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7S — Wacht md durstig geworden. Er wußte selbst kaum, wie «S kam, aber seit er wieder die Heimatluft atmete, und feit der große Sturm des Elends über ihm dahin gebraust war, fielen die Schuppen von seinen Augen, und er er kannte, daß niemand elender ist als ein Mensch ohne Gott. Freilich fühlte er das alle- mehr, als er es dachte; aber sein alte- Gesangbuch übersetzte ihm sein Empfinden und lehrte ihn beten. Eines Tages sand er auch das Lied, auf das er sich immer nicht hatte besinnen können, «r zeigte eS triumphierend der Schwester, aber sie schüttelte Wieder den Kopf und lächelte: „Und Sie haben es doch geträumt." „Sonderbar," sagte er, „Sie kamen mir in dem Lraum immer vor wie, wie — lütt Fielen," sagte er »bgerad. Da lachte die Schwester, machte ein pfiffiges Gesicht »ad ging hinaus. Kürze Zeit darauf wurde Anning getauft, Franz hatte «I der Schwester gestanden, daß dies versäumt sei. Tas gnädige Fräulein, Mamsell und Fieken standen Gevatter. Und nun war er schon längst wieder ganz zu Hause im Dors. Anfangs langten die Kräfte nur für die leichte Arbeit im herrschaftlichen Garten, dann in seinem alten Deich«, dem Stalle. Seit gestern hatte der Herr ihm angeboten, die Stelle des alten Kutschers vom ersten Oktober an einzunehmen, der alte Mann wollte sich zur Nahe setzen, er hatte eine verheiratete Töchter im Torf, bei der wollte er seine Altersrente verzehren. Franz war ganz glücklich. „Anning," sagte er, das Kind auf den Arm hebend, „nu sollst Du wieder bei Batting wohnen." „Dee, nee," rief die Kleine und strampelte, ihn ab- wehrend, mit Händen und Füßen. Da setzte er das Kind schweigend zur Erde. Fbcken ging ihm absichtlich aus dem Wege, er hatte »ehr wie einmal versucht, sie allein zu sprechen, er wollte ihr danken, daß sie sein Kind so treu gepflegt hatte, aber sie verstand eS immer, ihm zu entschlüpfen, und in ber Gegenwart der andern Leute brachte er eS nicht über die Lippen. Dur wepn sie es garnicht verwinden konnte, «bete sie mit ihm, immer hastig, ohne in anzusehen. Manchmal ärgerte ihn ihre Weise, aber dann erinnerte er sich doch wieder, waM zwischen ihnen vorgefallen war und wie er sie damals beleidigt hatte, und eS ging ihm nah, baß sie nicht- mehr von ihm wissen wollte. Immer wieder beschäftigte ihn der Gedanke, und dieser wurde je länger ja mehr z» dem brennenden Wunsch sie wieder zu ver söhnen. Sine» Sonntags, al- er es garnicht mehr aus- halten konnte, lief er zur Schwester, die immer noch Wine gute Freundin war, und klagte der sein Leid. „Sagen Sie ihr doch, wie leid eS mir ist, und daß sie mir wieder gut fein soll," schloß er seine Beichte. Aber Schwester Doris schüttelte den Kvpf. „Das sagen Sie ihr nur allein," antwortete sie lakonisch, und s» blieb «ch Wie es war. Nun war eben der letzte Wagen beladen, und die Schatten der Weiden und Srlensträucher am Grabenrand »«den laug, der Tau begann die nackten Füße der Arbeiter zu netzen, und der Himmel färbte sich rötlich im Westen. Die ganze Schar zog dem Dorfe zu. Die Mädchen und Burschen sangen ein altes Volkslied. Fieken ging langsam hinterher. Ein weißes Kopftuch, das sie gegen die Sonne übergebunden hatte, war herabgesunken, chr Haar kräuselt« sich um ihre heiße Stirn, die blonden «»Peru Kalten sich gesenkt, sie s«ch schweigend auf das schlafende Kind in ihren Armen. ES hatte sich müde gejauchzt und gespielt, aber esj war nicht mehr das leichte vmkommene Würmchen!, Die kleinen gebräunten Glieder tstegeu, rund und kräftig geworden, im Schlafe gelöst herab, und da- Keine, süße Gesicht hatte die gesund« Farbe, die Lust und Sonnenschein geben. Schwerer und schwerer trug Fieken an ihrer kleinen Last. „Bitte, gib sie mir," sagte Franz schüchtern, die Arme nach der Keinen auSstreckend. Er war schweigend neben ihr geblieben, aber sie hatte es wohl garnicht bemerkt. Sie fuhr ein wenig zusammen, dann stand sie still und legte ihm das schlafende Kind ohne ein Wort in den Arm. „Fieken," sagte er bittend. Sie hob die Augen und sah ihn fragend an. „Kannst mir denn garnicht ver- zeihen?" fuhr er fort, und seine Stimme bebte. „Ich — ich — verzeihen," stammelte sie ganz ver wirrt. „Ja, alles was ich Dir getan und was ich damals ge sagt habe, wie Mutter starb, es ist mir alles so sehr leid, Fieken." Sie hatte die Augen wieder gesenkt, und die Farbe ging und kam in raschem Wechsel. „Daran habe ich schon lange nicht mehr gedacht," sagte sie leise. „Warum gehst Du mir denn so aus dem Wege und büst doch so gut für mein AnüiNg?" Sie senkte den Kopf und drehte verlegen an einem Zipfel ihrer weißen Schürze. „Ich weiß nicht," kam es endlich von ihren Lippen. Er tat einen raschen Schritt zum Wegrand, wo ein wilder Rosenstrauch seine Zweige, an denen die Blätter schon gelb und die Hagebutten rot waren, ausbreitete. Er breitete seine Arbeitsjacke darunter und legte Anning sorglich darauf, dann trat er wieder zu Fieken, die noch immer mitten im Wege stand. ,Fütt Fieken," sagte er und streckte ihr beide Hände hin, „wollen wir wieder gut Freund sein?" Da nickte sie und reichte ihm die Hände. „Willst mich noch?" fragte er wieder und legte den ArM um sie. Die antwortete nicht, aber sie drückte ihren Kops an seine Schulter. Stark dufteten die Wiesen, und im Rosenstrauch hüpfte eine Meise von Zweig zu Zweig, fernher klang das Lied der Heimkehrenden: ,-So schön wie eine Rose, die dort im Walde blüht — Bor dem schlafenden Kinde standen die beiden fest umschlungen, und Franz wußte, daß er seine Heimat nun wieder gefunden hatte. Klockenstimmen. Feierlich auf Flur und Heid«, Ruht's wie reicher GotteSsegen, Rings ist's still, kein Laut der Freude, Und kein Blättlein mag sich regen. Sabbatfeier nah und fern; Denn es ist der Tag des Herrn. Horch, da tönt es mild hernieder, Wie ein leises Mahnen, Rufen, Kingt in meinem Herzen wieder. Ruft mich zu des Altars Stufen; Und ich folg' dem Ruf so gern; Denn er führt zu Gott dem Herrn. Glockenstimmen, Glockenklänge, Klingt an alle müden Herzen! Orgelklang und Lobgesänge, Lindert Not und Erdenschmerzen! Kommet her von nah und fern. Kommt zum Heiland, uniserm Herrn! MM» n» «Wz VW ä «WNrüch, «es»; für dk «edattiov v«r»iM«rtNch Herma«, Schmidt in Riesa. Erzähler an der Eide. vettetr. Gr«1t-dei»«,e„Mefaer r«,e«att". Rr. I». di» r. »«, l»«l. «. Verarmt. Von O. Müller, Nachdruck verlöten. 1. Kapitel. <W wandert sich wohlgemut im Hellen Morgenschein, wenn die Blumen langsam und schlaftrunken die sanften Augen öffnen, das Köpfchen der Sonne zuwenden und sie freundlich anlächeln, wenn sich die schlanken Gräser noch demütig neigen unter der flimmernden Last ihres Tau- schmucke-, wenn der leichte Nebel, der über den Bergen lag, sich allmählich zerteilt, wenn alles vor dir liegt, so rein, so frisch, so wonniglich, als sei es eben aus Gotte- schaffender Hand hervorgegangen, und als wäre der jubelnde Sang der Lerche über dir der erste, den die Welt vernähme. Da schreitet der Fuß leicht und rüstig vorwärts. Tie Welt ist so schön allüberall, und man möchte sie durchstreifen von einem Ende bis zum andern. Es wandert sich erquicklich im Dämmern des Abends. Tie langen, gelblich blassen Lichtstreifen und die langen, dunklen Schatten liegen eine Weile dicht beisammen auf dem Wege,' den du beschreitest. Bald zerfließen sie inein ander. Nun ist der Himmel fern im Westen wie in Rosenglut getaucht. Kleine Vögel singen dir zur Seite leise, fast wie im Traum, dann werden auch sie still, mck> du hörst nur noch, hier und da ein leichtes Zwitschern im Laube. Vorbei des Tages Drängen und Treiben, vor bei selbst auf der Landstraße Hitze und Staub, Verdruß und Ungemach. Es ist so still um dich, kein Blättchen regt sich. Sachte steigt der Abeudstern herauf und winkt dir aus einer fernen Friedenswelt liebliche Grüße durch die dunklen, schweigenden Wipfel der Bäume, und du wandelst dahin, ruhigen Schrittes; dir'ist, als hätte Gott gerade für dich dies Stückchen Himmelsruhe auf die Erde gesenkt. Und es wandert sich fromm in der Nacht, wenn dir nur der stille Mondschein auf deinem einsamen Wege leuchtet und alles um dich her dir so groß, so fremd nnd majestätisch erscheint. Der Himmel kommt dir höher und weiter vor als am Tage, und dein Auge gleitet hin über die wunderbare Pracht der ungezählten Sterne; dein Herz weitet sich, wie der Himmel über dir, und wird still, wie der dunkle Wald neben dir. Es kommt über dich, als möchtest du weiter, immer weiter so gehen durch die schöne, ernste Welt, und als sei dein sicheres Ziel jener Friede, nach dem du dich so lange wissentlich oder unwissentlich gesehnt hast. Du mit all deinem Sorgen und Grämen, mit all deinem Hoffen und Zagen bist dir plötzlich Nein und unbedeutend inmitten all der ruhigen Hoheit rings um dich, und wenn jemals, so kommt in solcher Stunde dir daS Erinnern an den, der die Sterne und dein kleines Schicksal in der Hand hält, und dessen Gedanken höher sind, als der Himmel ist. Ja, es wandert sich gut am Morgen, am Abend und in der Nacht! Aber, lieber WandersmauN, am heißen Mittag, da wandert sich's nicht gut. Da blenden dich der Sonne sengende Strahlen, daß du das Schöne um dich her nicht sehen kannst und magst. Du siehst nur noch den Staub, der aus deinen Kleidern und auf deiner Straße liegt; du hörst nicht mehr des Baches lustiges Murmeln; du achtest nur noch auf die Mücke, die dich sticht, auf dein Bündel, daS dich drückt, auf den Stein, der am Wege liegt und an den dein müder Fuß stößt. Wirs den Wanderstab hin und dich dazu, da, wo daS Gras am tiefste» ist miß ein schat tiger Baum winkt. ES ist wortnig, so ein Geselle der Blumen zu werden. Da „träume im Schweig«! der schat tigen Ruh', den Himmel dein eigen, die Erde dazu!" Der Wanderer, der an einem heißen Junimittage vom Brocken talab die liebliche Ilse entlang ging, mochte der selben Ansicht sein. Er nahm den! breitrandigen Strohhut vom Kopf und fuhr sich im gemächliches Gehen mit dem Tuch über die Stirn, eine hohe, breite und weiße Stirn, umrahmt von dunkelblondem, etwas lockigem Haar. Sonst war er, trotz seiner klugen, fröhlichen, braunen Augen nicht das, was man einen schönen Mann nennt. Stattlich, frisch und jung sah er auS^das war alle-. Neber die Schulter hing ihm die augenscheinlich nicht allzu schwere Reisetasche, die ihm jedoch jetzt lästig zu werden schien, denn er nahm sie und warf sie wie mit plötzlichem Entschluß zu Boden, den Hut daneben, und ec schien im Begriff zu sein, den leichten Sommerrock sich da zu gesellen zu lassen. Doch mochte ihm de« Platz, wo er eben stand, nicht ganz zum Ruhen behaglich scheinen, denn er blickte zögernd und prüfend umher und war endlich mir ein paar raschen Schritten am jenseitigen Jlse-Ufer. DaS war eben kein Wagnis, denn die Ilse ist schmal, und die großen Felssteine, die ihren Lauf oft quer vermauern, dienen dein Fuß zur festen und bequemen Stütze. „Klug gemacht, alter Junge," sagte der junge Mann halblaut vor sich hin; und er hatte recht, denn ein reizen deres Ruhcplätzchen als das, welches er sich erspäht hatte, tväre weit und breit nicht zu finden gewesen. Bon prächti gen dunklen Tannen beschattet, durch dichtes GraS und Ge büsch versteckt, und doch im stände, das liebliche Brocken kind mit dem Blick zu verfolgen, lag der Wandermüde auf moosigen, flachen Steinen. Träumerisch fast glitt sein Auge über das herzerquickliche Bild vor ihm, denn Herz erquicklich sind diese frischen, klaren Bergquellen, die so rastlos und keck dahineilen, bald sich durch enge Spalten des Gesteins drängend, bald in übermütigen kleinen Wasserfällen dahinhüpfend, bald auch, wie um Atem zu schöpfen, ein Weilchen den ungestümen Schritt mäßigend und bedächtig wandelnd, um gleich darauf, wie von neuer, plötzlicher Lebenslust erfaßt, doppelt zu eilen. Und wie sie flüstern und murmeln, wie sie frisch und doch so unbe schreiblich geheimnisvoll rauschen! Sähe man nicht durch die wunderklaren Wellen den hellschimmernden Grund, man könnte denken, es wäre lockendes Geflüster verborge ner Nixen. So oder ähnlich gingen die Gedanken durch den Sinn des jungen Mannes, und während Bienen und Schmetter linge an ihm vorüberflogcn und er den eigentümlich wür zigen Harzduft der Dannen einatmete, wurde ihm das Murmeln des Baches leiser und eintöniger, und er war eben iin Begriff, in jenen angenehmen Zustand zwischen Schlafen und Wachen zu verfalle», der uns an heißen Commermittagen als der einzig menschenwürdige er scheint, ja, er hätte eD wohl bis zum wirklichen, festen Schlaf gebracht, hätte er nicht Plötzlich in seiner ganz un mittelbaren Nähe Menschenstimmen vernommen, — Mäd chenstimmen. „Ich bitte dich, Ella," sagte die eine Stimme, „tu'» nicht. Es ist wirklich ganz unschicklich Denke nur, wenn Menschen kämen!"