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s. veUsge. ^rrttag, 29. Septemder t9N. Leipziger Tsgedlstt. Nr. 270. l05. Jakrvann. politische Umschau. Marokko. Der anLDonnerstaa im französischen Ministerium oes Aeußern eingetroffene Bericht des Botschafters Cambon besagt nach einer Meldung des „Berl. Lokanz." im wesentlichen, daß von den drei zu letzt noch strittig gewesenen Punkten einer zur beiderseitigen Zufriedenheit erledigt ist, während die beiden übrigen noch in der Schwebe bleiben. Minister de Selves hatte hierüber sowie über die von Kiderlen im übrigen Text gewünschten kleinen Abänderungen eine Beratung mit Caillaux. Von anderer Seite wird gemeldet, daß die Frage der Konsulargerichtsbarkeit noch immer die schwierigste ist, da Frankreich in dieser Richtung auf seinem Standpunkt verharren will. Deutsches Reich. Leipzig, 29. September. * Wirtschaftliche Kommission der Kolonialver waltung. Im Reichskolonialamt trat am Donners- tagvormittag der „Nordd. Allg. Ztg." zufolge die vom Staatssekretär von Lindeauist ins Leben ge rufene ständige wirtschaftliche Kommission der Kolo- nialverwaltung zu ihrer ersten Tagung zusammen. Eine Anzahl der namhaftesten Vertreter der deutschen Industrie und des deutschen Handels waren erschienen. Der Staatssekretär eröffnete die voraussichtlich zwei Tage währenden Sitzungen mit einer programmatischen Rede. Nachdem dieser den Erschienenen gedankt halte, führte er aus, daß ihn bei der Bildung der Kommission der doppelte Gedanke geleitet habe, einmal, sich in besonders wichtigen wirtschaftlichen Fragen den Rat namhafter Vertreter des Handels und der industriellen Kreise Deutschlands zu sichern, und sodann, eine engere Verbindung zwischen Handel und Industrie einerseits und der Kolonial verwaltung anderseits herbeizuführen, wie sie schon seit einer Reihe von Jahren zwischen der Kolonialoerwaltung und der hiesigen Land wirtschaft bestehe. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kolonialverwaltung sei es, den heimischen Markt mehr und mehr vom Auslande unabhängig zu machen, wofür eine wesentliche Voraussetzung die Schaffung guter Verkehrsmittel >ei. Die von seinem Vorgänger begonnene Eisenbahnpolitik werde energisch fortgesetzt werden. Der Staatssekretär stellte in Ergänzung ein ausführliches Programm zur Hebung der Wirtschaften in den afrikanischen Kolo nien auf. Die neueste Handelsstatitik gebe ein gün stiges Bild. Im Jahre 1910 habe der gesamte Kolo nialhandel gegen 1909 um 54 Millionen zugenommen. Der Geiamthandel mit den Kolonien betrug somit 232 Mill. Mark. Die Kolonialverwaltung werde alle Unternehmungen fördern, die den Kolonien Nutzen brächten. Monopolartige Rechte würden bei dem derzeitigen Entwicklungsstadium in den kolonialen Bcntzungen im allgemeinen nicht mehr verliehen. Nachdem der Staatssekretär die Erschie nenen zur Mitarbeit aufgefordert hatte, trat die Versammlung in die Tagesordnung ein, deren erster Punkt die Frage der Kreditorganisation in den deutschen Schutzgebieten mit besonderer Be rücksichtigung Südwestafrikas betrifft. Ueber die Beratungen, die zunächst vertraulichen Charakter tragen, wird nach Abschluß ein zusammenhängender Ueberblick veröffentlicht werden. * Zunahme jugendlicher Znvalidenrentner. Die Zahl rugendlicher Jnvalidenrentner nimmt ständig zu. Die Gesamtzahl des Juni betrug im Jahre 1910 »93 585 gegen 487 000 im Jahre 1907. Davon kamen an Jugendlichen in der Altersklasse vom 20. bis 24. Lebensjahr im Jahre 1907 20 auf 1000, im Jahre 1910 waren es 29 auf 1000. Die Schuld daran trägt die Art der Arbeit. Durch Erhebungen der Kranken kaffen würbe festgestellt, dass männliche Arbeiter im Alter bis zu 20 Jahren 6,2 Krankheitstage durch schnittlich haben, manche Berufe jedoch mehr, wie andere, so die Metallarbeiter mit 8,1 Krankheits tagen, Arbeiter der Papierindustrie 7,3, Bureau- arbeite! dagegen nur 4,1. Weibliche Arbeiter haben durchschnittlich 1 bis 2 Krankheitstage mehr. * Der 3. Internationale Mittelstandskongreh, der vom 28. bis 30. September in München tagt, wurde am Donnerstagvormittag 9 Uhr im Saale des Kllnstlerhauses in Gegenwart des Ministerpräsi denten Grasen Podewils, Vertretern der deutschen und auswärtigen Regierungen, der städtischen Be hörden, der Wissenschaft, der Kunst und des Handels durch eine Begrüßungsansprache des Unterstaats sekretärs z. D. Dr. Professor v. May eröffnet. Ministerpräsident Graf Podewils begrüßte den Kongreß namens der bayrischen Staatsrcgierunq. Das Deutsche Reich habe ganz besonderes Interesse an den Fragen, die den Kongreß beschäftigen. Die industrielle Entwicklung, die Gewerbefreiheit und der moderne Weltverkehr haben den deutschen Mittel stand, den landwirtschaftlichen wie den gewerblichen, in eine Lage gebracht, der Selbsthilfe nicht genügen könnte. Die verbündeten Regierungen wie der Reichstag sind bestrebt gewesen, große Gedanken, wie genossenschaftliche Sammlung der wirtschaftlich Schwachen, wie Selbstverwaltung und Standss- organisation sie darstellen, im Rahmen sorgsam ab gewogener Gesetze in Wirklichkeit überzuführen und so die im Mittelstand aufgcspeicherte Energie zu selbstsicherer Betätigung auszulösen. Die bayrische Regierung ist bemüht, die wirtschaftlichen Bestrebun gen der Mittelstandsbewegung zu fördern in der Einsicht, daß der Mittelstand die vor allem so not wendige ruhige organische Entwicklung des Staares verbürgt. Hierauf wurde der Kongreß begrüßt durch den Vertreter der Reichsregierung Geh. Ober- regicrungsrat S p i e l h a g e n - Berlin, ferner durch die Vertreter der österreichisch-ungarischen, belgischen, französischen, luxemburgischen und niederländischen Regierung. Oberstudienrat Dr. Kerschcn- st e i n e r - München verlangt in seinem Referat „Schule und Mittelstand" Organisation der Volks und realistischen Mittelschulen zu praktischer Arbeit, zur Erziehung, zur Arbeitsfreude und Arbeitschrlich- kert. Der Kaiser verlieh dem Oberstudienrat Dr. K e rschc nste i ne r-München den Kronen orden 3. Klasse. Die Auszeichnung wurde durch den Oberregierungsrat v. Seefeld-Berlin während der Vormittagssitzung des Internationalen Mittel standskongreffes überreicht. * Neichstagswahlvorbereitunqen. Die national liberalen Vertrauensmänner des Wahlkreises Arns- walde-Friedeberg haben den Negierungsrat Poensqen in Berlin einstimmig als Kandidaten für die kommenden Reichstagswahlcn ausgestellt. Die Fortschrittliche Vclkspartei unterstützt die Kandidatur. Das Mandat, das einstmals Ahlwardt innehatte, be findet sich seit 1903 in den Händen des antisemitischen Abgeordneten Wilhelm Bruhn, der auch jetzt wieder kandidiert. Die Konservativen und der Bund der Landwirte haben den früheren Gouverneur von Süd westafrika, Rittergutsbesitzer v. Schuckmann, als Kan didaten ausgestellt. — Der Zcntrumsparteikag des Neichstagswahlkreises Regensburg hat den Amtsrichter Trendel-Regcnsbura als Reichstags kandidaten an Stelle des fetzigen Abgeordneten Frhrn. v. Pfetten ausgestellt. — Die Zentrumspartei des Reichstagswahlkreises Lippstadt-Brilon stellte den bisherigen Abgeordneten Amtsgerichtsrat Schwarze wieder als Reichstagskandidaten auf. — Die Demokratische Vereinigung in Düsseldorf hat beschlossen, für die 1912 stattfindenden allgemeinen Wahlen wieder Dr. Breitscheid als Kandidaten auf zustellen. * Der Vorsitz ia der Deutschsozialen Partei. Zum Vorsitzenden der Deutschsozialen Partei als Nach folger Liebermann von Sonnenbergs ist in einer Sitzung des Gesamtvorftandes der Partei Reichs- tagsabgeordneter Lattmann gewählt worden. * Die Teuerung und die Privatbeamten. Wäh rend die Fabrikanten und Gewerbetreibenden meistens in der Lage sind, die Folgen der herrschenden Teue rung dadurch für sich herabzumindern, daß sie die Preise ihrer Verkaufsartikel oder das Entgelt für ihre Tätigkeit erhöhen, müssen die Privatangestellten mit ihren feststehenden Gehältern auszukommen suchen. Es ist klar, daß dies den weitesten Kreisen dieses „neuen Mittelstandes" angesichts der gegen wärtigen Verhältnisse sehr oft unmöglich ist. So ist es zu verstehen, wenn der Deutsche Bank beamtenverein in seinem Organ an die Ar beitgeber im Bankgewerbtz die Bitte richtet, den An gestellten besondere Zulagen zu gewähren. Die in dem betreffenden Artikel ausgestellte Tabelle zeigt, was ja eines Beweises kaum noch bedurfte, wie die Preise für Gemüse und Kartoffeln gestiegen sind: welche Höhe die Fleischpreise erreicht haben, ist be kannt genug. — Energische Maßnahmen der Reickzs regierung und der Städte sind für eine allgemeine Milderung des Notstandes unbedingt erforderlich — aber es wäre sehr zu begrüßen, wenn auch auf dem vom Deutschen Bankbeamtenverein vorgcschlagenen Wege den Privatangestcllten eine Erleichterung ver schafft werden würde. * Der Frankfurter Prcffestreit. In dem Presse streit zwischen dem „Frankfurter Generalanzeiger" und den „Frankfurter Nachrichten" hat das Gericht dem Herausgeber der „Fackel", Müller-Herfurth, das Recht zuerkannt, den Wahrheitsbeweis anzutreten. RuslsnS. Frankreich. * Delcaffö und der Ministerrat. Nach Pariser Blättern wird der bevorstehende französische Minister rat darüber entscheiden, ob Marineminister Delcasse aut beraten war, als er dem Direktor Bellue, den Kommandanten des zweiten Geschwaders, befahl, die von diesem ins Werk gesetzte Ausladung bedenk licher Pulversorten aus allen vor Toulon liegenden Kriegsschiffen zu unterbrechen. Der Marineminister beharrt entgegen Bellues darauf, daß alle Pulver sorten einwandsfrei seien. England. Zum irischen Eisenbahnerstreik. JnDublin fand eine Zusammenkunft zwilchen dem Direktor der Great Southern Line, bei der allein noch ernstliche Schwierigkeiten vorhanden sind, und den Angestellten dieser Bahn statt. Es steht zu erwarten, daß diese Konferenz eine baldige freundschaftliche Beilegung der Streitigkeiten herbeiführen wird. Belgien. Die Inspektionsreise de» Kriegsministers. Der belgische Krieasminister setzt seine Inspektionsreise nach den verschiedenen Festungen fort. Die Forts von Namur hat er einer zweitägigen gründlichen Besichtigung unterzogen und sich über ihren Zustand anerkennend ausgesprochen. Die Reservisten des Jahrganges 1910, die am 1 September einberufen waren, werden morgen entlasten werden. Schweden. * Die Reichstagswahlrn. Die Linksliberalen haben Zweidrittel der Kammermandate bereits erobert. Es stehen noch 10 Wahlresultate aus. Die Regierung dürfte am Sonnabend demissionieren und der freisinnige Staaff die Neubildung des Kabinetts übernehmen. Japan. Annäherungsversuche an China. Die Studien reise der chinesischen Kaufleute nach Tokio dürfte in der allernächsten Zeit stattfinden. Die Chinesen werden voraussichtlich einen sehr warmen Empfang vorfinden, was z. B. aus folgendem Vorfall zu ent nehmen ist. Der japanische Handelsminister hielt mit 39 japanischen Groß-Industriellen eine Konfe renz ab, um die Einzelheiten des bevorstehenden Empfanges zu besprechen. Der Minister hielt bei dieser Gelegenheit folgende interessante Ansprache: „Die chinesischen Kaufleute dürften am 24. Oktober in Tokio eintreffen. Welches Entgegenkommen müssen wir China gegenüber beweisen? Wir müssen unsere Politik nach dieser Richtung hi» festlcgen, wie es Rußland getan hat, besten stete Politik gegen über China gute Resultate gezeitigt hat. Wir müssen unsere Haltung gegenüber China ändern. China sucht Anschluß bei Amerika, bei den Deutschen, selbst bei Rußland. Von uns wollen die Chinesen nichts wissen, weil gewisse japanische Kreise sie brutal behandelt haben, auch in ihrer Sprache gegenüber China sich nicht höflich genug ausdrückten. Es herrscht deshalb in China ein all gemeines Vorurteil gegen Japan, welches beseitigt werden muß." Der Minister verbreitete sich noch des weiteren über dieses Thema. Seine Rede wurde von der japanischen Presse wiedergegeben, ebenso von der chinesischen, die aber einstimmig davor warnte, sich durch diese „honigsüßen" Worte täuschen zu lassen. Nichtsdestoweniger können sich die chine sischen Kaufleute, die die Studienreise unternehmen werden, der angenehmen Hoffnung hingeben, daß ihre Expedition von vorzüglichen Resultaten begleitet sein wird. Kirchliche Nachrichten. Israelitische Rcliftioaögemeinde zu Leipzig: SabbatgotteSdienst heute Freitag abend 6 Uhr, morgen Sonnabend früh 8'^ Uhr. Motette ia der ThomaSkirche. Sonnabend, den 30. September, nachmittags ZH2 Uhr. I. S. Aach: Tokkata «F-Durs. I. S. Aach: „Singet dem Herrn ein neues Lied.* 1. Teil. Mar Reger: Fuge sS-Turs aus Qp. 63. Arnold Mendelssohn: Sechs Spruchdichtungen von Angelus Lilesius. Giovanni G a b r i e l H „Nicercar." G. P. da Palcstrina: „SanctuS." Sirchcnmustk in der Rikolaikirche. 16. Sonntag nach Trinitatis, den l. Oktober, norm. Uhr. I. S. B a ch : „Gott, der Herr, ist Sonn' und Schild." Wahren: Freitag, den 2g. September, abends 7 Uhr Iung- fraucnverein bei der Gemeindeschwester. Adreßbuch LS12 Die Hauslisten für den Jahrgang 1912 sind den Herren Hauseigentümern bzw. Verwaltern zur Weiter gabe an die verehrlichen Haushaltungsvorstände zugegangen. Letztere werden gebeten, die erforderlichen Angaben genau und deutlich in die Hauslisten einzutragen und diese so schnell wie möglich weiterzugeben. Diejenigen Gewerbetreibenden, denen eine besondere Eintragungskarte für ihr Gewerbe nicht zugestellt wurde, mögen auf sorg fältiges Ausfüllen der einzelnen Rubriken in der Hausliste achten, weil diese Angaben auch als Grundlage für die Aufnahme im Gewerbenachweis benutzt werden. Da die Abholung der Hauslisten Montag, den 2. Oktober, beginnt, so richten wir an diejenigen Haushaltungsvorstände, denen die Hauslisten bisher noch nicht vorgelegt wurden, das Ersuchen, bei ihren Hauseigentümern oder Verwaltern wegen der Liste Nachfrage zu hallen und für eine schleunige Eintragung Sorge zu tragen oder uns ihre Angaben unverzüglich direkt zugehen zu lassen. Es empfiehlt sich, die Vor bestellung auf Adreßbücher gleichzeitig in die dafür vorgesehene Spalte der Hausliste einzutragen, da mit Schluß des Vorbestelltermins — 31. Oktober — der um 2 Mark höhere Ladenpreis eintritt. Da die Bewohner Leipzigs das größte Interesse daran haben, das Adreßbuch so vollkommen und zuverlässig wie nur möglich gestaltet zu sehen, dürfen wir wohl erwarten, daß alle Einwohner durch genaue Ausfüllung der Hauslisten und durch deren schleunige Weitergabe unsere mühevolle und kostspielige Zusammenstellung unterstützen. Leipzig, den 29. September 1911. Königstraße 33. Fc/kST"/,