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Lin Vorgängen Stalins In den nächsten Togen werden es 400 Jahre, dos; eine der seltsamsten, oder mich der furcht lrarsten Gestal ten der Weltgeschichte, Iwan der IV., der Schreck liche, Zar ül»er Rußland wurde. In seinem Charakter streiten sich düstere, teuflische Grausamkeit mit aske tischer Frömmigkeit und der genialen Veranlagung eines Staatsmannes. Als Kind auf den Thron Wassili des Tro tzen im Kreml berufen, verlor er mit acht Jahren seine Mutter und stand seitdem unter der Vormundschaft selbst herrlicher Bojaren, die sich wenig um seine Erziehung küm merten, den Knaben zu grausamen Tierquälereien er munterten, ihn lehrten, Bären auf das Bolk zu Hetzen und an verschwenderischen Gelagen teilzunehmen. An seinem 13. Geburtstage machte er sich selbständig. Die ihm verhassten Vormünder wurden vor seinen Thron sessel geführt und der greise Fürst Andrej Schuisky, der bem Knaben wiederholt Vorwürfe gemacht hatte, wurde vor seinen Augen von Henkersknechten gemartert und dann enthauptet. Iwan umgab sich mit der persönlichen Leibwache der Opritschina, die sich blind seinem Willen unterwerfen und den Verrat im Lande ausrotten sollte. Zuerst 6000 Mann und dann 12 000 Mann wurden im Kreml aufgestellt und mit den drei Symbolen: einem Besen, einem Hundekopf und einer Axt ausgerüstet. Der Besen bedeutete, datz sie Rußland reinsegen sollten von Feinden des Zaren, sie sollten treu wie die Hunde sein und mit der Axt zuschlagen, wo sie auf Widerstand stie ßen. Während einer ganz kurzen Zeit wurden über 12 000 Familien von Haus und Hof vertrieben. Mit blutiger Axt ritten die Opritschniki durch die Vorstädte Moskaus und machten jeden nieder, der ihnen nicht aus dem Wege ging. Der Zar selbst rwranslaltete Hetzen auf das Volk und freute sich am Gemetzel. -100 Jahre sind vergangen, an Stelle Iwan des Schreck lichen sind die Schrecklicheren im roten Kreml getreten. T-as menschliche Empfinden ist durch die Hekatomben des Weltkrieges und durch all das Furchtbare der letzten 15 Jahre abgestumpft. Wer kümmert sich viel um die Greuel in den Kellern der Tscheka, um die Massenmorde durch lettische oder chinesische Söldner, um die Tausende und Hunderttausende von Hinrichtungen, an Erschießun gen von Frauen und Kindern? Wir sind geneigt, über die Grausamkeit des schrecklichen Zaren zu erschauern, wir sprechen von der Barbarei einer vergangenen Epoche und nehmen die Schrecken der Gegenwart als etwas Un abänderliches hin . . . Lin Inauniges 1ubil3um Im September vor zehn Jahren ist die Inflation in ihr akutes Stadium getreten. Die Mark Hatto seit 1018 schon einen langen Leidensweg hinter sich. Zuerst lang sam, dann immer schneller sank ihr Wert, aber immer noch nicht hatte das Volk das Wesen der Inflation klar erkannt. Löhne und Preise waren, in Goldmark umge rechnet. lächerlich niedrig, die Ausländer hatten goldene Tage in Deutschland. Ungeheure Gewinne wurden gemacht — scheinbar. Ein Kilo Roggenbrot kostete im Juni 1023 die schöne Summo von 6300 NM., das waren in Gold um gerechnet nur 2 Pfg. gegen 28 Psg. vor dem Krieg. But ter kostete 6t Goldpfg. gegen 1.35 Goldmark Vorkriegs preis. Bei Industrieartikeln war es ähnlich: ein Zentner Braunkohlenbriketts wurde zu 3-1 Goldpsennig geliefert gegen 115 Pfg. Vorkriegspreis. Nur die Behörden waren noch billiger, so kostete ein Fernbrief nur 300 Papier mark oder ein tausendstel Goldpsennig. Auch Steuer zahlen war verhältnismäßig schmerzlos. Das alles änderte sich nun im Herbst ganz gründ lich. Immer schneller fiel der Markkurs. Bargeld lachte nicht mehr, sondern es brannte in den Taschen. Ter Wettlauf nach der Ware begann, aber andererseits wollte kein Mensch mehr verkaufen, da jede Wiederbeschaffung sicheren Verlust bedeutete. So sah man wieder die Bil der der Kriegszeit, das Schlangenstehen vor den Lebens- mittelläden. Plünderungen, Unruhen waren an der Ta gesordnung. Am 27. September 1923 mutzte der Aus nahmezustand verhängt werden. Nun stiegen die Preise noch schneller, als sich das Geld entwertete. In der drit ten Novembcrwoche kostete das Kilogramm Roggenbrot die Kleinigkeit von 218 Milliarden Papiermark, das waren aber -13 Goldpsennig gegen 20 Pfg. vor dem Krieg. Putter kostete 5,60 Goldmark gegen 2,70 Goldmark vor dem Krieg, Braunkohlenbriketts 1,98 Goldmark gegen 1,15 Goldmark vor dem Krieg. Auch die Behörden kamen langsam nach. Hatte man im Sommer 1923 für ein Pfund Butter noch von Karlsruhe nach Köln fahren können, so kostete jetzt der Eisenbahnkilometer schon wie der 3 Goldpsennig, also ebensoviel wie vor dem Krieg. Die Geldbesitzer aber konnten sich gegen die Preis erhöhungen nicht wehren, sie mutzten um jeden Preis kaufen, weil sonst der Wochenlohn sich in der Tasche ver flüchtigte. Höchstpreisvorschristen waren schon lange nicht mehr durch,zuführen. nachdem mit der Auflegung einer wertbeständigen Goldanleihe, deren Stücke als Zahlungsmittel dienten, das Reich die Papiermark offi ziell schon aufgegebe» hatte. Tie Inflation hatte sich totgelaufcn, ein Trümmerfeld hinter sich lassend. Die Erfahrung vor 10 Jahren wird uns allen Lockungen widerstehen lassen, in den „Sterlingklub" einzutreten. Leicht und angenehm ist der Beginn der In flation, unendlich schwer ist es, damit wieder Schluß zu machen. Der Neichsbaukpräsident weiß die Wahrheit des Spruches zu schätzen, der für jedes Nebel gilt: Widerstehe dem Anfang! Für einen gesunden Bauernstand Schaffung eines Bauernrechts und Erbhofrechtes Vertin, 27. Sept. Amtlich wird mitgeteill: Das Reichs kabinett lcesaßtc sich in seiner Dienstaasitznng mit den fragen des deutschen Vauernrcchtes und erörterte die Maßnahmen, die noüvendig sind, um die Scholle dem Bauernaeschlecht zu er halten. Dazu aehört die Schafsuna eines für das ganze Reichs gebiet gültigen einheitlichen Ne i chse r b h o s r« ch t e s, das Verschuldung und Zersplitterung durch Erbgang verhindert und die Höfe aus den Zufälligkeiten des wirtschaftlichen Ge- schelntns herauslöst. Hierzu soll auch eine Umschuldung der durch dieses Gesetz zu schassenden Erbhöfe dienen. Der Reichs minister für Ernährung und Landwirtschast wurde vom Reichs kabinett ermächtigt, im Zusammenwirken mit den zuständigen Reichsministericn die gesetzlichen Bestimmungen im einzelnen sestzulegen. Preußen hat bereits vor Monaten ein Erbhafrcchl in An griff genommen. Erbhöfe sollen nach dem preußischen Erbhof recht schuldenfrei sein. Die Ausnahme van Anleihen und Hypo theken ans diese Höfe soll nur in lnflonderen Fällen mit Ge nehmigung des Anerbengerichts erfolgen können. Dieser läe- danke ist natürlich mitbestimmend für das ganze Reichserbhof- rechl. Man könnte sich eine Umschuldung dergestalt denke», daß gegen eine Landabgabe zu Siedlungszwerkcn an den Staat die landwirtsä^astlichen Besitztümer schuldenfrei gemacht werden. Das würde insbesondere auf Großgüter und Lati fundien zutressen. die in den letzten Jahren wohl am meisten überschuldet worden sind Hier toll auf den »»eiten, für den jetzigen Besitzer unwirtschaftlich gewordenen Fläche»! deutschen Landarbeitern und Bauernsöhnen eine neue, sruchtbringende Existenz geschajsen ivcrden. Eine weitere Sorge ist bereits durch das ebenfalls auf den Neichsernäbrungsminister znrückgehende Verbot des Te r m i n h a n d e l s mit Brotgetreide und die Festsetzung von Richtpreisen von der Landwirtschaft genommen worden. Der Landwirt kann nunmehr an Hand der Richtpreise ungefähr für das Wirtschaftsjahr disponieren und später nicht schwan kende Preise, durch Spekulanten hervorgerufene Preisstürze da für verantwortlich machen, daß er plötzlich ohne Barmittel oder sogar ohne Mittel zur Frühjahrsbestellung dasleht. Durch Entschuldung der Erbhöfe etwa im Wege einer Uebernakme der Schulden auf eine Institution und der Fest legung einer tragbaren Rente wird eine der Hauptsorgen Ver letzten Jahre von einem großen Teil der Landwirte genommen. Produktivdarlehen für erwerbet, ältere Angestellte Berlin, 27. Sept. Der Neichsctrbeilsminister hat der Reichsanstalt für Arbeitsvermittelung und Arbeitslosenversiche rung Mittel zur Gewährung von Produktivdarlehen an er werbslose ältere Angestellte zur Verfügung gestellt, um den Darlehnsnehmern die Errichtung einer selbständigen Existenz zn ermöglichen. Die Darlehen dürfen nur über -10 Jahre alten Ange stellten. die ohne ausreichenden Erwerb sind, gewähr! werden. Weibliche Angestellte können Darlehen in besonders berriiude- ten Ansnahmesällen schon nach Vollendung des Lebensjahres erhalten. Personen, die das Angestellteuverhältuis freiwillig aus gegeben haben oder anfgcben, um sich- selbständig zu machen, kann ein Darlehen aus diesen Mitteln nicht gewährt werden. Weitere Voraussetzung ist u. a., daß für die Rückzahlung des Darlehnsbelrages ausreichende und eiuwaudsreie Sicherheiten geleistet werden. Der Verwendungszweck der Darlehen ist nach- zuweisen. Die Darlehnshöhe soll den Betrag von 1000 M. bis 2000 M. nicht übersteigen. Die Verzinsung wird im Einzelfall zwi schen 3,'L und -1'4 v. H. festgesetzt. Die Rückzahlung erfolgt in der Regel in monatlichen Raten und soll in einem Zeitraum von 2 bis 4 Jahren vollzogen sein. Die Darlehnsanträge sind unter Verwendung des hierfür vorgesehenen Vordrucks bei den Wohl fahrtsämtern cinzureichen, Auskünfte über die Darlehnsgc- währung können auch bei den Arbeitsämtern eingeholt werden. Weitere Förderung des Eigenheimbaues Berlin, 27. Sept. Wie bereits bekannt, ist im Rahmen des großen Arbeitsbeschasfungsbauprogramnis der Reichsregie rung auch eine Fortsetzung der Eigenheimaktion des Reiches vorgesehen. Die 20 Millionen RM. die im November des Vor jahres für Reichsbaudarlehen für Eigenheime bereitgejtellt wor den sind, sind kost restlos vergrifsen. Nunmehr werden weitere 20 Millionen RM. sliülig gemacht, so daß die erfolgreich be gonnene Aktion ohne Stockung sorlgesübrt werden Kanu. Jahlkarlon für OK? ob er Der heutigen Postauslage liegen Zabllarten t'ür Oktober bei. Wer sie umgehend aussüllt, vermei det lästige Mahnungen. MMS 34 borlsetrnnq dlacvckruck verboten Fran Professor zieht den Atem durch die Nase ein, ganz langsam, nm sich zn fassen. Ihre Rechte nmtrampst das Stilglas. „Wie war das damals, — ich meine die Sache mit den Schuhen seinerzeit?" „Als Hella bei Jonas und Co. in die Lehre kam, Sie wissen doch, gnädige Frau Edith verstummt. Ein un beherrschter Blick ihres Gegenübers sagt ihr, datz sie zu offenherzig gewesen ist. Die Dame scheint gar nicht unter richtet zu fein und wird sie aussragen wollen — „Als Hella in die Lehre kam —, bitte, fahren Sie doch fort!" Frau Professor hat eine ungeduldige Falte zwischen den Augen. Ediths Rechte spielt mit den Perlmuttknöpsen, die den Nock ihres bastsarbenen Stickereikleides zieren. Sie legt den Kops zurück. Das schwarze Haar, das sich glatt und glänzend an ihre Wange schmiegt, zittert leise. „Eigentlich sollte man gar nicht mehr darüber sprechen. Es liegt soweit zurück, und wie gesagt — Hella war nicht verantwortlich zu machen. Die unglücklichen Verhältnisse in ihrem Eltern hause waren schuld —" „Daß sie die Schuhe stahl?" Frau Professor fühlt Be- sriedignng über ihren Scharfsinn, denn datz sie das Nich tige erraten, sagt ihr der Schrecken, der Edith befällt. „Stehlen wollte", gnädige Frau, denn zur wirklichen Ausführung ist es gar nicht gekommen. Und nur die Tat sache. daß der Vater die Mutter mißhandelt hatte und ihr die für ein Paar neue Schuhe ersparten Groschen nahm, vermochte Hella zu vieler Unüberlegtheit zu treiben. Und letzten Endes —" Ediths Stimme schwillt förmlich an, „letz ten Endes ist es ein Glück für Hella gewesen, daß sie aus dem Elend des elterlichen Hauses in das Erziehungsheim gekommen ist. Wieviel Nützliches fürs Leben hat sie dort gelernt!" „Selbstverständlich! Die sozialen Einrichtungen sind von nicht zu unterschätzendem Vorteil —" Frau Professor lächelt mit hochgezogener Stirn. Ediths Blick wird eisig. „Sie gestatten, datz ich mich verabschiede, gnädige Fran. Ich mutz noch zur Apotheke.' „O bitte, — richten Sie Frau Stcilmann die besten Wünsche für eine baldige Genesung aus. Und Hella brauc!', diese Woche nicht mehr herzukommcn. Wir werden auch ohne sie fertig —" Edith neigt hochmütig den Kopf. Da hat sie sich ja schön aussragen lassen! Sie könnte sich ohrseigen! Be drückt und zerknirscht kommt sie wieder bei Hella an. Die möchte alles bis ins Kleinste erfahren, wie Frau Professor sich geäußert und was für ein Gesicht sie dazu gemacht hat. Doch Edith gibt einsilbige Antworten nnd hat Eile, fort- zukommen. Als sie gegangen, ergreist Hella eine seltsame Unruhe. Sie steht am Fenster nnd horcht auf die Atem züge der schlafenden Mutter. Still und dunkel zieht sich drunten die Straße hin, umschlossen von den erleuchteten Fenstern der Wohnungen. Sterne blicken vom blauen Som- mernachlshimmel Uber die Giebel nnd Dächer und scheinen leise nnd zitternd zn atmen. Hella preßt die Stirn ans Fensterglas. „Paul," — flüstert sie. Stärker als Unruhe und Kummer ist plötzlich die Sehnsucht nach dem Geliebten. Als es elf vom Kirchturm schlägt, erneuert sie der Mut ter deu Umschlag, reicht ihr die Medizi,, und streicht ihr die Kissen glatt. Dann setzt sie sich ans das Lederjofa hinter den Küchentisch, um nun auch ein wenig zu ruhen. Daß ihre Uuruhe begründet ist, fühlt Hella, als sie am Ende der Woche in das Haus an der Allee eintritt und Frau Professor ihr mit großer Freundlichkeit cntgegenkommt. „Ich habe es mir überlegt, Helene," Frau Professor hat gegen eine kleine Verlegenheit anzukämpfen. „Sie können Ihre Mutter ganz in Ruhe gesund pflegen. Die Ferien haben ja inzwischen begonnen, wir werden das Haus ab schließen, wenn wir verreisen —" „Und wann soll ich wiederkommen?" Hella fragt es hastig. Atemlos. »Werden Sie mich benachrichtigen?" Frau Professor wiegt den Kopf. „Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Vielleicht bleibe ich länger fort, es ist nicht ausgeschlossen, datz Gabi !n ein Institut kommt, sie ist so sehr gewachsen und muß einen längeren Luftwechsel haben. Mei nem Gatten ist eine Dienstreise in Aussicht gestellt, eventuell wird er im Hotel wohnen, bis zu meiner Rückkehr, —" sie hat plötzlich die gefürchtete ungeduldige Falte zwi schen den Brauen, „es ist eben alles so unsicher, das ganze Bild hat sich verschoben, so datz ich nichts Genaues sagen kann. Und —" sie räuspert sich, „sollte Ihnen inzwischen eine andere Stelle geboten werden, — so rate ich Ihnen, dort mal umzusehen " „Frau Professor!" Es ist Hella, als ob sie schwanke. „Sind Sie mit mir nicht zufrieden? Sagen Sie es mir bitte! Ich will mir gern noch mehr Mühe geben, alles zu Ihrer Zufriedenheit ausznfiihren. Oder war cs Ihnen nicht recht, datz ich fortgeblieben bin? Meine Freundin jagte nichts davon " Sich beinahe überstürzend, quellen die Worte von Hellas Lippen. Frau Professor dreht das Stilglas hin und her. In ihren Augenwinkeln zittern die seinen Fältchen. „Davon ist keine Rede-" „Frau Professor!" Hellas Stimme ist ein dringendes Flehen. „Hat meine Freundin Ihnen etwas von mir er zählt? Etwas, das Sie beunruhigt hat?" „Wir haben von Ihnen gesprochen, — ja. Von den traurigen Verhältnissen bei Ihnen zu Hause —" „Uud davon, daß ich bei Jonas und Eo. gewesen bin?" Die Stimme versagt Hella. „Ja, davon auch." Fran Professor ist nun ganz ruhig. „Und da es zur Sprache gekommen ist, will ich hinzusiigen, datz das, was ich vorhin sagte, einer Kündigung gleichlommt. In Ihrem Interesse ist es natürlich besser, wenn Sie darauf bestehen, der Krankheit der Mutter halber den Dienst ver lassen zu wollen —" „Lassen Sie mich erzählen, wie das damals war —" Hella hat ihre Fassung wiedererlangt. „Hören Sie mich an, Frau Prosessorl" (Fortsetzung folgt.)