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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192509190
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19250919
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19250919
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-09
- Tag 1925-09-19
-
Monat
1925-09
-
Jahr
1925
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1925
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reichen Entwurf des neuen Parteiprogramms. Hierin heißt es u a., daß das Ziel der Arbeiterklasse nur erreicht wer den könne durch die Verwandlung dss kapitalistischen Pri vateigentums an den Produktionsmitteln in gesellschaft liches Eigentum. Die sozialdemokratische Parte» kämpfe nicht für neue Klassenprivilegren, sondern für Abschaf fung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst. Im Aktwusprogramm werden u .a. gefordert: Umwandlung oeS Reiches in eine Emheitsrebublik, Ausdehnung der un mittelbaren Rcicl-sverwaltung auf die Justiz, Abwehr aller monarchistischen nud militaristischen Bestrebungen, Umge staltung der Reichswehr zu einem zuverlässigen Organ der Republik, Demokratisierung der Verwaltung, Wieder herstellung der Schwurgerichte und Ausdehnung ihrer Zuständigkeit , gesetzliche Festlegung des achtstündigen Höchstarbeitstages. In der Aussprache lehnte Abg. Dr. Levi den Ent wurf ab, weil er in ihm ein Bekenntnis zur Evolu tion und damit eine Undankbarkeit gegen die Revolutionäre von 1918 erblickte. In der Abstimmung wurde das Programm un verändert angenommen. Damit waren die Arbei ten des Parteitages beendet. Nach einem Schlußwort des Vorsitzenden Wels wurde ein dreifaches Hoch auf die sozialistische Internationale und die deutsche Sozialdemokratie ausgcbracht und nach dem gemeinsamen Gesang der ersten Strophe des So- zialistciimarsches der Parteitag geschlossen. Politische Tagesiibersicht. Die Kommunisten fordern Einberufung des Reichstags. Die Retchstagsfraktion der kommunistischen Partei hat an das Reichstagspräsidium ein Schreiben gerichtet, in dem sie angesichts der bevorstehenden wichtigen außenpolitischen Entscheidungen die sofortige Einberufung des Reichstages verlangt. Eine sübtiroler Abordnung i« Genf. Eine Korrespon denz meldet, daß sich zurzeit eine Abordnung der im Aus land lebenden Südtiroler in Genf befindet, um bei den Vertretern des Völkerbundes wegen der fremdnationalen Bedrückung Beschwerde zu führen. Turncrschaftsgrutz a« den Reichspräsidenten. Der KreiS Rheinland der Deutschen Turncrschaft hat an den Reichs präsidenten von Hindenburg ein Telegramm gerichtet, in dem dem Reichspräsidenten ehrerbietigst der Gruß der rhei nischen Turncrschaft entboten wird, mit dem Gelöbnis un wandelbaren Strebens im unsterblichen Geiste Jahnö zur Förderung -eö deutschen BvlkStnms und der körperlichen und sittlichen Kraft des deutschen Volkes. Der britische ScemannSstrcik. Weitere hundert strei kende Seeleute sind zu einer cinwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Wie gemeldet wird, sollen demnächst einige hundert freie Arbeiter zur Bemannung der still liegenden englische» Schiffe eintreffen. Die HrcrcsanSgabc» der Tschechoslowakei. Für den soeben vorgclcgtcn tschechoslowakischen Staatshaushaltsvor anschlag für das Jahr 1926 ist cS charakteristisch, daß der Militäretat gegenüber dem Vorjahre eine Erhöhung von 129 Millionen Kronen, also 6,6 Prozent, erfahren hat. Lohnforderungen der luxemburgischen Eisenbahner. Tic luxemburgischen Eisenbahner fordern eine Erhöhung der Löhne mit rückwirkender Kraft vom 1. Februar, lieber die Höhe der Lohnaufbesserungen, die sich nach Möglichkeit dem Lebenshaltungsindex anpasien sollen, wird ein Schlich- tnngSausschuß entscheide». Schiedsspruch für die Taselglasinduftrie. Im Lohnstreit bei der deutschen Tafelglasindustrie wurde durch eine Schlich- tungskammcr im Neichsarbeitsministerium ein Schicds? spruch gefällt, der eine neue Regelung der Löhne vorsieht. Beide Parteien Hatzen den Schiedsspruch angenommen. Die auf einer größeren Reihe von Tafelglashüttcn streikenden Belegschaften nehmen die Arbeit am 19. d. M. wieder auf. Verhaftung von Deutschen in Palästina. Times meldet au§ Jerusalem: Hiesige Blätter berichten, die britischen Be hörden in Scmakh an der Grenze zwischen Palästina und Syrien, hätten siebe« Deutsch« verhaftet, die, wie man glaube, da» Gebiet der aufständischen Drusen zu erreichen suchten. Wie die polnische Regier««» deutsche Güter bewertet. Bei der Liquidation deutscher Güter in Polen wird von den polnischen Behörden ein BewertungSversahren ange- wandt, gegen das die stärksten Einwendungen zu erheben sind. Nach den amtlichen Mitteilungen im osfiziellen Organ der polnischen Regierung sind, wie die Zeitschrift .Ostland"" , miiteilt, beispielsweise folgende Bewertungen vorgenommen ' worden: Im Kreise Wongrowttz ist eine Rentenstedlung mit einem Grundstück von rund 45 Morgen, rin spaunfähigeS Bauerngut, liquidiert worden. Die Höhe der Entschädigung sür dieses Grundstück einschließlich der Gebäude, des leben den und toten Inventars ist von polnischer Seite auf 10 622 Zloty, also auf rund 8000 Mark festgesetzt worben. Abge zogen von dieser Summe werben aber für den Grundstücks wert 4110 Zloty, für aufgewertete Hypotheken 322, für An- sprüche des LanbamtS, für Kretjahre, für rückständige aus gewertete Renten 2469, für die Kosten des LiqutdationSver- sahrenS 806, im ganzen 7742 Zloty, so baß für dieses Bauern gut als Rest eine Entschädigung von 8389 Zloty, nicht ganz 3060 Mark verbleibt. — Für eine Rentensiedlung in Ludowo von rund 109 Morgen ist eine Entschädigung von 18219 Zloty festgesetzt worben, während die Gesamtabzüge 16569 betra- gen, so daß im ganzen als Entschädigung 1643 Zloty für die 199 Morgen gezahlt werden. — Ganz grotesk wirkt ein Be schluß des Posener LiqnidattvuSkomitccS vom 3. Juli. Da nach betragt die Entschädigung sür eine Rentenstedlung in Zabikowo im Kreise Posen-West 6699 Zloty, die Abzüge be- tragen 6699 Zloty, so baß die Entschädigung 9,9 auSmacht. Selbstverständlich wird gegen diese Entscheidungen beim deutsch-polnischen gemischten Schiedsgericht Einspruch er hoben werden. Die Angriffe gegen das Jnffizministerinm vor dem BarmatauSschutz. vdz. Berlin. Den Hauptteil der Freitagsitzung nahmen die Erörterung der in letzter Zeit in der Oeffcntlichkeit gegen das Preußische Justizministerium im Zusammenhang mit der B a r in a t - K u t i s k e r - A n g c l e g c n h e i t gerich teten schweren Angriffe, auf die zuerst Abg. Dr. Schwerins (Zentr.) zu sprechen kam: er erinnnerte dabei an die Namen Kußmann und CaSvari, beides Beamte der Staatsanwaltschaft, denen in der Oeffcntlichkeit nicht ein- waiidfreics Vorgehen zu Ungunstcn Barmats vorgeworfen worden war. — Staatssekretär Fritze gab eine Darstellung der Angelegenheit. Die zuständigen Stellen der Krimi nalpolizei hätten eine Durchsuchung in einem Nachrichten büro und bei einigen Bankstcllen dieses Büros für not wendig gehalten, die auch auf Kußmann und Caspari aus gedehnt würden. Das staatsanwaltliche Ermittelungsver- fahren stehe vor dem Abschluß. Hervorzuheben sei, daß, wenn das Ergebnis als lächerlich bezeichnet worden sei, jetzt wohl die Nächstbcteiligtcn selbst anderer Ansicht sein würden. Der Zeuge rechtfertigte die Haltung des Justiz ministeriums. Wegen der von Caspar» erhobenen Be schuldigung, in der von einer Einwirkung unter dem Druck der Straße gesprochen wurde, sei das Verfahren anhängig. Die Vorwürfe gegen die Justizverwaltung als solche auch in den Fällen Kutisker und Höfle seien als unbegründet zurückzuweisen. Die Maßnahmen des Justiz ministeriums seien die richtigen gewesen. Abg. Dr. Deer- berg (Dnat.) wollte die Grüiidc wissen, die dafür maß gebend waren, daß Kußmann und Caspari seinerzeit die Untersuchung entzogen wurde. — Staatssekretär Fritze erklärte hierzu, daß er parteipolitischen Einflüssen nie mals zugänglich war. Für das Vorgehen gegen Cas pari sei sein Verhalten gegenüber Rechtsanwalt Wert hauer maßgebend gewesen. Auch andere Bedenken wegen der Eignung sür seine Tätigkeit bei der Staatsanwalt ¬ schaft wurden laut. ES M CaSpart aber bisher nichts nachzuwcisen gewesen. — Gegen Schluß der Sitzung ent spann sich eine lebhafte GeschästSordnungSdebatte über di, Frage der weiteren Beweiserhebung. Auf Antrag de« Abg. Dr. Deerberg (Dnat.) wurde beschlossen, Kuhmann und Caspari zu laden, um ihnen Gelegenheit zur Neuste- rung zu geben. Die nächste Sitzung des Ausschusses si». det am Sonnabend statt, und bringt u. a. dtq Verneh mung Holzmann'S. Feuersbrunst im japanischen ParlameutSgebiiube. X Tokio. In dem hiesigen Parlament-gebäude ist ein Brand ausgebrocheu. Man nimmt an, daß die Feuersbrunst im VarlamentSgebitude durch die llnvor- sichtiakeit einiger Arbeiter verursacht worden ist, dl« mit Dachstnblreparaturrn beschäftigt war«». Nach ungefähr «iner Stunde gelang «S, de« Fener« Herr zu werden. Die wertvollen Archive find größtenteils unversehrt geblieben, während die Bibliothek vollständig vernichtet ist. Der Schaden, den die Feueröbrnnst augerichtrt bat, wird auf eine Million Ben geschätzt. Da» Kabinett tritt heute zu sammen, um den Bau eine« provisorischen Parlamentsge bäudes zu erwägen. Handel nnd Volkswirtschaft. An ber Berliner Börse war am Freitag das Effekten geschäft wieder einmal überaus gering, und die Kurse bröckelten, abgesehen von einigen Spczialpapieren, überall ab. Inländische Rente» lagen sehr ruhig. Die sünfprozen- ttge Kriegsanleihe schloß mit 9,239 Prozent. Bet den Bank aktien gewannen Retchöbankanteile 9,75 Prozent, während sonst überall KurSmiuderungcn zn verzeichnen waren. Eisenbahn- und Schisfahrtsakticn waren gedrückt. Aw Montanaktienmarkt gaben Köln-Neuessen um 2>L Prozent, SttnneS bis zu 2ZL Prozent, Hoesch 2 Prozent und Bochu mer, Deutsch-Luxemburger, Harpener und Phönix ungefähr 9,59 Prozent nach. Kaliwertc, Färb- und chemische Werte waren durchgängig gedrückt, ebenso die Aktien ber Maschi nenfabriken. Der Satz für tägliches Geld stellte sich auf 8 bis 9 Prozent. Der Privatdiskont blieb unverändert. Am Devisenmarkt setzte die polnische Währung ihre Ab wärtsbewegung fort. — An der Produktenbörse hielt sich das Geschäft in den allcrengsten Grenzen. Die Tendenz war schwach. Nunmehr haben sich alle maßgebenden Firmen dazu bereit erklärt, der Liquidationskasse für den Efscktcn- terminhandel an der Berliner Börse beizuireten. Es ist damit eine feste Grundlage für einen lebensfähigen Tcr- mtnhandel in Wertpapieren geschaffen. Es handelt sich im ganzen um 249 Firmen mit einem Einschußkapital von ins gesamt rund 19 Millionen Marko Die Amerikanisierung der Industrie verfolgen die deutschen Gewerkschaften mit großer Aufmerksamkeit. Zur zeit weilt der Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung des Deutschen Werkmeister-Verbandes, Sitz Düsseldorf, Kurt Heinig (.Berlin) in Nordamerika, um in Gemeinschaft mit den Vertretern des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes die wirtschaftlichen Verhältnisse in Amerika zu studieren. Er wird sich dabet besonders mit den sozialen und wirt schaftlichen Verhältnissen der Werkmeister befassen und die dort gemachten Beobachtungen der von ihm vertretenen Organisation nutzbar machen. AerzMcher Sonntagsdienst am 2V. Sept. 1S25. Aerzte: Jeder Arzt für wirklich dringende Fälle jederzeit erreichbar. Dentisten: Herr Nitzsche, Stadtteil Riesa, Wettiner straße 21, (8—11 Uhr vormittags). Apotheke«: Stadtapotheke, Stadtteil Riesa, Hauptstraße 68, die auch vom 19. S. — abends 7 Uhr — bis zum 26. 9. 1925 — vorm. 8 Uhr — nachtL Dienftbereitschast Hat. Beim Nachfüllen von lüssüi-rv achte inan darauf, daß die Würze aus Maggi'S großer Originalflasche gefüllt wird; denn in diesen Flaschen darf gesetzlich nichts anderes als Maggi'S Würze feilgehalten werden. — >, Größe Nr. 0 1 2 3 Wachlusspreise: RM^l22 —.43 —.65 1.25 Die letzte Nucht. Won Helene Klepetar. Die Mutter starb. Im Krankenhaus mußten es alle. Nur sic, die die Schwesterntracht der Anstalt trug und außer der Siechen »och eineii ganze» Trakt zu pflegen hatte, wehrte sich gegen die aufsteigendc Erkenntnis. Mutter konnte ja nicht sterben! Ter Direktor und die Oberin bereiteten sie gütig darauf vor. Sic vernahm es schweigend, die Disziplin verbot, jedes Zeichen von Schwäche zu zeigen. Allein in ihrem Innern stieg etwas auf wie Trotz: Was wißt denn Ihr? Mutter stirbt mir nicht! Als einige Stunden später indes der große Arzt kam und fein Blick über die bewußtlose Kranke hinweg sie streifte, war ihr, als schwankte der Boden. Stimmlos fragte sie: „Wann?" „Wohl noch diese Nacht. Und geben Sie keinen Kampfer mehr: nur noch Morphium." Jetzt mar cS Abend. Man hatte sie vom Dienst ent hoben und auch der anderen Tochter erlaubt, die Nacht in ber Anstalt zuznbringen. Die saß nun still zu Haupte» des Bet te« nnd hielt den Puls der Kranken. Dann und wann be- fenchtetc sie die weißen Lippen mit ein wenig Wein. Die Jüngere neidete der älteren Schwester nicht den Platz — er war ihr gutes Recht. Es machte sie nur ruhelos, von dort verdrängt zu sein, wohin sie seit Monaten gehörte. Immer, wenn der Dienst ihr Zeit ließ, sie nicht durch Gänge eilte oder sich über die Betten Fremder neigte, wußte sie, daß eS eine Stätte aus Erden gab, wo zwei Augen aufstrahlten, wenn sic kam. Diese Augen waren jetzt geschlossen. Der Atem ging rasch, ach, gar so rasch! Sie kannte jedes An zeichen, hatte es oft bei anderen gesehen. Unruhig, im Banne alter Gewöhnung, trat sie auf den Korridor und sah, ob die vorgcschriebene Anzahl Lichter ab gedreht war, obgleich sie das heute abend gar nichts anging. Die Türe zur Gcrätckammer stand angelehnt. Mechanisch schloß sie und fuhr zurück. In seinen langen Handhaben stand dort der Sarg, worin jeder in der Anstalt Verstorbene bis ans weiteres gebettet wurde. Oft hatte sic den Auftrag erteilt, daß er zur rechten Zeit zur Stelle war. Wie kam er jetzt hierher — der Fall von Nr. 17 war doch nicht so schlecht? Ach, — Mutter, er ist für Dich! Sie kehrte zurück ins Zimmer. Daö blonde Haar ber Schwester schimmerte neben dem weißen der Kranken. Alles still, die Luft engte. Die Mebizinflafchen nnd Berband- bsichsen glitzerten so feindlich — sic hatten nicht geholfen. Sie kanerte ank einem Schemel und wartete. Nichts mehr tun zu können, war so fürchterlich. Und dennoch kannte sie alle Vorgänge, wenn daS Letzte eingetre ten war, dieses Ausreißer! von Schränken und Schüben, diese Geschäftigkeit zu traurigem Dienst. Nein, Mutter, so soll es bei Dir nicht zugehen. Du hieltest im Leben immer alles so vorbereitet, standest immer so gerüstet da, die Ordnung, der Dein ganzer Sinn sich fügte, und die Du mir eingeprägt hast, sie geleite auch Deinen AuSgang. Und Mutter, daS verspreche ich Dir — keine Hand wird Dich berühren, nur wir allein. Bei dem Sarg wird Johann mir helfen. Er trug Dich so oft, und bann sagtest Du stets: „Sie Guter!" Alles andere mache ich. Leise trat sie au den Schrank. Während des langen AufenthaltesZn der Anstalt hatte sich manches angesammelt, wonach die Schwerkranke verlangt hatte. Mochte es jetzt dem letzten Zweck dienen. Seidig bauschte sich weißes Linnen, nur in den Falten war es ein wenig zerknittert. Mit einem kleinen elektrischen Bügeleisen fuhr sie glättend darüber. Dein Leichentuch, Mutter, darf nicht das kleinste Fältchen haben! Spitzen quellen aus einem Wäschestoß. War daS nicht Dein Ärauttaschentuch? Die Schere schnitt, die Nadel flog. Die Haube, das sromm« Symbol der Frau, entstand unter raschen Händen, mit Stichen so fein, wie sie für die Ewigkeit ziemen. Spitzen überrieselten bas Hemd, das den armen Körper umschmiegen soll und seine Wunden, an denen er starb. Nun die Strümpfe. Wir nehmen die wei ßen, Mutter, die Du in den langen Krankheitstagen selbst gestrickt hast. Du weintest, als Deine erblindenden Augen die Nabeln nicht mehr unterscheiden konnten, und manche Masche ist heruntergefallen. Ich fädle sie auf, ganz sorg sam, ich gleiche damit alles auS, waS Du im Leben je ver säumtest. Dort liegen die Briefe, Du trenntest Dich nie von ihnen: „Sie müssen mit in meinen Sarg." Ach, Mutter, er, der sie schrieb an Dich und mich, als er das Leben von sich warf, er soll nicht fehlen, in dem Gehege, mit dem ich Dich umkosen möchte. Ich nähe sie in bas schöne Kissen und lege Dein Haupt darauf, bann ahnt sie niemand. Ihr Blick ging zu dem Bett. Alles wie früher. Die Schwester saß unbeweglich, ber Atem der Kranken durch schnitt die Lnst. An dem dünnen Finger glänzte in blassem Schein der Trauring. Der bleibt, Mutter. Wenn cS einen Himmel gibt, wird dieser Ring zu Deiner Krone, und wenn Deine Hand in Staub zerfällt, strahlt noch sein Gold in Ewigkeit. Mutter, Du bist so still — hörst Dn mich nicht? Ich möchte Dir so gern ein einziges Wort sagen, ein ganz kleine»: Dank! Aber ich wage nicht, es wüchse »um Schrei, der das nächtliche Hans weckte, wo niemand wissen darf, waS in dem anderen Zimmer vorgeht. Da warst das Licht, die Wärme, die Güt« in Deiner schlichten Vornehmheit. Du warst die Hilfe für andere, und ich gehe meinen Weg in Blindheit, denn ich reiche nie an Dich heran. Nur einmal noch den Kopf an Deine Wange legen — aber ich habe nicht den Mut, Du bist schon so fern. Mutter, alles ist gefaltet und bereit — ich bin fertig. DaS Wort macht frösteln. Ich war doch nie fertig, immer gab es »och etwas für Dich. Du verlangtest nichts, kaum, baß Deine Augen baten. AVer ich wußte es doch, wir waren ja so eins in dieser Zett des Leids. Wie ruhig die Schwester sitzt — spräche sie doch ein Wort. Das Licht brennt fahl — draußen wirb eS Tag. Herr im Himmel, e» wirb Tag, und sie lebt nochl Hätten die Aerzte sich geirrt? Mutter, bleib am Leben ... so krank, so arm, ich trage Dich, so wie ich Deinen Sarg getragen hätte, und wie ich Dich durch diese LetdenSjahre trug! War ich denn von Sinnen, baß ich an Deinen Sterbckleibern nähte, und Du atmest noch? Hat die älter« Schwester nicht tausendfach daS bessere Teil erwählt, mit ihrem Blick auf Deinem Ant litz? Regst Du Dich? Fühlst Du bas Tageslicht — fühlst Du mich? Den Kampfer her und wäre er zehnmal verboten! Ihre Hände griffen nach der Spritze. Die Schwester schreckte empor: „Was tust Du?" „Es ist Tag und sie lebt. Die Aerzte können irren, ich versuche." Die Nabel senkte sich in die Haut. Zwei Köpfe neigten sich zu einem Herzen. Ihre Finger faßten den linken Puls, den rechten hielt die Schwester. War eS das Klopfen ihres eigenen Blutes oder das der andern? Eine unsichtbare Macht zwang sie neben dem Bette in die Knie. Sie sah . .. sie sah . . . Durch den gestreckten Körper lief ein Zittern. Die Lippen öffneten sich zu einem Spalt. Die Liber hoben sich ein klein wenig, und darunter fchimmut« eS blicklos. Der Atem wehte nicht mehr. ? Vor dem Bette knieenb, sah sie, wie die Schwester die Hand der Mutter, die sie die ganze Zeit gehalten hatte, leise auf die Decke legte, dann mitten im Zimmer stand, hoch, schmal und auf die Klingel drückte. Der Schall zerriß die Morgensttlle des Hauses, prallte gegen die hohen Fensterscheiben, lies über Treppen, gellte in den Garten hinaus. Man schien darauf geharrt »« haben. Sie kamen alle: voran Johann, ber alte Diener, die SttrVcn- mäbchen, zwei Pflegerinnen, die Oberin, ein Ar»t. Die Tür öffnete sich rasch und doch mit der Lautlosigkeit, die l» der sicheren Erwartung lag. Aller Augen flogen nach dem Bett, und eine Sekunde standen die vielen Menschen revunsS- los in dem stillaeworbeneu Zimmer.
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