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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.09.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110922028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911092202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911092202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-22
-
Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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BequgS-Prei» kOr L«tv»ia «n» Vorin« vurch »nlee« leagei and bo«»u«ui« Lina! tdalich In» hau» ««draql DU PI. monalU. L7ll Mt. vt«eletlähr( Br« Niger» Filiale» » Ln» aatzmefteUen adaehoU 7S PI. monatl, LU» Ml. oirneljähru r>»n» »„ Vak: Inn«kdaU» Deaixdland» und o«e drutlch«» Kolonie,» »leNelMkl. ».«>> Ml« monatl. l.rvMk. au»ichl P»lrd«neUg«ld Fern«« In Bel«!«», Dänemark, den Donaulraaren, Italien, Unzembura. Niederlande Nor wegen. Oegerrelch-Ungarn Rußland. Schweden ELweu a Evanirn. In allen übrigen Sraarev nur direkt durch di« Ee!chatr»üell» or» Blaue» «rüälttich. Da» Leiv«»««! Dagedlao ericheinl rmal täglich. Sona» ». 8r»«nag» nur morgen». Adonnrmenr»»<lnnadm» 2,daani»,ali» v. der unlrren Iragern, Filialen. Sveouene«» und Lnnahmeltrllen, lowre Poüamtern und Bneitragera. Abend-Ausgabe. Uripngcr TagtblM Lel.-Äuscht.r »4 6S3 Te1.-^nschl.ji4 8S3 ll«6S4 k, i» f 14 SSL Amtsblatt -cs Rates und -es Rolizciamtes -er Ltadt Leipzig. Lnheige«-Prei- Nk Inserat« an» Lerpjia und Umgebung di» lspaltig« Petitjeil» S Pf-dl« ReNam«» »eil« s VU.' von au»wärt» 30 Pf. Reklamen 1^0 Ml. Inserat« von Behörden im amt lichen Teil die Petitieile SO Ps Erschäft»ani«igen mit Plagoorschrtste» im Preise erhöht. Rabatt nach larts. BeilagegedübrGesamt» auslag« L Mk. p. lausend erkl. Postgebühr, letlberlag« Höger. AesteUetlte Rusträge können nicht zurück» arzogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätze» wird kein« Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: Johanni»,ass« 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Ezpeditionen de» In» und Au»lond«s. Druck ,n» Verla, »»» Fischer L Kürstr, Inhaber: Panl Klttfte». Redaktion und G«schist»lt»kl«: Iohannirgass« 8. -anpt»Filiale Dre»d«n: Eeestratz« L t (Telephon «621t. Nr. 263. 125. Zshrgsng Freitag, üen L2. Septemder 191 l Unsere heutige Morgenausgabe umfaßt 16 Seiten, die Abendausgabe 8 Seiten, zusammen 24 Sriten. Reserve Hst Ruh. Wenn am letzten Manövertage das ersehnte Sig nal „das Ganze" geblasen wird, herrscht in der Regel großer Jubel auf dem weiten Manöverfeld. Ist doch nunmehr nicht nur eine Reihe besonders an strengender Tag« überstanden, sondern beinahe für die Halste aller Mannschaften das Ende der Dienstzeit gekommen. Noch ein paar Tage werden in der Garnison mit der Instandsetzung und Abgabe der im Manöver meist arg mitgenommenen Sachen zugebracht, dann kommt Ser Tag der Entlassung. Parole „Heimat"! Ungefähr 250 000 Mann sind es, die alljährlich im letzten Drittel des Monats Sep tember in Deutschland den bunten Rock mit dem schlichten bürgerlichen Kleid vertauschen und plötzlich als Arbeitsuchende das Angebot am Arbeits markt verstärken. Da die neuen Rekruten in der Regel erst Ende Oktober eingestellt werden, so ergibt sich in der Zwischenzeit eine erhebliche Mehrbelastung des Arbeitsmakktes. Immerhin liegen die Verhält nisse insofern nicht so ungünstig, als im Herbst er fahrungsgemäß eine Zunahme der gewerblichen Be schäftigten eintritt, so daß der größte Teil der neu angeborenen Arbeitskräfte untergebracht werden kann. Es muß jedoch immer wieder darauf hinge wiesen werden, daß gerade die militärische Dienstzeit für viele, wenn nicht die meisten, jungen Leute, die vom platten Lande stammen, die kritische Periode ist, in der sie sich für den dauernden Aufenthalt in der Stadt entscheiden. Sie haben während der zwei Lzw. drei Jahre das städtische Leben kennen ge lernt, haben gesehen, daß es hier so manchem gut gehl, der sich in der Heimat schwer plagen mußte, ohne recht vorwärts zu kommen. Sie sehen meist über die vielen hinweg, die im Strom der Großstadt untergegangen oder verkommen sind. Mit dem Op timismus der Jugend sehen sie nur die Lichtseiten des Eroßstadtlebens und vergleichen damit das relativ eintönige Leben auf dem Lande. Es liegt auf der Hand, welches die Schlußfolgerung solcher Erwä gungen sein muß. Eine wesentliche Rolle spielt hier noch der starke Antrieb der Liebe. Die jungen Mädchen vom Lande sind vielfach ihrem Schatz in die Stadt gefolgt, als er zum Militär kam. Sie haben gute Stellungen gefunden und denken nicht daran, sich auf dem Lande wieder als Dienstmagd zu vermieten. Ist dann für „ihn" Las Ende der MNi- tärzeit gekommen, so bleiben die jungen Leute schon deshalb lieber in der Großstadt, weil hier die Aus sicht auf eine baldige Ehe größer ist als auf dem Lande. Außerdem liegt der Zeitpunkt der Entlassung insofern ungünstig, als die Erntearbeiten über wiegend beendet sind, und der Winter vor der Tür fleht. Um diese Zeit herrscht schon weniger Nach frage nach landwirtschaftlichen Arbeitern. Die länd. lichen Provinzen und Landesteile stellen einen be deutend höheren Prozentsatz an diensttauglichen Leuten beim Heeres-Ergänzungszeschäst als die industriellen Bezirke. Im Jahre 1909 wurden im Deutschen Reich von je 100 endgültig Abgefer tigten 53,6 für tauglich befunden. In den Landes teilen mit vorwiegend ländlicher Bevölkerung ging der Prozentsatz der Tauglichen weit über den Reichs durchschnitt hinaus. So wurden in Pommern 57,0, in Ostpreußen 61,4, in Westpreußen 61,3 und im Elsaß 65,4 Prozent für tauglich erklärt. Am schlech testen waren die Ergebnisse in Brandenburg, wo sich nur 42,0 Prozent als tauglich erwiesen. Unter die sen Verhältnissen verdient der Einfluß, den die mili tärisch« Dienstzeit auf die Abwanderung nach den Städten ausübt, besondere Beachtung. Es fehlt nicht an Versuchen, dem entgcgenzuwirken. So hat man neuerdings bei einer ganzen Reihe von Truppen teilen einen landwirtschaftlichen Unter richt eingeführt. Es muß jedoch recht zweifelhaft erscheinen, ob solch« Maßregeln wirklich den beab sichtigten Erfolg haben. Die Gründe für die Land flucht liegen tiefer, und wirkliche Abhilfe kann nur dadurch geschafft werden, daß man den ländlichen Arbeiter besserstellt. Zum Gmüener SpivnsgelaU. Emden, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Die Untersuchung in dem Spionagefall dauert noch immer fort. Die Behörden sind außer ordentlich unzugänglich. Der englische Vizekonful Eraham, der im vorigen Jahr von Indien nach Emden versetzt worden ist, scheint der Angelegenheit große Bedeutung zuzumessen. Angeblich heißen die Verhafteten Stephard und Jatword. Mög licherweise handelt es sich indes um fingierte Namen. Die Verhafteten geben selbst zu, Infanterie offiziere zu sein. Von der kaiserlichen Marine station von Wilhelmshaven wurde auf Benachrichti gung sofort die Bewachung der Emsmün- dung durch Torpedoboote verfügt. Die Durchsuchung im „Weißen Haus", wo die beiden übernachieren, Hai nichts zutage gefördert, was dem Verdacht der Spionage neue Nahrung geben könnte. Inzwischen ist nun noch festgestellt worden, daß in Delfzyl die Jacht der Engländer unter norwegischer Flagge gesegelt hat. Von Berlin ist, wie bestimmt verlautet, ein Vertreter des Kriegsmini steriums in Emden eingetrosten. Auf telegraphi schem Wege lief an das Amtsgericht in Emden von dem Marinestationskommando Kiel eine Personal beschreibung der Engländer ein. Sie heißen richtig Stagg und Wace. Der Abteilungskommandeur der Festungsartillerie Major Bruchmüller aus Bor kum ist zur Teilnahme an der Vernehmung eingetrof- sen. Der erste Staatsanwalt in Aurich hat sich nach Delfzyl begeben, um die Jacht zu beschlag nahmen. London, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist der Name des einen verhafteten Spions Gordon Stephard. Er ist Leutnant im 17. Füsilierregiment. Sein Komplice heißt nach Angaben der hiesigen Blätter Munro. Leutnant Stephard ist ein Sohn von Horatio Stephard. der Justizbeamter im Unterstaalssekre- tariat für Indien ist. Dor Leutnant sollte seinen Dienst am 27. d. M. wieder antrctcn. Stephard pflegt« in jedem Jahre während seines Urlaubs Ex kursionen mit seiner Jacht „Sorata" zu unternehmen. Sein Vater ist der festen Ueberzeugung, Laß sich der Verdacht der Spionage gegen seinen Sohn bald als unbegründet Herausstellen und sein Sohn in einigen Tagen freigelassen werden wird. Marokko. In Paris wird am Sonnabend die letzte offene Frage, das Recht des Sultans von Marokko, selb ständig Verträge abzuschließen, erörtert werden. Sonst scheint ein Einvernehmen hergestellt zu sein. Paris, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Der Ministerrat wird am Sonnabend früh die letzten Vorschläge der deutschen Re. gierung prüfen. Präsident Falli res hatte gestern nachmittag mit dem Ministerpräsidenten und dem Minister des Aeußern über den Stand der fran zösisch-deutschen Verhandlungen eine Unterredung. Paris, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Der vollständige Bericht der Unterredung Cam- bons und v. Kiderlen-Wächters vom Mitt woch abend wird, wie der „Eclair" zu berichten weiß, heute früh in Paris eintreffcn. Morgen wird er dem Ministerrat oorgelegt werden, von dem er Punkt für Punkt besprochen werden soll. Man glaubt, daß der Bericht so gehalten sein wird, daß man an eine baldige Beilegungder Verhandlungen denken kann. Der „Eclair" gibt folgenden Kommentar zu dieser Nachricht: Die Verhandlungen folgen erfreu- licherweiss äußerst schnell aufeinander. Wie wir er fahren, besteht in einem Punkte noch eine große Schwierigkeit, der sich auf das Recht bezieht, mit dem SultanvonMarokkodirekr Verträge abschließen zu dürfen. Deutsch land besteht hartnäckig auf dieser Forderung, während wir unter keinen Umständen dies zugeben dürfen. Denn dann könnte von einem franzögschen Protektorat in Marokko gar keine Rede sein, wenn Deutschland oder eine andere dort interessierte Macht je nach Belieben mit dem Sultan Verträge abschließcn kann, die in die marokkanischen Angelegenheiten ein schneidend eingreifen können. ZUM Vechtel im ötterreichitchen Relchskriegsmimlterium, Wien, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Das heute erscheinende Verordnungsblatt für das Heer veröffentlich! ein Handschreiben des Kaisers an den scheidenden Kriegsminister Freiherrn v. Schönaich, worin ihm die vollste Zufriedenheit für die durch nahezu 50 Jahre geleisteten vorzüglichen Dienste aus gesprochen wird. Gleichzeitig wurde die Ernennung des Generals der Infanterie v. Auffenberg zum Kriegsminister Lurch ein Handschreiben bekannt gegeben. Wien, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Der aus dem Amte scheidende Kriegsminister erhielt gleichzeitig mit dem kaiserlichen Handschreiben ein Bild des Kaisers in prachtvollem Rahmen mit dem kaiserlichen Namenszuge, Krone. Wappen und der eigenhändigen Widmung: „In steter Gewogen heit." Pest, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Der neuernannte Reichskriegsuktnister von Auffen berg hat einigen ungarischen Journalisten gegen über bemerkenswerte Aeußerungen über die Stel lung Ungarns zur österreichisch-un garischen Wehrmacht getan. Er erklärte unter anderem, es sei rief bedauerlich, daß seit einem Jahrzehnt die österreichisch-ungarische Wehrmacht sich nicht weiter entwickele. Zum grüßten Teil schuld daran sei die politische Haltung Ungarns, die der gedeihlichen Entwicklung der Wehr macht nicht förderlich gewesen sei. Man solle jedoch bedenken, daß eine Dekadenz der Arme« eine Dekadenz Ungarns bedeute, und umgekehrt sei ein Aufblühen Ungarns für Las Aufblühen der Arme« nur zu wünschen. Das vielzitierte Wort seines Vor gängers über das „Verdorren" der Armee sei nur zu richtig. Er hoffe, daß Ungarn in ZNkunft freudig an dem Aufbau der Armee mitwirke. Es müße alles aufgeboten werden, daß die Armee zur vollen Wehrkraft gelange. Nach Stolypins Taü. Am heutigen Freitag wird die Leiche Stolypins in Kiew beigesetzt. Der Prozeß gegen Bagrow be ginnt gleichfalls heute, zunächst vorm Kriegsgericht in Kiew. Es wird sich ja dabei Herausstellen, ob die Geheimpolizei wirklich mit dem Attentäter im Bunde war. In Kiew befürchtet man infolge des Attentats Judenverfolgungen. Drahtlich wird ge meldet: Kiew, 22. September (Eig. Drahtmeld.) Heute findet diekriegsgcrichtlicheVerhandlung gegen Bagrow statt. Petersburg, 22. September. (Eia. Drahtmeld.) Die Moskauer .,Rußkoje Slowo" veröffentlicht eine offizielle Note, in der es heißt: „Es wird sich bald Herausstellen, ob der Mord an Stolypin tatsächlich durch Verschulden der Geheimpolizei ausgeführt werden konnte. Es ist jedoch nicht unsere Sache, zur Selbsthilfe zu schreiten, sondern ruhig abzuwarten, bis es der Polizei gelungen ist, die wirklichen Täter zu er mitteln. Inzwischen ist es vernünftig, ruhig zu bleiben, damit die Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Ministerpräsidenten nicht gestört werden. Lemberg, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Aus Lodz wird gemeldet: Hiesige Kaufleute erhielten von ihren Kunden in Kiew Nachrichten, in denen ihnen mitgeteilt wurde, daß die Absendung von Waren nach Kiew zu unterlaßen sei, da man in Kiew Unruhen befürchtet. Oer GenersMreik üer Eisenbahner in Urlaub scheint unvermeidlich zu sein. Die Derständigungs- vcrhandlungen worden vorläufig noch fortgesetzt. Dublin, 22. September. (Eig. Drahtmeld.) Der Txekutioauslchuß der Eisenbahner beschloß, auf den irischen Bahnen den General streik zu er klären. Dublin 22. September (Eig. Drahtmeld.) Die Versuche, den Ausstand der Eisenbahner bei zu- legen, wurden den ganzen gestrigen Tag fortgesetzt. Die Zabl der Züge auf der Linie der Great-Southern- Bahn nimmt zu. Die Leiter der Bahn klagen über Einschüchterunqsvcrsuche und unzureichenden Schutz. Suk üer Golümsge. 831 Roman von Marie Stahl. (Nachdruck verbalen., Im Laufe des Nachmittags kam die Stunde, auf die er gewartet. Sie verabredeten einen Waldspaziergang, und er ging voraus nach der Ruine, während sie noch häus- liche Geschäfte zu erledigen hatte. Als sie ihm nach- kam, über Schutt und Geröll in das Innere der zer fallenen Abtei kletternd, fand sie ihn auf einem Mauerrest sitzend. Um ihn her nichts als Gerank und Gestrüpp, Eoldnesseln und Nachtschatten, und über den ragenden Trümmern Baumwipfel und segelnde Wolken im Himmelsblau. Er lehnte lässig an drn Steinen, sein Strohhut lag neben ihm im Grase, und seine Augen waren voll der großen heißen Sehnsucht, mit der er ihrer harrte. Nie hatte sie ihn so schön gesehen, wie in diesem Augenblick, als er ihr das von verhaltener Leiden schaft durchglllhte Gesicht zuwandte. Ein Erschrecken spiegelte sich deutlich in ihren Zügen, und ihr Fuß zögerte auf dem Mauervor sprung, auf dem sie stand. Er kam ihr entgegen, und ohne ein Wort umfaßte er sie, hob sie herunter und hielt sie mit sanfter Gewalt fest in seinen Armen. „Ich habe immer nur dich geliebt" — wie süß das klang! Waren es die wilden Bienen oder die Harfen klänge seliger Geister, was wie Sphärenmusik durch das Lindenlaub schwirrte? Ein" kurze Minute gab sie nach und lag in traum hafter Selbstvergessenheit an seiner Brust. Und diese Minute wog Jahre des Leidens auf. Jahre der Seelenpein wurden ansgelöscht in diesem ersten heißen Liebeskuß. Tief atmend machte sie sich frei. „Es liegen Berge zwischen uns, über die wir vielleicht nie Hinweg kommen", sagte sie mit einem Lächeln voll Seligkeit und Schmerz. „Aber darum sollst du doch wissen: Ich liebe dich? Und lasten wir heute alles, was uns trennt. Ich kann an diesem goldenen Tage nicht sprechen, ich kann nur glücklich sein. Morgen schreibe ich dir, was ich zu sagen habe," „Nichts kann uns trennen. Es gibt keinen Berg, den ich nicht versetze." Er stammelte trunkene Liebes worte und zog sie von neuem an sein Herz. Um sie her Waldweben und Märchenzauber. Eine Elster lachte von der Mauerzinne, eine Turmuhr schlug mit seltsam schwingendem Klang die Stunde an — vielleicht war es die Uhr des Dorfkirchleins, es mochte aber auch die alte, zersprungene Klosterglocke sein, die, halb in die Erde gesunken, dort in dem Mauerwinkel unter Gras und Unkraut lag, und die noch einmal ihre Stimme erhob, um zu verkünden, das Paradies sei für eine selige Erdenstunde wieder gefunden. , Nach drei Tagen wollte er wiederkommen, und nach drei Tagen stand er an dem Sterbebett seiner Mutter. Kuno kam, und in den Armen ihrer Söhne hauchte sie ihr Leben aus, ihre Hand in der Rechten des ältesten, der ihre Stütze gewesen, aber ihr Haupt ruhte an dem Herzen des jüngsten, ihres Lieblings. Es war ein so schönes, heiliges Sterben, daß die Klag« verstummte, doch mit den Söhnen trauerte das ganze Dorf. Es war, als wäre allen die Mutter ge storben. Der alte Haideklanq und Jemelchen weinten jämmerlich an ihrem Sarge und konnten sich gar nicht trösten, und die Familie bis ins letzte Glied trug Leid um sie. Jetzt erst wußte man ihren vollen Wert zu schätzen. Wie gern hätte man ihre kleinen Schwächen weiter ertragen, wie unbedeutend schienen sie gegen das Gute, das man mit ihr verloren! Frau Pastor Grunert sowohl als Frau Alla wür den jetzt alles darum gegeben haben, wieder ihr Lieb- linqswort „wir Flambergs" zu hören, an dem sie sich immer heimlich geärgert, hätten sie nur damit die stets rat- und tatbereite Freundin wiederge wonnen! Pastor Grunert versagte tiefbewegt die Stimme an ihrem Sarge, als er ihr eine Abschiedsrede voll Dank und Liebe halten wollte — wahrlich, sie hatte die Krone des Lebens verdient —, eine so treue, sor gende Mutter seiner Gemeinde —, und wehmutsvoll stiegen die Düfte all der köstlichen, heileren Gast- mähler unter dem alten Kristallüster in seiner Er innerung auf. denen sie gastfrei und stets mit de- sonderen Rücksichten für seine Liebhabereien präsi diert. Und wenn er eine Stimme hatte und etwas galt bei dem großen Richter dort oben, dann mußte diese Frau mit besonderen Ehren empfangen werden. Vorläufig gab er ihr alles, was man Gutes sagen kann, mit in die kühle Gruft der Flambergs, es waren nur erstickte, gestammelte Worte, aber sie drückten mehr aus, als die schönste, kunstvollste Rede. An lhrem Sarge sahen sich Kuno und Hulde zum ersten Male nach ihrer ereignisreichen Trennung, und der große, erschütternde Schmerz wurde zur Brücke, die sie wieder zueinander führte. Kuno war wie ein Kind in seinem fassungslosen Kummer, und da er wachte das Beste in Hulde, was einen Teil jeder echten, guten Weibesliebe zum Mann ausmacht, das mütterliche Gefühl. Sie sah ihre Aufgabe klar vor Augen, sie mußte diesem großen Kind die Muster er setzen, damit konnte sie ihre Schuld gegen ihn sühnen. Und jetzt durfte sie sein armes, zerbrochenes Herz nicht mit dieser Schuld belasten. Er klammerte sich an sie, und es galt nur zu helfen und zu trösten. Kuno hatte auch später nie erfahren, was einst sein Liebesglück bedrohte. „Es ist Barmherzigkeit, wenn du das Bewußtsein dieser Schuld allein trägst!" sagte ihr Kläre, ihre einzige Vertraute. „Er würde nie objektiv genug sein, um einzusehen, daß er dieser Verirrung mit ihren schweren Folgen das Beste für sein Leben ver dankt, das ist eine gereift« Gefährtin. Und da deine Untreue gegen ihn nur Gedanken- und Gefühlssünde blieb, die nie zur Erfüllung kam, noch dazu eine Untreue unter fremdem Willenszwang, so bist du, meiner Meinung nach, nicht zu einer Beichte mora- lisch verpflichtet. Laß es zwischen uns beiden be graben sein. Warum willst du den armen Kuno noch mit dem Schatten eines Toten auälen. den er. Gort sei Dank, lebend nie gekannt? Ich will dir gestehen, daß ich vorher um eure Ehe besorgt war, aber jetzt bin ich es nicht mehr. Kuno war nicht d:r Mann, all dem gärenden lleberschwang in dir, Lei Neigung zum Phantastischen, der Unreife den rechten Zügel anzulegen und das Gleichgewicht zu halten. Glaube mir, fast in allen guten Ehen muß die Frau die mora lische und ethische Stütze Les Mannes sein — in sehr seltenen Fällen eignet sich der Mann als Stütze für die Frau. Kuno braucht dich notwendig als Halt, und du wirst ihm jetzt alles dazu bieten können. Wäre diese Abirrungsperiode in eure Ehe gefallen - und ich bin sicher, daß sie einmal bei dir kommen mußte deiner Veranlagung nach —, so wäret ihr allo beide zusammengebrochen." Kläre hatte vorher mit Gebhard Fabius über diese Sache gesprochen, und er war ganz ihrer Ansicht. „Wenn Kuno ihr jetzt etwas zu verzeihen hat. so wird sich für Hulde genug Gelegenheit in der Ehe bieten, es abzubüßen", äußerte er dazu. „Ter gute Junge wird seine Frau genau so auf d:m Häirden tragen, wie er seine Mutter auf Händen getragen hat, ihrer eigenen Behauptung nach. Es bestand aber darin, daß sie sich stückweise für ihn opfern durfte." Ehe Kuno wieder in seine Garnison zurückkehrte, nahm Onkel Gebhard die Sache des jungen Paares in di" Hand. Er ließ den 'Neffen zu sich kommen und sagte ihm: „Du weißt, ich bin gegen eure Ver lobung gewesen, weil ich euch beide nicht für geeignet hielt, den Kampf mit dem Leben ohne eine gesicherte und ausgiebige materielle Grundlage aufzunehmen. Jetzt habe ich Hulde kennen gelernt, und ich weiß, sie wird eine tüchtige Frau, der man schon etwas zu trauen kann, nur braucht sie noch eine gewisse Zeit häuslicher Schulung, die ihr am besten in meinem Hause weiter zuteil wird. Sie hat mir das Leihen gerettet, und sie ist jetzt mein Kind, ich werde für sie wie für eine Tochter sorgen. Wenn du also einen Wunsch hast, so wende dich an mich." „Dann möchte ich dich bitten, lieber Onkel", sagte Knno prompt, „daß unsere Verlobung jetzt veröf'ent- licht wird, ehe ich abreise, damit sie mir nicht wieder Geschichten macht und frei sein will. Und wenn da» Trauerjahr vorbei ist, laßt uns heiraten." „Gut, wenn Hulde damit einverstanden ist, soll es geschehen", erwiderte Onkel Gebhard. „Wir wollen sie gleich mal fragen." Hulde kam und war einverstanden. Als sie den langen, bittenden Liebcsblick in Kunos Augen sah, legte sie ohne Besinnen ihre Hand in die seine. Unv sie fühlte, es stand kein Schatten mehr zwischen ihnen. Sie hielt das Wohl und Weh« des Mannes in ihrer Hand, und ihr ganzes Empfinden war ein heiße» Flehen, sich dieser Verantwortung gewachsen zu zeigen. (Schluß folgt in der Morgen-Ausgabe.)
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