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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.05.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191405244
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140524
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140524
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-05
- Tag 1914-05-24
-
Monat
1914-05
-
Jahr
1914
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Sonntags »Ausgabe Sezug-pr-Is«: !LW^-L?.N« monatlich l.rs M., v>«rt»l>-hrUch S.75 M. Vrt -er «ekhastssteU», «oser« Mai,n un- No»gad»st«U»a odgeholt! monatlich l M., vterlelj-hrUch Z M. durch -i» Post-, inarrhald brutschlan-o un- -er ürutschrn lolont« monatlich 1.5- M., virrteljührUch 4.LS M.. ausschlirAllch poltdefteUgelü. da» Leipzig,» Tagedlatterscheint Werktag» »mal, Sona- u. Zch«tag» »mal. Sa Leipzig, -,a Nachbarort«« un- -,n Grtra mit na««» ZiUalen wir- -i, Nbrn-auogab« noch am flden- -r» «»scheinen» in» -au» geitefert. Verliner KeSaktion, In -en Zelten »7. Zernsprech-slaschlug« Moabit Nr. »»7. ^LndelsFeituns /lrrttsdlockt desRcttes und despc>li?eüuntLs der Stadt Lcwzis N«-ottioa un- Geschäft»,Irller ^ohannlogaff« Nr.4. - Zerasprech-sinschlug Nr. >4»«. 14-41 uaü >4-44. ISS. Jahrgang -liyelgeapreise: von ««»wärt» 14 Pf.. Neklamen 1.20 m., lietae Nnzetgea -iepetitzeil, nur S-pk d.ivie-erbol.Nab..Inserat« »ondebör-en im amtlichraLeil-ir Petit zeil, SS ps. Grschäft»aaz«igen mit platzvorschrtst im Preise erhöht. Nada« nach Loris. Vellage«- Sesamtausl.SM.Sa»Lausenü au»schl.Postgebühr. Mazrigen-Nnaakme: )ohanai»gast»4. bei sämtliche« Ztltalen Leipziger Tageblatt«» ua- alle« Nnnoacra-Sxpe-itionea -ro In- uuü siuslaa-e». Sesch-klostell« für Verlln u. -ie pr. Vraa-eadurg: direktion Walter Zliegel. Verliu w. 10. Morgarethenstrage ». Zernsprech-sinschluAr Lühow -471. Nr. 260 Lonniüg, Len 24. Mai. 1S14. Vas wichtigste. * König Friedrich August hat aus An laß seines Geburtstages zahlreiche Auszeich nungen verliehen. (S. bes. Art.) * Am Sonnabend nachmittag besuchte König Friedrich August mit dem Prinzen Fried rich Christian das F r üh l i n g s f e st des A l b e r t z w e i g v e r e i n s Leipzig im Leip ziger Palmengarten. Prinz Eitel Fried rich von Preußen und Prinz Johann Ge org besichtigten am Sonnabend nachmittag die Bugra. (S. bes. Art.) * Auf Helgoland wurde am Sonnabend ein Gedenkstein zur Erinnerung an die im Fahre 1913 bei Helgoland unter gegange nen Schiffe sowie des Marinelnftschiffs 1, I enthüllt. (S. Letzte Dep.) * Im preußischen Abgeordneten hause wurde am Sonnabend über die neuen Lie b kn e ch t schen „Enthüllungen" ge sprochen. (S. bes. Art.) * Der albanische Ministerpräsident Tur- khan Pascha hat die Heimreise nach Du- razzo angetreten. (S. bes. Art.) * Bei einer Explosion in der Deutschen Lprengstoffabrik in Düren wurden 21 Personen schwer verletzt und drei ge lötet. (S. Nachr. v. Tage.) * In Frankreich ist es infolge der hohen Temperatur zu schweren Gewittern ge kommen. (S. Nachr. v. Tage.) Umschau. Leipzig. 23. Mai. Es wird behauptet, der Erlaß zur Auf lösung des Reichstages sei bereits am Mon- cag dieser Woche unterzeichnet gewesen. Eine Auflösung jetzt am Ablauf einer langen Tagung? Neuwahlen! Es gab Leute, die das Gruseln be kamen, freilich auch andere, die sich einen Riesen spaß versprachen. Wäre es wirklich zu dieser sonderbaren Maßregel oder auch Maßregelung gekommen, so hätte unendlich viel Papier ver schrieben, hätten unendlich viele Reden gehalten werden müssen, schon allein zu dem einen Zwecke, den Wählern im Lande einigermaßen klarzu machen, weshalb sie überhaupt gerade jetzt genötigt seien, einen funkelnagelneuen Reichs tag zu wählen. Das heißt: nur die Gewissen haften hätten auf die Aufklärung der verzwickten Sachlage, in die man an der Hand der Be amtenbesoldungsvorlage hineingeraten war, viel Mühe verwandt, und zwar nutzlos. Denn ganz von selbst hätte der entflammte Par- tcikamps diese sachliche Erörterung ohne wei teres überrannt, und wahrhaftig nicht über die Besoldungsvorlage mit ihrem parteipolitischen Anhängsel wäre viel gestritten worden, sondern iiber unseren ganzen politischen Zustand. Hie Regierung, hie Reichstag! Aber wo ist der ernst- I>afte Politiker, der gerade jetzt sich von einer auf so fragwürdige Art herbeigeführten Aus einandersetzung eine wirkliche Klärung, eine ent scheidende Neuverteilung der Kräfte versprochen hätte! Nein, es ist schon besser so, daß wir einen ruhigen Sommer vor uns haben. Das eine steht fest: wenn jemals die Par teipolitik einer guten Sache schadete, so war es diesmal, womit nicht gesagt sein soll, daß die Regierung von vornherein frei von Schuld und Fehle gewesen sei. Die gestrige Rechtfertigung, die sie in der „Nordd. Ällg. Zt g." erscheinen ließ, schiebt allerdings die ganze Verantwortung für das Scheitern der Besoldungsvorlage auf den Reichstag, sie übergeht aber etwas lässig die Tatsache, daß die sämtlichen Parteien ohne Ausnahme über die Notwendigkeit der Erwei terung des Regierungsentwurfs, die Ein beziehung einiger Beamtenklassen, so der ge hobenen Unterbeamten, einig waren. Schon die Seltenheit dieser Einmütigkeit mußte doch stutzig machen. Mag inan die einzelnen Par teien so oder so einschätzen: zum mindesten muß den maßgebenden Führern eingeräumt werden, daß sie nicht aus Mutwillen und Unverstand der Regierung diese Erweiterung und einen Mehraufwand, überhaupt Unmögliches zum Schaden der Finanzen zumuteten. Aus der star ren Ablehnung dieser Bewertung einmütiger Be- chlüsse entsprang aber eine heillose Ver- chärfung, und als die Regierung endlich in etzter Stunde die Hand zu dem von den Kon- ervativen und Liberalen beantragten Vermitt- ungsvorschlag bot, da allerdings hatte die Par teipolitik bereits wie HanSschwamm um sich ge griffen und den Boden zerstört. Noch ist die ganze Presse beschäftigt, das merkwürdige Ver halten des Zentrums zu ergründen; von seiner „schwarzen Seele" spricht man nicht um sonst. „Ein vollkommner Widerspruch bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren." Oder war es etwa kein vollkommener Widerspruch, daß sich diese Partei aus dem solange festgehal tenen Ringe loslöste, weil sie nicht auch „um fallen" wollte, um dann auf offener Schluß szene erst recht umzufallen? Es wird zur Er klärung dieses phänomenalen Vorganges viel hin- und hcrgeraten, wie wir indes glauben, braucht man eine Erklärung dieser Wunderlichkeit nicht so gar weit zu suchen. Es ist bekannt genug,- daß das Zentrum eine starke Anhängerschaft in Postbeamtenkreisen besitzt, namentlich in den Nheinlauden, und in diesen Kreisen mag man geglaubt haben, wenn nur wenigstens das Zeinrum „fest" bleibe, werde die Regierung im letzten Augenblick doch noch nachgeben. Welch ein Triumph, welch eine Sicherung vieler Tau sende von Wahlstimmen! Das war aber ein verhängnisvoller Irrtum, den die andern Par teien, die doch wahrhaftig auch gezeigt hatten, daß ihnen die Lage der vielen, auf eine Auf besserung harrenden Beamten keineswegs gleich- giltig war, nicht bis zum Aeußersten treiben wollten. Doch auch dann und zwar erst recht, war die Rechnung verwerflich, wenn diese Partei wirklich von sich aus ein Glanz- und Machtstück zu liefern gedachte, nur um dem Reichskanzler zu zeigen: w i r sind wir! Ohne uns wird nichts! Wir sind Anfang und Ende! Zu solcher Auf fassung würde ja die Ablehnung der Ostmarken zulage, die Streichung des sechsten Reichsan- walts, der Nachrichtenstelle im Kriegsministerium, wie manches andere vortrefflich passen. Die „Germania" erinnert übrigens in einem Rück blick auf die Tagung an die große Zeit des Kulturkampfs, wo die Partei ja auch der Re gierung gezeigt habe, wie unbeugsam ihr Will« sei! Der Reichskanzler bedurfte dieses Winkes mit dem Zaunpfahl kaum. Iesuitengesetz! In dem Worte liegt der Schlüssel zu allen Rätseln hex heutigen Zentrumspolitik. Der Verlockung, den Handstreich der Sozialdemokratie miizumachen, d.e in letzter Stunde die erhöhte Besoldung der Land briefträger auf dem Wege der Etatserhöhung durchzusetzen versuchte, ist das Zentrum aller dings nicht erlegen. ES ist vorsichtig abgerückt, da ihlm diese plumpe Mache denn doch wider den Strich ging. Eine Reichstagsauflösung unter solchen Umständen im engsten Verband mit der Sozialdemokratie erzwungen zu haben, das hätte denn doch das Schuldkonto allzusehr belastet, und allen Kredit zu verspielen, dazu sind die alten Zentrumsführer zu klug. Die Optimisten sterben nicht aus. Herr Pach nicke meinte, die Zeit sei günstig, den neuen Minister des Innern Herrn v. Loebell im Abgeordnetenhause zu befragen, wie er über das preußische Wahlrecht denke. Es konnte ja sein ... es war ja möglich . . . man erlebt oft Ueberraschungen. . . Man glaubt, was inan hofft. Es war denkbar, daß Herr v. Beth- mann, der trüben Eindrücke müde, mit ihm einig geworden sei, es sei zweckmäßig gerade jetzt für einen tröstenden Lichtblick zu sorgen. Und dann: die Wahlreform war doch in einer Thronrede einmal als dringliche Aufgabe bezeichnet wor den. Wenn sie vor sechs Jahren dringlich war, mußte sie jetzt nach den üblichen Begriffen nicht noch dringlicher geworden sein? So dachte wohl Herr Pachnicke, und schließlich: wenn er wirk lich nein sagte, so konnte es doch in einem Ton geschehen, der die welke Hoffnung einigermaßen belebte .Doch Herr v. Loebell zeigte sich nicht als Gefühlsmensch. Er sprach sich sehr klar gegen die Meinung von der Dringlichkeit besagter Auf gabe aus, und wenn er sich nicht der Gedan kengänge der Konservativen annahm, um auf ihre Art zu beweisen, daß das alte Drei klassenwahlrecht nun einmal zum Wesen des preußischen Staates gehöre, so hat doch seine gemilderte Abweisung ihren vollen Beifall. Wer zweifelt denn auch noch daran, daß die preu ßische Wahlrechtsfrage von dieser Seite her schon lange nicht mehr als eine das Staatswohl an gehende Suche, sondern als eigene Angelegen heit betrachtet und behandelt wird! Nur die ses Dreiklassenwahlrecht sichert der konservati ven Partei in Preußen die Vormacht. Also heißt es unter diesem Zeichen leben und sterben. Bei nahe wirkt es schon lächerlich, wenn irgend jemand überhaupt noch etwas Sachliches zum Beweis der Unhaltbarkeit dieses Wahlrechtes sagt oder schreibt; denn um die sachliche Notwendigkeit wird ja kaum noch gestritten. Es ist genau so wie mit der Reform der 1. Kammer in Sachsen. Der Gegenstand ist derartig abgehandelt, daß er sich fast wie ein Aufsatzthema für die deutsche Stunde ausnimmt. Man rechnet ja gerade auf das Er müden der Kräfte, auf die Langeweile, die sich auf die gerechteste Sache legt, wenn sie auch nicht um Daumesbreite vorwärts zu bringen ist. Wie diese Politik des „Zappelnlassens" auf die Dauer dem Staate bekommt, wohin sie füh ren muß, das ist keine Frage, die die Macht politiker beunruhigt. Da ihnen der Staat selbst beisteht, so haben sie ja den Trost, daß nicht sie allein sondern vor allem die Regierenden die Verantwortung tragen. Gemeinsame Fehler pflegen oft enger zu verbinden als gemeinsame Tugenden, und das gerade ist der geschickte Zug in dieser über die Maßen selbstsüchtigen Politik, daß sie der Regierung den Blick in die Zukunft verbaut. „Mich hält'S noch aus", pflegte Metter nich zu sagen, wenn er vor den Wirkungen seiner Politik gewarnt wurde. . . In das verhältnismäßig stille Getriebe der auswärtigen Politik haben die Neuigkeiten aus Albanien einige Unruhe getragen. Man hatte allgemein das Gefühl, daß der Fürst mit der Verhaftung und Verbannung Essad Paschas einem unhaltbaren Zustand ein Ende machen wollte. Aber es ist doch auffallend, wie sehr sich die Stimmen mehren, die den abenteuer lichen Mann in Schutz nehmen. Es sind nament lich Gewährsmänner englischer Blätter, die den Fürsten als ein Opfer von Umtrieben bezeich nen, insbesondere werden die holländischen Gen darmerieoffiziere, die doch anscheinend nur ihre Pflicht erfüllten, als verdächtige Leute hinge- stellt. Nun hat es ja Essad Pascha freilich auch nach seiner Verhaftung nicht an Treueversiche rungen fehlen lassen; in Durazzo hat man aber doch wohl feste Beweise für das Gegenteil. Lei der scheint auch in Italien eine Verstimmung gegen den Fürsten vorzuwalten; jedenfalls legen es einige Blätter darauf au, den Zwischenfall gegen Oesterreich auszunutzen, dessen Hand sie überall vermuten. Dieses Mißtrauen kann viel leicht für die Sache des Fürsten verhängnisvoller werden als die Beseitigung des Albanesenfüh- rers, über dessen persönliche Eigenschaften die Meinungen aus guten Gründen sehr geteilt sind. Sozialpolitisches aus -em verflossenen Reichstage. Man schreibt uns: Der Reichstag hat, noch während er in den letzten Zügen lag, zwei wichtige Gesetze sozial politischen Inhalts verabschiedet. Gerade weil man über die letzte Tagung vielfach den Stab bre chen will, muß das Gute hervorgehoben werden, das wirklich geleistet' wurde. Wir' meinen das Gesetz über das W e ttbewerbsverbot (betr. die sog. Konkurrenzklausel) und das Gesetz über die Bürgschaften des Reiches im Interesse des Kleinwohnungsbaues. Beide Gesetze blicken sozusagen in die Zukunft. Der Schwer punkt liegt nicht auf dem, was durch sie sofort geschaffen wird, sondern was sich aus ihnen entwickeln kann und soll. Die Konkur renz- klausel ist nicht, was viele wollten, ganz be seitigt, wohl aber ist die Axt an ihre Wurzel gelegt worden und es kann nicht ausbleiben, daß sich auf dem Boden der neuen Bestimmun gen ein Recht entwickelt, das gerecht ist für beide Teile, für Arbeitgeber und für Arbeit nehmer. Damit würde das Gesetz seinen Zweck als sozialpolitisches erfüllen. Ist doch der gerechte Ausgleich widerstreitender Interessen das eigent liche Ziel aller Sozialpolitik. Die Bürgschaft des Reiches für zweite Hypotheken auf Klein wohnungen ist äußerst vorsichtig auf 25 Mil lionen Mark beschränkt. Damit kann an sich und für heute wenig geleistet werden. Aber der Wert liegt in dem bahnbrechenden, in die Zukunft reichenden Gedanken, daß die Für sorge für die zweite Hypothek — bekanntlich der wunde Punkt bei jeder Wohnungspolitik — als Reichs fache erkannt und betätigt wird. Ein Führertritt, der andere Körperschaften des öffent lichen Rechtes, vor allem Staaten und Gemein den, zur Nachfolge aufruft. Vor allem muß aber einmal hervor gehoben werden, daß der Reichstag, der angeblich von Interessengegensätzen zerrissen ist und, so sagt man, uferlosen Plänen keinen genügenden Widerstand entgegenzu setzen vermag, sich selbst bezwungen hat und beiden Gesetzen den maßvollen Inhalt gab, der sie lebensfähig macht. Gewiß fehlte es nicht an Stürmern und Drängern, die nicht sehen wollten, daß die Sozialpolitik nur kleine Schritte machen kann und daß gerade hier das Bessere des Guten Feind ist. So wollten manche sich bei den Kleinwohnungen nicht begnügen mit der Garantie des Reiches, soweit es selbst Arbeit geber ist. Man forderte mehr und wünschte die Anspannung des natürlich viel weiter rei chenden Reichskredits für Kleinwohnungen über haupt. Das war aber, da es sich um die ersten Schritte auf einem neuen Wege handelt, zu viel und hätte zum Scheitern des ganzen schönen Gedankens, zur Ablehnung durch den Bundes rat geführt. Auch das Wohnungsgesetz hätte dann unter dem Trümmerhaufen des Reichstags schlusses gelegen. Allein es gelang besonnenen Sozialpolttikern noch im letzten Augenblicke das Erreichbare zu ergreifen und zu retten, was zu retten war. Bei beiden Gesetzen ist es also — das kann gar nicht genug betont werden — der Reichstag gewesen, der schließlich in sich selbst den Ausgleich der einander widerstreben den Tendenzen geschaffen und sich — in wohl tuender Zusammenarbeit mit der Regierung — als maß- und wirkungsvollen Förderer unserer Sozialpolitik erwiesen hat. Ohne Hast, ohne Rast. Ü Au -en Enthüllungen Vr. Liebknechts. o Berlin, 23. Mai. Im preußischen Abgeordneten haus ist heute die dritte Lesung des Etats endlich zu Ende gekommen. Sie hat sechs geschlagene Wochentage gedauert. Bei die ser Gelegeuyeit wurden auch Liebknechts Enthüllungen wieder behandelt, nämlich so wohl die Sache Lindeuau als auch die spätere des Dr. Ludwig, des Geschäftsführers des Reichsverbands gegen die Sozialdemokratie. Der Kultusminister versicherte, was an sich ja selbst verständlich ist, daß der Prosessorentitcl in Preu ßen nicht käuflich sei, daß der verstorbene Ge neral von Lindenau auch nur einmal im Kultus ministerium aufgetauchr sei, damals aber den zuständigen Referenten gar nicht gesprochen Hütte. Ter Herr, in dessen Interesse er sich da mals bemühte, sei zudem bis aus den heutigen Tag nicht Professor geworden. Bon dem Herrn Dr. Ludwig wußte der Minister nur das eine, daß er ab und zu seine Agitationsschriften ins Ministerium eingesandt Hütte und dafür dann nach dem üblichen Schema bedankt worden sei. An diesen Feststellungen ließ sich das Haus ge nügen. Das konnte es um so eher tun, als Herr von Trott zu Solz mitteilte, daß die An gelegenheit der Staatsanwaltschaft übergeben sei. Als Herr Liebknecht dann trotzdem zum Schluß noch mit neuen Enthüllungen aufwarten wollte, besaß das Haus den guten Geschmack, die Debatte zu schließen. Es wird sich ja immer noch Gelegenheit geben, auf diese Dinge zurück zukommen, wenn die Staatsanwaltschaft in sie mehr Licht gebracht hat. * ^ * st Herr Dr. Ludwig sendet übrigens Berliner Blättern eine Zuschrift, worin er mitteilt, er liege zurzeit schwertrank im heimatlichen Rei chenberg, und dann fortfährt: „Die in Nr. 3b des „Vorwärts" veröffentlichten Enthüllungen von Herrn Liebknecht habe» mit dem Reichs verband gegen die Sozialdemokratie nicht das mindeste zu tun. Ich selbst habe aus Gefällig keit — natürlich nur als Privatmann und nicht als zweiter Beamter des ReichsvcrbandS — auf Wunsch eines mir bekannten Arztes Erkundigun gen eingezogen, ob es wohl möglich sei, ihm den Prösessorentitel zu verschaffen. Tie mir gegebene Auskunft habe ich aus Grund steno graphischer Notizen gutgläubig weitergegeben. Mir stiegen aber hinterher Zweifel über die Richtigkeit auf und ich überzeugte mich, daß die Angaben unzutreffend waren. Ich habe daher in der Sache nichts mehr getan, die Beziehungen abgebrochen und weder einen Pfennig Vermitt lungsgebühr gefordert noch empfangen. Der betreffende Arzt hat auch den gewünschten Titel nicht erhalten. Dr. Ludwig." Die „Deutsche Tageszeitung" meint, das sei mehr ein Eingeständnis als eine Recht fertigung. Dr. Ludwigs Rolle im Reichsverband dürfte damit ausgespielt sein. Eia halbamtlicher Rückblick aus -ie Reichstagsarbeit. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Der Reichstag ist am 20. Mai geschlossen worden. Damit ist nach mehr als zweijähriger Dauer eine Session beendet, in der wicht.,,: Gesetze zu- standegekommen sind. An erster Stelle ist die Ver - stärk ung unserer Rüstungen zu nennen. Der Reichstag hat hierzu die erforderlichen Mittel in vollem Umfange bereitg prellt, nicht zuletzt durch die Annahme des Gesetzes über den einmaligen außerordentlichen Wehr beitrag, eines Gesetzes, durch das die Opferfreudigkeit unseres Volkes, seine Opserwilligkeit für die Verteidigung des Vaterlandes mit vollen Kräften zu zeigen, in das hellste Licht ge rückt wurde. Am Schluß der Session hat der Reichs tag dem Gesetz gegen den Verrat mili tärischer Geheimnisse zugestimmt und damit wesentlich zu einem erhöhten Schutz unserer militäri schen Errungenschaften gegen Auskundschaftungen bei getragen. Auf zahlreichen anderen Gebieten haben Bundesrat und Reichstag in der verflossenen Sitzungs periode wertvoll« gesetzgeberische Arbeit geleistet. Leider ist die von der Regierung beabsichtigte weitere Aufbesserung von Beamtengehältern nicht zustande gekommen. Man braucht in diesem Zusammenhang nur an die endlose Behandlung der Zaberner Vorgänge zu erinnern, die ein Schulbeispiel der beklagten Uebelstände gebildet hat. Zur Besserung der Verhältnisse kann es nur beitragen, daß durch die Schließung der Session mit allen unerledigten Arbeiten aufgeräumt worden ist. In den letzten Jahren hat es sich häufig ereignet, daß der Reichstag wegen der Wichtiakcit der ihm vorliegenden Gesetzentwürfe nicht geschlossen, sondern vertagt wurde. Infolge der Häufigkeit der V«r- taguna ist das Gefühl aufgekommen, daß nicht di« Schließung, sondern die Vertagung der regel mäßige von der Verfassung gewollte Zu stand sei. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ver fassung zerteilt die Gleichmäßigkeit der Legislatur periode in mehrer« Sessionen von einjähriger Dauer, eine Einrichtung, di« sowohl im Interesse der Regierung als auch des Reichstags liegt. Die parla mentarischen Geschäfte leiden darunter, wenn uicht ab und zu ein Zeitpunkt kommt, bis zu welchem die
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