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Sächsische Volkszeitung : 02.07.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193307028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19330702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19330702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-07
- Tag 1933-07-02
-
Monat
1933-07
-
Jahr
1933
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 02.07.1933
- Autor
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Maßlosigkeit, an das Oberhaupt der Christenheit: „Aller heiligster Vater, die glückliche Wirkung, welche die Wie derherstellung der christlichen Religion auf die Moral und den Charakter meines Volkes hervorgebracht hat, veran laßt mich. Eure Heiligkeit um einen neuen Beweis des Interesses zu bitten, das Sie an meinem Geschick und dem dieser großen Nation bei einem der wichtigsten Ereignisse nehmen, das die Annalen der Welt zu verzeichnen hat. Ich bitte Sie, der Salbung und Krönung des ersten Kaisers der Franzosen den höchsten Grad religiöser Weihe zu verleihen." Was soll man angesichts dieser Worte eines der Größten unserer Zeitrechnung noch über unsere heutigen spanischen „KirchenstUrmer" sagen? Die katholische Kirche Nachdem wir am vergangenen Sonntag mit dem Beginn der Veröffentlichung unserer Artikelreihe „Le ben — selbst gezimmert" die Selbsthilsebestre- bungen Heinrich Schliemanns, des großen Kaufmanns und Archäologen aufgezeigt habe», bringen wir heute als Fortsetzung der Serie einen Aufriß der Lebensschicksale des bekannten Anthropogeographen Friedrich Ratzel. Die Red. Wenn ein Großhcrzoglich-Vadischer Kämmerer seinen Sohn mit vierzehn Jahren vom Gymnasium nimmt und kurzerhand zum Apothekerberuf bestimmt, so ist das kein weltbewegendes Ereignis, und man braucht sich darüber eigentlich keine Ge danken zu machen. In unserem Falle jedoch sind Ueberlcgun- gen wohl angebracht, und ein Blick in die späteren Aufzeich nungen Friedrich Ratzels, der 18-14 geboren wurde und 1901 starb, lassen diesen diktatorischen Akt des Vaters als ent scheidend für ein ganzes Menschenleben erscheinen. Wahrschein lich war es die ultima ratio eines enttäuschten Vaters, der den Wildfang weder verstand, noch erzieherisch mit ihm fertig wurde, genau so wie die Schule, die ihn als unverbesserlich und faul ausgab. So blieb als Ausweg nur die Entfernung des Jungen aus dem väterlichen Hause, aus dem Kreis der Spiel gefährten und ein Besserungsversuch, eine Art Familien-Für- sorgeerziehung in einer befreundeten Apothekerfamilie auf einem weltverlassenen einsamen Dorf. Damit wurde Ratzel zwangsweise auf eine Bahn geschoben, die ihn zwar zu einem „guten", „brauchbaren" Menschen und Apotheker hätte machen können, die aber durchaus nicht seinen inneren Neigungen und Anlagen entsprach. So waren alle Voraussetzungen gegeben siir eine Selbsthilfe, für ein Ausbrechen aus dieser Zrvangs- situation, und Ratzel trug in sich die Kraft und Energie diesen entscheidenden Schritt mit voller Hingabe und dem Einsatz seines ganzen Ich zu tun. Bei späterem, ruhigen Ueberdcnken der eigenen Lebensbahn, der verschiedenen Etappen als Apotheker, Zoologe, Reisejournalist und Professor fand er als einheitliche Grundlinie seines Strebens eine eigentümlich starke Sammelleidenschaft, die bei den gegen sätzlich scheinenden Metamorphosen Ratzels immer das tragende, vorwärtsdrängende Element und sozusagen das Entwicklungs prinzip abgab. Sie ist der Faden, an dem er nach spielerischer Betätigung in der Kindheit allmählich zu ernsteren Arbeiten und schließlich zu wissenschaftlicher Forschung gelangte. Das muß für die Betrachtung seiner Entwicklung unbedingt fest gehalten rverden, weil sonst viele Erscheinungen darin kaum ver ständlich werden. An diesem Faden wollen wir in unserer Dar stellung uns langsam in di« Selbsthilfe-Bestrebungen vorzutasten versuchen, und die entscheidenden Momente zu verdeutlichen uns mühen. „l-eken vnrl kvrlstritte" iin Spiel In seiner Kinderzeit scheint Ratzel weitgehende Freiheit und Unabhängigkeit genossen zu haben. Nach Herzenslust konnte sich di» aus den Quellen einer unverbogenen Natur srisch auf brechende Sammelleidenschaft austoben. Alles, was ihm von einigen Wert schien für den Aufbau seiner kindlichen Welt, was sein Interesse erregte, und an dem sich die Phantasie entzünden konnte, wurde sorgfältig zusammengetragen und wie ein Schatz gehütet. Aus seiner Tischschublade wurde ein Derumpelschrank, „wo alte Nägel und Hufeisen neben Kieselsteinen und Papier stückchen lagen", und ein Haufen weggeworfener schlechter Stein abdrücke vor dem Naturalienkabinett seiner Vaterstadt (Karls ruhe), wovon er die besterhaltenen mit Hilse seines Freundes abschleppte, wurde zum Anlaß, auf eigene Faust Entdeckungs- «xpeditionen in die Muschelkalkbrüche der Umgebung zu unter nehmen. In diese kindlich« Spielwelt brach plötzlich die Schule ein mit ihrem Zwang, Dinge zu lernen, die den Knaben nicht inter essierten und in seinem Inneren keinen Widerhall lösten.' Un erbittlich stand sie vor ihm mit dem Gesetz: „Erst die Schul aufgaben, und dann das SpielenI" Ein Gesetz, das er zuerst „für grausam und mit der Zeit auch für unsinnig hielt. Denn da alles Spi«l hieß, was nicht von der Schule vorgeschrieben »ar, so sielen in späteren Jahren auch die mit Leidenschaft be triebenen Naturstudien und die Privatlcktüre unter dieses Gebot, und ich fühlte doch schon damals, daß in ihnen Leben und Fortschritt war, während sich die Schulausgaben so oft wüstenhaft trocken, Paragraph für lskiragraph durch die Lehr stunden hinstreckten". Damit fällt der alte erfahren« Professor Ratzel von der Höhe seines Lebenswerkes (kurz vor seinem Tode schrieb er diese Zeilen) ein vernichtendes Urteil über den Li«, trieb der Lernschule in seiner Jugendzeit, und er bricht zugleich eine Lanze siir ein« vernünftige di« Neigungen und Anlagen der Schüler berücksichtigende Schulpraxis, aus der allein produk tive, brauchbare Menschen wachsen können. Tatsache ist, daß der Schüler Ratzel nicht gewillt war, sich einfach in dieses System einspannen zu lasten, daß er vielmehr in passiver Resistenz durch eine unergründliche Teilnahmslosigkeit den Bemühungen der Lehrer trotzte. Der Vater gab ihn daher in eine Privatschule, „die den Ruhm hatte, auch die verkommensten Subjekte durch Prüfungen zu bringen". Der Direktor galt als sehr „schlag fertig". Sein Unterricht muß ein seltsames, vielleicht „geniales" Vielerlei gewesen sein, das „anderen als Allotria" vorkam, in Ratzel aber ein« frische Lernlust weckte. Mit Leidenschaft gab er sich vor allem der Naturgeschichte hin und tat auch im deutschen Aufsatz mehr als durchschnittlich verlangt wurde. Nicht allzu lange jedoch scheint dieser Lerneiscr vorgchalten zu haben, den der Vater steckte ihn, vierzehnjährig, wie schon bemerkt, in eine kleine Landapothck«. wird sie, ihre Negierung und ihre jetzt beschlossenen Ge setze überleben. Letztere werden— wie zum Heile Spa niens zu hoffen ist — vielleicht überhaupt nie ganz durch geführt und jedenfalls sehr bald wieder gemildert werden. Die Kirche selbst aber schöpft aus solchen ihr aufgezwun genen Kämpfen immer wieder neue Kraft. Sie steht ge rade jetzt in mehrfachem Streit, da sie. auch in Rußland und Mexiko grausam verfolgt wird. Es ist ein im Laufe der Jahrhunderte immer wiederkehrender Verjüngungs quell und wohl Gottes Wille, daß seine Kirche durch neue Feinde stets zu neuer Stärke gesammelt und vor Erstarrung bewahrt werde. Auch der Kampf um die Seele des spanischen Volkes wird zu einer baldigen neuen Blüte des Glaubens beitragen. 8t»kters „Sturzen" Diese Dorfapotheke in Eichtersheim Hot Rotze! in romanlisch-riickschaucnder Weise später beschrieben. Danach glich sie vermutlich sehr stark einer „Alchimisten".Werkstatt, in der geheimnisvolle Heiltränke, volkstümliche Salben und Pflaster bereitet wurden. Der Besitzer war schon vorgerückten Alters und hielt in Verein mit seiner Gattin im Hause strenge Zucht und Ordnung. Der ganze Lebenskreis, den der Junge hier betrat, stand in einein seltsamen Gegensatz zu seinen innersten Neigungen und Sehnsüchten. Bald bemächtigte sich seiner ein tiefes Heimweh, ein Unbehagen mit seiner Situation. Seine weltschmerzlichen Anwandlungen vertraute er in diesen ersten Monaten einem verschwiegenen Tagebuche an. In Werther tönen klagt er: „die Welt ist schön und ich so unglücklich! Und je schöner sie wird, desto breiter klasst der Gegensatz zwischen der Herrlichkeit außen und der Armut innen. Mein Inneres ist wie wnnd, jede Berührung schmerzt, ich spüre die Berüh rung des Blumendustes und des Sternenstrahls an dieser schwärenbedeckten Seele." Ein gütiger Zufall wollte es, daß Adalbert Stifters „Studien" ihm zu dieser Zeit in die Hände fielen. Die seelen vollen Naturbetrachtungcn und Schilderungen dieses gottbe gnadeten Naturpoeten weckten in feiner Seele ein tiefes Echo und rissen ihn aus seinen unfruchtbaren weltschmerzlichen Grübeleien heraus. Mut und Selbstvertrauen kehrten wieder, und in seinem Tagebuch lesen wir: „Ich nehme mir vor, aus mir hinaus in die wunderbare Eotteswelt statt immer nur in mich hineinzusehn." Langsam, aber beständig wuchs nun in ihm wieder der Lebenswille und ein freudiges helleuchtendes Bejahen der Natur, sowohl draußen in Wald und Feld als auch in seinem eigenen wachsenden Ich. Den Pflichten ging er so gut nach, wie cs die Abneigung gegen die aufgezwun gene Apothekertätigkcit zulicß. Zugleich setzte aber ein inten sives energiegeladenes Suchen nach Auswegen, nach neuen, seine tiefsten Neigungen befriedigende Lebensperspektiven ein. Die große Wandlung im Leben Ratzels war vollzogen. Ein Neubeginn, ein Start des jungen Apotbekerlehrlings in eine neue Welt war vorbereitet und grundgelegt, dem tiefgreifende Fortbildungsbemiihungen auf eigene Faust folgten. Irrrvese rier 8>1<Iui»Ks 8slbstk»lke? Kann ein kleiner gehetzter Lehrling, der vom frühen Mor gen bis zum späten Abend zu allen Hilsleistungen in Werkstatt, Küche, Haus und Garten herangezogen wird, sich nebenher noch selbst weiterbildcn? Augenscheinlich ja, denn der junge Ratzel beweist es« Zunächst nutzte er jede Freizeit, jede unbeob achtete Minute zur Lektüre: Zeitschriften, Zeitungen, Klassiker, schließlich jeden bedruckten Fetzen Papier verschlang er mit Heiß hunger. Kritiklos fraß er es in sich hinein und spann über das Gelesene seine phantastischen Träumereien. Bei einem Bildungsverein, dem sein Ehef angehörte, biederte er sich an und übernahm die Buch, und Zeitschriftenbestellungen sowie ihre Verteilung unter die Mitglieder. Dabei gab es manche Gelegenheit, den Lesehunger zu befriedigen, Bücher und Zeit schriften zu entleihen und auszutauschen. Aber Lektüre allein genügte ihm nicht. Er wollt« das erworbene Wissen in irgendeiner Weise sich gründlich zu eigen machen, es jederzeit grissbereit zur Hand haben. Beim Buch händler kaufte er daher „fünf Buch gelbliches Konzcptpapicr" und faltete und heftete daraus in stillen Abendstunden „vierzig Hefte zu vierundzwanzig Seiten". Jedes Heft wurde mit einer Aufschrift versehen „von Theologie und Mystik an bis zu Acker- und Wiesenbau, Dichtung, Malerei, Theater, Musik", überhaupt alles, was ihm nur irgendwie wissenswert erschien. In diese schrieb er nun mit unermüdlichem Eifer seine Lese früchte, jedes erreichbare Buch, jede Zeitschrift und Zeitung wurde auf Wissenswert untersucht und ausgezogen. Morgens stand er schon um 3 Uhr aus, und auch abends faß er über seinen Heften, „rastlos eintragend und nachlesend". Dabei ging er kelnesweges nach einem bestimmten Plan vor, auch hatte er keine Auslesrprinzipien, sondern lediglich der Charak ter des Wissenswerten allein war entscheidend. Und nicht nur s)<rr ksbnv/ärter Manchmal aus Reisen, da stehst du, alle Hände in den Taschen, am l)-Zug-Fenster und siehst hinaus. Draußen die Telegraphenpsähle, wenn sie vorbeieilen, gehen in die Knie, verneigen sich vor dir, die Landschaft dreht sich, Wastertümpel schweben an den Schienen hin — und dann mit einem Male kracht ein Bahnwärterhäuschen vorbei, der Zug lärmt über Weichen, tobt knallend darüber weg, das Rattern der Schienen wird überlaut, gebrochen an den Wänden — dann ist der Spuk vorüber. Da stand an der Schrankenwinde am Wege der Bahnwärter, sah stramm gradeaus und präsentierte — es war kein Gewehr, aber irgendein Gerät, das hielt er militärisch vor sich hin, bis der Zug vorüber war. Ja. So ein Leben möchte man eigentlich führen, mitten draußen irgendwo in der Landschaft. Einsiedelei an den Schienen, weit weg von allem, was die Menschen treiben, ihre Theaterstücke, die können sie sich allein ansehen, laß sie machen — hier ist ein Ort, da können sie nicht hin, da ist man sicher vor ihnen. Die Dinge dieser Welt verlieren ihr Gewicht, alles ist nicht ganz wirklich, nicht ganz wahr, so, als geschähe es nur in den Zeitungen, was geschieht. Das Bahnwärterhäuschen ist ganz klein. Rundherum ist ein Garten. Blumen wachsen da und Gemüse. Zwischen den Durch Stellen, di« «hm defonvers gefielen, „fonvern auch die, di« »ym durch ihre Dunkelheit imponierten", wurden ausgeschrieben mit dem stillen Wunsch, daß er sie später einmal verstehen werde. „In keiner späteren Zelt meines Lebens", so bemerkt er darüber, „verfügte ich über so ausgebreitete und mannig faltige Kenntnisse wie im Sommer 1861". Fast ein Jahr lang trieb er diese radikale Eelbsthilfemethode des Wissens erwerb». Dann regte sich langsam das kritische vermögen und er hörte auf, sich mit „gleichem Eifer den historischen Romanen der Mühlbach oder einem Hefte einer chemischen Zeitschrift zuzuwenden". Seit der Lektüre de» damals vielgelesenen neunbändigen Romans „Der Zauberer von Rom" von Gutz kow setzte diese kritische Haltung «in, und au» dem Rebel de» allgemeinen Bildungsstreben» begannen „Helle Punkte" zu leuchten, die sich immer mehr zu zwei bestimmten Strebungen verdichteten: dem Verlangen, Fremdsprachen zu lernen und die Geheimniste der Natur zu verstehen. Von» Mikroskop LNN» BankierSltak Mit IS Jahren machte Ral-el in Karlsruhe sein pharma zeutisches Examen, und n»ar dann als Assistent in Mörs und in der Schweiz tätig. Während dieser Zeit hatte er sich mit aller Kraft den beiden Lieblingsgebieten: Fremdsprachen und der Naturwissenschaft gewidmet, Tag und Nacht lateinische und griechische Klassiker gelesen, so daß er kurz nachher das Abitur machen konnte. Den Eltern wollte das durchaus nicht passen. Er sollte Apotheker bleiben, da er hier sein gutes Auskommen habe. Aber Ratzel setzte es durch, daß er die Universität be suchen und Zoologie studieren konnte. In Heidelberg pronj§« vierte er 1868 mit einer zoologische» Arbeit und wollt« ai^ schließend z» weiteren Arbeiten nach Siidsrankreich. Auf einer französischen Bahnstation wurde ihm jedoch sein kostbares Mi- krolkop gestohlen, und in seiner Notlage schickte er an die „Köl nische Zeitung" einen größeren Aufsatz über sein spezielle» Forschungsgebiet, der sein Glück machen sollte. Denn die Re daktion war davon so begeistert, daß sie ihn um rveitere Ein sendungen bat. Sie sordcrte ihn schließlich aus, als Reise journalist in ihren Dienst zu treten und fortan in ihrem Auf trage gewiße Gebiete der alten und neuen Welt zu bereisen. Ratzel ging begeistert auf dieses Angebot ein uird durchstreifte in den folgenden Jahren vor allem die Küstenländer des Mittel meeres und die Alpen, sowie Nord- und Mittclamerika. Er selbst empfand diese Wendung als einen entscheidenden Punkt in seiner Lebensbahn. Mit der ihm eigenen Hingabe ging er ans Werk, und schrieb zunächst vorwiegend zoologisch orientierte Artikel, die seine Liebe nnd Begeisterung für die Natur glänzend znm Ausdruck bringen. Im Lause seiner Wanderzeit (bis 1875) vollzog sich bei itun »och eine weitere Entwicklung: vom Zoologen zum Geographen und Anthropogeographen. Nach der Teilnahme am Kriege 1876/71 hatte er in München bei K. A. Zittel und Moritz Wagner kurze Zeit gearbeitet und starke An regungen zu geographischen Forschungen erhalten. In den Reisebiichern (in denen er später seine Artikelreihen gesammelt herausgab) läßt sich der Wandlungsprozeß in etwa versolge«. keLaklt, aber niebt Keäruelct Im Herbst 1875 brach Ratzel seine Reisetätigkeit ab. Man habe, so erzählte er bei seinem silbernen Professorcnjubiläum (1901), seine Artikel bei der „Kölnischen Zeitung" zwar weiter bezahlt, aber nicht mehr gedruckt. Das hab« ihn veranlaßt, sich nach einem andern Arbeitsfeld umzusehen, da sein journalisti scher Stern merklich verblaßt sei und zu erlöschen drohe. Am 19. Dezember 1875 hielt er seine Probevorlesung und wurde als Privatdozcnt an der Technischen Hochschule in München zugelasten. Schon nach zwei Semestern wurde er außerordent licher Professor und 1886 Ordinarius. Ratzel hatte nun ge nügend Muße, die gervaltige Ausbeute seiner Wanderjahre zu verarbeiten, die bislang meist nur in feuilletonistisch-impressio« nistischcr Form der Reiseberichte vorlag. die die Eindrücke und Beobachtungen des flüchtigen Augenblicks sowohl als auch Er gebnisse seiner intensiven Studien und Besichtigungen von Mensch und Landschaft umfaßten. Auch war ihm in diesen Jahren das Verhältnis: Mensch-Erde zu innerer Klarheit und Deutlichkeit gereift, das vor ihm Montesquieu, Herder, A. v. Humboldt und Karl Ritter entgegen einer bloß naturwissen schaftlichen Betrachtungsweise bewußt betont hatten. Auf Grund seines eigenartigen Werdeganges rvar er somit der providentielle Mann, der zum Neubegründer der Anthropo- geographie werden konnte. * Uebcrschauen wir zum Schluß das Gesamtlebcn Ratzels, so finden wir in ihm vor allem eine beherrschende treibende Kraft wirksam: die Sammelleidenschaft. Sie läßt das Kind in triebhaft-unbewußtem Spiel vcrmeiniliche Schätze häufen, reißt den unzufriedenen, am Leben verzweifelnden Apothekerlehrlin« zu entscheidender Tat, zu kraftvoller Bil- dungssclbsthilfe empor, und legt in den Mandcrjahren den Grund für eine bedeutungsvolle wissenschaftliche Lehr- und Forschertätigkeit. Aber sicherlich hätte cs nie einen weltbe kannten Professor Ratzel gegeben, wenn nicht der geplagte Lehrling in der Apotheke zu Eichtersheim sich zu solch radikaler und für unsere Begriffe phantastischer Selbsthilfe in nächte, langem Mühen ausgerasst hätte. Denn hier liegt der Start für die erfolgreiche Lebensbahn Ratzels, und nur der volle, immer wieder neu beginnende harte Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit ließ daraus so herrliche Früchte erwachsen. ?. ^dele. fahrzeiten der Züge werkt darin der Bahnwärter, gräbt etwas, sieht, ob es wächst, und alles ist lauter Beschaulichkeit. Nur die Pünktlichkeit, mit der die Züge kommen und vor- überdonnern, erinnert sanft daran, daß es aus diesem Stern Dinge gibt, die wichtig sind und ungeheuer eilig. Aber das bleibt hier nicht, es fährt vorüber, ernste Männer stehen an den Fenstern, mit Zigarren in der Hand, und haben Sorgen. Nur manchmal winkt ein Kind heraus, dem Bahnwärter zu. Wenn der Zug vorüber ist, klingelt er die Schranken wieder hoch. Langsam. Der Klöppel schlägt klirrend, rostig gegen di« Glocke. Ein Lastwagen, der am Wege hielt, fährt weiter. Danach geht der Bahnwärter wieder in seinen Garten und fleht, ob es wächst. Er pflockt die Ziegen am Bahndamm ein Stück weiter, daß sic frisches Gras haben, vielleicht ruft schon die Frau, daß das Mittagesten fertig ist, er geht und sieht, wie er durch den Garten geht, daß die jungen Obstbäume Heuer mancherlei Gutes tragen werden und hat eine rechte Freud« daran — so «in Leben müßte man führen. Er hat es durchschaut. Werner stöhnt bei den Schularbeiten: „Es gibt kein« Ge rechtigkeit in der Welt!" „Aiarum denn eigentlich?" fragt die Mutter belustigt. »Wir machen die Arbeit, und der Lehrer kriegt das Geld!" lieben — selbst §e?iminert krleärjck kstsel — Zipotkeker, Zoologe unä ^ntkropogeoArapk
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