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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.09.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110915022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911091502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911091502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-15
-
Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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LezuqS Preis Abend-Ausgabe. kLr U«vn» «»» L'oron« »»ich »ns«« Iräa«, «n» Eo«dN«»l< Lmal täaltch >n< va»» g«dracht » Ps. monatig L7i> Mt. oi«n«ULHN Le« ,ns«rn FUtalen ». An» nähmest«!!«» adaetzoU 7» Vs. monatl, r.rs mr. oieneijädir r»rch »,« Volt: innerhalb Druitchland, und or« de»tschen Nolontrv »»««eljahrl. !.0ü »t.. monatl. l^V Stk. a»,schi. Poftb«ft,lla«ld gern«r in Belgi«», Danemarl. b«n Donaustaaten. Italien. ü»z«mdura. litieverlaad«. Nor» we,en Orüerreich»Un«arn -iuüland. Schweden, Lchioeu a Evaulen. In allen übrigen Staaten nur »»rett ourch vtr <SeIchai«,!telI« ve» Blaue» ervälrltch. Da» U«N>N««r Lagedlau «rlchet« r«al lagltch. Sona. ». SeirNag» na« aiorgea». Üldonnrm,n«».<lanatzm» 2«ha»ai»galle 8. vr» anlerea Iragera. Atlialen. Sprvtlea«» und Annahmestellen, iowi« Boilamtern and Bneitragern. UtiMgcr Tagtblall Handelszeitung 114692 l«ach»«lchl»»» l l4 692 l«°chtaalchlu» ret.-it»»chl.!lE iNaudelszeirung. rkl.-ÄE.ji4« Ämtsblatt des Nates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. An,eigen-PreiS Nlr Inserat« au» Letpzlg und Umg«bun» di« lsoaltige Petttzeile A Bs. di« Reklam«» «U« 1 ülik.' von ourwärt» 30 Ps, Sieklamen Mk. Inserat« oon Behörden im amt lichen Teil di« Petitieil« SO Ps S«schast»an,eigen mit Platzvorschriste» im Breis« erhöht Rabatt nach Taris. Beilagegedühr Eelamt- auslag« L Mk. p. Tausend erkl. Postgevühr. Teilbrilage Höher. F«stert«ilte Austraae können nicht zarück- ae-og«n werden. Jur das Erscheinen an beitimmten Tagen und Plötzen wird kein« Garantie übernommen. An,eigen »Annahme: Sohonni,gag« 8, hei sämtlichen Jilialen n. allen Annoncen« Sipeditionen de» 2n< und ÄurlandcL. Trick »nd Verlag »,» Fischer L «ürste» Inhaber: Paul ttürsten. Redattion und -»eschäitostell«: Iohanni»ga,se 8. Haupt »Filisl« Dresden: Eeeitratz« 4, 1 (Telephon 482N. llr. 256. Unsere heutige Morgenausgabe umfaßt 18 Leiten, die Abendausgabe 8 Seiten, zusammen 26 Zeiten. KürkMck suk die mrcklen- üurgilltzen Ssilermsnöoer. (Von unserem militärischen Mitarbeiter.) Neustrelitz, 14. September. Woldegk, in den letzten Manövertagen der Mittel punkt des Operationsgeländes, ist als Eisenbahn station wegen der von hier aus erfolgenden Truppen- Abtransporte zum waffenstarrenden Heerlager ge worden. Aus diesem Grunde und weil nach Abschluss der kriegerischen Handlungen die in so dankenswerter Bereitwilligkeit seitens der Oberpostdirektion Schwerin und seitens des Postamtes Woldegk an geordneten Vcrkehrserweiterungen wieder eingestellt werden, um den in dieser Richtung obwaltenden lethargischen Zustand Woldegks vom frühen Abend bis zum späten Morgen wieder herzustcllen, bin ich nach dem postoerkehrsgünstigeren Neustrelitz geeilt, um hie: in Ruhe einen Rückblick auf die soeben be endeten Manöver zu werfen. Lolche Tätigkeit ist als Ergänzung der täglichen Operationsberichte un bedingt nötig. Denn die Hast des Tagesberichtes, der unmittelbar den Geschehnissen folgen mutz, und dos peitschende Gespenst der letzten Zugoerbindung zu- Beförderung der Berichtsbriefe lassen dem Tages berichte leinen Raum zu Betrachtungen, die über die Darstellung des geschauten Bildes hinausgehen. Die feindlichen Heere. Uebcr 100 000 Mann, in drei schon bestehende und eins aus Abgaben Lieser Korps und anderweiten Ergänzungen vorübergehend gebildeten Armeekorps eingeteilt, waren auf die Beine gebracht worden. Eine an sich für Friedensbegriffe ganz beträchtliche Zahl, und doch wie verschwindend gegen die Masten, um deren einem Ziele — der Niederwerfung des Gegners — zustrebende Führung und ökonomische Unterhaltung es sich in einem wirklichen Kriege heutzutage handeln wird. Einen ungefähren Be griff daiwn würde man bekommen, wenn man sich die in der allgemeinen Kriegslage angenommenen Ar meen (die Elbarmee und die 3. Armee > neben den tatsächlich aufgetretenen Armeen von Not (2. und 9. Korps) und der blauen Armee (Eardekorps und 20. Korps) als wirklich vorhanden vorstellt. Die Führung solcher Masten steht in ihren Zielen in enge: Abhängigkeit von den eigenen Absichten, in ihrer Ausführung aber in noch engerer Ab hängigkeit von der Notwendigkeit der physischen Unterhaltung von Mann und Rotz und Material. Deshalb ist nicht in letzter Linie die Kunst der Truvpensührung zuakich die Kunst, die strategischen Maßnahmen in Uebereinstimmung mit den Berpslegungsmöglichkeiten zu bringen. Ein physisches non possnrnns darf im modernen Kriege nun und nimmer dem strategisch faktischen üio volc» enrgegenzutreten. Welcher Bienen ileis; aller mit der Truppenverpflegung betrauten Instanzen bis herab zum rangschlichtesten Beamten- gliede gehört, um die schließlich aus dem Feldküchen wagen oder in sonstiger Bcrpflegungswcise vor bereitete Beköstigung des Mannes, den Futterbedarf des Pferdes und die Betricbsmittelergänzung des /rettsg, üen lS. September 19 N. 105. Jahrgang. Materials so zu gewährleisten, wie es in diesem Manöver geschehen ist, davon macht sich der Laie kaum eine richtige Borstellung. Wenn auch der ewig blaue Himmej vor den Unannehmlichkeiten eines „nassen" Manövers bewahrte, so hat er doch ander seits durch seins seit Monaten bewiesene Beharrlich keit die Truppe vor erhebliche Strapazen gestellt. Namentlich die Wasserversorgung war ungemein schwierig. Es ist aber vielleicht nicht unzeitgemäß seihustellen, daß dem Gardisten, dem Pommer, dem Holsteiner, dem Mecklenburger und dem Hanseaten selbst die widrigsten Wasser- und Stauboerhältnisse und die ihn von früh bis spät auf den Beinen haltenden Marschanforderungen nichts von seiner guten Laune und seiner Disziplin ge nommen haben. Es war eine Freude, die mehlweißen Kerls unerschlafft durch die Wüstendürre — rer Aus druck ist nicht übertrieben! — der Felder marschieren oder in Eefechtsform sich bewegen zu sehen. Und eine weitere Freude ist Las Bewutztsein, das der Deutsche baden darf, daß in disziplineller und physischer Hinsicht das Ersatzmaterial aller Korpsbezirke eine erfreuliche H o m o g e n i t ät zeigt. Wendet man sich der im Vordergründe des Inter esses stehenden aeronautischen Aufklärung zu, so mutz, wie schon in den Operationsbcrichten er wähnt wurde, festgestellt werden, das; sowohl Lenk- luftschiff als auch Flugzeug ihrer Aufgabe durchaus gewachsen waren. „M. 3", dessen tragisches Schicksal über den Tollensssee-Wiesen nach Abschluß der Ma növer zu einem bedauerlichen Mißklange führte, nachdem das Luftschiff wenige Stunden vorher noch in stolzer Rübe über dem rechten Flügel der roten Verteidigungsstellung manövriert hatte, ist ebenso wie ,M. 2" für den Erkundungsdienst von Bedeutung gewesen. Auch in Luftschifferkreisen selbst kann man sich aber der Befürchtung nicht verschließen, daß oas wertvolle Erkundungsschiff im Ernstfälle über den Häuptern eines mit modernen Ballonabwehr kanonen ausgerüsteten Gegners großen Eristenz- gefahren entgegcngeht. Denn das Schiff ist am Ho rizonte im ganzen Umkreise sichtbar, während es selbst unmöglich zu beobachten vermag, ob es sich in der Wirkungszone eines Abwehrgeschützes befindet. Ganz hervorragend und für manche geradezu über raschend waren die Leistungen der 8 Döberitzer Fliegerajiizierr, deren je 4 mit dem Taubetyp (Eindecker) bzw. mit Albatrotztyp (Zweidecker) den gegnerischen Armeen unterstanden. Welcher Typ, also ob Ein- oder Zwei decker, sich bester bewährt hat, vermag man wohl nur im Lager der beteiligten Flieger selbst zu entscheiden. Die Zukunft der Aufklärung scheint auf diesem (öebiete zu liegen, wenigstens soweit die Tagesaufklärung in Frage kommt. Die Nachtauf- klärung und örtliche Aufklärungen bedeckter Gelände, die keine vertikale Einsicht gestatten, oder Aufklärun gen bei Nebel und Sturm werden aber nach wie vor Sache der Kavallerie bleiben müssen. Die Einwir- kung des neuen Aufklärungsmittels auf die Führer war sehr bemerkenswert. Nach eigenem Ausspruch haben sie ihre Entschlüsse fast nur auf Grund von Fliegermeldungen gefaßt. Bedenkt man. daß Leut nant Mackenthun mit Albatrotz in 33 Minuten eine Erkundungsaufgabe zutreffend sicher erledigte, zu welcher Kavallerie mindestens 4 Stunden gebraucht hätte, so liegen die schwerwiegenden Vorteile der aviatischen Aufklärung gegenüber der auf dem Erd boden vorgenommenen klar auf der Hand. Diese Flieger haben aber auch Abwehrgefahrcn zu fürcht.n. Ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, daß eine gulschietzende Kompanie, natürlich nur im Massen- seuer, solch eine hastig schwirrende Livelle aus der Luft herunterzuhoten vermag. Wenden wir uns der Erde wieder zu, und zwar der Erde selbst mit Sen in diesem Manöver jo viel fach aus ihr gebildeten Scheinjchiitzenstcllungen. Fast jeder meiner Berichte hat davon kurz sprechen müssen. Die im Vorjahre von General von Kluck am Oberländer Kanal im großartigsten Matzstabe herzerichteten Scheinstellungen und ihre Erfolge gegenüber der Armee des Generals von Mackensen Haren zweifellos die häufigere Anwendung von Trug anlagen auch in kleinerem Matzstabe veranlaßt. Man scheint in Fachkreisen geteilter Meinung über den Wert solcher Anlagen zu sein. Nach meiner Auf fassung mit Unrecht. Diese einfachen Erdarbeiten, die mit wenigen Spatenstichen aus übcreinandcrgeleg- ten Erdstücken von ferne die Silhouette einer Schützenlinie Vortäuschen, zumal wenn hier und da ein wirklicher Schütze cingestrcut wird, verursachen so geringe Mühe, daß man auch da, wo sic angelegt sind, ohne vom Gegner angejprocken zu werden, sich der nutzlosen Arbeit nicht verdrießen läßt Werden aber, wir Lies bei geschickter Anlage wohl angenom men werden kann, die aegnerischen Gewehre auf die Atiappen gelenkt, dann ist dies e.n Erfolg der zur Kraft- und MunitionSschwächmra des Gegners mit den einfachsten und billigsten M-tteln geführt hat. Am vorletzten Tage sah ich, wie schon berichtet, das 75. Regiment „Bremen ' südöstlich Woldegk in e ner geradezu mustergültigen Scheinschützenstellung. Drei etagenförmig angelegte und wirtlich besetzte Schützen stellungen bargen sich im Kartoffelfelde, das sich am Berghange ausbreitele, mährend die gegen den Hori zont abgehobene obere Randlinie der Höhe mit einer Scheinanlage versehen war. Ich habe auf mehrere hundert Meter mit einem guten Glase von Gegner seite her Las Atrappöse der Stellung nicht zu ent decken vermocht und bin überzeugt, daß ihr Gegen über fleißig nach den Erdköpfen geschossen hat. Und das ist ja der Zweck solcher Anlagen. Aus ökonomischen Gründen hat di« Truppe dieses Jahr dis feldgraue Uniform nicht getragen. Da man aber weiß, daß sie im Ernstfälle das Mimikry- Gewand der Feldunirorm tragen wird, so können die Bedenken fallen, die vor allem das Nestuegewand der Kavallerie im Fußfeuergesecht austaucken ließ. Daß die Kavallerie sich mehr in der Rolle einer drohenden Bereitschaft, als im lupor toutonions einer „Attacke auf jeden Fall" gezeigt hat — wo sie attackierte, die 18. Brigade ebenso wie die Earde- kavalleriedivision. war der Ritt berechtigt — gereicht ihr nur zum Lobe. Lin neues LMerttsr mit Stolypin. Der russische Ministerpräsident Stolypin ist den Revolutionären seines Landes äußerst verhaßt. Schon einmal, vor einigen Jahren, versuchten sie ihn durch ein Bombenattentat in seiner Petersburger Wohnung umzubringen. Damals schlug das Attentat glücklich fehl, nur eine Tochter Stolypins wurde schwer verletzt. Jetzt haben die Propagandisten der Tat in Kiew einen neuen verbrecherischen Anschlag durchgeführt, der zur Folge hatte, Laß Stolypin schwer verwundet danicderliegt. Drahtlich liegen über den Mordanschlag folg. Meldungen vor: K ie w , 15. September. (Eia. D:o.htmeld.) Wäh rend der gsstrige« T h e a r e r o o: st e l l n n g wurde auf Ministerpräsident Stolypin rin Anschlag verübt, wobei dieser schwer verwundet wurde. Der Täter ist verhaftet worden. Kiew, 1.'». September. lEig. Drahtm.) Minister präsident Stolypin wurde »ei dem Anschlag auch an der Hand verletzt. Die Kugel streifte die Leber und blieb im Rückgrat stecken. Berlin, 15. September. (Eig. Drahtmeld.) D'-e „Lossische Zeitung" bringt über das Attentat auf den Ministerpräsidenten Stolypin folgende Einzelheiten: Anläßlich der Enthüllung Les Denk mals Alexanders ll. von Nutzland fand in Kiew gestern aüens im Theater eine F e st v o r st e l l u n g statt. Während derselben wurde der russische Mi nisterpräsident Stolypin durch einen Unbekann ten, dem es gelang sich ihm zu nähern und meh rere Schüsse auf ihn abzugeben, durch einen Revolverschuß schwer verwundet. Die Kugel drang dem Minister in den Leib und verletzte die Leber schwer. Der Täter nennt sich Ba grow und bezeichnet sich als Nechtsanwaltgehilfe. Nnrokka. Der französische Kurier mit der Antwort des Mi- nisterrates ist am Donnerstagabend in Berlin ein getroffen. Vermutlich findet im Lauf« des heutigen Tages die erste Unterredung zwischen Cambon und Kiderlen-Wächter statt, von deren Ausgang es ab hängen wird, ob weitere Besprechungen noch zweck mäßig sind. Vielfach sind in Paris und in Berlin, wie ichon gestern berichtet, optimistische Stimmen zu vernehmen gewesen. Zn Holland und in Belgien neigt man dagegen mehr zu einem düsteren Pessimismus und rüstet unermüdlich weiter. Zn Paris, wo sich die „Patrie" einen tollen Bluff leistete — sie oe- richtele oon einem Einbruch deutscher Kavallerie in Frankreich — mehren sich jetzt übrigens die Stimmen für eine schleunige Einberufung der Deputierten kammer. Wir haben folgende Drahtnachrichten zu verzeichnen: Die Lügenmelvung der „Patrie" und ihr« Wirkung. Paris, 15. September. (Eig. Drahtmeld.) Mit welchen Mitteln die Pariser Thauvinistenpresse ar beitet, um unter jeder Bedingung Las Zustande kommen einer Einigung zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern, beweist das Vorgehen der Nochefortschen „Patri e" die gestern nachmittag in drei aufeinanderfolgenden Extra ausgaben die Alarmnachricht verbreitete, daß deutsche Ulanen bei Luneville die französische Grenze überschritten Hütten und daß es zu einem Gefecht zwischen der deut schen Kavallerie und französischer Infanterie und Gendarmerie gekommen sei. Die Nachricht ver fehlte nicht, die größt« Bestürzung in der französischen Hauptstadt hervorzurufen. Zu Tausen den umstanden die Pariser Lichrgedrängt die Racak- tionsgebaude der großen Zeitungen, um neu« Nach richten über das Erfocht zu erhalten. Die „Patrie" fuhr inzwischen mit der Ausgabe von weiteren Extra blättern fort, in der immer neu« Einzelheiten über den Zusammenstoß zwischen üen deutsch» und fran- Mschen Truppen gemeldet wurden. Obgleich in später Abendstunde sowohl die „Agence Hava s", wie der „M a t i n" die Meldung der „Patrie" als einen groben Schwindel brandmarkten, hatte Ku! ürr GslSmsge. 59) Roman von Marie Stahl. IStcilvoruck verboten.» Herr Fabius, der um diese Stunde mit der Gartcn'cherx zu promenieren und abgeblühte Rosen weazuknipsen pflegte, war am frühen Morgen nach Leipzig abgcreiit. Hulde hielt den Kopf tief über das Heft geneigt und schrieb, ohne aufzusehen und ohne änzuhalten. Steineü lehnte am Eingang ihr gegen über an dem von Klematis umsponnenen Gitterwerk des Pavillons und diktierte fortlaufend Sätze aus einem englischen Lesebuch. Er war mit koketter Nach lässigkeit. die zugleich kleidsam und elegant genannt werden konnte, gekleidet, in einen Hellen Sportanzug ohne Weste, mit einem breiten, bunten Gürtel über dem gestreiften Hemd und einem blauen, malerisch ge knoteten Bindeschlips. Plötzlich lachte er laut auf. Hulde stockte im Schreiben und sah ihn er staunt an. „Ich diktiere Ihnen schon eine ganze Weile Un sinn. und Sie schreiben alles wortgetreu mit heiligem Eifer hin", sagte er, sich über ihr Buch beugend und die letzten Sätze laut lesend. Hn'lde wurde sehr verlegen. „Ich dachte nicht an den Sinn", entgegnete sie. Er hatte die Hand auf ihre Feder gelegt und hielt damit ihre Finger fest, während er las. Es war in nackten Worten eine Liebeserklärung in englischer Sprache. Huldens Finger zuckten und sträubten sich leise, aber er faßte sie fester. Und sich neben sie setzend, flüsterte er ihr mit heißem Atem zu: „Du kannst nicht mehr von mir los, nie mehr!" Sie wollte sich freimachen in tödlicher Angst, während sein Arm sie enger zu sich zog. .Nein, nein!" keuchte sie mit wildschlagendem Herzen. „Ich bin Braut: Sie wissen ja, daß ich so gut wie Braut bin! Bitte, ach, bitte, lassen Sie mich!" „Hulde, diese Verlobung ist ungültig? Du warst damals ein unreifes Kind und ließest dich über rumpeln. Du hast cs mir selbst gestanden. Die Ver lobung ist so gut wie aufgehoben durch deinen lavieren Entschluss, dich auf eigene Füße zu stellen. Was willst du jetzt noch mit diesem lächerlichen Leutnant? Du gehörst ja längst mir mit Leib und Seele. Er wird dich nie verstehen. Du bist das neue Weib. Las Weib der Zukunft, wie ich er in meinen kühnsten Träumen gesehen. Stark wie Brünhild, wahrhaftig wie eine Walküre, und doch weich und süß wie der Samtkelch einer Rose! Wir beide mutzten uns finden, und wenn Welten uns trennten! Jetzt erst weiß ich. wie ich mich weggeworfen habe an jene andere. Sie war kalt und engherzig, sie hat mich nie verstanden. In dir liegt die Fähigleit zu einer Höchstentwicklunq, du wirst den steilsten Weg mit mir gehen. Wir müssen viel wagen, aber wir werden zu lichten Höhen aufsteiaen, die du jetzt noch nicht einmal ahnst." „Sie dürfen nicht so zu mir sprechen, ich habe einem andern Treue gelobt, und solch ein gegebenes Wort ist mir heilig!" unterbrach ihn Hulde, bebend vor tiefinnerer Erregung, die sie fast wie ein Fieber schüttelte. „Heiliger ist die freie Liebeswohl, das göttliche Recht unserer Zusammengehörigkeit, das in Ewig keitstiefen wurzelt", flüsterte er beschwörend, immer noch mit eisernem Griff ihre Hand haltend. Und er fuhr fort, ihr gestammelte Liebesworte ins Ohr zu raunen, immer dringender, leidenschaftlicher, mit heißem Atem. Halb abgewandt, aber doch wie unter einem Bann, saß sie reglos, betäubt und überwältigt von dieser Sturzflut, die über sie hinging, bis es ihr endlich gelang, sich gewaltsam freizumachen. Sie riß sich los und erhob sich schwankend. „Bitte, bitte — lassen Sie — ich kann nicht. Es macht mich so unglücklich", flehte sie mit gepreßter Stimme. „Ich komme mir so schlecht vor, ein ge gebenes Wort ist doch bindend. Darüber komme ich nie hinweg. Nein, nein — auch Sie könnten es nicht gutheißen — solch einen Treubruch — einen Betrug!" Er lenkte ein: sie war widerstandsfähiger als er gedacht. Er hatte sich ein wenig verrechnet. „Ich will keinen Betrug: ich will nur das Ver sprechen, daß du dieses ganz unhaltbare, törichte Ver hältnis löst, mein einzig, mein tödlich Geliebtes? Hobe doch Mitleid: ich vergehe in Qual, wenn ich nicht hoffen darf!" stöhnte er, ihre Hand an seine Augen und Lippen pressend. „Ich will um dich dienen, wie Jakob um Rahel, sieben Jahre, wenn es sein muß. nur sage mir, was ich ja doch weiß, daß du mich liebst, daß du mir und keinem andern in Zu kunft gehören willst! Hulde. du hast mein Leben in deiner Hand, es ist auch eine todernste Stunde — bedenke — du entscheidest über ein Menschenleben —" „Za, auch Kuno würde den Glauben an Frauen treue und Frauenehre verlieren, wenn ich ihn ver riete", sagte Hulde tiefernst, und ein Schein von Reinheit und innerer Vornehmheit verklärte ihr süßes, erblaßtes Gesicht. „Oh, bitte, bitte, quälen Sie mich nicht so namenlos! Es ist alles wirr und dunkel in mir, ich weiß nicht mehr ein und aus. Oft erscheint mir alles, was Sie sagen, so selbstverständ lich, so groß und herrlich, und dann verstehe ich Sie wieder gar nicht! Ich kann mich nicht blind ergeben, ehe ich nicht Klarheit habe in allem. Und ich kann die Liebe nicht wechseln wie ein Kleid. Es würde mir das Herz brechen, Kuno so wehe zu tun." „Freilich, er als Leutnant und Aristokrat hat Vor züge in die Wagschale zu werfen, über die ich nicht verfüge!" rief Steineck mit schneidender Bitterkeit. „Es war also wieder einmal ein Traum, eine Illu sion, daß ein Weib sich über das Alltägliche hinaus zu einem höheren Standpunkt aufschwingcn könne! Ich muß mich darein ergeben, einsam zu bleiben!" „Warum haben Sie unsere gute Kameradschaft zerstört? Wir hätten Freunde bleiben können", warf Hulde kummervoll ein. „Sie tun mir sehr leid, weil Sie schon so viel Schweres erlebten." Und aus gutem Herzen wandte sie sich ihm wieder zu und legte ihre Hand auf die seine. Er warf sich auf die Bank, verbarg das Gesicht in beiden Händen, und ein trockenes Schluchzen schüttelte ihn konvulsivisch. Hulde war erschrocken und tief ergriffen. „Bitte, bitte, beruhigen Sie sich doch, Sie machen mich so unglücklich!" flehte sie angstvoll. „Sie ver- gessen, daß ich mich Kuno verlobte, lange, ehe ich eine Ahnung von Ihrer Existenz hatte. Las hat also mit äußerlichen Vorzügen, die er vor Ihnen voraus hat, gar nichts zu tun. Es wäre ja möglich, daß Sie viel besser für mich passen, aber ich bin doch nun mal nicht mehr frei. Hinter Kunos Rücken kann ich ihm nickt di« Treue brechen, ich würde mich vor mir selbst totschämen? Und dazu habe ich ihn doch viel zu lieb. Wenn Sie sagen, daß es etwas Höheres gibt als Treue und Ehrlichkeit und dj>- Heiligkeit eines ge gebenen Wortes, dann vern ' ich Sie durchaus noch nicht und bin. für Ihre We .anschauung zu dumm. Was wollen Sie aber mit einem so dummen Mädel, das Ihnen doch nie zu Ihren Höhen folgen kann?" Dieser gesunden Logik gegenüber war es sehr schwer, zu beweisen, daß zweimal zwei fünf ist. Steineck versuchte also, ohne Verstandesargumen tation an sein Ziel zu kommen. Er hatte erkannt, daß dieses unverdorbene Landkind zwei Seelen in der Brust hatte: eine sehr reine und sehr wahrhaftige und eine sehr heiße, leicht erregbare und entzündliche, unter dem Einfluß eines starken, vollblütigen Tem- peraments. Er nannte sich heimlich selbst einen Esel, daß er nicht ausschließlich auf diese kraftvollen Sinne spekuliert hatte. Was fruchtete bei „so einer" seine Philosophie und aller Glanz seiner Beweis- führuna! Er rat fetzt nichts weiter, als daß er ihre Hände faßte und sie inbrünstig küßte. Und es waren wilde, saugende Kusse. Hulde sträubte sich matt, über und über wie mit Blut begossen. Und plötzlich legte er beide Arme um sie, hob das Gesicht zu ihr empor und raunte: „Gib mir den Todeskutz!" Ihre Fassung wankte, es war, als schlügen Flammen aus dem Erdboden, die sie umloderten, als ständen nicht nur die Geranien und Verbenen, son dern der ganze Garten, die ganze Welt in Feuer. „Nein, nein, nicht sterben — du sollst nicht sterben!" schluchzte sie wild auf, und er riß sie in seine Arme und küßte sie mit der weichen, schwülen Leiden- fchaft auf den Mund, die das gefahrvollste Gift für Frauen ist. Eine Sekunde, die eine Ewigkeit schien, lag sie willenlos an seiner Brust, dann riß sie sich schwankend los und floh in das Haus. Er blieb als Sieger auf dem Platz. Er wußte, daß diese «ine Sekunde ihn weiter gebracht hatte, als der ganze Ansturm all seiner sophistischen Bered- samkeit. * * * * Frau von Zollmar gab Kläre am folgenden Tage bereitwilligst Urlaub, und so war sie zur rechten Zeit an Ort und Stelle, um Herrn Fabius zu erwarten, auf dessen Kommen sie sicher rechnete. Das Cafo Fanarelli war ein stilles, vornehmes Lokal im Westen der Residenz, ganz auf die beste Gesellschaftsklasse als Stammpublikum zugeschnitten. Um diese frühe Stunde wußte sie es leer und durfte sich hier vor unliebsamen Begegnungen sicher fühlen. Sie wählte eine der entlegensten Nischen, die, wie der ganze Raum, mit modernem Komfort ausgeftattet war, und bestellte Bouillon mit Pastetchen. Eine Viertelstunde blieb sie allein, bann öffnete sich die Tür des Lokals etwas stürmisch, und Hulde flog auf sie zu in ihrer unbekümmerten Weise, etwas zu un befangen. etwas zu ungeniert und doch in ihrem ganzen Wesen so charakteristisch di« Tochter aus gutem Hause und so reizend in ihrem Hellen Sommerkleid, mit dem Kornblumenkranz auf dem großen Florentiner, daß selbst der steife, in seiner Würde erstarrte Oberkellner wohlwollend schmunzelte. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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