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8. Beils-e. Sonntag, 3. Dezember 19N Leimiger Tageblatt Nr. 33S. los. Jahrgang Sus der Sahn gelchleuüert. 3vf Roman von Carola v. Eyaatten. sNachdruck verboten.) Wieder verging eine Reihe von Minuten. — Plötzlich ritz Ehrenreich die Hausmütze vom Kopf und verneigte sich mehrmals hintereinander. Zwei Männer standen vor ihm, und nachdem sie ein paar Worte mit ihm gewechselt hatten, traten sie in den Hof und begaben sich in seiner Gesellschaft nach dem Magazin. „Was hab ich gesagt?" triumphierte Elias. Mayer nickte. Jetzt war er wieder er selbst, fühlte er sich als berufener Rächer einer Schandtat! — „Ob wir wohl unauffällig hinter ihnen hergehen können?" fragte er den jungen Menschen. „Wenn es is Zeit, gehen wir dicht hintereinander, ich voraus, und der gnädige Herr mutz genau nach- mackcn, was er mich sieht tuen. So wird niemand werden aufmerksam auf uns, denn die Tür hab ich schon gehoben aus dem Schlotz, damit es gibt keinen Lärm", antwortete Elias. Etwa zehn Minuten warteten die beiden noch mit dem Aufbruch, dann schlichen sie, einer hinter dem andern aus dem Schuppen und nach dem Seiten eingang zum Magazin, der sich in einer fensterlosen Mauer befand. Es war eine richtige Trödelbude, in der sie sich befanden: alles über und durcheinander. Mayer und Elias war Diese Ueberfülle jedoch sehr willkommen, bot sie ihnen doch auf ihrem Schleich wege Deckung. Nachdem sie eingetreten, waren beide horchend stehen geblieben, gewarnt durch Stimmen, die nicht allzuweit von ihnen entfernt laut wurden. „Es geht nicht, auf Ehr und Seligkeit, es geht nicht, anädiger Herr! Ich bin ein armer Mann, der hat tzu ernähren Weib und acht Kinder, soll ich Geschäfte machen tzu meinem Schaden? Fünftausend bietet der Herr Mayer for den Sekretär. Von fünfzehnhundert is er gestiegen auf fünftausend! Co soll ich ein Schuft sein, wenn es is nicht wahr!" lamentierte eine zweite Stimme. „'s is der Ehrenreich, der singt das Klagelied!" flüsterte Elias. „Das kümmert mich nicht: ich habe den Sekretär für vier- beziehungsweise zweitausend Kronen ge kauft und bestehe auf Erfüllung des Vertrags. Weigert ihr euch, ihn herauszugeben, so wende ich mich ans Gericht", erklärte Csallovary barsch. „Wie heisst gekauft? Wie kann der gnädige Herr vom Veilchenzweig kaufen den Sekretär, der is mein?" — Veilchenzweig wollte sich nun ein mischen, aber Csallovary fuhr ihn an: „Entschliesst euch — entweder — oder?" „Gehen Sie aufs Gericht, gnädiger Herr!" ant wortete Veilchcnzwcig, leisen Hohn in der Stimme. Während sich zwischen Dr. Csallovary und den verbündeten Hebräern diese Verhandlungen ab spannen, hatten sich die Eindringlinge immer näher an sie herangeschlichten und waren nur mehr wenig Schritte von ihnen entfernt, geschützt vor ihren Blicken durch allerlei alte Möbel. „Bleib stehen, bis ich rufe!" wies Mayer seinen Begleiter im leisesten Flüsterton an Dann sprang er nach vorn und rief, den Stock drohend erhoben: „Ha, Ghrenreich, Herrn Doktor Csallovary hast du den Sökretär allerdings nicht ver kaufen können, weil du ihn schon an mich verkauft hattest, und zwar für nicht für öNOO Kronen! Ich werde dem Herrn Stuhlrichter deine Gauner stückeln erzählen! Ich werd« ihm auch einen Zeugen stellen, der oersit ist, mein« Angaben zu beschwören, und zwar ist dieser Zeuge dein Bruderssohn, der junge Elias, Len du behandelt hast wie einen Hund!" — Während dieser Anschuldigungen, di« sich wie ein Platzregen über ihn ergossen, batte Mendel Peilchen- zweig, der bei des Malers Auftauchen ganz in sich selbst zusammengesunken war, die Fassung wenigstens so weit zurückgewonnen, Latz er neue Entschuldigun gen und Beschuldigungen hervorzusammeln vermochte, die sich gegen Elias, den Undankbaren, richteten. Elias stand angstvoll daneben und suchte sich mit lebhaftem Mienensoiel zu verteidigen. „Wir glauben dir auch ohne Beteuerungen, Elias", versetzte Mayer freundlich. Mendel Veilchenzweig aber, den die in ihm tobend« Wut förmlich zur Salzsäule hatte erstarren lassen, kam jetzt allmählich wieder zu sich: schnappte ein paarmal nach Luft und brach dann los wie ein Rasender: „Er lügt — er lügt wie ein stinkender Hund!" Hierauf wendete er sich zu dem Jüngling: „'s böse Fieber sollste kriegen — verflucht sollste sein — verdorren soll dein Stamm!" Und er hob die Hand zum Schlage. Der Maler hielt den Arm fest und ritz ihn mit jähem Ruck zurück. „Hier bleibst du stehen, ohne dich zu rühren, oder ich latz dich vom Fleck weg arre tieren!" donnerte er ihm zu. Jetzt glitt Mayer Ehrenreich zwischen die beiden und sagte ruhig: „Meine gnädigen Herren, ich weiss nicht, was der Beilchenzweiq Ihnen hat tzu Leide getan, weitz nicht, was Sie haben austzumachen mit ihm, aber ich kitte untertänigst, machen Sie es aus mit ihm au einem andern Ort. Ich kann nicht haben so einen Spektakel in meinem Haus, denn die Leut' werden denken, 's gab Mord und Totschlag beim Ehrenreich!" „Trösten Sie sich, braver Ehrenreich, der Sie Ihrem 'Namen alle Ehre mackren: nicht nur der Spek takel, die ganze Komödie wild gleich zu Ende sein!" entgegnete ihm der Maler spöttisch. „Herr Doktor Csallovary", sagte er fortfahrend zum Advokaten, während er höflich griitzend den Hut abnahm, „Sie werden ebenso wie wir wissen, datz dieser Sekretär Ihres verstorbenen Bruders, des Herrn Kolman Csallovary, ein Geheimfach enthält, und datz darin ein Duplikat des Testaments bewahrt sein soll, dessen Verschwinden sich recht unangenehm bemerk bar machte!" Au die strengste Selbstbeherrschung gewöhnt, ge lang es dem Advokaten, die ihn erfüllende ohnmäch tige Wut in sich zu verschlietzen. Er erwiderte mit kalter Förmlichkeit: „Ich habe Aehnliches gehört und deshalb deni Sekretär nachgeforscht." „Wie auch ich es getan habe", sagte Mayer. „Uebri- gcns ist es sehr erfreulich, datz diese Nachforschungen ein befriedigendes Ergebnis lzatten, und ich schlage vor, den Sekretär an Ort und Stelle gerichtlich er öffnen und auf seinen Inhalt hin untersuchen zu lassen, der für Sie wie für meine Freunde vielleicht von höchstem Interesse ist." Csallovary schäumte innerlich und konnte sich trotzdem diesem Vorschlag nicht widersetzen. Dagegen erhob Ehrenreich Einsprache. Er habe Len Sekretär gekauft, er lietze ihn nicht durchsuchen. „Den Sekretär mögt Ihr gekauft haben. Las darin befindliche Dokument aber habt Iür keineswegs mit gekauft, und es ist auch ganz wertlos für Euch", ant wortete der Maler. Als der Händler dagegen protestierte, drohte Mayer mit der Anzeige und dem Einschreiten der Polizeibehörde. Das wirkte, aber trotzde-m wieder holte Ehrenreich: „Wie heisst an^eigen? Kann ich mit meinem rechtmätzigen Eigentum nicht machen, was ich will?" Mayer war aber der Lerhandlunaen müde und gebot Elias, die wartenden Herren Hornbostel und Kerkhelyi hereinzurufen .die drautzen auf und ab gingen. Elias rief ihnen schon von weitem zu: „Wir haben den Sekretär, das Gericht soll ihn aufmack^n! — Kommen Sie gleich, Herr Mayer braucht Sie!" Mayer bat die Freunde, bei dem Sekretär Wache zu halten, während er zum Stuhlrichter ging«. Er fordert« den Advokaten auf, ihn zu begleiten. Dieser dankte eisig: wenn die Herren blieben, bliebe auch er. Mayer ging, geführt von Elias. Neunundzwanzig st es Kapitel. Der Stuhlrichtcr Laszlo Peli war für alle, die seine Dienst« in Anspruch nehmen wollten, ein schwer zugänglicher Mann, wie Mayer bald ersehen sollte. Im Amtslokal erhielt er den Besckreid, Herr Peli habe sich in seine Wohnung zurückgezogen, ausnahms weise, weil die Frau Stuhlrichter morgen grotze Wäsche hätte, wäre aber nach zwei Uhr wieder zu sprechen. Damit war dem Künstler aber schlecht gedient, er konnte die Freunde nicht stundenlang im Magazin sitzen lassen. Es blieb also nichts übrig, als den Stuhlrichter in seinen, Bau aufzusuchen. Mit ein paar Zeilen auf eine Visitenkarte geschrieben, bat er in dringlicher Angelegenheit um kurzes Gehör. Diese Karte gab er in Pelis Wohnung einem langen, verwahrlost aussehenden Menschen ab, den er im Verdacht hatte, ein zu häuslichen Dienstleistun- gen kommandierter Arrestant zu sein, und stand nun wartend in dem grau getünchten Korridor. Der Diener kam nicht wieder, dafür hörte man aber Herrn Peli in seinem Zimmer eine regelrechte Litanei der kräftigsten Schimpfworte und Flüche abbeten. Mayer hatte den hohen Beamten im Mittagsschläf chen gestört. Nach etwa fünf Minuten kam der zweifelhafte Mensch in der weitzleinenen Jacke wieder und rief Mayer mürrischen Tones zu: „Der gnädige Herr Stuhlrichter hat jetzt keine Zeit, er mutz schlafen, und Ihr sollt euch zum Teufel scheren. Wenn Ihr was vorzubringen habt, könnt Ihr nach zwei aufs Bureau kommen." Mayer wurde nun so grob wie möglich mit dem schmutzigen Kerl, der sich „unterstanden", einen so respektwidrigen Ton anzuschlaaen. und besorgte das mit so lauter Stimme, datz Peli auf seinem Sofa jedes Wort verstehen mutzte. Der Lange war auch nicht still, und so entstand ein Heidenlärm, oer auch den gewünschten Erfolg hatte. Eine Tür wurde auf gerissen, und ein rundes, rotes Gesicht zeigte sich, zu dem ein langer schwarzer Schnurrbart und eine kurze, dicke Gestalt gehörten. „Wollt ihr augenblicklich eure Mäuler halten? — Krummschlietzen latz ich dich, Hundsvieh verd--!" Eine Weile noch ging es in dieser Tonart weiter, Peli hörte erst auf, als ihm der Atem ausging. „Herr Stuhlrichter", machte sich der Maler des Mannes Schweigen zunutze, „mein Name ist Mayer, Maler aus Pest —" „Ein verfl—. ein unverschämter Kuion —!" „Halt, Stuhlrichter!" und Mayer schritt auf ihn zu mit drohendem Blick in sein weinseliges Gesteht. „Hier bist du keine Amtsperson, hier bist du blotz der Laszlo Peli, und ich kann dich ohrfeigen, kann dich durchprügeln, ohne datz es mehr kostet, als die gesetzliche Geldstrafe, die ich für diesen Spatz mit Per- gnügen zahlet Der Dicke zog sich schleunigst gegen die Tür zurück, Lurch die ex gekommen war, sein Schnurrbart sträubte sich, und er ichrie aus Leibeskräften: „Timo! Timof Wirf die Kerls die Treppe 'runter!" Timo .zeigte sich nicht wieder Dafür kam aber eine Dame in mittleren Jahren zum Vorschein, hinter der ein paar lachende, neugierige Kindergesichter auf tauchten. „Laszlo, vergisst du dich wieder so weit, zu Fluchen wie ein Saubirt, »u, ein königlicher Slublrichter?!" fuhr sie auf ihn los, ohne von Mayer und seinem Begleiter Notiz zu nehmen. Das Erscheinen der Dame hatte den Herrn Stuhl richter klein gemacht, und es klang äutzerft zahm, als er aus diese Vorwürfe erwiderte: „Dieser Mensch, Ielka —" „Das ist kein Mensch, Laszlo. das ist ein Herr!" schrie dann Ielka in einem Ton, der jede Entgegnung abschnitt. Flüsternd aber setzte sie hinzu: „Dumm kopf, «nach, datz du fortkominst! An feiner Grobheit sieht man. datz es ein vornehmer Herr ist, der dich um die Stelle dringen kann!" Gehorsam, wie er gegen seine Frau stets sein mochte, verschwand Laszlo. Dame Ielka aber lud Mayer mit liebenswürdigem Lächeln in Len „Salon" ein. Sie öffnete eigenhändig die Tür und sagte als Frau, die weitz, was sich schickt: „Belieben Sie voran zu gehen, mein Herr!" „Bitte, gnädige Frau Stuhlrichtcr!" weigerte sich der Maler. Frau Peli lächelte ihm zu und schlüpfte graziös über die Schrvelle des Salons. Sie fühlte sich sehr geichmeichelt. „Belieben Sie Platz zu nehmen", bat sie, und be gann dann eine langatmige Entschuldigung für ihren Gatten. Der Maler unterbrach sie. indem er sich vorstellte: „Marier, Maler aus Pest." In Frau Ielkas Gesicht malte sich angenehm« Enttäuschung. — Nichts weiter, als ein Maler? — Wie dumm, datz sie sich geängstigt und so viele Um stände gemacht hatte! Das sützliche Lächeln schwand von ihren Lippen, und ihr Oberkörper reckte sich straffer. Der Künstler deutete diese Wandlung richtig. Er war aber entschlossen, nicht an Boden zu verlieren und fuhr fort: „Mein Name dürfte der gnädigen Frau nicht ganz unbekannt sein, denn Seine Majestät hat verschiedene Gemälde von mir angckauft, und auch Seine Erzellenz der Herr Iustizminister, mit dem ich persönlich bekannt bin. Endlich gedenkt mein Freund Gyula Szalugay meiner fleissig in der „Ge- rechtigkeit", die Sie gewiss mit Interesse lesen." Die Stuhlrichterin wurde mit einem Male wieder ganz so liebenswürdig wie zuvor und versicherte eifrig, sie wäre von Gyula Szalugays „Schriften" hinge, rissen, bezaubert, trotzdem sie ihn und sein Blatt mit aller Inbrunst Hatzte. ' > (Fortsetzung in der Morgenausgabe.) MS d< z /. o Vf MM, T?on D/'ern/SA, den 5. (M/L5 ^e^s/7r/7t//'e/7