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Leipziger Tagedlsn 2. veUayr. Sonntag. 3. Dezember 1911 Ältliche Belttiimchmzei ßehe I-Arileze politische Umschau Nr. 335. 105. Jakraana 101- önd erschienen und zwar: „Der .nUikllvkt IU!^ Landmann", „Der Lustige" sowie „Der illustrierte Bolksbote" Tieie drei Kalender lind zum Preise von 20 Ps. für das Stück (nach auswärts Portoextra) durch dieHaupt-Expedition des „Leipziger Tageblattes" zu Leipzig, Iohannisgass« 8, zu beziehen. «re 3n üie Wirkungen üer Los"von-Rom-Bewegung werden uns die Ergebnisse der Volkszählung in Oesterreich einen Einblick tun lassen. Leider erfolgen die Veröffentlichungen sehr langsam, di« end gültigen Gesamtzahlen sind erst in einigen Monaten zu erwarten. Doch werden allmählich die Ergebnisse einzelner Kronländer veröffentlicht: so z. B. jüngst di« ganz besonders interessanten Ergebnisse aus Böhmen. In dieser Provinz betrug derEesamt- zuwachs der Bevölkerung 7,10 Prozent. Die römische Kirche nahm zu u m 0,77 Prozent. Die (fast rein tschechisches evangelische Kirche helve tischen Bekenntnisses, deren Gebiet von oer Los-oon- Nom-Vewegung kaum beeinflußt wurde, nahm immer» bin zu u m 0,27 Prozent. Die evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses dagegen, die eigentliche Trägerin der Los-oon-Rom-Bewegung, um 31,22 Prozent! Die Seelenzahl der Refor« inierten in der Provinz Böhmen betrug 1000: 71730: 1010: 78 388: die dec Lutheraner 1900: 72 922: 1910: 97 871! Di« Brüdergemeinde nahm zu von 188 auf 781, die Altkatholiken von 10 351 auf 11617. Abgenommen — und zwar bedeutend, um 7,5 Prozent — hat die Zahl der I s r a e l i t s n: von 92 71.1 auf 8.">799. Infolge der antisemitischen Zeit strömung lassen sich sehr viele Israeliten, uild zwar katholisch, taufen. Der Ueberganq zum Protestantis mus bietet ja dem, der ihn nicht aus lleberzeugung sucht, in Oesterreich nicht viel Anlockendes. Inter essant ist die bedeutende Zunahme der Bekenntnis losen: von 1891 auf 11198, Hat auch diese Zahl im Verhältnis zum Volksganzen noch nicht viel zu be deuten, so gibt sie doch zu denken. Die Hauptzahl dieser Konfessionslosen befindet sich in den nord- böbmischen Industriebczirken, wo die Negierungs weisheit der Prager Statthalter die Amtstätigkeit evangelischer Pfarrer und Vikare so kräftig unter band. Sur Äuslülrruny ües Letchszuwachs- lteuergeletzes. Nach tz 46 der ZuwachSsteuer-Ausführungsbcstim- nmngcn haben die Zuwachssteuerämter und die son- stigen beteiligten Behörden von besonders bedeut- famen Vorgängen auf dem Gebiete der Zuchwachs- steuer, insbesondere von der Einleitung des Haupt- verfahrens in den Fällen der Ucbcrtragung aus gedehnter Besitzungen und grosser Vermögcnsgesamt- yetten (Bergwerke, gewerbliche, industrielle und andere Unternehmungen) der Landeszentralbehörde Kenntnis zu geben, die die Berichte dem Neichskanz- ler (ReichSschapamt) mitteilt. Tic entsprechenden Mit- teilungen der Zuwachssteuerämter sind der Landes- Zentralbehörde durch Vermittlung der Oberbehördcn zu erstatten. Mitteilungen dieser Art sind bisher nur in einem Falle ergangen, obgleich die Handels nachrichten der Tagespreise fortgesetzt von grossen Beräußerungsfällen, Aufschließungen umfänglicher Besitzungen, Fusionen bedeutsamer Unternehmungen zu berichten wissen und andere für die ZuwachSsteucr bemerkenswerte Erscheinungen (z. B. die Gründung von Aktiengesellschaften zur Grundsiiulsverwertuug mit unverhältnismäßig geringem Kapital, die Zu nahme der Gründungen von Gesellschaften mit be schränkter Haftung zur Verwertung einzelner Grund stücke^ bekanntgeben. Auch hat sich bei dem un mittelbaren Benehmen der Vertreter des NeichS- schatzamteö mit den VcranlagungSftellen ergeben, daß bislang aus Anlaß der Uebertragung oder der sonstigen finanziellen Maßnahmen bedeutsamer Un- ternehmnngen, sowie auf Grund der Vorschriften der HA 2, 3 des Zuwachssteuergesetzes unverhältnismäßig selten in eine steuerliche Behandlung cingetretcn worden ist. Hiernach gewinnt es, wie die preußischen Ressort- mimster in einem Erlaß mitteilen, den Anschein, daß sich die Zuwachssteuerämter Anhalt und Zweck der Mitteilungspflicht nach Z 46 der Ausführungs bestimmungen und der Stenerpflicht nach 2, 3 des Gesetzes nicht hinreichend gegenwärtig halten und daß sie den vorbezeichneten Vorgängen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zmveudcn, oder daß diese Vorgänge sich in Formen kleiden, die nach Ansicht der Zuwachssteuerämter der steuerlichen Er fassung .entzogen sind. Temgcgenübcr weisen die Minister darauf hin, daß es unzweifelhaft im Sinne des Gesetzes liegt, auch Vorkommnisse der Steuer pflicht zu unterstellen, die sich außerhalb der für den Eigentumsübergang bestehenden NechtSsormen als eine Uebertragung der wirtschaftlichen Ver fügungsmacht darstellcu, wie es namentlich der Fall kein kann, wenn die Verfügungsmacht durch Uever- lassung einer entsprechenden Zahl von Anteilen am Gesellschaftsvermögen übertragen wird. Zur unge hinderten Durchführung dieses gesetzgeberischen Ge dankens ist aber neben der sorgfältigen Anwendung der §8 2, 3, 5 und 6 des Gesetzes unbedingt er forderlich, daß durch unverzügliche Mitteilung na mentlich solcher Vorgänge, die ungeachtet dieser Vor schriften der Steuererspäruna zu dienen geeignet er scheinen, die Möglichkeit gcöoten wird, diesen Vor gängen rechtzeitig entgegenzutretcn. OeMlcker Reichstag. 215. Sitzung. Berlin. 2. Dezember. (Telegr.) Am Bunöesraistisch«: Dr. Delbrück, o. Ela s e n a p p. Präsident Graf Schwerin-Löwitz eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 15 Min. Der Gesetzentwurf über di« Ausgabe kleiner Aktien in den Koniulargerichtsbezirlen und im Schutzgebiet Kiautschau wird nach kurzer, ganz unerheblich«: De batte unveränderr gegen die Stimmen der Sozial- demokraten, der Wirtschaftlichen Vereinigung und der Abgg. Arendt und Brunstermann endgültig ange nommen. Sodann wird die zweite Beratung des Privat beamten versickern ngs gesetzes fortgesetzt, uns zwar bei § 125, der die Ueber- wachung der R u h e g e l d e m p f ä n g e r regelt. Dieser Paragraph wird mit geringfügiger Aenderuug angenommen. Bei 8 1-)1 (W ah l der Beisitzer) beantragt Abg. Behrens (Wirtsch. Bgg.), sie mit schriftlicher Abstimmung vorzuzchreiben. Der Antrag wird an- genom m e n. 8 135 beschränkt das Wahlrecht auf die männlichen Mitglieder. Äbg. Hormann Bremen (Fortschr. Bpt.) begrün det den Antrag seiner Partei, auch den Frauen das passive Wahlrecht zu geben. Ministerialdirektor Caspar: Ten Beiräten liegen rechtliche Funktionen ob, und von derartigen Ob liegenheiten sind die Frauen auch in der Reichsvcr- sickerungsordnung ausgeschlossen. Ich bitte Sie, den Antrag abzulehncn. Abg. Molkenbuhr (Soz.): Man sollt« di- wirk lich tüchtigen Frauen vou diesen Aemtcrn nicht aus- ichließsn. Ueberlasfen Sie es den Wählern, wem sie ihr Vertrauen schenken wollen. Abg. Basfermann (Natl.): Die Beschränkung des Frauenrechts ist hier völlig ungerecht. In vielen Zweigen unseres öffentlichen Lebens, so den Schul kommissionen. haben sich die Frauen durchaus be währt. Sic versehen mit Eiser und Verständnis die ihnen übertragenen Arbeiten. Daher ist kein Grund vorhanden, sie in diesem sozialen Gesetz schlechter zu stellen. Abg Mommfen (Fortschr. Vpt.): Wir sollten die alte Engherzigkeit Len Frauen gegenüber aufgeben. Der Antrag wird mit geringer Majorität abg«. lehnt. .. Bei 8 116 (Wahl der Vertrauensmän ner) stellt auf Anfrage des Abg. Dr. Potthofs (Fortschr. Vpt.) . Ministerialdirektor Caspar lest, daß die »christliche Abstimmung auck brieflich, somit auch mit gedruckten Stimmzetteln erfolgen kann. . . S 150 enthält den Wahlmodus mit Verhältnis, wähl. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.) beantragt auch hi«r geheime Wahl. Der Antrag wird abgelebnt und der Nest de» 3. Abschnittes (bis 8 150: Träger der Ver sicherung) ohne Debatte angenommen. 1. A d s ch n i t t (L ch i e d s g e r i ch t e und O b e r- schiedsgerichte). 8 157 steht als rechtspreckende Behörden in höherer Instanz Lie Schiedsgericht« uns Oberschiedsge richte vor. Abg. Schmidt-Berlin (Soz.) lnmntragt, als r«cht- sprechende Behöreen die Oberversicherungsämter und das Nelchc-velsicherungsamt der Rcichsverncherungs- ordnung zu bestimmen. Ministerialdirektor Caspar: Ick kann nur wieder holen, oaß bei Annahme dieses Antrages das Gesetz scheuern würde. Der Antrag wird aoge lehnt. Bei 8 101 beantragt Abg. Strombeck (Ztr.), ent gegen der Fassung der Vorlage zu bestimmen, daß der Vorsitzende und die Beisitzer nicht zugleich Mitglieder des Oberschiedsgerichres (ein dürfen. Der Antrag wird angenommen. Auf Antrag Schultz wird ein Z 183 a eingefügt, der besagt: Die Ncichsveisicherungsanstalt kann mit Genchmigung de» Reichskanzlers längere Zahlungs- sristcn, ein längeres Zablungsveifabren und ander« Ouittungsleistungen zulassen. Der Antrag wird angenommen. 8 181 ent- hält die Strafandrohung für die Unter« laisung der M a r kc n e n t w« r t u n g. Aus Antrag des Adg. Strombeck (Ztr.) werden diese Strafen bis zu 30 <k festgesetzt. Bis 8 207 (Einzelheiten über die Bei« t r a gs l e i st u n g e n) wird di« Borlage ohne De batte a n g e n o m in e ir. H 208 (Beitrags st rei, tigkeitcn) wird nach einer Bemerkung des Ab geordneten Dr. Potthoss (Fortschr. Vpt.) mit einer auf einenr Kompromitzantrag Schultz beruhenden Aenderung angeno m m e n. 8 213 enthält die Bestimmungen, daß die Ge- schaftsbüchcr oder Listen als Belege bei der lieber- wachung während der Betriebszeit an Ort und Stelle vorzulcgcn sind. Diese Bestimmung wird auf Antrag Schultz nach kurzer Begründung durch den Abg. Nacken (Ztr.) ge strichen. Ohne jede Debatte passieren die folgenden Paragraphen bis 8 311 Die 8T 3t2 und 313 besagen, daß niemand an ter Ausübunr eines Ehrenamtes der Angesielltenverstcherung bei Strafe behindert wer- den darf. Abg. Dr. Potthoss (Fortschr. Vpt.) beantragt namens seiner Partei einen 8 313,, einzusügen, in dem gesagt wird, daß während der Dauer seines Amtes Neuöryamlrrtjvn üer Luupvüzei. Der Verband Deutscher Architekten- und In genieur-Vereine Hai, wie uns mitgeteilt wird, Len zuständigen Ministern der Bundesstaaten Vorschlag« für ein« Neuorganisation 8er Baupolizei unterbreitet. Dis Baupolizei ist, wie der Verband ausführt, «in Arbeitsgebiet oes Staates, das seinem ganzen Wesen nach sehr tief in das Wirtschaftsleben des Volkes eingreift. Es werden deswegen auch Mängel in der Organisation der Baupolizei der Allgemein heit außerordentlich fühlbar. Ein wichtiger Organi- »ationssehler liegt darin, das; die Baupolizei nicht Paubeamten, sondern Polizeibeamten zur Wahr- nehmunz übertragen ist. Da die Prüfung eines Baugrsuches in der Hauptsache eine technische Arbeit ist, gehört die Baupolizei in die Hand Les Bau beamten, wie auch die Forst- und Brrqpolizei in den Händen der Forst- und Bergbeamlen liegt. Man hat bisher mit Recht den Standpunkt ver treten, daß ein großer Teil der Verwaltungsaufgaben, die mehr oder weniger innig das Arbeitsgebiet der Baupolizei berühren, den Kommunalverwaltungen zur Lösung anvertraut werden, hat sich aber nicht dazu entschließen können, die Baupolizei, die ja zur Sicher heitspolizei gerechnet wird, der Kommunalverwal- tunq überhaupt zu übertragen. Der Verband empfiehlt nun. die Dauvolizei dem Staütbaurat oder S t a d t b a u m e i st e r persönlich zu übertragen, ebenso wie schon heute in den meisten Fällen die allgemeine Sicherheitspolizei dem Bürgermeister überwiesen sei; auf dies« Weise würde die Baupolizei wenigstens in die Hände der sachverständigen Techniker gelegt werden. Voraus- setzung müsse selbstverständlich bleiben, daß dies« Tech nik«! Vie nötige persönliche Qualifikation hierfür be- säßen, für deren Nachweis in Len meisten Fällen wohl die Anlegung der Staatsprüfung im Baufachs ge nügen dürfte. Für die kleineren Gemeinden ie- doch, die einen derartig vorgebildeten Techniker an zustellen kaum in der Lage wäre, müßt« di« Lösung nach anderer Richtung versucht werden. Man könnte über den kleineren Gemeinden für baupolizeiliche An- gelegenhcitcn die Samtgemeinde, dcn Zwcckverband oder auch ichließlich den vorhandenen Kreis, auf bauen. damit auf diese Üfteise im Zusammenschluss: der Gemeinden di« Mittel gewonnen werden, um einen höheren Kommunalieckniker für die Baupolizei anzustellen. Ein zweiter sehr leicht gangbarer Weg war« aber der. den staatlichen Lokalbauveamtcn »Ur zuständig für die Ausübung der Baupolizei in den Gemeinden zu erklären, die höhere Kommunaltech niker anzustellen nicht gewillt wären.