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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.09.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110929011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911092901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911092901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-29
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Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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erklären, da die Italiener in Tripolis von der Türkei wie ihre eigenen Kinder betrachtet würden. Saloniki, 28. September. (Eig. Drahtmeld.) Ter Wali vonSalontkiist von der Negierung ange wiesen worden, sein« Aufmerksamkeit darauf zu rich ten, daß sich dl« ö f f« n t l i ch e M e i n u n g iid«r Tripolis nicht weiter «rreg«. Er hab« dafür zu sorgen, daß k«ine Kundgebungen statkfinden, und solche gegebenenfalls mit Waffengewalt zu ver hindern. Keine griechischen Machenschaften. Athen, 28. September. sEig. Drahtmeld.I Die aus Belgrad datierte Meldung eines auswärtigen Plattes, das griechische Kabinett habe Vor schläge in Sofia und Belgrad gemacht, um ein gemeinschaftliches Vorgehen gegen die Türkei zu erreichen und im Halle eines Zusnmmcn- stoßcs zwischen dieser mit Italien, ist falsch und tendenziös. Das Athener .Kabinett hat keine derartigen Schritte unternommen. Einberufung der italienischen Reserven. 8l. Essen. 28. September. Eine große Zahl im Industricbezirk beschäftigter italienischer Ar beiter erhielt Gestellungsbefehle und mutzten sofort abreiscn. Das gleiche wird aus ande ren Orten berichtet, wo sich viele Italiener aufhalten. Demonstrierende Italiener in Zürich. 8r. Zürich, 28. September. Gestern nacht fanden vor dem italienischen Generalkonsulat in der Frnuen- Münster-Stratze Demonstrationen hiesiger Italiener gegen die Tripolisaktion statt. Die Polizei stellte die Ruhe wieder her und nahm einige Berbaftungen vor. Dir italienische Regierung und di« Balkanstaaten. Nom, 28. September. (Meldung der ..Agcncia Stefani".) Der Minister des Aeußern schickte nach stehendes T e l e g r a m m am 26. September an die Gejandljchasten in Athen, Belgrad, Cetinje, Sofia und Bukarest und an die Konsulate in Saloniki, Adrianopel, Janina, Valana, Uesküb, Prizrcnd, Monastir, Kanca und Durazzo: Der ständige Widerstand der Türkei gegenüber jeder gesetzlich zulässigen wirtschaftlichen Tätigkeit Italiens in Tripolis und Lyrenaika, und die Ge fahr, der sich unsere Landsleute in diesen Provinzen gegenübcrstchen können die königliche Regierung von einem Augenblick zum andern zwingen, schwerwiegende Mag nahmen zu Irenen, die den Anlatz zu einem Zusammenstotz zwischen Italien und der Türkei bieten könnten. Die königliche Regierung ist entschlossen, die Tripolisirage in einer den Interessen und der Würde Italiens entsprechenden Weise zu lösen, aber, welches auch immer die Mittel seien, die sie wird anwenden miissen, um ihr Ziel zu erreichen, die Grundlage ihrer Politik bleibt immer ein Auf rechterhalten des territorialen Statusquo auf der Balkanhalbinsel und die Festigung der euro päischen Türkei, folglich wollen wir nicht nur keine Bewegung auf der Balkanhalb- insel gegen die Türkei ermuttgen, sondern sind auch ernstlich entschlossen, unsere An strengungen zu verdoppeln, um es namentlich in diesem Augenblick zu vermeiden, datz cs zu der artigen Vorgängen komme. Es ist notwendig, datz, wenn sich Hoffnungen oder Illu sionen in diesem Sinne gebildet haben oder bilden sollten, sie sofort zerstreut werden. Die " diplomatischen Vertreter sollen, so oft sich die Ge legenheit bietet, ihr Verhalten und ihre Aeutze- rung diesem Endziel der Politik der königlichen Negierung anpassen. * Die Ueberreichung des Ultimatums ist entgegen den früher eingelaufencn Meldungen doch erst später erfolgt, als man annehmen konnte. Es liegt dazu folgende vrahinachricbt vor: Rom, 28. September. („Agcncia Stefanie".) Heute nachmittag 2 Uhr 80 Minuten überreichte der italienische Geschäftsträger in Kon. stantinopel in Begleitung des Dragomans dem Grotzwesir die Note, die das Ultimatum der italienischen Regierung enthält. Sermsnn Lmiraüi. Von Paul Burg. t^achdruci vcrbolen.) Die letzte Generation des vorigen Jahrhunderts pries ihn als den Bahnbrecher und Führer einer neuen Literaturepoche, und schon unsere, die erste Generation des jungen Jahrhunderts kennt ihn kaum noch dem Namen nach. Mutz man also die Heraus gabe seiner Werke in sechs Bänden (bei Georg Müller in Münck)en) als ein Wagnis oder als eine not wendige Rettung bezeichnen ? Den Zeitgenossen wird wenigstens die gewissenhafte Lebensgeschichte Conradis, die Dr. Paul Ssymank auf 2.">4 Seiten der Gesamtausgabe vorausschickr, ein willkommener Beitrag zur Literaturgeschichte Les letzten Viertels des 1!». Jahrhunderts bedeuten, denn in den Schulen wird kaum etwas von Conradi gelehrt und von den neueren Literaturgeschichten befaßt sich neben R. M. Meyer mit einigen Notizen auch nur der zuverlässige „Kummer" näher mit ihm. Hermann Conradi wurde am 12. Juli 1862 zu Ietznitz in Anhalt als ältestes Kind des Kolonial- warenhändlers und Zigarrenfabrikanten Carl Wil helm Conradi und seiner Ehefrau Wilhelmine, Tor- schreiberstochter Burchardt daselbst, geboren und zwar abends 10 Uhr, wie Ssymank gewissenhaft hinzufügt, der nach dem Muster Goctheschcr Lebensbeschreibung dem Vater die Natur und des Lebens ernstes Führen, der Mutter die Kraft zu fühlen zuschreibt. Eingehend befatzt sich der Biograph mit den ersten Jahren Her manns. berücksichtigt bei den Schuljahren sogar Zen surenlisten und Schulakten, eine Akribie, die bei der Erforschung des Lebens unter ganz Grützen mehr angebracht erscheinen mag als bei diesem Frühver- gessencn, freilich zu früh Vergessenen. Anmerken will ich hier nur, das; Dr. Pietschke, vom damaligen prcutzi- schen Kronprinzen Friedrich Wilhelm bald zum Zivil erzieher des Prinzen Heinrich ernannt, als Lehrer auf den Knaben Conradi von Einflutz war, und Latz Cqn- radi als Knabe sehr fromm, gottgläubig und ein acht samer Freund der Natur gewesen ist. Auf dem Dessauer Gymnasium, das er nach wenig Jahren schon verlassen mutzte, war der weit über Anhalt hin aus als Geschicht»forsck>er bekanntgewordene Dr. Wäschke sein Lehrer. 1879 übersiedelte die Familie Conradi nach Magdeburg, wo sie keine glücklichen Tage erwarteten. Hermann trat als Untersekundaner in das Pädagogium „Unserer Lieben Frauen" ein. Die ehrwürdige Schule und ihr Propst Dr. Bormann gewannen tiefen Einflutz auf ihn. Schon nach einem Jahre freilich mutzte er mit der Einjähria-Freiwilli- genreise die hohe Schule verlassen und als Lehrling in di« Schäfersche Buchhandlung und Leihbücherei in Magdeburg eintreten. Mitten in der Literatur stu dierte er eifrig, was ihm unter die Finger kam, bis ihm schliesslich die trockene buchhändlerische Tätigkeit missbehagt«. Er trieb Sprachstudien und trat schließ Line Neichsltelle für SrbeitststtkoertrSge. In der „Sozialen Praxis" geht Privatdozent Dr. Zimmermann-Berlin in sehr interessanten und in struktiven Ausführungen auf die in der letzten Reichs- tagssession von dem nationalliberalcn Abgeordneten Dr. Iunck und dem Zentrumsabgeordneten Dr. Pieper behanüeltc wichtige Frage einer Zen tralstelle für Tarifverträge ein. Es ist hier leider nicht möglich, seine Darlegungen ausführ lich wiederzugeben, so datz wir nur einige der Haupt sätze folgen lassen können: „Im März 1911 hat der Reichstag auf Antrag des Dr. Pieper über eine Zentrumsresolution beraten, die zur Förderung des Arbeitstarifver trag swese ns in Deutschland eine amtliche Zentralstelle fordert. Besonders zur Vor bereitung einer künftigen gesetzgeberischen Regelung des Tarifvertragsproblems, so betonte der Antrag steller, sei eine derartige Stätte notwendig. Der Spezialist der nationalliberalcn Partei für Tarisveriragssragcn. Iuskizrat Dr. Iunck, lieh dieser Anregung Piepers in einer größeren Rede (117. Sitzung, 11. März 19111 wirksamste Unter stützung und fügte dem Picperjchcn Programm noch eine Reihe beachtlicher Vorschläge für die Gestaltung und die Tätigkeitsweise einer derartigen amtlichen Tarifoertragszentrale bei. Trotz der guten Be gründung. die die beiden angesehenen Sozialpolitiker für die Resolution bcibrachtrn, verhielt sich der Staatssekretär Dr. De l b r ü ck damals ziemlich kühl ablehnend: er verwies auf Las Bestehen der stati stischen Sammelstelle für Tarifverträge im Kaiserlich Statistischen Amte und gab mittelbar zu verliehen, datz die geforderte Zentrale vomöglich zu einer ileber- stürzung der gesetzgeberischen Regelung des Tarif vertrags beitragen könne: davor sei aber zu warnen. Dieie Ausnahme des Planes einer Tarifvertrags zentrale bei der verantwortlichen amtlichen Stelle ist wohl nur durch eine m i tz v e r st ä n d l i ch e Auf fassung der Absichten seiner Urheber zu erklären, denn es geht aus dem Stenogramm der Reden von Pieper und Iunck hervor, datz sie durchaus keine Ge- setzesfabrik für Tarifvertragsangelegenheiten schaffen wollen, sondern vielmehr eine Art Beratungs- und E rz i e h u n g s st e l le für tarifvertragliche Ordnung der Arbeiisocrhältnisse, die besonders so lange, als die Tarisvertragsbewegung noch nicht ab geklärt und zur gesetzlichen Regelung reif genug ist, die öffentliche Pflege der Tarifoertragsinteresscn übernehmen solle. Der Gedanke einer Tarifvertrags zentrale in diesem Sinne erscheint so gesund und fruchtbar, datz er nicht an einer erstmaligen mißver ständlichen Ablehnung scheitern kann. Immerhin ist cs nützlich, ihm die öffentliche Aufmerksamkeit wieder zuzulenken und über die Zweckmässigkeit und Frucht barkeit dieses Planes eine gründlichere Aussprache zu pflegen. Für denjenigen, der nicht blotz die äußerlichen Daten der deutschen Tarifvertragsbewegung seit ihrer amtlichen Entdeckung im Jahre 190.8 kennt, sondern in ihre Entwicklungsgeschichte seit einigen Menschen altern in den verschiedenen Kulturstaaten der Alten und Neuen Welt sich vertieft hat, unterliegt cs keinem Zweifel, datz wir in Deutschland erst in Len Kinder schuhen des Tarifvertragswesens stecken, und Latz die ausschlaggebende Entfaltung des Prinzips der pari tätisch kollektiven Arbeitsregelung noch vor uns liegt Es bestehen mancherlei Anzeichen dafür, datz das kommende Menschenalter in den deutschen Groß industrien Tarifvertragsorgonisationen großen Stils als ein ebenbürtiges und notwendiges Gegenstück zur Preis-, Produktion-;- und Absatsiartellierung der Grossindustrien schaffen wird. Es handelt sich also je länger je weniger beim Tarisvertragswesen um eine private Angelegenheit der beteiligten Arbeit geber- und Arbeiterorganisationen, sondern voraus sichtlich um nichts mehr und nichts weniger als um eine genossenschaftlich sich anbahnende öffentlich- rechtliche Organisation der Arbeit, die sich neben die bestehende gesetzliche Ordnung des Arbeitsvertrags, des Einzelarbeitsverhältnisses und des Zusammenarbeitens im Betriebe (Titel VII RGO.s schieben wird .... Auf diesem Hinter gründe stellt sich die beantragte Ncichsstelle für Tarif verträge als eine nützliche Rüstzeugkammer dar, die vorbeugen soll, daß dem Staat die Tarifvertrags lich nach hartem Kampf mit dem Vater, vom Kloster- I propst beraten, wieder in das Gymnasium ein, jetzt ein Reiferer. Philosophische Studien hatten feinen frommen Kinderglauben erschüttert, und die Dichter gabe in ihm regte zaghaft ihre Schwingen. Ssymank teilt hier viele wertvolle Bekenntnisse Conradis an den Jugendfreund Schuster mit. Der neue Klosterpropst Dr. Urban, auch ein An haltiner, gewann weniger Einflutz auf den Primaner, denn schon regte sich in Conradi der Schriftsteller, der Dichter, der sich seiner Begabung bewußt wähnte und erste lvedichte im Kasseler „Deutschen Dichrerfreund" und im „Dichterheim" unterbrachte, auch Gedichte von Julius Große und Wilhelm Jensen dort scharf kritisierte. Im Leipziger „Magazin" Wilhelm Fried richs, der Walstatt der neueren Literatur, versuchte er noch vergeblich anzukommen. Noch als Schüler trat Hermann Conradi in Magdeburg durch die Ver mittelung des später noch oft ihm freundlich hilfs bereiten Dr. Max Oberbreycr unter dem Pseudonym Arminius Costo im „Magdeburger Generalanzeiger" hervor. Hermann Linag sprach ihm damals schon ein großes Talent zu. Marlows „Faust", Heinse und Waiblinger brachte er großes Interesse entgegen und plante allerlei Bearbeitungen und llebersetzungen. Das häusliche Leben bei Conradis war damals wenig erguicklich, für Liebschaften und Schwärmereien l-atte er nichts übrig, dem Theater gehörte seine Neigung und in einem akademischen Leseverein „Los" war er der Tonangebende. Bald suchte und fand er Fühlung mit dem Kreise der Brüder Hart, deren „Kritisch« Wafsengünge" ihn zu unerhörten Plänen begeisterte. Einen „Bund der Lebendigen" gründeten di« Stürmer und Dränger in der Oberprima, die sich ihren Lehrern in allem durchaus überlegen fühlten. Ihr Prüfungsaufsatz zum Abtturientenexamen hatte zum Thema den Satz: „Frei ist nur, wer sich selbst sittlich bindet", und interessant ist es, bei Ssymank nachzu lesen, wie der Propst Dr. Urban hierin Conradi beurteilt. Der Mulus Herm. Conradi wandte sich nach Berlin „pro forma einig« Kollegs hinunterzu schlucken", wurde Mitarbeiter an Riüwlf von Gott- ichälls „Blätter für literarisch« Unterhaltung", fand Anschluß an die Brüder Hart und erhielt sogar von Sacher Masoch die Mitredaktion an dessen Zeitschrift. In den damals wilden Kämpfen der Berliner Stu denten hielt Conradi sich zur Gruppe der Freien wissenschaftlichen Vereinigung, lebte im übrigen ab- seits von den Studenten ein ärmliches, arbeitcrfülltes Leben. Auch ein durchaus ideales Liebesverhältnis hatte er zeitweilig. Luise Chlamäus hieß di« Er wählte. Daheim stand es schlimm und Hermann mußte sogar für seine Eltern einspringen, durch Stundengeben und llebersetzungen hielt er sich und di« Seinen mühselig über basier. Ungebeugt durchlitt er da. Schwere und setzte sich durch. Da, „Magazin" öffnet« ihm seine Spalten, organisationen über den Kopf wachsen, wie es mit einzelnen Produktions- und Kapitalskartcllcn bereits der Fall ist... . Die Zentralstelle für Tarifver träge würde neben den drei Funktionen: 1s einer Sam meiste! le für Tarifverrragsmatcrial, 2s einer A u s k u n f t s st e l l e für praktische und juristische Tarifoertragssragen und 3s einer Kristallisationsstelle für das sich ent wickelnde Gewohnheitsrecht der Tarifverträge — ganz von selbst sehr rasch eine vierte wichtige Funktion entfalten, nämlich die: das Tarifvertragswescn auch neuschöpferisch zu fördern in den bisher noch dem Tarifvertrag fernstehenden Gewerben sowie in solchen Tarifgewerben, die sich in einer Vertrags krisis befinden. Wieviel nützliche Dienste hat bereits das einfache Tarifvertragsmuster geleistet, das die Gesellschaft für soziale Reform vor drei Jahren auf gestellt hat und fortdauernd an die Interessenten ver schickt. Wie anders aber würde die Wirkung sein, wenn eine amtliche Zentralstelle derartige Muster für verschiedene Gewerbe veröffentlichte und den Par teien, die vor Tarifverhandlunqcn stehen, unverbind lich zustellte! Die eine Partei würde cs ansgrcifen und der anderen widerstrebenden allmählich sugge rieren. Oder man würde sich sogar an die Zentral stelle um Entsendung eines persönlichen Veraters wenden, der den Parteien als eine Art unparteiischer Vermittler zur Verständigung und zum Tarifvrr- tragsabschluß verhelscn könnte. Ja, auch Gewerbe mit älterer Tarifoertragspraxis würden sich gewiß gern der Dienste der Zentralstelle bedienen, um bei Neuberatung eines ablaufenden Tarifvertrags die Fehler des alten zu vermeiden und einen technisch und juristisch einwandfreien Vertrag zustande zu bringen. Die Autorität des amtlichen Beraters würde dazu beitragen, daß so brenzliche Fragen wie Mindest- und Normollohn, Garantie der Mindestleistung, Arbeits- nachweisbenutzunq, Organisationszwang. Zuläsiigk-it von Sympathiestreik oder Aussperrung, Entlassungs ordnung bei Arbeitslosigkeit usm. zwischen den Par teien friedlich anstatt durch Machtproben geregelt werden könnten." 9. orüemttche evarM!jlÄ»lutlierjsHe LanüeLlijlMüL. Dresden, 28. September. Der heutigen sechsten ordentlichen Sitzung wohnten wiederum Präsident Dr. Böhme und mehrere Räte des Landeskonsistoriums bei. Nach seinem einleiren- den Gebet ergriff Odcrhofprcdigcr Dr. Dibelius nochmals das Mcrt, um den amtlichen Bericht über die Perha-.diungcn der Synode zu bemängeln. Die Dresdner Geistlichen seien es gewöhnt, von den hiesigen Zeitungen falsch verstanden zu we-den, datz aber „purer Unsinn" im amtlichen Berichte über seine Predigt in der Lophienlirchc erschienen !«:, das yabe ihn schmerzlich berührt. Pfarrer Müller-Leipzig rügte, datz auch die Gelöbnisformel der Cynodalmitgliedcr im steno graphischen Berichte falsch wicdergcgeben sei. Präsident Graf Vitzthum erklärte, datz ihm in diesem Falle ein Lapsus passiert sei. Pfarrer Püsch mann würsichte, Latz die Zusätze „Bravo". „Heiterkeit" usw. im stenographischen Be- ricyte nicht eine besondere Zeile einnchmen sollten. Diese Zensuren könnten im Text eingefügt werden. — Die geäußerten Wünsche sollen dein Redaktions ausschüsse unterbreitet und eoent. ein Neudruck des amtlichen Berichls erwogen werden. Damit war dieser „Zwischenfall" erledigt und die Versammlung trat in die Tagesordnung ein. Zur Beratung stand der Bericht über den Zustand der Landeskirche. Pfarrer Lange-Stützhain beantragte, beim Landes konsistorium vorstellig zu werden, daß der sogenannte niedere Kirchendienst der Kirchschutlehrer ubzulösen sei und daß festgestcllt werden möchte, welche Verpflichtungen, die genau abzugremcn seien, ubrigbleiben. Er bittet seinen Antrag dem Ver- waltungsausschusse zu überweisen. Geh. Kirchenrat Dr. Hofsmann-Chemnitz trat für die Gleichstellung der Ephoralexpedienten mit den Expedienten anderer Behörden und für die Ver leihung der Beamtcneigenschaft an dieselben ein. Präsident Dr. Böhme weist darauf hin, Latz der Antrag Lange einen Eingriff in dasKirchen- geletz bedeute. Die Materie solle im neuen Volks schulgesetz geregelt werden und es empfehle sich, das neue Kirchengesetz ohne den Antrag Lange zu erledigen. Hofrat Dr. Löbner-Leipzig stellt fest, daß der Antrag Lange nicht von einem Laien, sondern von einem Geistlichen eingebracht worden sei. Der Antrag wurde nach einigen weiteren belanglosen Bemerkungen an den Verwaltungsausschuß über- wiesen. Dann folgte die Beratung des Abschnittes Acutzere Verhältnisse der Kirchgemeinden. Den Bericht hierüber erstattete Oekonomierrat Zlchucke-Wurschen. Geh. Kirchenrat Superintendent Dr. Hartung» Leipzig besprach die Frage der kleinen Parochien, deren Segen er durchaus nicht unterschätze. Im Interesse der Landeslrrche liege es jedenfalls, die lleinen Parochien zu verschmelzen. Illach einigen kurzen Ausführungen der Synodal» Mitglieder Pfarrer Tiebe-Wiegand-Treuen und Oberlirchenrar Superintendent Dr. Nobbe-Leisnig bemängelte Bürgermeister a. D. Lcup old-Dresden, datz die Namen von Stiftern namhafter Gaben für Kirchen im Berichte nicht mit genannt seien. Hier durch werde die Gebefreudigkeit nicht erhöht. Superintendent Kröber-Pirna wendet sich gegen die Stellungnahme des Landcskonsistoriums gegen die Absicht des Kirchenvorstandcs der Philippus- kirche in Leipzig-Lindcnau, beim Bau dieser Kirche den G-danten der Einheitstirche nach dem Wies badener Programm zu verwirklichen. Solange leine Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen vorkommen, solange müsse man den K i r ch e n v o r st ä n d e n möglichste Freiheit lassen. Kirchenrat Dr. Schmid 1-Annaberg sprach sich gegen die modernen Kirchenbauten aus. Hieran tnüpfte sich eine längere Debatte, die sich in der Hauptsache mir den modernen Gesichtspunkten bei den Kirchenbauten beschäftigte Dem Landesaus» schusse für kirchlich- Kunst sprach man den Dank aus iür die Herausgabe der Mustrrblütter für Grab denkmäler. Geh. Kirchcnrat Dr. Hoffmann-Chemnitz stellt fest, daß die Gotik, die jetzt an der Iakobikirchc in Chemnitz entfernt werde, nicyt aus der Blütezeit der Gotik stamme, sondern aus dem Jahre 1876. Es sei eine sehr schlechte Gotik, zu der auch schlechtes Material verwendet wurde, so datz die Verzierungen brüchig geworden und herabgefallcn seien. Infolge dessen habe man bei dem fetzigen Umbau der Kirche aut die früheren Formen derselben zurückgcgriffen. Präsident Dr. Böhme tritt dafür ein, daß dem Kirchenregiment das Recht gewahrt werden müsse, bei Kirchenbauten mitzusprechen. Zu Abschnitt lV., betreffend die Kirchen- be Hörden und die kirchlichen Selbst- ve r waltungsorgane, sprach Obsrlircheurat Lieschle-Plauen und wünschte eins volk-tümlrchere Ausgestaltung der Kirchenvisitationen. Kaufmann Schneider-Zittau ist der Meinung, daß die Vortragsweise der Geistlichen aus der Kanzel einer Prüfung unterzogen werden wöchte. Geh. Hofrat Opitz-Treuen bedauert, daß die Synode infolge anderweitcr Benutzung der Räume diesmal nur vier Wochen tagen könne, da doch sehr wichtige Aufgaben noch zu erledigen seien. Auch seien die Tagegelder für die Mitglieder der Synode niedriger bemessen, als diejenigen iür Lis Mitglieder des Landtages. Materiell sei der Unter schieb ia nicht sehr groß und komme wohl kaum in Betracht. Hier spreche jedoch das moralische Moment mit, das nach außen hin wirke und es sei leicht möglich, daß man auch die Arbeit der Synode geringer einschätze. Er kündige infolgedessen für einen der nächsten Tage einen Antrag an, der auf eine gleiche Abmessung der Tagegelder bei der Sy node und beim Landtage ubzielc, um dessen Unter stützung er heute schon bitte. (Bravo!) Pfarrer Gräfe-Arnsfeld regt die Frage einer Landeskirchensteuer an, um die Kirche unab hängig vom Staate zu machen. Er frage bei dem Kirchenregiment an, ob den diesbezüglichen früheren Anregungen schon nach irgend einer Rich tung hin Folge gegeben worden sei. Dr. Böhme-Großröhrsdorf ist der Meinung, daß die Bewilligungen für kirchliche Zwecke sich immer im Verhältnis zu der Bedeutung der Landeskirche in sehr bescheidenen Grenzen halten. An das Kirchen regiment rrchte er die dringende Bitte für eine be schleunigte Ausfüllung des allgemeinen Kirchenfonds. Präsident Dr. Böhm sieht für heute von der Beantwortung der Frage bezüglich einer auch an Dr. Konrad Küster, den Begründer der Reformburschenschasten, fand er Anschluß und trat als einer der Ersten in die Reibe der Kämpfer um Michael Georg Conrad und dessen neue „Gesellschaft", die das „Magazin" ablöfen sollte. Con- radi schrieb das erste geharnischte Vorwort „Unser Credo" zu dem Kampfbuch der „Modernen Dichtercha- raltere" und sand damit ebensoviel Anerkennung wie Widerspruch bei den Zeitgenossen. Er war von Anfang sehr schöpferisch und polemisch. Seine Novelle „Bru talitäten" sind ein starkes Zeugnis jener Epoche. Auch als Kritiker, bei der „Nationalzeituug" und durch Dr. Friedrich Lange bei der „Täglichen Rund schau", fand er Eingang und versuchte sich in Berlin mit geringem Erfolge selber als Schriftleiter. 1883 finden wir Hermann Conradi als Pedakteur in Neunkirchen an der „Saar- und Nlieszeitung". Genau acht Tage dauerte diese „drollig-ernste, tragikomi.che Wallfahrt nach dem Rhein." Vom Rheine aus ging Conradi im Mai 1886 nach Leipzig, zwar noch in Berlin immatrikuliert, und suchte enge Fühlung mit dem „Magazin"-Ver» leger Wilhelm Friedrich. Im akademisch-philoso- phischen Verein vermochte er sich trotz eines aus» fälligen Vortrags nicht durchzusetzen. Max Obcr- breyer verwandte sich in Leipzig vielfach für ihn. Hans Merian führte ihn in Las „Symposion" ein und Li- Tanin Rosalie Nilsen war ihm eine liebe mütterliche Freundin. Mit Adolf Bartels verkehrte er ein Jahr lang beinah« täglich und kam in engen Verkehr mit Otto Erich Hartleben, der wieder andere Freundschaften mit Conradi vermittelt«. Es mar ein« eigenartige Atmosphäre, di« Conradi in Leipzig vor fand. Da» Leben jener Literaten spielte sich haupt sächlich in gewissen Kcllnerinnenkncipen ab, wo phtloscphicrl. gespielt und gezecht wurde. Conradi war der Einzige, der seltsamerweise von diesem wüsten Leber innerlich ziemlich unberührt blieb. Freilich auch von seiner eigenen, bedrängten Familie löst« er sich in Leipzig innerlich völlig und suchte engen Anschluß an Wilhelm Friedrich. Aus dem sehr umfassenden und erschöpfenden Briefwechsel dieses für die damalige Literakurepoche so bederrtungsvollen Verlegers, dessen Schätze der Leipziger Universität ver macht sind und für eine späte Publikation dort geheim gehalten werden, bietet Ssymank in dankens werter Weise zum ersten Male prachtvolle Aufschlüsse, die nur Wilhelm Friedrich, der heute seine Tags am Gardasee in Muße verbringt, durch hochinteressante Gespräche ergänzte. Conradi war, weniger wegen seiner ewigen Geldnöte als aus Gründen seines Charakters, was man einen schwierigen Autor nennt. Seine „Lieder eines Sünders" fanden Aufnahme in Friedrichs Verlag und z. B. seitens des Leipziger Tageblattes, auch durch den damals noch ganz un bekannten, Conradi gleichaltrigen Gerhart Haupt mann in Küsters „Allgem. deutschen Universttätszei- tung" Anerkennung. Schärfer ging man mit ihm ins Gericht, als die „Phrasen" erschienen, und aus manchen früheren Freunden wurden Conradi er bitterte Feinde. Das Studium Nietzsches batte Conradi in eine krankhafte Ekstase gebracht, die ihn eine Kritik kaum noch ertragen ließ. Unerquicklich ob der Gründe und Nebenumstände ist sein Streit mit Hartl-Len, der zum völligen Bruck), sogar zu einer (abgeletznten) For derung führte. Gründe und Oertlichkeit aller dieser unerquicklichen Streitigkeiten haben wir wohl aus nahmslos im finsteren Stadtviertel der Leip ziger Kellneriunenkneipen zu suchen, wohin wir jenen brutalen Kraftmaiern von damals heute nicht mehr zu folgen Anlaß haben. Conradi stand mit seinem Erößenwahnsinn in Leipzig fast ganz allein, als er schließlich sein letztes Werk, den „Adam Mensch" schrieb, ein abstoßendes Buch, das ihn auch noch mit dem langmütigen Verle ger Will). Friedrich in Zerfall brachte. Weniger Las vorausgezahlt« Honorar als der anstößige Inhalt des Noiyans gaben Anlaß dazu. Der Autor schickte dem Verleger eine Pistolenforderung ins Haus. Wilhelm Friedrich warf den Sekundanten couragiert vor die Tür. Darauf ging Conradi im November 1887 nach München. Auch hier hat er sich nicht eben fair gegen manchen seiner Freunde benommen. Literarisch kam er wieder einigermaßen in die Höhe und ging sogar energisch daran, einen langgehegten Plan zu v.'rwirk- lichen, nämlich seinen philosophisch«» Dokror zu machen. Zu Wilhelm Friedrich in Leipzig trat er wieder in bessere Beziehung«», änderte am „Adam Mensch" und erhielt endlich das ersehnte Fixum be willigt. „Adam Mensch" erschien, erregte Aufsehen, Bewun derung, Widerspruch, wurde beschlagnahmt und hatte einen für die Literatur jener Epoche wichtigen Pro zeß zur Folg«, den Conradi nicht mehr überlebte. Mitten in seinen Vorbereitungen zur Doktorprüfung, dir er unter Professor Johannes Volkelts Augurat in Würzburg betrieb — „Ueber das Verhältnis des Symboloegriffes zur ästhetischen Illusion" —, er krankte Conradi. Der Plan eines neuen Romans „Ein moderner Erlöser" beschäftigte ihn. Eine „geist reiche" Broschüre aus seiner Feder, „Wilhelm II. und die junge Generation", beschäftigte noch einmal die Gemüter. Mitten« in Enwürfen überrascht« ihn «in« schwere Krankheit, traf ihn am 8. März 1890 der Tod. Sein« Manuskripte hatte er sämtlich vorher verbrannt. „Ach. es ist zu langweilig", waren feine letzten Worte. Freund und Feind kam Conradis Tod überraschend. Ehrenvolle Nachrufe wurde ihm zuteil. Ende Juni fcr:>d dann um „Adam Mensch" willen der bekannte Realistenprozeß statt, der mit der Einziehung und Vernichtung des Romanes endete. Hermann Conradi und sein Grab auf dem Würz burger Friedhof find schnell vergessen. Jetzt will ein« Gesamtausgabe seiner Werk« diesen seltsamen „Päda gogen der Zukunft" uns zu neuem Leben erwecken.
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