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s. veilsgr. somiwg, 10. veptemver lSII. Leipftger Tsgeblan. Nr. 2Sl. l0S. Iattryany. Suk üer Golüwsge. MI Roman von Marie Stahl. (Nachdruck verboten.» Zur selben Zeit schrieb Frau von Flamberg an ihren Sohn Alexander: „Sie hat mir gekündigt, und nicht nur das, sie bat um sofortige Entlassung. Du wirst mir recht geben, daß ich sie ersuchte, mit dem nächsten Zug mein Haus zu verlassen, und das; ich ihr sagen lies;, ich sei nicht mehr für sie zu sprechen. Es gibt etwas, was ich nicht vertrage, das ist Undank. Lieber wirtschafte ich wieder mit Frau Kuhlemann allein, ebe ich niir so etwas gefallen lasse! Wir haben diese Person zu sehr verwöhnt, nun pocht sie auf ihre Unentbehrlich keit. Es hat mich so aufgeregt, daß ich wieder einen Anfall meines alten Leidens belam." Alexander war sehr betroffen, als er diesen Brief erhielt. Zuerst fühlte auch er Entrüstung, aber dann sagte er sich, das; Kläre wohl kaum anders handeln konnte. Seine Mutter beurteilte sie natürlich ganz falsch, sie kannte ja den wahren Sachverhalt nicht. Und hier fühlte er wieder einmal, daß etwas fehlte bei den Frauen, die nicht zum selbständigen Deinen erzogen waren. Seine Mutter war von Natur eine kluge Fran, aber Erziehung und Gewohnheit hatten ihr doch sehr enge Grenzen gezogen. Sonst wäre sie einer Periöw lichkeit wie Kläre nicht so verständnislos gegenüber geblieben und hätte sie nicht nach ihren beschränkten Borurteilen gemessen. Schließlich war es ja für ihn eigentlich das beste, wie es gekommen, denn der Konflickt mit seiner Braut hatte sich fatal zugespitzt. Nun war der Knoten von Kläre selbst durchschnitten, ohne daß er sich etwas zu vergeben brauchte. Er hatte gewiß das möglichste ge tan, indem er ihr trotz ihres Zugeständnisses seinen Schutz angeboten und ihr versprochen, sie zu halten, wenn sie ihm ganz offen die Wahrheit sagte. Ja, warum hatte sie das nicht getan, warum zog sie vor, zu gehen, anstatt ihm ihr Vertrauen zu schen ken? Das hinterließ einen Stachel in seiner Seele. Das war ihr unbeugsamer Hochmut, ihr Trotz, der sich gegen ihn und seine Hilfe auflehnte! Wohin war sie nun gegangen, und war sie für immer aus seinem Leben verschwunden? Welch eine ungeheure Lücke hinterließ ihr Abgang aus Satzenfclde! Sie war gar nicht zu ersetzen, denn seine Mutter würde nie mehr die körperliche Kraft haben, die Leitung des Hauswesens auf sich zu nehmen. Und es war nicht anzunehmen, daß sie zum zweitenmal eine bezahlte Kraft fände, die Kläre auch nur im entferntesten gleichkäme. Erst durch den Verlust würden ihr ganz die Augen aufgehen, was sie an dieser Stütze gehabt. Es war fast zum Lachen, wenn sie von Undank sprach und sich einbildete, daß Kläre ihr zu so großem Dank verpflichtet sei. Ja, wofür Leun eigentlich ? Daß sie einer alten, hilflos werden den Dame die Liebesdienste einer Tochter erwiesen und außerdem mit der Drangabe ihrer überlegenen Persönlichkeit das verbummelte Hauswesen auf das Niveau einer Musterwirtschaft gehoben hatte? Da war wieder das Vorurteil der nicht logisch denkenden Frau, die es für eine überwältigende Güte hielt, wenn sie eine bezahlte Arbeiterin, die ihr doch überlegen war, freundlich behandelte. Ja, sie hielt cs wohl an und für sich für eine Bevorzugung, wenn sich jemand für die Familie Flamberg aufopfern durfte. Wie selten waren doch denkende Frauen wie Kläre! Und er sollte sie nun für immer entbehren! Für immer mit der Unzulänglichkeit fertig werden, mit der Arroganz ohne Tüchtigkeit, mit der Halbheit, die zu träge ist für ernste Arbeit und eigene Verant wortung. Das ging ja, solange der Reiz der Ver liebtheit da war, solange der Jugcndzauber diese Mängel vergessen machte, aber — das Leben war lang. Was dann, wenn dieser Reiz verblaßte? Uno immer würde er an Klärens Geheimnis rätseln. War es möglich, daß eine Frau von so starker sittlicher Kraft sich je erniedrigt hat? Da stimmte etwas nicht zusammen. Das Wie und das Was blieb zweierlei, und das Wie war wohl immer und überall das ausschlaggebende. Er war sehr verstimmt, als er seiner Braut wie der begegnete. Es war am Tage vor ihrer Abreise nach Karlsbad, wohin sie ihre Mutter begleiten sollte. Sie promenierten zusammen im Garten des Ministerhotels, während Fräulein von Klampenborg auf der Veranda mit den Bambusmöbeln und den japanischen Paravents saß, wie üblich in einen Band Tauchnitz vertieft. Der Sommerwind ging erquickend Lurch den Garten, der trotz längerer Dürre, künsilich bewässert, in wundervoller Frische grünte und blühte. Ein Gärtner ließ die rauschenden Strahlen der Gartenspritze über den Samt des Rasens uno die Teppichbeetc sprühen. ..Du ziehst als Siegerin vom Plan. Fräulein Hübner hat Satzenfclde »erlassen. Sei hat selbst ge kündigt und um sofortige Entlassung gebeten, lvas ihr ».eine Mutter sehr übel nahm", erzählte er seine: Braut. Sanna sah ihn überrascht an, und ein deutlicher Triumph blitzte in ihrem Auge auf. „Also ist ihr doch wohl der Loden unter den Füßen zu heiß geworden?!" bemerkte sic spöttisch. Ihre Stimme hob sich sofort: sie war bis dahin kühl und ungnädig gegen ihren Lkrlobten gewesen. „Die Tatsacl;en mögen scheinbar gegen sie sprechen, ich glaube nicht an ihre Unwürdiakcit", sagte Alexan der sehr bestimmt, fast scharf. „Wir Männer wissen in sittlicher Beziehung ganz genau, wen wir vor uns haben. Ich bestreite gegen jeden, daß es ein Wcib auf der Welt gibt, das sich dauernd verstellen und uns tauschen kann." „Ich bestreite, daß cs einen Mann auf der Welt gibt, den eine Person wie die Hübner nicht glauben machen kann, was sie will." „Du hast für deine große Jugend bedauernswerte Ansichten. Es erschreckt mich oft, Sanna, wenn ich solche Aussprüche von dir höre. Du hast schon zu viel von Len giftigen Miasmen der großen Welt ein geatmet." „O du Dummer, wenn ich ein Bählämmchen wäre, würde ich dir bald tödlich langweilig sein!" rief Sanna lachend, die plötzlich unverwüstlich guter Laune geworden. „Ich habe große Sorge um meine Mutter, ich weis; gar nicht, wir sie nun fertig werden soll. Es ist im Grunde eine kolossale Torheit von uns, das; wir eine so unbezahlbare Kraft wegen eines Klatsches gehen lassen. Wir tun uns selbst den größten Lcha- den. Was geht uns im Grunde ihre Vergangenheit an, wenn sie damit abgeschlossen hat und sich tadellos benimmt?^ „Ich will dir mal etwas sagen!" rief Sanna, mit sprühenden Augen vor ihm stehenbleibend. „Ihre Vergangenheit ist mir so schnuppe" — sie schnipple mit den Fingern in die Luft — „aber jede, die es wagt, mir im Lichte zu stehen, jage ich zum Tempel hinaus! Ich habe eine feine Witterung, und cs ist gut, vorzubeugen. Wer es mit mir ausnimmt, kann sich vorsehen! Verstehst du mich?" Sie sah bestrickend aus in diesem rassigen Tem peramentsausbruch, mit dem glühenden (besichichcn und dem energisch stampfenden Füßchen. Und diese Tollheit galt ja ihm. Seinetwegen haßte und ver folgte sie die andere. Und sie harte recht. Ihre Witterung war fein! Der alte Rausch machte sich geltend, und rveil sie gerade hinter einem Tama nndenstrauch standen, nahm er sie beim Kopf und tüßtc sie ab, wie jeder Hans seine Grete abküßt, trotz Fräulein von Klampenborg im Bambusjcssel mir dem cnglistben Frauenroman und trotz des Gärtners mit der Brausespritze. Und Sannas Helles Lacken klang wie ein Jauchzen durch den duftenden Garten Bci der Abreise der Geiersmarkschen Damen stand Alexander wieder, mit Blumen beladen, aus dem Bahnsteig in einer Gruppe von Leuten aus der Hos gesellschaft. Frau v. Gciersmark erschien am Arme eines Kavaliers, der die Jugendgrenze bereits überschritten hatte, aber Lurch seine zähe, etwas hagere Sportsigur und jlotte Kleidung über seine Jahre hinwcgtäu'ctftc. Er trug unverkennbar den Stempel des Grandscig neurs. Alexander ertannte mit einiger Uckerraschung in ihm den Grafen Klamnitz, der Sanna bereits zur Konfirmation ein goldenes Teescrvicce mit seinem Wappen geschenkt barte. Da er ein alter Freund des Hauses Geiersmark war, konnte sein Erscheinen Außenstehende nicht gerade befremden, Alexander kam es aber doch merkwürdig vor, daß der abgewiesene Freier sich unter den jetzigen Verhältnissen nicht lieber fernhielt. Und es verletzte ihn, baß Frau von Gciersmark immer noch eine auffällige Bevor zugung seiner Person zur Schau trug, während sic ihn sehr nebensächlich irahm. Seine Verlobung war noch nicht veröffentlicht, er hatte keine Gelegenheit mehr, Sanna unter vier Augen ein letztes Wort zu sagen, und in seiner Ver stimmung hielt er sich reserviert und kühl im Hinter gründe. Frau von Gciersmark erdrückte alles um sich her mit ihrer monumentalen Persönlichkeit, sie sprach wieder über die Köpfe der Men'chen hinweg und war unpersönlicher denn je, nichts als erste, repräsentative Dame, deren Abreise sich wie ein Staatsart vollzieht. Ein Stab von Bediensteten be gleitete sie, und es kostete Zeit und Mühe, sie im Salonwagen zu verstauen. Fräulein von Klampen borg, einen Band Tauchnit;' Edition in der Hand und mehrere in der Reisetasche, folgte Sannu als Schtldwachc. die in einem weißen Leinenkcstüm sehr reizend aussah und mit allen kokettierte. Gral Klamnitz war der Bevorzugte, der Frau von Gciersmark noch einmal durch das Fenster die Hand küssen durfte, und sie sagte als letztes Wort: „Also auf Wiedersehen in Karlsbad, lieber Graf!" Dann brauste der Zug zur Bahnhalle hinaus in den sonnenoergoldeten Dunst von Staub und Rauch hinein. Alexander blieb mit einem seltsam wehen, erkälteten kstefühl im Herzen zurück. Diese Frau, die er später Mutter nennen sollte, fiel ihm jedesmal auf die Nerven, sobald er in nähere Berührung mir ihr kam. Er konnte sich nichts Unerquicklicheres Lenken als das Geicrsmarksche Familienleben, das als eine Gemeinschaft oder Zusammengehörigkeit überhaupt nicht existierte. Und gerade er machte in dieser Beziehung die höchsten, idealsten Ansprüche. Würde es ihm gelingen, Sanna zu etwas anderem zu erziehen, als sie bisher gewesen ist? Vorläufig fehlte ihr jeder Sinn für das, was er unter Fami lienglück verstand. Er hatte sich eilig zum Gehen gewandt und den Bahnsteig verlassen, ehe die übrigen aufbracheu, um Graf Klamnitz aus dem Wege zu gehen. Sicher war cs eine abgekartete Sache zwischen ihm und Frau von Geiersmark, daß er ihnen nach Karlsbad folgen sollte. Diese Rücksichtslosigkeit gegen ihn empörte ihn, und er beschloß, Sanna darüber zu schreiben. Er war ja ihrer sicher, er glaubte keinen Augenblick, daß sie diesen alternden Lebemann ihm je vorziehe.i lönnc dazu hatte sie viel zu heißes Blut und gc junLes Temperament aber er war nicht der Mann, sich geringschätzig behandeln zu lassen, und wenn ihre Mutter sich dazu berufen fühlte, so hätte sie ihm aus irgendeine Weise Genugtuung verschaffen sollen. Sie hatte in dieser Sache doch ihren Vater hinter sich. In denkbar schlechtester Stimmung kam er an diesem Abend in Satzenfclde an und fand dort nichts als Kalamitäten. Seine Mutter war noch leidend und wieder an ihren Licgestuhl gefesselt: Kläre fehlte an ollen Ecken und Enden und im Hause wie in der Wirtschaft herrschte völlige Anarchie. Frau Kuhle mann heulte, und niemand wollte ihr parieren. Frau Pastor Grünen war zur Hilfe gerufen als Trost und Gesellschaft für die Kranke, aber dos hotte die Sache wenig gebessert. Als frühere Gouvernante hatte sie ausgeprägt erzieherische Neigungen, und die Gelegen- h it erschien ihr passend, Frau von Flamberg eine Lektion zu erteilen. „Wie können Sie sich nur wundern, meine Liebe. Ich sah ein' solches Ende längst voraus", leitete sie aus Frau von Flambergs Klage eine lungere, lehr reiche Predigt ein. „Es tut nie gut, einen so über triebenen Kultus mit einer Person zu treiben, noch dazu mit einer, die einen ganz an die Wand drückt. Nehmen Sie es mir nicht übel, Sie waren ja alte ganz vernarrt in dieses Fräulein Hübner, deren Auf treten doch für ihre Stellung nicht ganz passend schien. Sie war nicht nur Herrin hier im Hause, sondern eine Art Idol, das auf den Altar gestellt und angcbctet wurde. Wenn die Männe: sich aus naheliegenden Gründen diese kleine Schwäche zuschulden kommen ließen, so hätten Sie. als kluge Frau, doch rechtzeitig einen Riegel vorschicben sollen." In diesem Ton ging es unaufhaltsam weiter, denn Fran Pastor Gruuert hatte ihrem Gatten heute noch nicht verziehen, das; er nach dem Osterdiner in dem allgemeinen Frühlings und Maibowlenrausch Klären einmal als Frühlingsgöttin und segenspcndcndc Fee angeschwärmt hatte. Und auch die Geiersmarkschen Huldigungen waren etwas mehr, als selbst die christ lichste Psarrfrau einer Mitschwester verzeihen konnte. Besonders wenn sie selbst als die „gescheiteste Fran" galt, von der ein Konsistorialrat mal gesagt hatte, sie setze ihn auss Trockene. Als Alexander kam, saß sie immer noch, mit der Granatbrojchc an der haargeflochtenen Uhriette angc tau, neben seiner Mutter und hatte sie ganz klein und mürbe gemacht, was gerade nicht zu ihrem Trost und zu ihrer Besserung beitrug. Er war aber nicht in der Stimmung, sich von ihr gute Lehren geben zu lassen, und schnitt ihr das Wort höflich, aber kurz ab, als sie auch ihm nut Genugtuung zu Gemüt führen wollte, daß sie sich alle mit „diesem Fräulein Hübner" gründlich blamiert hätten. „Verzeihen Sie. Frau Pastor, dieser Angelegenheit liegen Dinge zugrunde, die sich ganz Ihrer Beurcci- i lung entziehen. Mein Urteil über Fräulein Hübners js Person ist beut genau dasselbe wie früher, und ich S bedaurc cs aufs tiefste, daß gewisse äußere Umstände j ihren Fortgang veranlaßten. Ich würde viel darum geben, wenn ich sic zurüctgewinnen könnte", sagte er mit solche: Bestimmtheit, daß selbst seine Mutter nichts eftuvendete, während die kleine, rnndliche Frau Pastor sich start räusperte und sehr bald erklärte, das; sie ihren Martin nicht länger allein lagen könne. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.) Linci geLckmaci^vol!, Lvlic! un6 pi-eiL^ek't ZITZ»* 40, pi., i.. ». u. m. Lisge. k«7! 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