses Material studiert, das eine günstige Gelegenheit in solcher Vollständigkeit vorführt, kann sich selber überzeugen, aus wel chen Grundlagen unsere heutigen Rassen her vorgegangen sind. Es ist vorwiegend als Urrassc eine Bevölkerung voralpincn Charakters, klein wüchsig mit rundem, kurzem Kopf und schma lem, zierlichem Langlopf. Dazu kommen in un serem Oberland Alemannen, groß und breit gebaut, und in unserem Unterland Franken, langgliedrig und schmal gcsichtigt. In den Städten unserer alten Römerniedcrlassnngen fin den wir auch jetzt noch nicht selten Typen süd ländischen und keltischen Ursprungs. Den Hin tergrund der Koje bilden die Büsten eines Kelten und eines Germanen, in der Mitte steht ein nengcfcrtigtes Modell eines der berühmtesten Fundplätze vorgeschichtlicher Mcnschenreste, der Ofncthöhlc im Ries bei Nördlingen. „Oaha". Unser Berliner Schauspielreferent schreibt: Daß es auch dem rechten Künstler wider fahren maa, einmal einen rechten Bockmist zu er zeugen, bestätigt in allen Zeitaltern die Kunst geschichte. Rätselhaft bleibt trotzdem, daß der Dichter von „Frühlings Erwachen", „Erdgeist" und anderen von genialer Leidenschaft durchleuchteten Schöpfungen auch der Bersasscr des elendiglichen „Oaha"-stücks ist. Persönlicher Hader mit dem Ver leger Albert Langen und den „Simplicissimus"- Leuten und keinerlei höhere Inspiration hat Wede- tind in diese witz- und formlose Komödie getrieben, in eine dramatische Polemik, die sür feden Unbetei ligten absolut reiz- und wertlos ist. Wer die Rache beißgekocht verschlingt, verbrennt sich gewöhnlich den Magen. Daß aber Wedekind auch heute noch das kaltgestandene, üble Gericht löffelt und es dem Publikum vorletzt, das beweist einen rätselhaften Mangel an Selbstkritik. Wer nicht an den Schlüssel scherzen in dieser traurigen Komödie seine boshafte Freude hat oder wer nicht genug eingeweiht ist, die Urbilder der Karikaturen zu erkennen, findet höch stens in den ersten zwei Akten einige zusammenhang lose satirische Zeitglossen: im dritten Akt wird das Stück zu einer Posse, die mit den primitivsten Re quisitenscherzen arbeitet, deren sich ein gewerbsmäßiger Possenreißer kaum mehr zu bedienen wagt, und im vierten endet es in grenzenloser Albernheit. Also auch das gibt es: die Dummheit eines sehr geistreichen Mannes.... Der Schlüsselcha rakter rechtfertigt die „Oaha"-Mißgeburt keines wegs. Pasquille gegen Personen sind billige Triumphe. Sie waren vor hundert Jahren (zur Zert der Romantiker und Kotzebues) sehr im Schwange, und alle haben sie nur em Einrogsleben gelebt. An Wedekinds Ausfällen verstimmt besonders, daß der Dichter, indem er „Oaha" noch immer auf die Bühne zerrt, sich unversöhnlich auch gegen Personen zeigt, die, feit er sich mit ihnen auseinandersetzte, gestorben sind. Man wird den Gedanken an ihre Wehrlosig keit nicht los. Uedrigens schädigte Wedekind, indem er das Stück jetzt dem Zyklus einverleidte, wirklich nur sich selbst. Das Publikum der Kammerspiele lehnte „Oaha" unzweideutig ab. Das geschah trotz der hohen Schätzung, die Wedekind heute — und mit Recht — in Berlin genießt. Die Aufführung, von Wedekind recht unzulänglich inszeniert, war lahm. An den Künstlertypen versuchte sich die dritte Quadrille von Reinhardts Corps. Nur Josef Klein (als Pseudo-Ludwig Thoma) und Eduard von Winter st ein (als Pseudo-Björnson) gaben ihren Gestalten einen charakteristischen Wurf. Frau Tilly Wedekind lieh Björnsons Tochter, der Gattin Albert Langens, eine aparte Silhouette. Frank Wedekind vergaß als Darsteller des Verlegers die äußerlichen Merkmale festzuhalten, die er in den ersten vzenen angelegt hatte, auch war er merk würdig unsicher im Text. llerwaun Lioarl. * Der 3. Tag des 3. großen Leipziger Bachfestes bietet nicht weniger denn 3 Festveranstaltungen. Ein Orgelkonzert vormittags 10 Uhr in der Lhomas- kirche: Die Orgel spielt an Stelle des Herrn Pro fessors Straube Herr Hof- und Domorganist Kurt Gorn aus Braunschweig, einer der begabtesten ehe maligen Schüler Karl Straubes. Das Programm bleibt dasselbe. Die Fe st motette unseres Tho manerchors unter Leitung seines Kantors Professor Dr. Schreck mittags '/-2 Uhr in der Thomaskirche bringt zwei der prächtigen » canvlla Motetten des alten Meisters und verschiedene Orgelstücke, gespielt von Organist Max Fest. Die musikalischen Dar bietungen umrahmen die geistliche Ansprache des Superintendent I). Cordes. Abends 6 Uhr findet in der Thomaskirche als Schlußkonzert die strich lose Aufführung der ^-Moll-Messe durch den Bach- Verein, das Gewandhausorchester und als Solisten die Damen Anna Stronck-Kappel, Emmi Leisner und die Herren Kammersänger Dr. M. Römer und Dr. Wolfgang Rosenthal statt. Alles Nähere besagen die Inserate und Plakate. * „Welche deutfche Stadt kauft die meisten Bücher?", — so war ein Feuilletonartikel unseres Blattes (18. Mai) überschrieben. Es hieß darin, daß, wenn man als Maßstab für die Bildung einer Stadt ihren Büchcrbedarf betrachte, leider nicht einer rcichsdeutschen Stadt der Preis zuzuerkennen sei, sondern Wien, der Kaiserstadt an der Donau, die nach der neuesten Statistik für den deutschen Bücher markt das Hauptabsatzgcbict bildet. Der Chef der Lechncrschcn Bucyhandlung, Kommerzienrat Mül le r, an den sich die „N. Fr. Pr." um eine Erklärung wandte, sagte darüber: „Ziffernmäßig dürfte wohl Wien den stärksten deutschen Buchmarkt der Welt bilden, aber dies ist leider nicht auf die eminente Kauflust und Kaufkraft der Wiener zurückzuführen. Ein großer Teil des Balkans bezieht transito Wien seine deutschen Bücher, deren er sehr viele konsumiert, und die daraus resultierenden Quantitäten werden eben statistisch auf das Konto Wien gebucht. Aber ein anderes Moment kommt noch mehr in Betracht. Die wirtschaftlichen und eigentümlichen nationalen Verhältnisse bei uns bringen es mit sich, daß in vielen kleineren österreichischen Kronlandstädten keine oder wenigstens keine deutschen Buchhandlungen existieren. Der Provinz- und Landbewohner ist also genötigt, seinen ganzen Bedarf an Büchern aus Wien zu be ziehen. In Deutschland ist das wesentlich anders. Dort hat das kleinste Prooinznest eine Buch ¬ handlung mit einem wohlassortierten Lager, so daß niemand daran denkt, sich erst nach Berlin, Hamburg oder München zu wenden, wenn er ein Buch kaufen oder bestellen will. Man kann also sagen, daß die Berliner Buchhändler nur den Bedarf Berlins und seiner weiteren Um gebung decken, die Wiener Buchhändler aber einen gewaltigen Teil des Bedarfes von ganz Oesterreich und Ungarn. Kommt infolge dieser Umstände auch Wien bei einem Vergleich mit Berlin sehr gut weg, so um so schlimmer Oesterreich bei einem Vergleich mit Deutschland oder selbst nur Preußen. Ganz ab gesehen davon, muß ich aber unbedingt zugeben, daß in Wien verhältnismäßig sehr viel Bücher gekauft werden, weil der Wiener ein ausgesprochener Buch liebhaber ist. Und in dieser Beziehung bessern sich sogar von Jahr zu Jahr die Verhältnisse." Wir glaubten, diese interessante Stellungnahme zu dem Artikel des „L. T." unseren Lesern nicht vor enthalten zu sollen. * Geschenk für die Dresdner Gemäldegalerie. Die Verwaltung der Pröll-Heuer-Stiftung hat, wie uns ein eigener Drahtbericht aus Dresden meldet, das bekannte Bildnis des Barons Berger, des ehemaligen Direktors des Wiener Hofburg theaters, von Max Liebermann erworben und der Königlichen Gemäldegalerie als Geschenk über wiesen. Es wird in der Sammlung der Werke der modernen Meister seinen Platz finden. * Ein Merkurtempel auf deutschem Boden ent deckt! Aus Koblenz meldet uns der Draht: Der Altertumsforscher Professor Vodewig in Oberlahn stein hat im Walde auf der Rheinhöhe zwischen Oberlahnstein und Braubach einen römischen Mer- kurtempel entdeckt. * Zur Errichtung eines Kantmausoleum» hat sich in Königsberg ein Komitee gebildet, das in einem längeren Aufruf zu Beiträgen auffordert. Wie es in dem Aufrufe heißt, beabsichtigen die städtischen Körperschaften Königsbergs, die Gebeine Kants aus der gegenwärtigen Grabstätte, einem unschönen, ver fallenden Gebäude, in die Gruftkirche des Domes zu überführen. Demgegenüber plant das Komitee die Wiedererrichtung einer eigenen Grabstätte Kants, wenn irgend möglich an der alten Stelle. Bei träge nehmen entgegen die Bank für Handel und Industrie, die Deutsche Bank, die Direktion der Dis- conto-Gesellschaft und die Dresdner Bank, sämtlich in Berlin, sowie alle Filialen der genannten In stitute. Zu jeder näheren Auskunft ist bereit Pro fessor Dr. O. Schoendoerffer, Königsberg i. Pr., Wil Helmstraße 3. * Bon der Berliner Universität. Die theologische Fakultät der Universität Berlin hat den Oberhof, meister der Kaiserin, Freiherrn von Mirbach, zum Doktor der Theologie b. c. ernannt. — Der Ab teilungsvorsteher im Bakteriologischen Institut der Universität Berlin, Professor Morgenroth har einen Ruf nach Hamburg an das Tropenmedizi nische Institut erhalten. * Deutscher Freistudenten-Tag. In Weimar ver sammelten sich in diesen Tagen Vertreter und An gehörige der freistudentischen Organisationen von zahlreichen deutschen Hochschulen zum 14. Male zu einem Deutschen Freistudenten-Tag. Gleichzeitig trat der Freistudentische Bund, dem vor allem ehemalige Freistudenten angehören, zu seiner Hauptversamm lung zusammen. — In der Eröffnungsversammlung des Freistudentischen Bundes sprach Dr. Walter A. Berendsohn (Hamburg) über „Die Ethik des studentischen Leben s". In der Hauptsitzung des Freistudentischen Bundes am Dienstag vormittag referierten über die gegenwärtige Lage der frei studentischen Bewegung und die Stellung des Frei studentischen Bundes in ihr Professor Dr. Paul Ssymank (Posen), Dr. Wilhelm Printz (Hamburg) und Dr. Paul Roth (Leipzig). Cand. theol. Hempel (Leipzig) sprach am Mittwoch vormittag über „Student und Körperkultur". * Eine neue Art der Narkose. Die amerikanischen Forscher Meltzer und Auer in New d»rk beschäf tigen sich seit längerer Zeit mit Versuchen über Magnesium salze als Betäubungsmit tel. Durch Tierversuche haben sie festgestellt, daß eingespritzte Magnesiumsalze «inen narkoseähnlichen Zustand Hervorrufen, der nach Ablauf einiger Stun den ohne schädliche Folgen überwunden wird. Um nun festzustellen, ob dies« neue Art der Narkose auch auf den Menschen anwendbar sei, haben sie zunächst die Magnesiumialze zusammen mit A«ther angewen det. „Sie spritzten nur «in Drittel der zur vollstän digen Lähmung erforderlichen Meng« Magnesium sulfat ein", so berichtet der bei Otto Spanier in Leipzig erscheinende „Prometheus": „und sahen dar auf schon bei Einatmung eines Zehntels der sonst nötigen Aethermeng« tiefe Narkose eintreten. Bet den so behandelten Tieren konnten beliebig« Ein griffe ohne wahrnehmbare Schmerzäußerungen erfol- gen. Die nunmehr versuchte Anwendung dieser Methode auf den Menschen scheint sehr erfolgverspre chend. Bet dem mit geringer Magnesiumeinspritzung oorbchandelten Patienten konnte vollständige Narkose mit einem Fünftel der sonst üblichen Aethermenge ohne schädliche Folge» erzielt werden. Dies« neue Methode wird, wenn sie sich bewährt, die Gefahren der bisherigen Totalnarkosen erheblich verringern." * Der älteste Urmensch. Der Aegyptologe Pro fessor Elliot Smith, der sich bei seinen Forschungen auch eingehend mit den Menlchenresten verschiedener Zeiten aus den ägyptischen Gräbern beschäftigt hat, läßt sich nun auch über die Bedeutung des vor wenigen Monaten in Südengland gemachten Schädel funds vernehmen. Dieser nach seinem Fundort als Piltdownschädel bezeichnete Rest ist schon von anderen Sachverständigen für so eigenartig erklärt worden, daß man auf ihn eine ganz neue Gattung des Urmenschen, den Eoanthropus Dawsoni, gegründet hat. Auch Smith hält diese Auszeichnung für durch- aus berechtigt. Aus seiner Untersuchung zieht er den Schluß, daß der Urmensch von Piltdown trotz seiner verhältnismäßig hohen Gehirnentwicklung viele affenähnlichen Züge gehabt haben müsse. Er nennt ihn die nächste bisher entdeckte Annäherung an den unmittelbaren Vorläufer des Geschlechts bomo. Dennoch will er seine Lebezeit nicht allzuweit zurück verlegen und keinesfalls der Meinung beitreten, daß sich das Alter des Menschen noch in die Tertiär periode erstrecken könnte. Eher will er seine Ent stehung auf eine spätere Zeit verlegen, als es bisher auch durch vorsichtige Schätzungen geschah. Ueber die Bedeutung des Funds äußert sich der Forscher schließlich noch bestimmter rn dem Satz: „Es muß mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, wie eine Frage der Stammesentwicklung überhaupt be antwortet werden kann, als endgültig festgestellt gelten, daß die Gattung Eoanthropus den unmittel baren Urvater der Gattung domo darstellt." * Das vollkommene Rettungsboot. Katastrophen, wie die der„Emprcß of Jrcland" oder der „Titanic" würden nicht so viele Menschenleben verschlingen, wenn alle Schiffe mit dem „Lundin-Rettungsboot" ausgerüstet wären — so meinen die Fachleute der amerikanischen Regierung, die dieses „vollkommene Rettungsboot" jüngst geprüft haben. Das Rettungs boot besteht nach der Beschreibung des „Technical World Magazine" eigentlich aus .zwei ineinander liegenden zylindrischen Gebilden, die am Ende ab gestumpft sind: das ganze Boot ist aufklappbar, bietet bei einer Länge von rund 10 Meter Platz für über 30 Menschen, hat seine eigene Maschine, die eine Ge schwindigkeit von 6 Seemeilen gestattet, und ist außerdem mit Einrichtung für Funkentelegraphie versehen. Die wichtigsten Einzelheiten des Rettungs bootes sind, daß es weder umkippcn noch versinken kann. Bei einer Prüfung wurde ein solches Rettungs boot bemannt, dann wurde es mit einer Trosse um schlungen, und nun versuchte man, es durch einen Kran umzukippen. Das llmkippen gelang natürlich zuerst, aber das Boot richtete sich sofort wieder auf. Selbst ein Zusammenstoß mit einem Eisberge — so lautet das Urteil der Fachleute — würde das Rettungsboot wahrscheinlich nicht zum Sinken bringen, weil es doppelte Wandungen hat. Es wäre in der Tat ein gewaltiger Fortschritt der Sicherheit auf der See, wenn das Boot alles hielte, was man sich von ihm verspricht. Solange nicht ausführliche Nachrichten über seinen Bau vorliegen, muß man natürlich mit seinem Urteile zurückhaltcn. Vas Slüek cker anärren. 15s Roman von Fritz Stüber-Gunther. (Oopxrixdt 1V14 d> Or«tklsio L Oo. O. n>. b. kl. I-siprie.» Und Herr Gottsmann hätte so gerne von seinen Zukunftsplänen gesprochen, von der Er füllung, die endlich seinen geheimsten Wünschen winkte. Das konnte er nun nicht. Tie Freiheit einem Manne zu preisen, der sich zn seinem Joch ein zweites auferlegen muffte, dazu war Anton Gottsmann doch nicht Egoist genug. Bevor er also mit sich ins reine kam, ob er noch weiter Hans Rocks Absicht bekämpfen oder sic ihm durch tröstende Redensarten erleichtern sollte, fuhr dieser selbst fort: „Den .heurigen Sommer wollen wir noch tücktig genießen. Im Gebirge nnd am See sollen ihn meine Frau nnd die Kinder verbrin gen: in der Heimat Marthas, die sie seit unserer Heirat nicht mehr gesehen hat. Verwandte leben ihr dort keine mehr, aber dem Zauber der Er innerung, dem Zanbcr all der Stätten, an denen sie ihre Kindheit verbracht hat, soll sie sich nach so langer Zeit wieder hingcben können. Und die Lust, das Wasser, die Sonne, der Berg wald wird ihr wie den zwei Buben recht zu träglich sein. Meinen Urlaub bring' ich dann auch bei ihnen zu. Ich bin schon in Unterhand lung wegen einer sehr netten, geeigneten Woh nung — ein bißchen teuer freilich, aber im Herbste dann werd' ich halt hübsch zum Ver dienen schauen. ES wird herrlich werden, ich freu' mich schon darauf. Und Sie, Herr Gotts mann, Sic könnten unsere Freude noch ver größern, wenn Sie uns auch einmal dort be suchen wollten." „Ich?" „Ja, ja. Sie? Meine Frau hat Sie ja erst «in paarmal gesehen, aber trotzdem hat sie Sie ins Herz geschlossen. Also nicht wahr. Sie machen uns das Vergnügen nnd schauen sich unser Lustschloß an?" Gottsmann wollte ablehucn. Auch er hatte ja schon ganz bestimmte Pläne sür seinen l)eu- > rigen Urlaub, den letzten, der von der Gnade s hoher Vorgesetzter abhing: Zu Stefan Khautz wollte er, in die alte Bischofs- und Mozartftadt. Aber da fiel ihm ein, daß diese gar nicht so weit entfernt war von dem lieblichen Secdorfe, in welchem die Familie Rock ihre Ferien zu ver bringen gedachte, und das; der See beinahe auf seinem Wege tag. So sagte er: „Ausgeschlossen ist cs gerade nicht, daß ich Sie überfalle . . ." „Tun Sie's, tun Sie's nur ja bestimmt!" lud ihn Rock nochmals herzlich ein und drückte ihm die Hand. Die Tage wuchsen, das Gras der Wiesen schoß empor, die Baumkronen belaubten sich. Früher als sonst stellte sich diesmal der wahre Lenz ein, nnd treuer war er seinem Rufe als seit manchem Jahr. Anton Gottsmann gar erinnerte sich kaum, je einen so schönen erlebt zu haben. Der alte Mozartgarten in seinem Wohnhause duftete flie dersüß zu seinen Fenstern herauf, und aus den Zweigen der geduldigen, genügsamen alten Kastanien nnd Ahorne, Akazien und Götter bäume zwitscherten vergnügt vom frühen Mor gen an die Ururcnkel der braunen und schwar zen Großstadtvögel, die einst dem unsterblichen Meister bei seinem emsigen Schöpfcrwcrke keck über die Schulter geguckt hatten. Wenn er dar an dachte, der Herr Revisor, daß er diese lieb gewohnte Fensteraussicht nun bald für immer aufgeben solle, dann ward ihm wohl ein wenig eng um die Brust. Aber dann fiel ihm ein, daß ja die Gefahr der Zerstörung seit Jahren schon drohend über dieser ehrwürdigen Stätte schwebte, daß sie über Nacht unabwendbar wer den konnte, und daß es weit weniger schmerzlich für ihn fein würde, in der Ferne von dem grau samen Ereignis zu hören und zn lesen, als es blutend mitzuerleben; dann hielt er sich vor, daß gerade in jener Stadt, die künftig sein Aufenthalt werden sollte, der verehrte Genius die deutlichsten Spuren seines Erdenwallens und seiner Himmelskunst hinterlassen habe, die dort wohl liebevoller, eigentumsstolzer bewahrt und gepflegt wurden als in der kaltherzigen, neue- rungssüchtigcn Residenz. Und dann setzte er sich ans Spinett und spielte: „Ein Vogelfänger 'bin ich ja '. . oder: „Ein Mädchen oder Weibchen. . oder gar: „Fließet Champgner. . ." Ja, so heiter, so lebenslustig war er jetzt des öfteren, der Herr Revisor Anton Gottsmann, und es war nur gut, daß ihn sein Amtsvorstand, der Herr Kalkulationsrat, nicht dabei belauschen konnte — sonst hättte cs von vornherein übel gestanden um sein Pensionsgesuch. Ein Kummer aber drückte ihn doch, der wurde besonders schwer, wenn er das Heft her vorzog uno aufschlug, das so sorgsam in seinem Schreibtische versperrt war, das auf seinem Titel blatte untereinander die Namen Wilhelm Busch und Anton Gottsmann trug. Wenn er die Lieder leis erklingen ließ, mit deren Versen der berühmte Hagestolz aus Wie densahl im Hannoverschen sein Herz nnd das der Welt kritisiert hatte und mit deren Vertonung nnn er, der kleine Subalternbcamte in der öster reichischen Phäakenstadt seinem menschlichen und künstlerischen Wähnen Ausdruck geben wollte, die titellosen, bitterer Selbstvorwürfc vollen Lie der an eine namenlos Geliebte, dann wurde stets wieder die Vergangenheit mächtiger in ihm als Gegenwart und Zukunft, dann zog durch seine Seele entsagungsvolle Wehmut, die ihm sein ganzes neues Hoffen schaal und leer, sein spätes Glückssehnen welk erscheinen ließ. Je inniger er sich dann in die Weisen ver senke, deren Ersindunlg seinen größten geheimen Stolz ausmachtc, die noch kein Ohr bisher ver nommen hatte, als das seinigc, desto trübseliger kam ihm auch zu Sinn, was er verloren hatte, ohne es je besessen zu haben, mit um so satteren Karben trat das im Lauf der Jahre allmählich doch verblaßte Bild vor seine geistigen Augen, dem er ewige Treue zu bewahren gelobt hatte, unvergoltcne, doch ewige, bedingungslose Treue. Wie ein Heuchler, ein Verräter, kam er sich dann manchmal vor. Mit Sclbstanklagen folterte er sich, und besonders eine, die schwerste dieser Anklagen, gewann oft so deutlich Gestalt, daß sic auS seinem Innern heraus drohend vor ihn i trat und mit bleichem .Gespenstermunde also zu > sprechen schien: Mein einziges, was mich über dauerte, willst du nun schnöd' im Stiche lassen, du Eigensüchtiger? Von meinem Sohne, dem du treulich zur Seite zn stehen versprachst, ge denkst du dich für immer zu scheiden? Wie du mich, die Tote, schon fast vergessen hast, so willst du jetzt auch ihn vergessen? Dann bäumte er sich wohl trotzig auf: Paul Spitzacker, der Sohn seiner hoffnungslos ge liebten Paula, aber auch der Sohn des durch eigene Schuld hcrabgckommenen, halbverrückten .Hermann Spitzacker, sollte als unübersteigbarcs Hindernis zwischen ihn und seine Pläne treten? Der erwachsene Mann, der Kaiserliche Offizier? Dessen zarte Kindheit, dessen Ncifwerden er, so- rveit es nur sein eigener Beruf, feine eigenen beschränkten Verhältnisse nnd, nicht zuletzt, das unbewußt eifersüchtige Vorrecht des leiblichen Vaters zuließen, überwacht und behütet hatte — er sollte ihn zwingen können, ewig in Kerker und Fron zu bleiben? Der, je älter er wurde, natür licher und begreiflicherweise auch immer selb ständiger, unbotmäßiger wurde? Und der sich nun fast gar nimmer nm seinen freiwilligen Be schützer und Vormund kümmerte? Wochen war es, daß er seinen Paul — seinen? — daß er Paul nicht mehr gesehen hatte, Monate schier, daß er keine yerzlick-e, offene Aussprache gcyabt mit dem Herrn Oberleutnant. Der war ja jetzt so in Anspruch genommen, daß er für einen einsamen alten Mann keinen Augen blick mehr übrig hatte. Das Studium für die Kriegsschule allein erklärte dies nicht, ein lern begieriger, ehrgeiziger Schüler war Paul Spitz acker allezeit gewesen, ohne daß dies seine Zu neigung und Rücksicht beeinträchtigt hätte. Also mußten wohl saubere Gründe vorhanden fein, die das Licht zu scheuen hatten. Wagte der alte Spitzacker solche anzudeuten, dann trat ihm Gottsmann anfs schärfste entgegen, dann warf er sich hitzig zu Pauls Verteidiger auf. Aber wenn er allein mar, dann vermochte er dieselben Mutmaßungen, dieselben Besorgnisse kaum von sich zu weisen. (Fortsetzung in d« »bendaurW»«.)
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