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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.10.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111014016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911101401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911101401
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-10
- Tag 1911-10-14
-
Monat
1911-10
-
Jahr
1911
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Nr. 2?S. los. Jahrgang. getreten, um sie zu entlarven. Dies« eigenartigen Umstände haben dann zu dem Verfahren gegen Fr!. Thirion Anlab gegeben. Anscheinend auf Veranlas sung von Personen die zu militärischen Kressen (in Deutschland nämlich) B«»iebung«n haben, ging der Angeklagten von Pari» «tu Brief im Februar zu, in dem sich ihr der angebliche Absender zur Teilnahme an einem Verbrechen der Spionage onbot. Dieses Anerbieten hat sie offenbar nicht, wie es gesetzeskun- dig« Personen getan haben würden, mit Entrüstung zurückgewtesen, sondern in naiv-höflicher Form vei- mrochen, zu sehen, was sich tun läßt. Da ern Haupt täter, der «inen Verrat begehen wollte, nicht vor handen war. so konnte auch keine strafbar« Beihilfe geleistet werden. Dagegen hat der Gerichtshof in dem Verhalten der Angeklagten in Köln ein Erbieten zu einer im Inland« »u leistenden Teilnahme an einem von dem Betreffenden beabsichtigten Verbrechen, das von dem Zeugen wenigstens teilweise ausgefüchrt wer- den sollt«, erblickt. Das Erbieten würde nun zwar, soweit es nicht an Vorteile geknüpft ist, straflos sein, wenn es lediglich mündlich ausqedrückt wäre. Das ist aber hier nicht der Fall. Was die Frage des Strafmasses betrifft, so hat der Gerichtshof die aus- giebigsten Mildernngsaründ« zugunsten der Angeklagten in die Wagschale geworfen. Es war ihr von gewisser Seite vorgeworfen worden, das; sie nur nach Deutschland gekommen sei, um zu spionieren. Dies hat sich als unrichtig herausgestellt. Der Ge richtshof hielt cs für angemessen, noch unter das vom Reichsanwalt beantragte Strafmaß herunterzugehen. Di« Angeklagt« nahm — ein seltener Fall! — da» Urteil glückstrahlend entgegen. Die Revolution in Lhlmr. Di« Nachrichten über die Maßregeln der Regie« rung zur Unterwerfung der Revolution lauten widersprechend. Während es einerseits heißt, di« Re gierung wolle die Hauptstadt nicht von den treuen Regimentern Pin-Changs entblößen, wird ander seits gemeldet, daß zwei Divisionen unter dem per sönlichen Befehl des Kriegsministcrs bereits auf dem Marsch nach dem Revolutionsgebiet sich befinden. Der Marsch der Ncgierungstruppen wird ca. 14 Tage dauern und durch die Provinz Hupeh führen. Eine Brigade soll in Hupeh bleiben. Die ganz« Hoffnung de» chinesischen Hofes ruht auf Pin-Chang, der der einzige zu sein scheint, der das bedrohte Kaiser haus noch zu retten vermag. Die Revolution selbst nimmt einen immer bedrohlicheren Charakter an. Di« Führer der Revolution sind zum größten Teil Sinaa- pore- und San-Francisco-Chinesen. Di« chinesischen Freimaurerorganisationen, deren Logen über das ganze Himmlische Reich verbreitet sind, stehen der Be wegung nicht fern. Allen Ernstes wird davon ge- sprachen, China zur R « p u b l ik zu machen, und auch bereits die Person des Präsidenten der neuen chinesischen Republik taucht auf. Es ist der in früheren Jahren vielgenannte Dr. Sun-Pa tscn, der in den Südprovinzen, namentlich in Pünnan an der tibetanischen Grenze, sich eines großen Anhanges er freut. Auf den Kopf Dr. Sun-Pats«ns ist ein großer Preis gesetzt, doch hat er es bisher ver standen, sich allen Nachforschungen der chinesischen Negierung zu entziehen. Meutereien in Hankau. In Hankau fällt ein Regiment nach dem anderen von der kaiserlichen Negierung ab. Offen« Meuterei ist auf der Tagesordnung. Verschiedene Regimenter haben sich gegen ihre Offiziere empört. In Anhui und Tschangtze ist das Militär treu geblieben und hat verschiedentlich Zusammenstöße mit den In surgenten gehabt. Die nnzuverliissige chinesische Armee. Die Laa« des chinesischen Kaiserhauses, das der Mandschu-Dynastie angehört, wird immer ver zweifelter. Einzig und allein die Regimenter, die unter dem direkten Befehl des Kriegsministers Pin- Chang. des früheren Gesandten in Berlin, stehen, sind der Regierung treu ergeben. Auf alle anderen Truppen ist kein Verlaß mehr. Aus Nanking wird gemeldet, daß die neunte Division bercits offene Zeichen von Meuterei gegeben habe. Kampf mit den Rebellen-Forts von Wutschang. Peking, 13. Oktober, s Meldung der „Preß- Zentral«".) Ein chinesischer Flußkreuzer eröffnet« auf die Forts von Wutschang, die sich in den Händen der Nebelten befinden, «in heftiges Gcschützfeuer. Der japanische und der britische Konsul intervenierten jedoch und veranlaßten die Einstellung des Kampfes, da sie fürchteten, daß fremdes Besitztum bei der Be schießung vernichtet werden könnte. General Chang-Piao gerettet. Die Nachricht von der Ermordung de» General» Thang-Piao ist unzutreffend. Es ist dem Leipziger General gelungen, sich mit dem Dizekönig zu sammen an Bord eines regierungstreuen Kanonen bootes zu begeben und sich so zu retten. Aus den weiter vorliegenden Depeschen geht her vor, das sich die revolutionäre Bewegung, die ständig an Ausbreitung gewinnt, nur gegen die Mandschus richtet und bis jetzt noch keinen fremdenseindlichen Charakter trägt Die Nachrichten lauten: 8t. London, 13. Oktober. (Telegr.) Die „Mor- nrng Post" meldet aus Schanghai, die Revolutionäre haben eine eigene Regierung in Hupeh errichtet und erklären, es sei ihre Absicht, die Mandschus jzu vertreiben, dagegen bestreiten sie ausdrück lich, daß ihre Bewegung auch nur im geringsten fremdenferndlich sei. Gerüchtweise verlautet, daß der große Vertragshafen Changsha bereits in den Händen der Revolutionäre sei. 8r- Schanghai, 1?,. Oktober. (Telegr.) Die Re gierung betrachtet die revolutionäre Bewegung als sehr ernst. Di« Rebellen haben in Hanyany die Ge- wehrfabriken besetzt und streckenweise di« Eis«n- bahn nach Peking zerstört, wodurch der Truppentransport erschwert wird. Di« Aufrührer verhalten sich im übrigen fremdenfreundltch. Die Absperrung der Fremdenniederlassungen von Hankau durch ein freiwilliges Korps und Marine unter dem Oberkommando eines japanischen Admirals ist gesichert. Sicherheilsmaßregel» für di« Europäer. Aus Hankau «tntreffende Meldungen besagen, daß alle Wege nach Mutschang in den Händen der Revolutionäre sind. Die 8. Division und eine Brigade der 10. Division, di« in Hanyang liegt, sind zu den Rebellen übergegangen. Die in Hankau liegenden Regimenter haben geschworen, das Kaiser haus bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen. Der Kriegsmini st er hat erklärt, daß er die Verantwortung für die Sicherheit der Euro päer nicht übernehmen könne und die Europäer ersucht, sich an Bord der fremden Kriegsschiffe zu begeben. Die weitere Ausbreitung der Bewegung. Hankau, 13. Oktober. (Meldung der Peters burger Telegraphen-Agentur.) Bisher treugebliebene Schiffe fangen an, zu den Revolutionären, die in Wutschang und Hankau strenge Ordnung halten, überzugehen. Marodeure und Brand stifter werden streng bestraft. Heute nacht wurden allein fünf htngerichtet. Die Revolutionäre steckten nur das Verwaltungsgebäude und die Häuser der Mandarinen in Brand. Peking, IS. Oktober. (Reuter-Bureau.) Die Aufständischen iu Hankau eroberte» die Eisen bahnstation. Ausländische Matrosen sind unter dew Admiral Havashima gelandet, um die Niederlassungen der Fremden zu schützen. 25V 0vü Rebellen unter Waffen. * Peking, 13. Oktober. (Eig. Drahtmeldung.) Stündlich treffen neue Hiobsposren aus dem Auf- standsgebiet ein. Alles in allem sollen im Jangtse gebiet eine Viertelmillion Revolutionäre unter Waffen stehen. In der vergangenen Nacht kam es in Wutschang zu einem heftigen Straßen kampf zwischen Regierungstruppen und Revolu tionären, in dem auf beiden Seiten Hunderte fielen. Schließlich wurden die Regierungstruppen aus der Stadt geworfen. Furcht vor der Revolution iu Nordchina. Man fürchtet in Peking immer mehr und mehr, daß auch in Nordchina die Flammen des Aufstandes emporlodern werden. Infolgedessen herrscht in Reaierungskreisen große Beun ruhigung. s. Ordentliche SosngeMch- lutheri.che LsnüesstMüe. (:) Dresden, 13. Oktober. In der heutigen 17. öffentlichen Sitzung beschäf tigte man sich zunächst mit dem Anträge des Peti tionsausschusses H. zur Petition der Schönberger Pastorenkonferenz (Ephorie Plauen), eine Neu- ausgabe des Perikopenbuches betreffend, worüber Oberhosprediger D. Dr. Dibelius Be richt erstattete. Die Petition biete dem Kirchen regiment nicht das geringste neue Material; sie würde nur einen Bruch zwischen dem Kirchrnregiment und den Beschlüssen von zwei Synoden bedeuten. Die Synode könne sich unmöglich kurzerhand mit den von anlscren Synoden aufgestellten Grundsätzen in Widerspruch stellen. Der Antrag des Petitionsausschusses die Peti- Tageblatt. lion der Schönberger Pastorenkonferenz, zumal sie mit den von zwei Synoden gebilligten Grundsätzen in Widerspruch steht mrd ihre Beachtung der ein gehenden Beratung späterer Zeiten oorgreifen würde, auf sich berühen zu lassen, wurde einstimmig an genommen. Hierauf trat di« Synode in die erste Beratung über den schriftlichen Bericht des Verfassungsaus schusses zum Erlaß Nr. 9, Len Entwurf eines Kirchengesetzes über Kirchgemeindeverbände betreffend, ein. Der Referent, Synodale Hoftat Dr. Löbner. Leipzig, wies zunächst darauf hin, daß die Beschwer den über die verschieden hohen Kirchensteuern in den einzelnen Kirchgemeinden eines Ortes schon alt seien. Um diesem Uebelstande einigermaßen vorzubeugen, habe man Hilsskassen und Steuergcineinschaftcn be gründet. Der vorliegende Entwurf gebe di« Rechts formen für die Bildung von eigentlichen Kirch gemeindeoerbänden im Gegensatz zu den Kirchen- vorstandsvcrbändcn. Im Jahre 1906 hab« man in der Synode schon den Beschluß gefaßt, das Kirchen regiment zu ersuchen, dahin zu wirken, daß bei einer Neuordnung der kirchenstcuerlichen Verhältnisse eine gegenseitige Unterstützung der Kirchgemeinden eines bestimmten Ortes zulässig sein solle. Der Gesetzent wurf erstrecke sich nicht nur auf das finanzielle Ver hältnis der einzelnen Kirchgemeinden, sondern auch auf andere Gebiete der Kirchgemeinde. Tätigkeit. Im großen ganzen lehne sich das Ge setz an das im Jahre 1910 erlassene Staotcgesctz über Die Gemeindoverbände an; ein beträchtlicher Teil Der Paragraphen des zu schaffenden Kirchengesetzes über Kirchgemeindcverbänd« stimme mit Diesem Staatsgesctz völlig überein. Der Redner besprach hierauf die einzelnen Para- araphen des Gesetzes, über das wir bereits berichtet haben. Der Versassungsausschuß K. beantragte u. a., dem Absatz 1 Les tz 7 folgende Fassung zu geben: „Kirchgemeinden, die einem an ihrem Orte bestehen den Kirchgemeinoeverbande nicht angehören, weil sie sich dessen geweigert haben, können für eine Hilfs kasse, sowi« für diejenigen Zwecke des Verbandes, die der Förderung des kirchlichen Lebens am Orte, der christlichen Nächstenliebe, der Erhaltung und Ausbreitung des Evangeliums oder sonstigen allge- mein kirchlichen Bestrebungen Lienen, zu laufenden Beiträgen herangezogen werden. Ueber Die Heran- ziehung und die Höhr der Beiträge entscheidet auf Vorschlag der Verbandsvcrtretung die Kirck-eninsvek- tion der heranzuziehendcn Gemeinde, in der Ober, lausitz die Kreishauptmannschaft Bautzen als Kon- sistorialbehörde. Der Beitrag wird nach einem Pro- zentsatze des Steucrbedarfs d«r verpflichteten Ge. meinde festgesetzt, darf jedoch zehn Prozent desselben im ganzen nicht übersteigen", und dem 8 7 einen zweiten Absatz o.nzufügen Les Inhalts: „Verweigert ein Verband, der eine Hilfskasse hat oder sonstige Zweck« der in Absatz 1 bezeichneten Art verfolgt, einer Kirchgemeinde Les Ortes die Aufnahme für solche Zwecke, so kann auf Antrag der Kirchgemeinde der Verband zu deren laufender Unterstützung her angezogen werden, solang« das Maß der Steuer- belast-ung der betreffenden Kirchgemeinde di« durch schnittliche Belastung der Verbandsg«m«indcn in den drei letzten Jahren übersteigt. Der Gesamtbetrag solcher Unterstützungen von seilen des Verbandes darf 10 Proz. des Eesamtsteuerbcdarfs der Verbands- gemeinden nicht übersteigen. Ueber di« Heran ziehung des Verbandes und die Höhe der Unter, stützung entscheidet die Aufstchtsbehörde Les Ver bandes." Die von einer Reihe von Kirchenvorstän- den zu dem Gesetzentwürfe eingegangenen Petitionen sollen für erledigt erklärt werden. Geh. Kirchenrat Dr. Hoffmann-Chemnitz be grüßt den Gesetzentwurf, weil hierdurch den bereits bestehenden Einrichtungen, die auch in Chemnitz zahl- reich vorhanden seien, nunmehr eine gesetzliche Grund, läge gegeben werde. Landgerichtspräsident a. D. Dr. jur. Hart- mann. Plauen hob hervor, daß der Inhalt des Ge setztes nicht weiter geh« als das Staatsgesetz. Es be zwecke nicht, einen Zwang auf die einzelnen Kirch gemeinden zum Beitritt in den Verband auszuüben, sondern spreche nur eine Beitragspflicht zu den auf- zubringcnden Kirchensteuern in Höhe von zehn Prozent aus. Geh. Kirch-enrat I). Pank-Leipzig hebt mit be- sondcrcr Freude hervor, daß ihm nun durch das Ge etz di« Möglichkeit zur Bildung eures tosftntlich alle Leipziger tsiemeinden umfassenden Verbandes ge geben werde. Geh. Hofrat Prof. Dr. Mayer-Leipzig äußert verschiedene Bedenken gegen das Gesetz und be sonders gegen 8 7 desselben, namentlich in jurt- stischer Hinsicht. Er rvcrde jedoch für das Gesetz stimmen, das sich auch erst in der Praxi» bewähren und aueprobi«rt werden müßte. Märchen und Linüer. Von Rektor P. Hoche. Die Erziehung ist. wir wissen es alle, ein schweres Ding mrd Lock» eure schöne Sache. Sie ist so reich an erhebenden Momenten, die uns und unsere Kinder recht von Herzen glücklich machen, daß wir schon da. durch um viele» für Sorgen und Mißerfolge entschä digt werden. Ein« solche Weihestund« bricht immer an. wenn sich der Tag neigt, die Dämmerung auf die Erbe sinkt, wenn sich Lie Kleinen um Vater oder Mutter srrm- meld und jenen wundersamen Erzählungen lauschen, di« gemeiniglich mit dem Satze beginnen: Es war einmal! Der Winter kst die eigentliche Märchrnsaison. Knistern in der dümmerdunklen Stud« die dürren Scheite, während draußen im Wintersturm die Tropfen an di« Scheiben klatschen oder Li« weißen Schneeflocken im bunten Wirbeltanz auf die kalte Frostwelt nicdersinkcn, dann ist der Zauderer Phan tasie gar schnell bereit, die leicht empfängliche Kinder- seel« aus d«r engen Welt der Wirtlichkeit zu ent führen. weit hinweg in ein fernes Wunderland, in die goldne Märck)«nwelt, in eine Wunder weit, „in d«r alles großartig, schön und wunderbar ist und nichts dem grauen eintönigen Alltagsleben gleicht, wo goldschimmernde Paläste und himmelausstrebende, unnahbare Burgen stehen". Man müßte sich schlecht auf dre Kinderseele verstehen, wollte man nicht ein sehen, daß sich das Kind in diesen Augenblicken glück lich fühlt, Laß es zu diesen Zeiten, mag es äußerlich auch noch Io unbewegt erscheinen, in seiner Brust mächtig grünt und blüht. Mit Recht hat einmal jemand die Märchen die Königskinder unter den Geschichten genannt. Wir können zwar den Kindern noch nicht d«n Richter spruch zugestehen über das. was Len Wert einer Sache ausmacht; aber das wissen wir genau, Laß auch sie dies« Königskinder al« solch« zu schätzen wissen. Um so mehr muß es uns wund«rnehm«n, daß man jetzt häufig den erziehlichen Wert dieser Märchen anzu- zweifeln, zu verneinen beginnt. Gs ist ja charakte ristisch für unsere Zeit, daß immer neue Wahrheiten auftauchen — die wenigstens al» solch« ausgegeben werden —, daß immer mehr an alten Idealen ge rüttelt wird, daß in der Sucht zu reformieren selbst der Blick für da» gute Alt« getrübt wird. Sollten unsere Märchen schließlich demselben Zuge unserer Zeit zum Opfer fallen? Das wäre wohl An laß genug, uns einmal eingehend mit d«m Für und Wider der Märchcndichtungcn zu beschäftigen, um selbst zu sehen, auf welcher Seite die Wahrheit zu finden ist. Hören wir die Gründe der Märchenfeinde. Haupt sächlich wird von ihnen geltend gemacht, daß sie das Kind statt in das Reich der Wahrheit in eine Welt der Täuschung einführen. „Was stch nie und nirgends hat begehen" das gerade bringen die Märchen zur Darstellung. Sie sollen daher die Schuld tragen, rvenn der Sinn des Kindes abgelenkt wird von der Welt der Wirklichkeit, wenn es sich zu wenig um die Dinge bekümmert, di« «s wirklich umgeben. Diesen well- fremden Wuudergeschichten wird zur Last gelegt, daß sie Menschen erziehen, die später einmal auch dem wirklichen Leben fremd gegenüberstehen, die lieber träumen und dichten, als werktätig rm Leüenslampk handeln, die sich auch später «ine eingebildete Weit zurechtzimmcrn. die mit der realen Wirklichkeit nicht >n Einklang zu bringen ist. Das ist aber sicher zu schwarz gesehen. Ihre größte Macht üben Märchen in der Kindheit des Menschen aus — warum? wer. den wir dann noch sehen. Wird Las Kind erst älter, dann erstarrt sein Wirklichkeitssinn trotz der Märchen von selbst, dann erwacht sein Verstand immer mehr und beginnt die Dinge der lsstelt zu be- greifen, zu sondieren, darüber zu reflektieren. Aber wie steht es mit der moralischen Wirkung dieser Märchen, die doch schließlich für ihre Bewertung ausschlaggebend sein dürste. Nun ist cs zunächst interessant, zu erfahren, Laß man in diesem Punkt« aus doppeltem Grunde Feindschaft gegen diese Dich tungen hegt. Manchen sind die Märchen nicht sittlich genug, andern wieder sind sie zu sehr moralisierend, was uns schon vermuten läßt, daß die Wahrheit wahrscheinlich in keinem der Einwände liegen wird. Es läßt sich ja nicht leugnen. Laß cs hier und La in diesen Dichtungen Stellen gibt, die geeignet sind, das sittliche Gefühl irrezusühren, wenn z. B. erzählt wird, wie die alte Königin auf glühendem Eisen tanzen mußte, bis sie tot hinfiel. Aber einmal liegt es ja in unserer Hand, Märchen nur selber zu erzählen und sic dann nach unserem Bedenken zu sichten od«r etwas zu verändern; zum andern sei gerade hierbei auf dre Worte eines Märchenfreundes hingewiesen: „Regen und lau fällt als eine Wohltat für alles herab, was aus der Erde steht; wer seine Pslanz«n nicht hinaus- zustellen sich getraut, weil sie zu empfindlich sind und Schaden nehmen könnten, sondern sie lieber mit abge- schrecktem Wasser übergießt, wird doch nicht verlangen, daß Regen und Tau darum ausbleihcn sollen." Und dann ist auch daran zu erinnern daß Märchen in erster Linie gar nicht „nützliche" Ware sein wollen. Auch wenn wir gar nicht den Anspruch an das Märchen stellen, Laß es belehren, bessern soll, wirkt es doch, wie wir gesehen haben, in hohem Grade er- ziehlich auf das Kind «in. Und Lres« pädagogisch« Wirkung kommt meist daher, weil es «in durchaus kindcrtümlichcr Stoff ist. Was für die früh« Jugend passen soll, das muß zunächst einfach, klar und leicht- verständlich sein. Und in dieser Hinsicht sind Märchen wohl unübertrefflich. Sie erfordern keinerlei zeit- liche Angaben, keine geschichtlichen Norkcnntnisse. „Es war einmal!" Diese Zeitbestimmung genügt dem Kinde vollkommen. Ebenso einfach und bekannt sind die Oertlichkeiten. Der Brunnen. Wiese und Wald, Garten, Feld, Wohnstube, Lie Ecke hintcrm Ofen, sind sie nicht olle dem Kinde liebe und ver traute Plätze? Kennt es nicht ebenso aus dem eignen Leben die immer wiederlehrenden Personen Lieser Erzählungen, Vater uno Mutter, Bruder und Schwester, Hirten, Jäg«r. Bauern, Fischer? Auch der Auflxru Lcs Märchens ist durchaus einfach: wie j«de Volkspoesie, gibt es nichts auf eine kunstvolle Kompo sition. Seine Handlung ist so durchsichtig klar, seine Gedankengänge' so leicht zu verfolgen, daß auch «in Kind leicht alles versteht. Kindertümlich ist das Märchen aber auch deshalb, weil «s gerade der Phantasie des jungen Menschen «ine so reicbc Nahrung gibt. Die Phantasie macht aber den eigentlichen Lebensnerv, das ureigenste Wesen Les Kindes aus. Irgend welche Stoffe, an denen sich di« dichterische Einbildungskraft betätigen kann, braucht cs unbedingt, sind's nicht Märchen, so müßen eben ander« Dings herhalten. Jedes Kind ist eigent lich ein kleiner Künstler Mit seinem ästhetischen Sinn, seiner reichen Phantasie baut es sich eine eigene Zvelt zurecht, in der es unheschränkt herrscht wie «in König in seinen Marmorpalästcn. Es kümmert sich in seinen Einbildungen wenig um die wirkliche Welt und dichtet Len Dingen ganz andere Beziehungen an, als sie tatsächlich baben. Diese Tätigkeit setzt alle feine Gedanken in lebhafte Bewegung und regt sie zu vielseitigem Schaffen an. Freilich unternimmt die Sonnaveno, 14. Oktober 1911. Oüerkirchenrat R o s e n k r a n z - Bautzen bespricht den Entwurf in zustimmendem Sinne und dankt dem Kirchenregiment für die Einbringung des Gesetzes. Nach einer kurzen Bemerkung Les Landgerichts- -räsidenten a. D. Dr. Hartmann-Plauen i. V. prach Präsident Dr. Böhme, um zunächst für di« reundlich« Aufnahme d«s Gesetzentwurfes im Aus- chusse zu danken. Dann ging er auf Einzelheiten der Debatte ein und betonte. Laß eine Beschlußfassung über den Entwurf nicht ausgesetzt werden möchte, bis das Gesetz, betreffend Lie Synodalordnung, erledigt sei. Dann wandte er sich gegen die Ausführungen des Geh. Hofrates Prof. Dr. Mayer und besprach namentlich die Bildung der Verbände, die gesetzlich festgesetzt werden solle. Das ganze Gesetz hinke tatsächlich den Verhältnissen etwas nach und es sei notwendig, etwas in gesetzliche Formen zu hringen, was schon längere Zeit vor handen sei. Auch bei diesem Gesetz sei der Grund gedanke vorherrschend, daß sich di« Gemeinden gegen seitig Helsen sollten. In Sachsen komme es ja haupt sächlich darauf an, wie die Gesetze gehandhabt würden. Es komme nicht nur auf die Güte der Gesetze an, sondern auch auf die Güte d«r Menschen, Lie sie zu handhaben hätten. Nach einer weiteren kurzen Debatte nahm die Synode den Gesetzentwurf mit den vom Ausschuss« vorgeschlagenen Aenderungen einstimmig an. Die hierzu vorliegenden Petitionen wurden für er- lediat erklärt. Die Petition de» Landesverbandes Evangelischer Arbeitervereine im Königreich Sachsen um Befürwortung eines Backverbotes an den Sonntagen wurde nach einer kurzen Begründung des Amtshaupt, manns v. Nostitz-Wallwitz durch den Beschluß vom 6. Oktober zu der Petition des Bäckergesellen Roßberg für erledigt erklärt. lieber die Petitionen des Pfarrers Liz. theol. Wolf in Chemnitz und Genossen, der Bezirkskonfc:enz der Diözese Zittau, des Vorstand«» der Sächsischen Kirchlichen Konferenz und Les Vorstandes der Chem nitzer Konferenz, betreffend den Religionsunterricht in der Schule referiert« Pfarrer La n g e - Putzkau. Er wies darauf hin, daß fast alles das. was die Petcnten wünschen, schon erfüllt sei. Infolgedessen bcant'Mg« der Petitionsausschuß v, die Synode wolle beschlie ßen: 1. Diese Petitionen, soweit sie nicht durch Len Beschluß vom 11. Oktober, betreffend Len Reli gionsunterricht in der Volksschule, er ledigt sind, auf sich beruhen zu lassen; 2. oen Antrag, eine genaue Feststellung der Eigentums rechte der K i r ch s ch u l t e'H'r e r, namentlich an Grundstücken und Gebäuden, in die Wege zu leiten, dem Kirchenregiment zur Erwägung zu übergeben. Pfarrer Dr. K Ühn-Weigsdorf wendet sich in scharfen Worten gegen di« Bestrebungen d«r Lehrer schaft, durch die der evangelische Religionsunterricht verdrängt werden soll«. Man solle sich darüber nicht täuschen. Auch der Landtag sei nicht evangelisch, und in diesem Hause, fo schön «s auch sei, fehle jedes Emblem der Kirche und des Christentums. Dann wendete «r sich gegen die Zusammensetzung d«s Land tages. Gr halte es der evangelischen Kirche für un würdig, daß auch Katholiken und Dissidenten über Fragen der evangelischen Religion zu entscheiden haben. Die geborenen Helf«r für den Pfarrer seien die Lehrer, denen wir unsere Kinder anvertrauen. Deshalb müßten die Lehrer, die den Zwickauer Thesen nicht zustimmen, organisiert werden. Erst wenn sie gemeinschaftlich mit den Geistlichen Hand in Hand gehen würden, werd« unsere Kirch« zu einer wirklichen Dolkskirche werden. Ein Antrag, die Beratung der Frage infolge ihrer Wichtigkeit auf die nächst« Sitzung zu vertagen, wurde mit 36 gegen 28 Stimmen abgelehnt, während ein weiterer Antrag, die vorliegenden Petitionen dem Kirchenregiment« als Material zu überweisen, fand hinreichende Unterstützung. Oberjustizrat Dr. Beck-Zittau bespricht das Wesen des lebendigen Gottes und kann nicht be greifen. daß es Menschen gebe, die das Vorhandensein dieses Gottes leugnen. Auch die Bibel halte er für durchaus echt. Er bittet, die Petitionen nicht auf stch beruhen zu lassen und dieselben dem Kirchenregiment« als Material zu. überweisen. Kaufmann Schneider-Zittau wendet sich gegen die Beschlüsse des Petitronsausschusses. Diakonus Ludwig-Potschappel ist der Mei nung. daß man es im Lande nicht verstehen werde, wenn man die Petitionen auf stch beruhen lassen wolle. Nach seiner Meinung hätte die Synode einen Beschluß fassen müssen, der dahin geht, die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, der Synode die Abschnitte des neuen Volksschul - gesetzcs vorzulegen, die den Religions unterricht rn der Volksschule betreffen. Der Religionsunterricht sei eine selbständige Angelegen heit der Kirche. Wenn er aber im Auftrage des Phantasie dabei manchmal recht kühne Flüge in das Reich der Unmöglichkeiten; aber das gcbt doch noch lange nicht Grund zu der Befürchtung, daß sich das Kind aus dieser luftigen Traumwelt nicht mehr in die Wirklichkeit zurückftnden könnte. Und dann der goldne Humor so vieler Märchen! Er stempel! sic erst recht zu den bevorzugten Königs kindern!" Denn wann lacht der Mensch wohl mehr und wann lieber als in seiner Jugend? Mit dem Schrecklichsten wie mit dem Heiligsten weiß sich der Humor im Märchen gleich gut abzufindcn. Wie schalkhaft schließen viele Märchen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch", oder „Und wer's nicht glaubt, bezahlt einen Taler." Wer müßte nicht von H«rzen lachen, wenn er erfährt, wie der schlaue Swinegel den dummen Hafen im Wett laufe besiegt? Wer freut sich nicht, wenn der arme Teufel einmal gründlich überlistet wird? Wer merkt nicht Len feinen Humor, wenn der Tod am Galgen eine Hochzeit mit des Seilers Tochter genannt wird.' Märchenbücher werden wohl mit Vorliebe von den Kindern gelesen, und diese Beschäftigung hat ia auch ihren pädagogischen W«rt. Noch tiefer wirken sie aber sicher, wenn sie von Elternmunv erzählt werden. Die Eltern haben cs dabei auch in der Hand, nicht nur den Text einfacher zu gestalten, sondern auch das aus- zulasten, was ihiwn in irgend einer Hinsicht bedenk lich erscheint. Auch die Natur des Kindes kann dabei m«hr Berücksichtigung finden. Nervöse, leicht auf geregt« Gemüter können mit solchen Geschichten ver schont bleiben, die ihrer seelischen wie körperlichen Gesundheit Eintrag tun könnten. Jedenfalls wollen wir uns aber nicht abhalten lassen, unseren Kindern den Freudcnborn d«r Mär chen darzubietcn. „Es gilt nicht nur Willmanns Wort: Wer nicht als Kind einmal dem Rauschen des frischen Märchenquelles mit Wonne gelauscht, wird später für manchen tiefsinnigen Ton der Dichtung kein Ohr tlnd keinen Sinn haben, es gilt nicht nur di« ganze pädagogisch« Bedeutung der Märchen, die im vorstehenden daraeleat wurde, sondern es gilt auch eine Schuld des Dankes gegen unsere Vorfahren, daß wir wen lastens diejenigen unter den Märchen den fol genden Geschlechtern lebendig erhalten, welche au> uralten Naturmythen beruhen und Len Eingeweihten einen Blick in das Gemütsleben de» germanischen Altertums «röffnen."
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