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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.01.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191401111
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140111
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140111
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-11
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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Sonntags »Ausgabe ISS. Jahrgang für L»tp,w ua» v»r»r«, »ur» «nfer« Lrüa»r VTAUAvprkl^k! Sp,»U,ur, LmoltägUll» in» kau» gedracht: m»aatN<Si.rrM., »tertettührllch 3.7L M. 0»> »,r «,s»Sft»st,U», uns»r» ZtUolea ua» Nusgodrgellea adgrdolt: monatUchlM .vtrrtrllührU» 3M. vvrch die Post: »nnerhald Viutschlan»» un0 »«r »»utschra Notoat«, monatlich 1.30 M., ol.rtoliührU» 4.LS M., ouoschUistlich postdrsteUgelS. Va» L»«p,»,»rLageblatt »rschela« werttag» »mal, Sona. u. Ztt,rtag»lmal. 2» Lrlppg, »en Nachbarort»« un» S»n Orten mit «la«a»a Zlllalen «lr» St« Nb»o»au»gab« noch am Nd»n» 0e» Lrschrln«n» > » hau» g»U«f»rt. Verstarr N»»aktloar Oa 0»n AeUrn >7, Z»ralprech-/,aschlu-: Moabtt Nr.«»7. Arrrtsbiockt des Rockes urrd des polizeicrrnckes der Stadt Leipzig NeLaktlo» ua» SefchäftosteU«: )ohaaal»gaff» Nr.». 0 Zerasprech.stoschlug Nr. 14441, >4443 un» >4444. tür Inserat« an» Leipzig un» Umgebung Sie Ispalti,,p»tltz»t,,»p,..üi»n»klam»,e«l»,m.. von auowart» 30 ps., Neklamea 1.44M., Zamilieu» u.Nein« stnzeig«» die petttzetl» nurrops.,Inserat, von VebSröen in, amtllch»nL»ll Sie petttzetl« SS Pf. Srschast»an,eigen mit plahvorschrttt im Preis, »rbibt. Nabatt nach Laris, oetlag,gebühr: Selamtausi.5M. »a»Lausen» au.schl- pastgebohr. stazetgen-stanabme: ^ohonnlsgaste«, bei sämtlichen distalen »,» Leipziger Lagedlotte» ua» allen stnnonc»a-Lep»»ltt»a«n »«» Sn» un» stu»lon»e*. Sesch»sr»st«ll« sür Serlin u.»ie pr. Vraa »ndurg: virektionwalter)ll»g«l, Serita W. 14, Margarrthenstra-e «. Zerasprech.flnschluSr Lützon» »471. lSl4 Nr. »8 Sonnisg, Len i i. Zsnusr. Vas wichtigste. * Die Urteile im Neuler- und im Forstner-Prozeß werden in der Presse lebhaft erörtert. (Siehe des. Art.) * Der „Preußen "-Antrag des Grasen Porck vonWartcnburg wurde vom preußischen Herrenhause gegen 20 Stimmen angenom men. (Siehe Art. u. Der.) * Der württcmbergische Landtag ist zu einer voraussichtlich bis in den Juni sich erstreckenden Session aus Mittwoch, den 21. Januar, einberusen worden. * Bon sonst gut unterrichteter Wiener Seite wird bestätigt, daß die Mächte des Dreibundes den Dorsch lag des Staatsselretärs Grey über dl« Jnselfrage demnächst zustimmend beantworten werden. (Siehe Ausl.) * Zur Unterdrückung des Eisenbahner- streits in Südafrika ist in Durban die ge samte Infanterie und Kavallerie mobilisiert worden. (Siehe Ausl.) * Zn der Nacht zum Sonnabend ist die Ort, schäft Damkerort, zwischen der Ostsee und dem Buckower See gelegen, von den Fluten zerstört worden. (Siehe des. Art.) * In Japan ist eine Hungersnot aus gebrochen. (Siehe Nachr. v. Tg.) Umschau. Leipzig, 10. Januar. Dieder ist Zaber n auf der Tagesordnung der öffentlichen Meinung. Wie lauge noch/ Nun sind die Leute, die immer hinter her ihre eigene Klugheit entdecken, oben auf. Sie haben es ja gleich geivugt, wie alles tommen mußte. Oberst v. Reuter und Leutnant Schadt sind von dem Kriegs gericht in Straßburg jreige spräche» wor den, Leutnant v. Forstne r in dec Berufungs instanz auch. Also, schließen die Hinlerh.r-Bi.sftr- wtsser, war dre ganze Aufregung im Deuftcpen Rerche wegen des Zaberner Rummecs lächerlich, der Reichstag ist seiner Unbedachtsamkeit zum Opfer gefallen und hat wegen des Mißbuli- gungsantrages Abbitte zu tun, das elsässische Bolt aber muß gezüchtig. werden. Tas ist so der augenblickliche Stimmungszustand in weiten Kreisen, gegen den die ruhige Ueoerlegung schwer aufkommt. Und doch ist es jetzt notwendig, die Dinge, auf die es anlommt, säuberlich ausein anderzuhalten, denn cs wird za systematlsch an der Bernurrung der Begriffe gearbeitet. Das be sorgt nicht nur die Sozialdemokratie, für die von vornherein der Kall Habern xin hochwillkomme nes Beweisstück sür ihre Lehre von der „Käul- nis unserer Zustände' war, sondern aua) die reaktionäre ParteigenosjensaMl, die die wilden Wasser auf ihre Mühle leiten mochte und das auch bereits vortrefflich verstanden har. Auf dieser Seite ist offen und versteckt der Kaiser angegriffen worden, weil er von Donaueschingen auZ die Verlegung des Zaberner Reg.menrs an befahl; denn man sah darin emc Chamade, wah rend man auf eine Kansare hoffte. Nun wird die Freisprechung der Angeklagten erst recht für diese Scharfmaaft'rstimmung herhalten mästen. Zu diesem Zweck muß eines freilich unter schlagen werden: nämlich die ganze Exposition des Stückes. Es dars nicht wahr sein, daß der Grund zu allen üblen Folgehanolungcn in jener Jnstruktwnsstunde gelegt wurde, in der Leucnant v. Forslner über die „Wackes" sprach und feine Zehnmark-Stechprämie aussetzle. Das heißt: diese Verfehlung brauchte dura-aus nicht die Lat sein, „die fortzeugend Boses muß gebären". Sic ist es erst geworden, einmal durch die Schuld der Rekruten, die sie „ausschwatzten" — sic haben ihre Strafe rasch erhalten — dann durch die schmähliche Hetzerei des „Zaberner Anzc.gcrs", dann aber auch (und hier setzt allerdings der Teil der Verantwortung des Obersten v. Reu ter ein, der auch heute noch zu seinen Lasten besteht und den ihm das Gericht nicht abnehmen konnte, weil er außerhalb der Anklage lag) durch die Art, wie man der aufgeregten Stimmung das: „Jetzt gerade nicht!" entgegensetzte, indem man den militärischen Ehrbegriff so anwandte, als sei Leutnant v. Forstner trotz seiner groben Verfehlungen die Zierde des Regiments, die unter keinen Umständen in der Ocfsentlichkeit Schaden nehmen bür': Erst heute, zwei Mo nate nach den ersten Feststellungen, erfährt man au- der Bcrufungsvcryandlung Bestimmtes über feine bereits am 18. November erfolgte Be strafung mit sechs Tagen Stubenarrest. Er wurde nicht versetzt; lieber ließ man es auf die Verlegung des ganzen Regiments an kommen. Damals war das glimmende Feuer mit einem Fußtritt auszulöschen. Man tat eS nicht; man wartete, bis es aus allen Luken heraus schlug. An der Ueberzeugung, daß das Auswachsen der Zaberner Garnisongefchichte mit einigem gu ten Willen ohne Schiwigung des militärischen Ansehens tatsächlich zu hindern war, kann uns alles Weitere nicht irre machen. Erst dann, nämlich nach dem Ausbleiben der Remedur, setzte, wie die Aussagen des Obersten v. Reuter bestätigen, die Verscyürfung ein, die zu dem verhängnisvollen 28. November führte. Hier aber auch das Verschulden der ZivilVer waltung. Sie ist es, die dem Obersten von Reuter den Freispruch verschaffte, den er trotz der etwas alten Kabmetrsorder vom Jahre 1820 und trotz seines ehrlichen soldatischen Auftretens schwerlich erstritlen Hütte. Sie hat ihn durch ihre leichtfertige Behandlung der Sache, durch ihre Lässigkeit und Unsähigkcft, durch iyr schiott- riges Gehaben in die Zwangslage gebracht, die ihn nötigte, bitteren Ernst zu machen. Zwar wurden ja die Vorgänge je nach dein Zeugen stand ganz verschieden geschildert, aber der sür das Gericht bestimmende Eindruck war doch der: hier war Gefahr im Verzüge! Der Bevölkerung mußte der Ernst der Sache klar gemacht werden. DaS ist die Rechtfertigung, die dem Obersten v. Reuter und seinen Offizieren aus der Ge richtsverhandlung erwuchs, und die nicht an getastet werden soll, selbst wenn noch darüber gestritten werden kann, ob die Einsperrung im Pandurenkeller wirklich als eine Notmaßregel unbedingt geboten war oder nicht. Dieser Ein druck eines Handelns nach gutem Gew.ssen ist es, der jetzt begreiflicherweise alles beherrscht. Wir haben Verwahrung eingelegt, als das erste strenge Urteil über v. Forstner von einem Teile der Presse angegriffen wurde; es ist selbstver ständlich, daß die gleiche Achtung für den Richter spruch über Oberst v. Reuter und den zweiten über v. Forstner zu fordern ist. Nicht übersehen werden tau» die große Spannung zwischen der ersten Verurteilung des letzteren und dem günz- liehen Freispruch, wie sich überhaupt noch gar manche sachliche Frage aufdrängt. Aber das Ge richt hat gesprochen. Wer möchte nicht von Herzen wünschen, daß damit ein Ende wäre. Doch, so weit sind wir ja leider nicht. Die Zivilverwaltung, vom Bürgermeister und Kreisdirektor an bis hinauf zum Statthalter, kann nicht schweigen. Sollen ihre Verfehlungen und Gebrechen unverantwortct bleiben? Der Statthalter schien ja noch vor drei Wochen seiner Sache sehr sicher zu sein. Er ließ nach seiner Fahrt nach Donaueschingen ver lauten: „Jetzt komme sein Rücktritt nicht mehr in Betracht. Das war das „Jetzt" von damals; aber das „Jetzt" von heute? Und weiter: wird es bei der Kabinettsordcr von 1820 sein Bewen den haben? Wird cs nicht nötig sein, klarere und bestimmtere Vorschriften zu erlassen? Das sind berechtigte Fragen, wogegen die wie eine Flut heranbrechenden Zornescrgüsse der Presse über das „aufrührerische Elsaß" durchaus als übertriebene Srimmungsäußerungen zu behan deln sind. Schlimm genug, wenn alle Klüfte, an deren Schließung bereits ein Geschlecht von nationalgesinnten Deutschen im Elsaß ar beitete, von neuem aufspringen. Hier heißt es ruhig Blut bewahren. Keine böse Erfahrung dÄrf uns von dem Grund satz strengster Gerechtigkeit abbringen. Un sere Feinde sehen mit Schadenfreude auf jeden falschen Schritt, und wir sind töricht, wenn wir durch ein übernervöses Gebaren die Zustände verschlimmern, die zu verbessern die Aufgabe des Deutschtums und einer zähen Politik sein muß. Ein Rückschlag, wie er jetzt auch bei der sonst ruhig denkenden Bevölkerung leider zu er warten sei» wird, darf uns daran nicht irre machen. Mit der Verstimmung des Kaisers, von der man jetzt in Berlin und anderwärts so viel spricht, wird auch sein Fernbleiben von der Er öffnung des preußischen Landtags erklärt. Die Abwesenheit des Kaisers und Kö nigs muß auffallen, da es das erstemal war, daß der Landtag zu Beginn einer neuen Legis laturperiode nicht vom Könige in Person er öffnet wurde. Wenn man sogar wissen wollte, daß der Kaiser seit den Reichstagsverhandlungen über Zabern ähnlich wie nach dem sogenannten Novembcrsturm im Jahre 1908 mit schweren Entschlüssen ringe und deshalb auf die Eröffnung des Landtags verzichtet habe, so sind das Ge rüchte, die sich leicht aus den Zeitumständen zu erklären, aber hoffentlich nur als Phantasie stücke zu bewerten sind. Es wird eben in diesen Tagen vielerlei zusammengcreimt. Die von dem Ministerpräsidenten Herrn v. Bethmann ver lesene Thronrede war nicht so gewichtigen Inhalts, daß sich hieraus unbedingt die Not wendigkeit der Anwesenheit des Staatsober hauptes hätte ergeben müssen. Ueber Preußen hinaus von Belang ist das Gesetz zur Neurege lung des Fideiko mißwesenS insofern, als bekanntlich eifrig gestritten wurde, ob nicht bes ser das Reich als Gesetzgeber für dieses Ge biet anzurufen sei, und bas gleiche gilt für das WohnungSgesetz Es gehört zu den un serer Zeit eigenen politischen Problemstellungen, wenn die Frage nach der Verteilung der Auf gaben zwischen Einzelstaat und Reich öfter und öfter anftancht, und wir sehen deutlich, wie die Staatsmänner der Einzeistaaten gewisse maßen unter den Druck des Reiches geraten und nun jeder Ausdehnung der Reichsge,ctzgebnng wider streben oder ihr durch die Landesgesctzgebung zuvorzukommen versuchen. Schadet nichts. Das Sonderbare ist nur, daß die preußische Regie rung gerade da, wo es sich um eine ureigene, höchstwichtige Sache des Landes, um die Neu ordnung des Wahlrechte s handelt, jede Ent schlußfähigkeit vermissen läßt. Trotz der 1908 in der Thronrede enthaltenen Verheißung der Wahlreform diesmal kein Wort über ihre Er füllung! Das ist nicht nur ein Versagen der Regierung vor einer von ihr selbst als dringlich und notwendig erkannten Aufgabe, nicht nur ein Ausweichen, sondern ein Bekenntnis zu der kon servativen Auffassung: Es muß auch so gehen. Ja, gerade weil dieses preußische Drciklassen- wahlrecht, das bekanntlich schon Bismarck auf das schärfste verurteilte, das rückständigste aller Wahleinrichtungen ist, wird es von der äußersten Rechten wie ein Symbol konservativer Macht hochgehalten. Und das ist es auch. Vielleicht meint man im Lande, es sei ein ganz voll kommener Widerspruch, wenn gerade jetzt das Herrenhaus über den Antrag des Grafen Horck von Wartenburg verhandle, der die Regierung auffordert, alles zu tun, um jede Beeinträchtigung der Stellung Preußens als Einzelstaat zu verhindern. Denn — sagt man sich: angenommen diese Beeinträchtigung drohe — wäre es da nicht selbstverständlich, daß von der Regierung verlangt werden müßte, Preußen auf jede Weise durch die Vollkommen heit der Staatseinrichtungen, also auch durch ein zeitgemäßes Wahlrecht, auf einer Höhe zu halten, die der Bedeutung des führenden Staa tes entspricht. Aber weit gefehlt. Nein, nicht diesen Schluß zieht man; nicht darauf richtet sich der Ehrgeiz, den preußischen Staat kraft einer fortschrittlichen Entwicklung stark- zumacksen, seine Kraft soll im BeharrungS- zustande liegen. Das heutige Preußen ist den konservativen Politikern nicht mehr preußisch genug. Siche Preußenbund! Rückwärts will man. Schlimm genug, wenn die Regierung die Augen schließt vor der durch hundert geschicht liche Beispiele zu belegenden Erfahrung, daß solche Politik zu nichts Gutem führen kann. Sie wirkt nicht, wie ihre Angänger vorgeben, staats erhaltend, sondern führt geraden oder krummen Weges in die Gefahrenzone, wo Reaktion und Revolution einander gegenüberstehen. die preußischen Granüen gegen -en Kanzler. O Berlin, 10. Januar. Es ist seit ein paar Jahren Sitte geworden, sich an den Lcbensäußerungen des preußischen Herrenhauses zu berauschen. Das hängt mit der sentimentalen Art zusammen, wie wir uns neuer dings überhaupt gewöhnt haben, Politik zu treiben, und von der ja auch in den letzten Tagen mancherlei Proben zu sehen waren. 'Mit diesem Bedürfnis nach Helden- und Charakter verehrung um jeden Preis, das, freilich in einer Zeit, die an Helden, wie an Charakteren gleich arm wnrde, psychologisch einigermaßen er klärlich ist. Man sehnt sich immer nach de n, was man nicht hat oder nicht zu haben glaubt, und so war es auch in vielen, sonst liberalen oder nahezu liberalen Kreisen Brauch, die wunder baren Persönlichkeiten zu bestaunen und die wuch tige Geschlossenheit ihrer Weltanschauung, deren Kenntnis in reichlich gemessenen Zwischenräumen die preußische Hecrenkurie uns zu vermitteln vflegt. Ruhige Beobachter, die auch inmitten der deutschen Hysterie sich das Gleichmaß ihres Gemüts zu bewahren verstanden, haben freilich vor solcher Uebcrschätzung immer gewarnt und gemeint: Auch im Herrenhaus würde, wennschon es ihm gcwig nicht an manchem fei nem Kovf fehle, im allgemeinen mit Wasser gekocht. Diese Skeptiker haben heute, wo im Herren haus ein ganz besonders „großer Tag" an gesagt war, ihre besondere Genugtuung erlebt. Man muß es nämlich im Auge behalten: Der Spitzführer der heutigen Aktion, der, unter dessen Namen der seltsame Antrag auf stärkere Bewahrung der historischen Stel lung Preußens ging, und der ihn auch begründete, war ja nicht gleich gut wer, war keiner von den kleinen Junkern, von denen Treitschke einst spottete: Diese Peers der Krone, Preußens pflegten während der Session in Ber lin in irgendeinem billigen Chambre garnie zu wohnen. Der Graf Uorck von Warten burg ist ohne Frage ein Mann von persön licher Kultur, ein gebildeter und gescheiter Herr, und doch war, was er heute vortrug, ausschließ lich unter dem Gesichtswinkel des kleinen preußi schen Junkers gesehen. Dieses preußischen Jun kers östlichen Ursprung-, dem das Reich eigent lich immer eine etwas unbehagliche Erfindung blieb, und der die „ganze Richtung" ablchnt, die ihn vielfach wirtschaftlich depossediert hat, und von der er fürchtet, daß fie ihn eines Tages auch gesellschaftlich deposscdieren könnte. Man hatte nach dem Wortlaut des Antrags und der ihm beigcgebenen kurzen Begründung gemeint: Der Vorstoß würde voruehinlich dec vom Kanz ler und Ministerpräsidenten vci der letzten Lteueraugelcgcnheit eingenommenen Hcutung gelten. Und heute, da man unter den Satelliten, die Herrn von Bethmann in das preußische Oberhaus folgten, auch Herrn von Fata en- Hayn sah, glaubte man: wir würden eine Vor lesung über Zabern zu hören bekommen. DaS war ein Irrtum: Von Zavern wollte Graf 2)orck nicht sprechen, weil, wie er sagte, das Urccit noch nicht gefällt sei. Jit Wahrheit wohl, weil, als er gestern aus diese Kampsreoe sich vorvereckeie, der Spruch ihm uvch nicht vorlag. Dafür stellte er geireultch alle Beschwerden zusammen, die wir seit Jahrcsfrtsl von den Hjreußen- bündlern und solchen, die es werden wollen, gehört hatten. Graf Vorck klagte die Demolratie an, die von ihrem Tum melplatz, dem RerctMag, aus die Etnzclstaatcn zu knechten sich unterfange, und er klagte die Reichsregierung an, die diesem demotraftschen Machlgelüste wiederholt sich gefügt habe. In solcher Beleuchtung sahen wir dann die Inter pellationen mit dem Mißtrauensvotum, die kur zen Anfragen, die elsaß-lokhringtsche und die, mecklenburgisch Verfassung, die gestrichenen 'Adjutanten, Herrn Delbrücks vorjährige Aeuße- rung über das WohnungSgesetz, die Bestellung von Rcichsbeamten zu Kommissaren des Bundes rats, die Rüstungskommission und vieles andere an uns vorüberziehen. Bald graste er am Neckar,- bald graste er am Rhein; denn der Graf Aorck ist ein gründliche Mann, und was ibn an be sagter „ganzen Richtung" geärgert hatte, das führte er auf, wobei cs ihn nicht störte, daß er ein paarmal bedenklich über die preußischen Kompetenzen hinausgriff. Dann erhob sich der Ministerpräsident zur Replik: Herr von Bethmann stieg nicht, wozu an sich der Anlaß wohl gegeben gewesen wäre, in die Tiefen des preußisch-deutschen Dualismus, der den alten zwischen Preußen und Oester reich abgelöst bat. Nur einmal streifte er dies Problem, in dem er bekannte, der Gegensatz zwischen Preußen und dem Reich würde immer größer. Aber man dürfe ihm beileibe nicht dadurch beikommen, daß man die preußische Ver fassung der Reichsverfassung nachbilde. Dafür begnügte sich (was ihm bei diesem Publikum wohl auch mehr Beifall sicherte) der Kanzler, nachzuweisen, daß der Reichstag mit seinen et waigen demokratischen Gelüsten bei ihm zumeist auf Granit gebissen hätte und alle Resolutionen bislang wertloses Papier geblieben wären. Und zum Schluß verabreichte er dem Grafen Aorck sehr behutsam, aber nicht ungeschickt, an der Hand einer Anekdote von Bismarck und dem alten Kaiser eine kleine Pille und fragte ihn durch die Blume: Bist du denn nicht auch ein Deutscher? Mit dieser Zwiesprache war der „große Tag", knapp zwei Stunden, nachdem er be gonnen hatte, denn auch zu Ende. Der An trag des Grafen fyorck wurde zwar in nament licher Abstimmung angenommen, aber in einer für den Unbeteiligten recht drolligen Geschäfts- ordnungsdcbatte ward ihm seine eigentliche Be deutung entzogen, und also bleibt es bei dem, was wir oben sagten: Auch im Herrenhaus wird mit Wasser gekocht. Nicht die offene Parla mentsschlacht ist es, wo die preußischen Granden ihre größten Erfolge erzielen. Womit nicht ge sagt sein soll, daß ihr Votum und ihr Miß fallen einen Kanzler und preußischen Minister präsidenten kalt lassen könnten. Nachklänge zu -en Straßburger Prozessen. Aus der Begründung des Urteils gegen Leutnant Schadt fügen wir unseren Mitteilungen von gestern abend aus der Begründung des Urteils gegen Oberst von Reuter noch folgendes hinzu: Kriegsgerichtsrat Jahn führte aus: In bezug auf den Angeklagten Schadt sei zu bemerken, daß von einer widerrechtlichen Freiheits beraubung auch durch ihn nicht die Rede sein könne. Der Anschuldigung gegenüber, Schadt sei un berechtigt in die Wohnung der Zeugen Levy und Gunz eingedrungen, ist festgestellt worden, laß, nach den bezüglichen militärischen Bestimmungen schadt als Wachthabender dienstlich mit der Fest nahme von Personen beauftragt war, die sich etwaiger Gesetzwidrigkeiten schuldig machten. Schaot hielt sich zu seinem Dorgeben berechtigt. Was die vorsätzliche körperliche Mißhandlung Kornmanns anlange, so hat das Gericht keine Veranlassung, dem einzigen Zeugen Kornmann selbst Glauben zu schenken; auch sei nicht anzunehmen, daß durch den Schlag mit der flachen Hand der Backen zahn sich gelöst habe. Das Gericht hält einen ganz schlüssigen Beweis nicht für erbracht und spricht Schadt nach dem Grundlage in ckubio pro nve» auch in diesem Punkte vollständig frei. Da» Ge richt kommt, wie bereits gemeldet, zu der Erkenntnis, Oberst von Reuter wird von der Anklage der Frei- beitsberaubung in Verbindung mit Nötigung und Anmaßung freigesprochen. desgleichen Leutnant Schadt. Wie von anderer Seite mitgeteilt wird, soll bei der Urteilsverkündung im Reuter-Prozeß
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