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Oer Ministrant / Jost hieb der kleine Kerl. Eigentlich wohl Joseph. Aber jedermann kannte ihn nur bei seinem abgekürzten Namen. Er wohnt in einer Sackgasse, die mit ihren alter tümlichen elenden Hausern seltsamerweise in einer sonst vornehmen Ctadtgegcnd erhalten geblieben war. Dort stand er den lieben ganzen Tag am Fenster und drückte sich die Nase platt, oder er sas; auf dem Pflaster und schaute versonnen den wenigen Leuten nach, die sich in die Sackgasse verirrten. Die meisten kannten ihn und nickten ihm im Vorübergehen gutmütig zu. Denn er war so ge wissermassen zum Liebling der Gasse geworden, der kleine, schmächtige, stille Iah, der stets so ein tiefes Leuch ten in den Augen hatte, als wäre seine Seele ganz wo anders als der schwächliche, sieche Körper, der fast einen Ansatz zum Buckel halte. Lkirne von s. knörinxser sank auf die Stufen des Altars, die Glocke mit der Hand umklammernd. Er klingelte nicht mehr. Nach der heiligen Wandlung trat der Küster hinzu und trug den bewußtlosen Knaben in die Sakristei. Ein anderer Meßdicncr nahm seine Stelle ein. Am nächsten Morgen um acht Uhr war Jos; nicht in der Schule. Von einem Knaben, der in der Nachbarschaft wohnte, hörte ich, daß er zu Bett lag und fieberte. Des Nachmittags ging ich zu ihm. Er lag nunmehr fieberfrei. Nur seine Augen hatten noch einen unge wöhnlichen Glanz. Ich fragte ihn behutsam nach dem, was sich am Sonntag morgen begeben hatte. Er lächelte scheu und wollte nicht antworten. Schließlich bekam ich von ihm heraus: „Der liebe Gott war so nah . . Wie ein Bliß erhellte mir das Wort seine Seele. War dieser Knabe der Nähe Gottes unterlegen, die er mit seinem frommen Herzen so glühend erfaßte? Hatte die Ehrfurcht ihm die Worte von den Lippen genommen? Hatte er aus heiliger Scheu kaum die Glocke zu rühren gewagt? War er endlich vor der erhobenen Hostie in hei ligem Schauer umgesunken? Und wieviele kalte Augen und kalte Herzen wen den sich täglich dem Altäre zu und spüren nicht einen Herzschlag lang, daß dort ein Allerh.-iligltes sich still voll zieht? Ach ja, wie ist es wakr: ..Aus dem Munde der Kleinen und Einfältigen hast Du Dir Lob bereitet!" L^eo lernt koeken / Co tiefe, leuchtende Augen hatte Jos; schon gehabt, als er zum erstenmal zur Schule kam. Muckmäuschen still sas; er stets da, kein Wort aus dem Munde des Lehrers ließ er sich entgehen, und wo cs etwas fürs Herz und Gemüt gab, etwa ein Märchen zu erzählen, oder vom lieben Gott und dem Heiland zu berichten, da war Jos; förmlich wie verzückt und in seinem Gesicht arbei tete es, als wäre er selber bei all dem Wunderbaren da bei gewesen. Die Jahre vergingen. Einst hieß es: Meßdiener würden in der Pfarrkirche gebraucht. Jos; war der erste, der sich meldete. O weh, würde der kleine Kerl das schwere Meß buch tragen können, würde er die schweren lateinischen Gebete lernen? Nun, das letztere schon. Besser als jeder andere. Und was das Meßbuch betrifft — der Jos; sah so flehend drein, so voller Angst, nicht zugelassen zu werden, daß man es ihm nicht abschlagen konnte. Also der Jos; wurde Meßdiener. Schon nach einem Tag kam er und sagte das lateinische Stufengebet tadel los her. Bei einer Sonntagsfrühmessc sollte er zum erstenmal amtieren. Er ging vor dem Priester zum Altar. Es fiel mir auf, daß er blasser als gewöhnlich war. Das Stufengebet begann. Ich hörte ihn die ersten Worte stammeln. Ad deum gui. — Dann stockte er. Der Priester ergänzte die Ministrantcnworte. Dann wieder: Öuia tu es deus — das Folgende sprach der Priester. Schließlich blieben die Ministrantenworte ganz aus. Da für kniete an der Seite des Priesters eine bebende Ge stalt und beugte sich fast zur Erde. Die heilige Handlung ging weiter. Jos; tat, was er zu tun hatte, doch sein „Amen" und sein „Et cum spiritu tuo" mar so schwach, daß man es kaum hörte. Als er mit äußerster Anstrengung das Meßbuch auf die andere Seite trug, sah ich, das; er totenblaß war, seine Lippen bebten, seine Augen waren halb geschlossen. Er taumelte und wäre beinahe fehlgetreten. Dann klingelte er zur heiligen Opferung. Leise, ganz leise. Und ging dann an die rechte Altarseite, um Wasser über die Hände des Priesters zu gießen. Seine Hände zitterten, als hätte er Fieber, und der Priester streifte ihn mit einem aufmerksamen und besorgten Blick. Wieder klingelte er. Leise und zaghaft, wie das erstemal. Dann kniete er regungslos, während der Priester die Stillmcsse betete. Kur; vor der heiligen Wandlung griff er zur Glocke. Sein gan;er Körper begann mit einem Male zu schwanken. Wollte er nur erkennen, wann der Priester das segnende Zeichen über die Hostie machte, oder war cs ein Fieberschauer, der ihn überlief? Dann schrillte mit einem Male ein lautes Glocken zeichen durch die Kirche. Wie ein letzter Schrei, laut, miß tönend. Der Priester hob die Hostie. Der Knabe aber „Das ewige Wirtshausessen und Ausael>enmüksen Kat mehr Ehen zustande gebracht, als es selbst die beste Heiratsvermitt lerin vermag!" bekauptetc einer van Leos Freunden. Er tat denn auch, was in solä>en Fällen iunge. unverheiratete Männer zu tun pflegen — er ging hin und heiratete. „Mach's doch auch so wie ich. Leo!" riet er dem Freund. Der aber hatte in der Beziehung bis jetzt entschieden Pech ge habt. Oder ist es etwa kein Pech, wenn das Mndä»en, das einem gefällt, einen nicht mag. Und die einen mag. die ge fällt einem nicht! Ja. ja. es ist nicht so einfach, den rechten Anschluß fürs Leben zu finden. Wenn nur nicht das Essengehen gewesen wäre! Davon war Leo ein ausgesprochener Feind. Eines Tages entdeckt« er eine Anzeige in der Zeitung Nein, was es dock nickt alles gab in der Welt! Neuerdings sogar Kockkurse für Junggesellen mit dem Wahlspruch: „Kocke schnell, billig und schmackhaft!" Das war etwas für Leo! Kochen lernen konnte dock nickt so schwer sei»! Hatte es nicht sogar berühmte Kockkünstler ge geben? Also ivar doch das männliche Kochtalent selbst historisch beglaubigt. Was andere gekonnt hatten, warum sollte er das nicht auch können! Kurz danach meldete sich Leo zum Abendkurs für Jung gesellen an. Bald stand er in der reizend eingerichteten Bor- führküclie mit noch einigen Leidensgefährten. Zuerst gab's da einen kurzen theoretisclien Vortrag über neuzeitliche Ernäh rungsweise. Interessanter aber als der Vortrag selbst war entschieden die Vortragende. Das war keine alte, behäbige Köchin, nein, ein allerliebstes junges Ding in adrettem Hans- kleidä>xn Eiventtick konnte man sich kaum vorstellen, daß ein so hübscl»es G-ttckws keinen schöneren Beruf finden konnte, als anderen Menschen das Kochen beiznbringen! So ein We sen. das gerade geboren schien, in der eigenen, lraulicl>en Häuslichkeit zu schotten und zu walten. Leider muß gesagt werden, daß Leo nicht allzu viel von dem Vortrag verstand. Denn er körte mehr aus die sympa thische Stimme, als aus das. was sic sagt«. Nun kam die prakttsclie Vorführung. Da zeigte sich mal wieder welch himinelweiler llntersckied doch zwischen Tlreorie und Praxis ist! Die anderen machten es noch leidlich. Aber Leo! Der Fall schien hoffnungslos! Menn ick verrate, wie er setti erstes Nührei fabrizierte stehen gewiß allen Leserinnen die <öaa>e zu Berae! Jedenfalls war das Resultat kläglich: ein schwärzliclier Nest, der verdächtig brenzlich roch war alles, was von Fräulein Annis, der Kochlehrerin, schön geschlagener, goldgelber Eiermasse übriggeblieben war! „Das lerne ich nie!" stöhnte Leo kläglich, worauf das reizende Fräulein Anni tröstlich meinte: „Vielleicht, wenn Sie noch ein paar Nachhilfestunden nehmen!" Früher hatte Leo immer eine gewisse Abneigung gegen das Wort „Nachhilfestun den" gehabt. Wenigstens in seiner Gyninasiostenzeit. wo die Nachhilfe eine große Nolle gespielt hatte. Diesmal aber war er gleich bereit. Hätte Leo seinerzeit bei den Nachhilfestunden nur halb so gut acht gegeben wie jeßt. wäre er sicher der Erste der Klasse geworden. Aber leider achtete er mehr auf Fräulein Annis hübsche Hände als auf das. was sie damit machte. Als er den Salat statt mit Salz und Psefser mit Zucker und Zimt an^- macht hatte, die unglückliäienveise gerade in der Nähe ge standen. da schüttelte die kleine Kochlehrerin verzweifelt den Kopf: „Ich glaube wirklich. Sie haben recht Eie lernen's nie! Ja. was sollen mir denn da tun?!" Da kam Leo einer jener glücklichen Einfälle, wie sie einem zuweilen, wenn auch selten, im Leben kommen. Wenn ihm schon die edle Kochkunst ein Buch mit sieben Siegeln blei ben sollte, warum sollte er sich dann nicht ivenigstcns dies gel>eimnisvolle Buch anschassen? Allerdings in einer leben digen Ausgabe! In einer Ausgabe, di« mit l>ock)geröteten Humoreske von f. Z^llknns Wangen und schimmerndem Blondhaar unter spißcnlieseßtem Kochhäubä)en verzweifelt zu dem hoffnungslosen Schüler auf guckte ... „Ich glaube auch, Fräulein Anni. die Nachhilfestunden allein lun's nicht. Aber ich weiß einen Ausweg!" und dabei nahm er wie von ungefähr eins der geschickten Händchen -'n seine ungeschickten „Wie wärs mit einem Privatkursus?" „Privatkursus? Ja. aber wo denn?" wollte Fräuletti Anni wissen. „Und wie?" „Bei mir dal-eim!" schlug Leo vor und umschloß noch fester die kleine Hand. „Ja, halben Sie denn eine Kiici»« und alles, was dazu gehört?" erkundigte sich das Fräulein interessiert. „Noch nicht", gestand Leo. „aber die schasse ich mir ja doch bald an!" — „Also wollen Sie lzeiraten?" Das kleine Fräulein wurde um einen Schein blasser. Auch versuchte sie, ihm die Hand zu entziehen. Er aller ließ sie nicht los und nickte strahlend: „Ganz recht. Sie haben es erraten, das will ich!" Nun hatte sich die kleine Hand alvr doch frei gemacht „Aber dann haben Sie ja jemand, der für Sie kocht! Dann brauären Sic mich doch nicht mehr!" kam es stockend über Fräulein Annis Lippen. „Natürlich brauäi« ick Sie Fräulein Anni! Sok mir der Kochkursus mißen muß ich ihn lebenslang nehmen! Und da engagiere ich am besten gleich die Kochlehrerin selbst für dauernd ..." Was dann Leo dem blonden Fräulein noch alles zu sagen hatte, das hatte mit der edlen Kochkunst kaum mehr etwas zu tun Bläßlich aller lag der schimmernde Blondkovf an Leas Brust! Soviel aber war jedenfalls dem kleinen Fräu lein bald klar: daß Leo kx-sser zu küssen als zu kockien ver stand! Na. und wenn er das erstere übernahm so würde sie schon gerne das letztere übernehmen — sicher zu voller gegen seitiger Zufriedenlzeit! weopolisonisoke (^on/onen Die GrommophonplallL', haben die neapolttanisclren Can- zonen in der ganzen Welt verbreitet. Selten aber fragt man sich, wer der Uri»eber dieser Canzonen ist. die aus der nea politanischen Volksseele entsprungen säieinen. Vielleicht ist es bekannt, daß die berühmte Romanze „O mare chiaro" von keinem Geringeren als Tosli ist. Sie entstand um 1882 und wurde zuerst schlecht ausgenommen. Ein Jahr später psissen sie aber die Spaßen von den Dää-ern. und seitdem erfreut sie sich unveränderter Beliebtlieit. Der typischste aller neapolitani schen Gassenhauer „Funiculi Funicola" ist um einige Jahrzehnte älter. Das Lied wurde bereits um 1870 von dem Journalisten Turco und einem Gastwirt aus Easlellamare verfaßt, und feierte die Einweihung der Drahtseilbahn auf den Voniero. Turco wanderte später nach London aus und machte sein Glück, dank der Berühmtlieit der Canzone. die das neapoli- tanisclze Lokalkolorit unübertrefflich wiedergibt — Das schwer mütige Matrosenlied „O mare uaricllo". das einen Anklang von echter Lyrik hat, wurde von einem armen Knecht, der später im Elend umkam. gedichtet und non einem Eisenhändler in Musik geseßt: er verstand nur zu pfeifen und ließ die Me lodie von einem ernsthaften Musiker ausschreiben Aber das echteste Mitlelmeerlied ist doch „O solc mio", das alle, die es zum ersten Male hören, noch heute entzückt durch seine Farben pracht und Stimmung. Die Worte sind von einem gewissen Capurro, der auch von Carducci gelobt wurde, und die Melo die von einem schlichten Sohn des Volkes, der stets ein Un bekannter blieb: derselbe komponierte auch die Eonzone „Maria Mari", die zu den schönsten ihrer Art gehört Des Wildbrets Dust erheitert jede Brust. Ein Nehrücken hat Dir so viel zu sagen, Und ein Fasan erhebt Dich unbewußt In jenes Göttermahles edle Kreise . Mo Nektar Trank, Ambrosia die Speise. * * * Was sißen dort für frohgemute Zecher? Sie proben andachtsvoll den ersten Most. Der ist und bleibt ein rechter Sorgenbrecher, Für junge Schmerzen ein gar süßer Trost. Das Alter liebt gereisten Trank im Becher, Des abgeklärten Weines herbe Kost. Sie sitzen selig auf den langen Bänken Bis in die Nacht. An Heimgehn nicht zu denken! Freund Kilian verlebt jeßt schöne Zeiten. An jedem Abend winkt ein Gläschen Wein. Er spricht: „Ich weis; die Grippe zu vermeiden, Ich lasse sic erst garnicht bei mir ein." Die teure Gattin mag das garnicht leiden, Doch er rx?rsteht's mitunter taub zu sein Oder er spricht: „Ich folge Hähern Pflichten! Den deutschen Weinbau gilt es aufzurichten." Voll junger Freude tönen alte Lieder Der neue Wein macht alle Herzen jung. Wenn Gläser klingen, schwebt ein Genins nieder, Der gibt den Herzen ungeahnten Schwung, Plan fühlt den Mut, man fühlt die Hossnung wieder, Die Gegenivart verklärt Erinnerung. Auf seht noch Freyburg! Auf zum alten Meißen! Wer trinkt, der muß des Herbstes Zauber preisen. * * Voll Tank ist unser Herz. Die ganze Wonne Des Sommers wird uns noch einmal beschert. Noch einmal blauer Himmel, ivarme Sonne Von dumpfer Schwüle gänzlich unbeschwert Man träumt im Zauber dieser Hcrbstessonne Von schönen Tagen, di; erinnernswert. Wir beißen in den Apfel voll Vehagcn, Erinnerung l)at uns so viel zu sagen. Voll Dank ist unser Herz. Und in Gedanken Eilt man der Zeit ein Stückchen schon voraus: Eisblumen sieht man schon am Fenster ranken, Von Schnee bedeckt die Straße und das Haus Von Schlittschuh» träumt man wohl und von den schlanken Skibrettern, die uns tragen rasch hinaus In des verschneiten Paradieses Räume. Voll Hossnung sind im Herbst die kleinen Träume. Erinnerung und Hoffnung — holde Schwestern, In diesen Tagen sind sie unser Gast. Wir leben noch entzückt im sonnigen Gestern Und sind auf klareres Morgen schon gefaßt. So gleitet diese Folge von Semestern Durch unser Leben sacht und ohne Hast. Erinnerung und Hoffnung lehrt uns ivandern Vertrauensvoll von einem Jahr zum andern. Doch abends, wenn mit köstlichem Erröten Die Sonne früh schon in die Dämmrung sinkt, Fühlst Du bedrängt von ungewissen Nöten Dein Herz, das in der Nebelflut ertrinkt. Die ganze gute Haltung geht Dir flöten Und kaum ein müdes Lächeln noch gelingt. Wo eben Wärme war, herrscht kühler Schauer Und jedes Herz erfüllt verhaltene Trauer. Ein Blatt löst sich vom Baum. Ein Jahr verrann. Ein Blatt fiel auch non Deinem Lebensbaum. Trägt er noch viele Blätter? Denk nicht dran! Birg Dich am Alwnd im vertrauten Raum Schaff Dir was Passendes zu trinken an Und spinn' in Deinem Herzen fort den Traun, Des bunten Tages, der so schön verran. Hörst Du dann draußen auch den Regen rauschen, Was kümmcrts Dich? Du brauchst ja nicht zu lauschen. In solchen Stunden steckt Melancholie Wie Gift in mancher südlich schönen Frucht. Du willst sie nicht — und Du entfliehst ihr nie, (8anz sicher hat sie jüngst auch Dich besucht. Zur großen Herbstmusik gehört auch sie. Das Uebermaß der Schönheit — und die Flucht All dieser Schönheit wär' nicht zu ertragen, Dürste man abends nicht ein wenig Klagen. Den ganzen Winter lang zehrt man von diesen Tagen.,,