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Seue l6. Nr. 9. Moryen-Nusvsve. Leipziger Tageblatt. »Dürr plkSk-h Vrkehrvng.' S7I Roman von Arth« vabNlotte. Nachdruck »er-ste». Er nmrds unruhig. Dieses Land, di-ses Land . . . Befaß es besondere Kräfte, daß es alle, die ihm entstammten, wieder zu sich zu- rück^og, wenn sie ihm untreu geworden waren? Ar, jetzt verstand er es mit einem Male: dieses Land war unendlich liebens»vert. Es hob seine wundersamen Berge zum strahlenden Himmel, und diese Berge wirren gesegnet mit dichten Wäldern, mit Äurgeu und Kapellen, mit schtvci- genden Seen, die wie riesigeAugen zwisclum schwarzen Wimpern lagen, mit einsamen, kahlen Höhen, um die der freie Wind mit allen Re gistern orgelte, ans denen ewiger Schnee der heißen Julisonne enkgegenglänzte. Und die Menschen, iknorrig, geradeaus, stark in ihrem Willen und ihren Leidenschaften, wenn sie wachgcrüttelt waren, im ganzen überhaucht von einer kräftigen, gänzlich unsäglichen Senti mentalität und Versonnenheit. Sie waren wie ihre großen Wingerte, die die Ebene erfüllten und an den Berghängen sich dehnten. Wie diese ur Herbstzeiten waren sie: fruchtbar, voll ver haltener Glut, die zum Allobruch lam, wenn die rechten Hände sie erweckten. Das elsässische Blut regte sich in breiten Wellenschlägen in den» Manne, der säst vier zig Jahre lang in Frankreich gelebt, aber nie die Fühlung mit den Elsässern verloren hatte. Immer waren sie ans den: Lande zwischen Was gau und Rhein zu ihm nach St. Diä gekommen, um sich in seinem Wagen zurückfahren zu lassen. Er hatte fast sonntäglich die breiten Laute ihres Dialekts vernommen, und alles Französische, das ihn umflutet hatte, war nur da.' Meer gewesen, auf dem er sein Lebensschifslein weitergebracht hatte. Nachdem man abends die Automobile in der Fabrik besichtigt hatte, setzte sich Picard in den Zug nach Röschwovg, mit einem Billett nach Sesenheim in der Tasche. Die Mutter rief ihn. Er überdachte aus der Fahrt, was ihm der Rechtsantoalt erzählt hatte: vom ganzen elsässi schen Landtag »var ein Mißtrauensvotum au die Regierung gerichtet worden. Alle: Liberale, Klerikale, Nationalisten und Sozialdemokraten hatten sich mit einer Einmütigkeit, die sonst nie zu erreichen war, gewehrt. Es imponierte dein Manne, der seine Heimat nie ganz ver gessen hatte. Nun sah er die nnterelsässischc Landschaft an sich vorüberziehen. Sie bot andere Bilder als das Mittelelsaff, aber an Farbenbunthcit stand sie hinter diesem nicht zurück. Breite Hopfenanlagcn spannten sich weit über die Ebene, in dicken Ranken wucherte das Gewächs über Stangen und Drähte. Auch hier war die neue Zeit umgeaangen: die alte Methode der .Hopfenzucht, die Pflanzen an dicken Holzstangen emporklettern zu lassen, Ivar nur noch verein zelt anzutreffen, die meisten Züchter hatten Orahtanlagen eingerichtet. Der Herbst hatte be reits mit seinen Verwüstungen begonnen. ES gab manchen Acker, der seine Stoppeln melan cholisch «n den grauen Abend emporhielt. Im Süden verdämmerte im fahlen Nebel der spitze Turm des Straßburger Münsters. Picard hatte ein Telegramm an die zu Hause aufgegeben: Komme erst morgen, viel leicht noch später. Und hatte hinter dem Tele gramm einen Brief hergeschickt, in dem er Francois Arbogast, seinen treuesten und ältesten ^knecht, anwies, während seiner Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen und in allem die Füh rung zu übernehmen. Sv konnte er unbesorgt drei oder vier Tage Ferien machen. „Sesenheim." Die Schaffner rissen die Türen auf. Ein paar Fabrikarbeiter, die wäh- rend der ganzen Fahrt den Zug mit Lärm und Getöse erfüllt hatten, drängten sich aus der vierten Klasse; auf dem Bahnsteig ging würdig ein kleiner Mann mit einen» großen schwarze»» Bart und einer grellroten Mütze auf und ab. Alles erschien Picard in einem besonderen, fest» lichen Lichte. Da lag nun Sesenheim vor ihm, die Hei mat seiner Mutter. Der starke Mann wurde weich und wußte nicht, wie ihm geschah. Der» ersten, der ihm begegnete, fragte er nach Eugenie Schwaab, ob er die noch gekannt, und wo das Häuschen ihrer Elter»» zu sinder» sei. Der Gefragte, ein altes buckliges Männ chen, dessen zahnlose Kiefer sich unaufhörlich bewegten, mußte nachdenken; dann blitzte die Erleuchtung in ihm ans. Ja, so und so, sie seien doch zusammen zur Schule gegangen, das wüßte doch hier jedermann. Und so und so, das Haus stehe gleich ir» der Hauptstraße, neben der neuen Post. ,.J-, und eine neue Poft haben wir jetzt da, uno 's ist viel anders worden, seither als »vir alt »vorder» sind." „Die Eugenie Schwaab ist meine Mutter gewesen," sagte Picard, cs war ihm, als müßte der Alte sich recht aus Herzensgründe mit ihm freuen. Er fand das Harrs nach wenigen Schritten. Man hatte eine Wirtschaft darin eingerichtet. Er trank ein GlaS Bier und überlegte, ob er die Wirtin ausforschen solle. Aber sie war eine ganz junge Fran, nnd so ließ er es sein. Picard wanderte abends noch in das Land hinein. Ein großer onnkler Wald nahm ihn auf; Frösche quakten irgendwo, die Vögel san gen ihre letzten Lieder für diesen Tag, in» Unter holz raschelte allerlei scheues Getier. In den Krone»» der hohe»» Föhren tanzten flinke Eich hörnchen. Sie blieben regungslos sitzen, als sic den Wanderer erspähten, und blickte»» aus blanken, klugen Augen zu ihn» nieder. Picard kam an einen Fluß, der geruhig zwischen den hohen Waldmauern dahinzog, schweigsam, maje stätisch, in seiner einsainen Erhabenheit an mutend Ivie ein Bild von Böcklin. Eine feste Steinbrllcke mit eisernem Geländer führte dar- überhin. Picard wanderte und wanderte. Da sah er zwischen dem Grün einen schlan ken Kirchturm aufsteigen, ganz nahe. Er strebte ihm entgegen, ihn» war, als erwarte ihn in diesem Dörfchen, das da wie ein Wunder zwi schen Grün und Stille eingebettet lag, irgend etwas Freudiges. Er atmete auf; der Lärm der großen ^tadt häminerte noch in seine»» Schläfen. Hier aber war Friede und Ansruhen; es schien, als habe die Zeit dieses Stückchen Erde vergessen. Oder hatte die Zeit in einer Stunde der Wehmut, de» Nachdenkens: Wie friedlich s»nd wir geworden! —, hatte sie sich diesen Fleck aufgespart, un» fick zu ihm flüchten zu könuen, wen»» ihr Unrast, Lärm und Kampf die >kehle zupressen wollten? Klarer Gesang schlug dem Wanderer ent gegen. Er sah unter der breitwipfligen Dorf linde Mädchen und Burschen sitzen, die den Tag mit versonnenem Singen zur Ruhe brachten. Ein kleiner weißer Hund sprang bellend um seine Füße, zlvei junge Kätzchen wälzten sich seelenvcrgnügt über die Straße. Und mit einem Male rieselte aus dem Glockenturm der Kirche, die gleich dastand, das Angelusläuten. Diese Glocke hat deine Mutter vielleicht auch einmal gehört! dachte Andre Picard. Es wurde in ihm lebendig, daß hier in dieser Gegend etwas sei, das ihm keiner nehmen konnte: die Erinnerung an die Kindheit und Jugend seiner Mutter. Da drüben in Frank reich, da mochten sie ihm das Elternhaus ab reißen, um Züge über den Boden gleiten zu lassen; dort mochten sie ihn aus vertrauten Verhältnissen reißen »nit ihren Automobilen und ihren neuen Erfindungen. Richtig betrachtet: seine Mutter gehörte ja gar nicht in jenes Land. Hier tvar sie geboren, hier war sie groß ge worden, und ein Stückchen weiter südlich hatte sie ein gut Teil ihrer Ehcjahre verbracht . . . Erst die letzten Jahre ihres Lebens waren in Frankreich vorübergegangen. Es bedeutete ihn» eine Erlösung, als er in der kleinen Schenke einen alten Man»» traft der Eugenie Schwaab, seine Mutter, genau gekannt und in ihrer Jugend ost »nit ihr getanzt hatte. Er hätte dem Alten un» den Hals fallen mögen, als der ihm vollends erzählte, wie schwer es ihr geworden sei, die Heimat zu verlassen, diese »veitcn, schweigenden Wälder der Ebene, diese reichen Felder und Wiesen und die ganze Trau lichkeit des kleinen Dorfes, „'s ist eine gute, treue Elsässerin gewesen, lieber Herr," sagte der Alte. „Und ich glanb saft, sie ist arn Heimweh zugrnnd gangen. Der Mann hat net recht getan, daß er sie ins Frankreich mitgenommen hat. Er hält doch können im Elsaß bleiben, 's wär ihm mein Sex net schlechter gangen als drüben . . Picard verbrachte drei Tage in dieser Gegend. Alles durchstöberte er; mit dem Pfarrer von Sesenheim, einem großen dicken Herrn voi» den gemütlichsten Umgangsformen der Welt, hatte er eine lange Unterredung, in der vieles an den Tag kam, was ein Trost und eine Labung für den Sohn bedeutete. Wo ec hinhörte, vernahm er die freudige Ucberzcugung: „Ja, unser Elsaß!" ES war wie ein berauschender Trank, der auch ihm zu Kopfe stieg und ihn mit hineiuhob in die große Schön heit und Harmome dieses Landes. Als ep endlich wieder auf seiner Höhe ein traft »var er ausgeglichen in seinem Wesen und fröhlich wie seit langem nicht mehr. Jetzt pfiff er wieder und packte alles, »oaS ihm fordernd in den Weg kam, mit kräftigen, arbeitsfrohen Hände»» an. Madame Pipinette aber dankte dem lieben Gott und der gütigen Jungfrau Maria. Dienst--, 6. Januar 19l4. Der Winter kam mit seinen Schrecken und Lieblichkeiten. Stapfend verließ er seine Höhle, die irgendwo in einer finsteren Bergwirrnis lag, stieg auf die Höhe und stand da eine lange Löeile rn den Stürmen de» verrauschenden Herbstes. Die weiße, runzlige Greisenhand über die Augen mit den buschigen Brauen gehoben, blickte er in die Ebenen, die sich zu beiden Seiten in die Unendlichkeit verloren. Die bleiche Sonne, die ihre letzten Kräfte ausgab, blendete ihn. Da begann er, voranzuschre»ten wie ein Säemann, mit weitausholenden, gewichtigen Schritten, nach rechts und nach links seine weißen Gaben streu- er»d. Die hohen Bäume der Walder neigten sich vor dein Riesen und ließen sich betauen von seinem weichen Flockengeriesel. Die Tiere äugten ihm groß, mit zitternden Flanken entgegen; in ihrem Dämmerbewußtsein tauchte die Ahnung von etwas Großem, Schrecklichem, Gewaltigem auf. Heulend verkrochen sie sich, als der Segen über sic gekommen tvar. Alles segnete der Greis, mit mächtigen, geruhsamen Armbewegungen goß er aus, was allen Kreaturen zukanr. So stieg er über den ganzen Vogesenkamm und brauchte nicht länger als einen halben Tag. Danii begab er sich in die Ebene, nachdem er erst noch alle Täler mit Schnee gefüllt hatte. Mit dem Straßburger Ntünster gab er sich be sondere Mühe: erst wurde es ganz zart ge streichelt, damit es über die Kälte, die ihm angetan werden sollte, nicht zu sehr erschrecke. Hieraus kletterte der Greis bis auf die höchste Spitze des Turmes, tat oben drei gewaltige Schreie, daß es das ganze Land hören konnte und alle Menschen riefen: Jetzt ist der Winter wieder da — und schüttelte dann seinen reinste»» Schnee über das ganze riesige Steinwerk, das wie eine erstarrte Gottheit unter ihm lag. Und als cs ihm von unten weiß entgegenglünztc, ließ er sich an den Säulchen und Verzierungen, die de»» Turn» umschmücken, langsam nieoer, wachsam überall hinspähend, ob denn auch alles gleichmäßig verteilt sei; wo er aber fand, daß noch etwas fehlte, glättete er mit liebevoller Sorgfalt das weiße Kleid, so daß endlich alle Leute, die es sich betrachteten, sagen mußten: Wahrlich, diesmal hat sich der alte Winter aber- ganz besondere-Mühe gegeben! Von Dorf zu Dorf und von Städtchen zu Städtchen schritt nun der emsige Greis, daß keines zu kurz komme; und auch die Ebene mit ihren Reckern und Wäldern vergaß er nicht. „Jetzt ist der Winter wieder da!" sagten die Leute, und seufzten oder freuten sich, je nach ihrer Art. „Ja, jetzt ist der Winter wieder da!" sagte auch Madame Pipinette und seufzte, «sie dachte a»» die lange»», einförmigen Tage, die nun kommen würden auf der einsamen Höhe, fern von allem gesammelten Menschenweseu. Sie dachte an die sausende»» Stürme, die ge waltige Schueemassen über bei» Lkamu» fegen, gegen das Haus werfen und es vielleicht dar unter begraben würden. „Wären nur doch in St. Dis geblieben!" seufzte sie. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.) Norman»» Sodvar?, 3 vvivor8itLL88tl'LS8S 3 Klssdütlek iivü LetlAtzim l'Mdeniidreii l». Itousnlirea ütitiuli!.' out Inger, ^aväukreo, Zecker «rte. l'reiülisloll frei. *«* lvvollo Oar.mtio. 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