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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.12.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111228023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911122802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911122802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-12
- Tag 1911-12-28
-
Monat
1911-12
-
Jahr
1911
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Sette 2. Nr. 359. loLIalrryrmo.Leipziger Tsgevistt. nöch nicht mit Bildern illnftriert. Sonst würde »Sm- lick da» Konferei de» satten „Genosten", der diesen racheschnaubenden Hetzarttkel verbrochen, di« best« Illustration der vorstehenden Bemerkungen abgeben. Man darf dieser verlogenen Darstellung deutschen Massenelend, (so sehr die derzeitige, durch die Dürre de« Sommers verursachte Teuerunqskalamität zu be klagen ist) immerhin entgegen halten, dass doch di« sozialdemokratischen Gewerk schaften ihre Mitgliederbeiträge seit kurzem verdoppeln und verdreifachen konnten, das, in Deutschland jährlich viele Millionen Mark Sparüverschlisse auf die Sparkassen gebracht und daß unser Volk jährlich nicht uxniger als vier Milliarden Mark für Tabak und Alkohol auszugeben in der Lage ist, während anderseits unsere Gesamtausgabe für Arbeiteroersicherung künftig pro Jahr «in« Milliarde Mark öelragen wird. So „zerfleischt der Geier kapitalistischer Habsucht täglich di« Brust des Proletariats und nährt sich von seinen Eingeweide«". 6. preuWchor Le^enm). Hannover, 28. Dez. (Tel). Der ü. Preußische Lchrenag, zu dem zahlreiche Delegierte aus allen Tcften der Mrnarch'-e eings.ros- fen sind, trat heule hier zu seinen Liesjuhrcgen Le ratungen zusammen. Die Tagung öe^iftpruckl ein «nr so höheres und über die engeren Fachtreije hinaus gehendes Interesse, «ls diesmal ein« g«nz» Rnl,e wichtiger fragen, di: die gojcmie Allqcncei ff>eit en- gehen, zur Verhandlung heben. Zu den v»rl egenoen Themata sind eine graste Anzahl von Anträgen d:r Unterverbände angeineldet. An erster Stelle steht di« Erörterung über das Thema „Jugendpflege". Das Hauptinteresse aber konzentriert sich aus «in Heferat des Lehrers Diekmann (Magdeburg) über „Die Reform der staatlichen Schulver waltung in Preus;en." Der Referent bat zu dieser wichtigen Frage der Versammlung folgende Leitsätze unterbreitet: 1) Di« staatliche Schulverwaltung kann nur dann voll« Gewähr für «ine gedeihlich« Entw ckeluno des Schulwesens kneten, wenn sie in ihrer Einrichtung und in ihrer Wirksamkeit den Bedürsiussen der Schule und der Eigenart der erzieherischen Tätigkeit vollauf Rechnung trägt. 2) Dafür ist am meisten Siciierheit gegeben, wenn di« Unterrichtsverwaltung nicht mit der Verwaltung anderer Institutionen verbunden, sondern in allen In stanzen selbständigen Behörden übertragen wird, die möglichst ein« kollegial« Verfassung landen und in denen das fachmännische Element ausreichend zur G«ltu>rg kommt. Die Unterordnung der Schulverwal , rung unter die Organe der allgemeinen Staatsverwal tung und die Durchführung »er Präfektur in der Ver waltung des Volksjchuiwesens sind daher «rbzulehncn. 3) Nur unter Lieser Voraussetzung erscheint eine weitergehend« Uebenragung von Pcrwaliungsbeiug- nissen auf die untersren, der Schul« am nächsten stehen den Behörden zweckmäßig und wünchhenswcrt. 4) Die unterste Instanz der staatlichen Schulver waltung bildet eine rm Kreis« zu errichtende Schul behörde unter dem Vorsitze eines hauptamtlich avge- stellten KreiSschulinspekrors, der ein im Volkslchul- dienst« praktisch bewährter Fachmann sein mutz. Ihr sind all« diejenigen Angelegenheiten zur selbständigen Erledigung zu überweisen, für die di« Mcrwikkuttg' einer höheren Instanz nicht unbedingt erforderlich ist. In der mittleren und obersten Instanz untersteht di«' Verwaltung des gesamten höheren und niederen Schulwesens einschließlich des Fach- und Fortbildungs schulwesens denselben Behörden. 5s Zur Beratung der Unterrichtsbehörden in aller; wichtigen Schul fragen wird in jeder Instanz ein aus sreroewählten Vertretern der Lehrerschaft und anderen des Er- ziehungswesens kundigen Personen bestehender Beirat gebildet. Von den seitens der Unterverdunde eingebrachten Anträgen ist besonders erwähnenswert ein Antrag des Verbandes Westfalen, der sich mit der kirch lichen Leitung des Religionsunter richts befaßt und folgendermaßen lautet: „Die Ver- treterverfammlung wolle beschloßen, an den Herrn Minister die Bitte zu richten, er möge unter Auf hebung de» Ministerialerlasses vom 18. Februar 1878 Absatz 9, im Einvernehmen mit Sen kirchlichen Be hörden di« nach Artikel 24 der Versassuttgsurkunde der Kirche -ustebenoe Leitung kxs Religionsunter richt, in der Voussckful« folgendermaßen regeln: „D«r mit der Leitung de» Religionsunterrichts beauftragt« Geistliche hat dem Unterrichte in den dafür festgesetz ten Stunden deizuwohnen. Etwaig« Einwendungen gegen den Unterricht sind zunächst mit dem Lehrer zu b«!pr«chcn uirb erst nach erfolgt«! Rücksprach«, falls dies erforderlich erscheinen sollte, dem zuständigen Krcisschi'liuspcitor zur weiteren Veranlassung mit- zutcilen." Die kriessdereirlchalt üer englischen Flotte im Sommer 1911. Hochinteressant« Mitteilungen über die Krirgs- bercitschaft der englischen Flotte im Sommer 1911 bringt ein« üierösfentlichunz des Grafen Alexander ». »rrodsrfc lWiesdeden), die in diesen Tagen in Eckstein, Piosraihilch»'« Brrlazr lVertin) er scheint. Aach Zusemmensteliungen des Ver fassers ist die Kriegsbereitschaft der eng lischen Flotte nicht, wie man noch vielfach anzu nehmen geneigt ist, eine sehr problematische gewesen, sondern bat in vollem Um fange bestanden. Aus den Mitteilungen des Verfassers ^eht felgendes hervor: Im Juli, »lzv während des ersten Höhepunites der Krijis, gruppierte sich die ganze englische Flatt«, wie sie «».z-dlich »lanmäsftg für die Ma növer hergefiellt war — »erstärtt durch di« dritte und vierte Division der H«imatslotte und das dritr« Kreuzergejchwader, deren Besatzun gen auf voll« Stärken aufgesüllr waren — an der Süd käste von England und Irland. Nur die Atlantische Flotte mit dem vierten und fünften Kreuzergeschwaber lagen in Moran Firtch fNord- Schottland). Nehmen mir an, daß diese Hauvtflotte zentral die deutsche Flotte und die deutsche Küste an greifen sollte. Die Atlantisch« Flotte, das vierte und fünfte Krcnzergcschwader, konnten dann den Auftrag haben, der deutschen Flotte in den Rücken zu fallen, oder aber zur Bedeckung der In- vasionoarmee von 150 000 Mann zu dienen. Ein zweiter Höhepunkt der Krisis soll nach der „Times" vom 20. November d. I. am 18. August vorgelegen haben, der in England zu der bekannten sofortigen Verständigung der Regierung mit den aus ständigen Eiscnbahnaroeilern geführt hat. Angeb lich wurde vorgespicgelt, das; England durch einen Angriff Deutschlands bedroht, das ganze Land in höchster Gefahr sei. Am 19. August war nämlich die deutsche Flotte vcii ihrer Lommerrcise aus Nor wegen znriickgekehrt und die üblich«, planmäßig vor- geschricüene Aktivierung unseres Rcservegesuiwaders war erfolgt. Di« deutsch Manövcrflotte dampft« zu Uebungcn in die Ostsee, während in der Norchee nur zwei Torpedobootsflottillen zur sofortigen Ver wendung bereit waren. Die gesamte englische Flotte hatt« sich inzwiscknni in der Nordsee konzemrierr. Im vorerwähnten Moray Firrh lag um Liese Zeit die erste Division der Heimatsflotte mit dem verstärkten ersten Krcuzergcjchwadcr. Im Eirth of Forth lagen 19 Zerstörer und 9 Torpedoboot«. In der Themse- mündung lag die Atlantische Flotte. Im Kanal lag die zweite Division der Hcimatflotte mit dem zwei ten Krenzcraefchwadcri Auch war di« ganze Mittel- mccrflotte (6 Linienschiff«, 4 Panzerkreuzer, 11 Zer störer und 7 Torpodovoote) zu dieser Zeit aus dem Mittelländischen Meere, Leisen Schutz anscheinend Frankreich überlassen wurde, nach Westen in den At lantischen Ozcan gedampft. Ihr Verbleiben konnte ich nicht feststellen. Nach demselben „Times"-Artikel vom 20. Novem- ber hat die dritte und stärkste Krisis im Marokkolonslikt etwa um Mitte September gelegen. Der Verfasser schließt aus englischen Preßstimmen und anderen Auslassungen, daß auch zu diesem Ter min die Nordsecflotte gefechtsbereit gewesen sei und bereits Torpoöoschutznetz« gesetzt hatte, und daß die Absicht der Entsendung von 150 000 Mann aus den Kontinent zweifellos bestanden hat. Die höchste Kriegsbereitschaft der englischen Flotte und seines Söldnerheeres hat während diese» ganzen Sommer« zweifellos bestanden. Die aktiven Verbände einer Flott« sollen ja an und für sich stet, kriegsbereit sein, aber es hatte sich doch eben um mehr als diese all gemeine Kriegsbereitschaft gehandelt. Das können all« gegenteiligen Beteuerungen der englischen Re gierung und Presse, die gerne «inen geplanten An- griff Deutschlands „auf die Schiefertafel mit hartem Griffel schreiben möchten", — um die Worte unseres Reichskanzlers vom 5. Dezmber zu gebrauchen —, nicht aus der Welt bringen. Oer Krieg um Tripolis. Italien steht sich genötigt, weiter« Truppen nach der Tyrenaika zu entsenden. Nach einer Mailänder Mel dung werden die Infanterieregimenter Nr. 34, 35 und 8fl, di« schon seit längerer Zeit in Neapel mobili siert bereit stehen, nach Tobruk und Derna gesandt. Verwendung von Dumdumgeschosse». Die römische Zeitung „Corriere d'Italia" meldet aus Alexandria : Lei dem Komitee des Roten Halbmonds in Alexandria kam aus der Cyreiraika «ine Kiste mit Dumdumgeschossen an, die von den Italienern benutzt worden sein sollen und die die Türken bei angeblichen Siegen erobert Härten. Die nar.o- nalistiichen Lokalblätter erheben großen Lärm darüber. Der Korrespondent de» Blattes fügt hinzu, daß es sich um türkische Geschoss« handelt, die von Konstantinopel nach der Cyrenaita geschickt worden waren, woher sie zurückkehrtrn. Die Geschosse trügen nicht nur nicht, wie behauptet, die Marke der italienischen Staatsfabrik, vielmehr trügen die Kisten noch die Fabrikmarke eines auswärtigen Hauses, das an dieTürkei liefert. Die Beschießung der „Martha Washington". Die „N. Fr. Pr." meldet aus Triest: Der zweite Offizier des Dampfers „Martha Washington" bestätigt die Meldung über den Zwischenfall, den das Schiff auf seiner letzten Reise in den Gewässern von Zante gehabt haben sollte, Lurch folgende Mitteilung: Der gemeldete Zwischenfall ereignete sich tat sächlich am 20. Dezember gegen 8 Uhr abends. Wir befanden uns in der Richtung von Pappas nach Cap Schinari. Der diensthaoende Offizier sichtet« plötzlich am Horizont «in Kriegs geschwader. Bald darauf wurde auf der rechten Seite der „Martha Washington" ein Kriegsschiff oesichtct, das sein« Scheinwerfer auf uns richtete. Als es einen Vorsprung erreicht hatte, gab «s nach einander etwa zehn Kanonenschüsse auf uns ab. Es wird allgemein angenommen, daß scharf geschossen wurde. Nach einigen Minuten löschte das Kriegsschiff seine Scheinwerfer aus uird wir sahen es alsbald vorllberfahren und in der Dunkelheit verschwinden. Der Vorfall rief unter den Passagieren groß« Aufregung hervor. Eine neu« türkische Siegesnachricht. Der türkische Kriegsminister veröffentlicht offiziell folgendes Telegramm: Am 22. Dezember griffen wir bei Morgengrauen in zwei Kolonnen die feindlichen Befestigungen bei Tobruk an. Die feindlichen Streitkräfte be trugen ein Regiment Infanterie, eine Feldbatteri«, eine Maschinengewehrkompanie, eine kleine Ab teilung Pioniere und eine Eskadron Kavallerie. Die ottomanischen Angreifer erstürmten trotz heftigsten Feuers der Verteidiger und von 14 Kriegsschiffen die italienischen Befestigungen, ver nichteten vollständig die Abteilung Pioniere und die Maschinengewehrkompanie, zerstörten drei Mitrailleusen und eroberten eine vierte, die ins türkische Lager gebracht wurde. Die Infanterie und Kavallerie des Feindes, die ihren Rückzug durch unsere zweite Kolonn« bedroht sahen, floh in Auflösung zum Meeres st rand, wobei sie fast die Hälfte ihrer Mannschaften ver lor. Der Kampf Lauert« bi» zum Einbruch der Nacht. Außer der Mitrailleuse wurde viel Munition usw. «robert. Unter den gefallenen Donnerstag, 2S. Dezember 1911. Italiener» befinde» fichdreiOfflztere. Wir hatten sieben Tote und einig« verwundet«. Unter den Toten befindet sich Scheich Meri. Leutnant Nedfchtb Effendi hat al» Erster die Verschanzungen erstürmt, die drei Mitrailleusen zerstört und die viert« auf seinem Rücken in da» Lager getragen. Die Revalutivn in Lilins. Die Spannung zwischen den Revolutionären und den Kaiserlichen wird von Tag zu Tag größer. Ein olötzlicher Abbruch der Friedensvcrhandlungen er scheint jetzt keineswegs al» ausgeschlossen. Die Revolutionäre haben während des Waffenstillstandes die weitgehendsten Vorbereitungen für den Marsch nach Peking getroffen. Wenn sich die Verhandlungen zerschlagen, könnte der Vormarsch sofort angetreten werden. Ein vollständig neues Moment in den Friedensvcrhandlungen bedeutet die Ankunft Sun- parsens in schanghai. Wie nunmehr mit Sicherheit zu erwarten ist. wird er zum Präsidenten einer provi sorischen Negierung gewählt werden und dann selb- stänkip mit Len Kaiserlichen verhandeln. — Das Rsuterbureau meldet darüber aus Schanghai unter dem 28. Dezember: Wutingsang und Tangschaoni prüften am Donnerstag den Vorschlag, die Entscheidung über die künftig« Regierungsform einer besonderen Nationalversammlung zu unterbreiten. Mit der Ankunft Sunyatsens macht sich jedoch ein neuer bedeutungsvoller Faktor geltend. Man nimmt an, Laß er durch die Vertreter von achtzehn Provinzen einstimmig zum Präsidenten der provisorischen Regierung der vereinigten Provinzen von China gewählt werden, dann «in Kabinett bilden und eine Proklamation er lassen wird, in der unter Ignorierung der Ver handlungen zwischen Wutingsang und Tangschaoyi den Mandschus und dem Hofe jein« Be dingungen stellen wird. Die Wirren in Perlien. Der persischen Negierung ist es bisher noch nichr gelungen, die Ruhe in Nordpersien wiederherzustellen. Wie wir in unserer heutigen Morgennummer mel deten, dauer» die blutigen Kämpfe um Täbris iveiter an. Auch zu dem Uebcrfail auf den englischen Konsul von schcras Smart ist eine Genugtuung noch nicht erfolgt. Man geht daher wohl in üer Annahme nicht fehl, daß nunmehr auch England energische Maßregeln gegen ^r,ien ergreifen wird, und das; diese an Aggressivität den russischen nicht nachstehen werden, ist wohl zweifellos. Ueber die Haltung Rußlands meldet die offiziös« Petersburger. Telegraphen- Agenstur: Mit RücSicht auf die Lage, wie jie sich aus den verwegenen Angriffen der Menge aus die russischen Truppen und Einrichtungen in Täbris, Rescht und Enseli ergibt, und in Anbetracht besten, daß dies« Ausbrüche der Feindseligkeit überdies stellen weise mir brutalen Mauerungen der Ver wundeten und Schändungen der Gefallenen verbun den waren, die die strengste Strafe verdienen und weil schließlich die persische Regierung, ob wohl sie diesen Dingen fernst cht, nicht die Macht besitzt, die Schuldigen zu bestrafen, so glaubt sich die russische Negierung verpflichtet, von sich aus Revrejsionsmaßregeln in den genannten Städten zu treffen. Zu diesem Zweck hat si« den Befehlshabern der russischen Abteilun gen befohlen, unverzüglich im Einvernehmen mit den russischen Konsuln in Täbris und Enseli die strengsten Maßnahmen zur Bestrafung der an den Angriffen Beteiligten und zur Beseiti gung der Ursachen derartiger Ereignisse für die Zu kunft zu treffen. Unter diesen Maßregeln sind be sonders die folgenden angeführt: Die Verhaf tung aller russischen und persischen Untertanen, die an dem Angriff auf die russischen Truppen teil- Ursshims. Lin japanisches Märchen von Lafradio Hearn. Uebcrsctzt von Fritz Müller (Zürich). Vor vierzehnhundert Jahren war «s, da verließ der junge Fischer Urashiina Taro in seinem Boot den Srrand von Suminoy«. Ls war ein Sommertag wie heute — verträumt und zartblau, nickst strahlend hell, weil blütenweiße Wolken über hem Meere hingen. Auch die Berge waren wie heute — weich« blaue Linien zerflossen am fernen Himmel, und so müde waren dl« Lüfte. Luch llrashima war müde und ließ sein Boot beim Fischen treiben. Ein merkwürdiges Boot war üas, kein« Farbe daran und kein Steuerruder, von einer besonderen Gestalt, wie du sie noch nie gesehen hast. Nur vor den alten Fischerdörfern, an der Küste des Iapanisä)«» Meeres, gibt es noch heut«, nach vierzehnhundert Jahren, solche Boote." Lange saß Urasyima an seiner Angel. Endlich zuckte es. Aber als er sie heraufzog, war es nur eine Schildkröte. Nun sind Schildkröten dem Herrgott geweiht. Eie haben ein langes Leben, wohl tausend Jahre, manche sagen zehntausend. Sie zu töten wäre Frevel. Sanft lißte der Fischer die Schildkröte von seiner Leine und gab ihr di« Freiheit mit einem Gebet an di« Götter. Dann aber fing er nichts mehr. So heiß war der Tag. so still war Me«r und Luft. Kern Leben regte sich ringsumher. Eine große Müdigkeit kam über ibn, und er schlief «in in seinem treibenden Boot. Auf einmal stieg aus der träumenden See ein wunderschönes Mädchen. Von Purpur und Azur war ihr Gewand, lange schwarze Haare flössen über ihren Rücken dis au; die Füße herab, so wie bei den Fürstentöchtern vor vierzehnhundert Jahren. ll«ber üas LDaster glitt si« daher, s» weich wie Luft, beugte sich über den schlafenden Fischer im Boot und weckte ibn mit leiser Hand. „Fürcht« dich nickt", sagt« sie. „Mein Vater, der Meerkönig, schickt mich zu dir, weil du ein gütiges Herz haft. Einer Schildkröte hast du heute Li« Frei heit hegeben. Komm mit mir in meines Vaters Palast auf ber Insel, wo der Sommer niemals stirbt. Da will ich dein Weib sein und mit dir unter Plnmen glücklich leben." Voll Staunen und Bewunderuica sah fie Urashiina an. Denn sie war schön über alle Maßen. Er konnte sich nicht helfen, er mußte si« lieben. Dann nahm sie er» Ruder und er dos andere, und si« fuhren zusammen, — gerade so, wie heute noch di« Fischer an der wefttichen Küste, Man» und Fra», zusammen rüder», wen» die Boote 1» Ubendgoffx leuchte». Sanft urrd still glitten sie dahin über das stille blaue Wasser, dem Süden zu, bis jie zu dem Eiland kamen, wo der Sommer niemals stirbt. Langsam stieg der niedere Strand der Insel aus den bläuen Wellen auf. Spitze Dächer Hoden sich über immergrünes Laub. Das war des Meerkönras Schloß, herrlich wie der Palast des Mikado» Puriaru vor vierzehnhundert Jahren. Seltsame Diener empfingen st« da in festlichen Gewändern — Geschöpfe des Meeres, die Urashima willkommen hießen, als den Eidam ihres Fürsten. So wurde des Mcerkönigs Tochter Urashimas Brant. Es rvar e:ne Hochzeit von wundervollem Glanz, und der Palast widerhallte von Lust und Freude. Täglich sah Urailflma neue Wunder der tiefsten Tiefe, aus der pes Königs Dicnrr sie zum Lichte brach ten, Wunder jenes Zauberlandev, wo der Sommer niemals stirbt. Drei Jahre flössen so dahin. Aber in all dieser Zeit lag's dem Fisciscr schwer am Herzen, wenn er an Vater und Mutter dachte, die auf ihn ivartetcn. So bat er endlich die Geliebte, auf eine kleine Weile nur möge fie ihn ziehen lassen, ein Wort nur wolle er seinen Eltern sagen, und gleich wieder komme er zurück zu ihr. Da begann sie zu weinen; lange, lange weinte sie ganz 'still vor sich hin. Endlich sagte sie zu ihm: „Weil du nun gehen willst, so muß ich dich ziehen lassen. Aber ich fürchte mich so sehr: ich habe Angst, wir werben uns niemals wieder, sehen. Eine kleine Schachtel nimm jedoch von mir. Sie wird dir helfen zu deiner Wiederkehr, wenn du befolgst, was ich dir sage: Mach sie niemals auf. Ueber alles in der Welt, mach sie nicht auf — was immer dir auch begegnen mag? Denn wenn du sie öffnest, kannst du niemals wieder zurückkommen, nnd nie mehr sehen wir uns wieder." Darauf reichte sie ihm eine kleine buntbemalt« Schachtel. Sie war mit einer seidenen Schnur ver schlossen. kBis aus de» heutigen Tag zeigt man diese Schachtel im Tempel von Kanagawa n» der Meeresküste, und die Priester haben Urashimas Angelleine aufbewahrt und seltsam« Juwelen, di« er mkt sich brachte von der Insel de» Meerkönig».) Aber Urashima tröstete seine Frau und versprach, niemals das Kästchen zu öffnen, niemals die seidene Schnur zu lockern. Dann zog er dahin im Sommer licht. über die immer still« See. Hinter ihm wie ein Traum verblaßt« die Insel, wo der Somer niemals stirbt. Wieder sah er vor sich die blauen Berg« Ja pans, scharf und immer schärfer in dem weißen Glanz des nördlichen Horizonts. Endlich wieder glitt sein Boot in di« heimatliche Bucht, endlich wieder stand er auf ihrem Strand. Aber al» er um sich sah, überkam id» ein« große Be- stürz»»» Wie verzaubert kam er sich vor. War das noch derselbe Ort? Fort war die Hütte seiner Väter. Ein Dorf war da, aber die Häuser waren so fremd, so fremd die Bäume und gelber und auch der Leute Gesichter. Vergeblich sah er aus nach alten, lieben Plätzen — der Shinto-Tempel schien an anderer Stelle wieder auf««baut. verschwunden waren die Wälder von den nächsten Hügeln. Nur» des Flusses Rauschen, nur der Berge Formen waren noch dieselben. Sonst war ihm alles unbekannt und neu. Umsonst sucht« er nach seinem Elternhaus. Verwundert starrte das Schiffervolk ihn an. Nie mals früher hatte er dies« Gesichter gesehen. Da kam ein alter, alter Mann des Weges, auf seinen Stab gestützt, und er fragte ihn nach dem Hause der Familie Urashima. Ganz verwundert sah der alte Mann ihn an. Wieder und wieder mußte Urashima fragen. Endlich rief der Alte: „Urashiina Taro! Woher bist du denn, daß du das nicht weißt? Urashima Taro! Vierhundert Jahre ist es jetzt her, daß er ertrank, und ein Denkmal steht im Friedhof zn seinem Gedächtnis. All die Gräber seiner Sippschaft sind in jenem Friedhof — dem alten Friedhof dort drüben, der jetzt verlosten ist. Urashima Taro! Wie kannst du nur so närrisch fein und mich fragen, wo sein Haus ist?" Und kichernd über die Einfalt des Fremdlings, humpelt« der Aff« weiter. Da ging Urashima zu d«m alten Friedhof, der still und verkästen lag. und fand seinen eigenen Grab, stein dort und die Gräber von Vater und Mutter und vielen Leuten, die er kannte. So alt waren die Steine, so mooszerfresten, daß es schwer war, die Namen darauf zu lesen. Da sah er wohl, daß ihn eine seltsame Bezaube rung umfing, und ging zurück ans Meeresufer. Noch immer trug er in der Hand das Kästchen, das Ange binde von des Meerkönigs Tochter. Aber was war nur diese Bezauberung? Und was mochte in dem Kästchen sein? Vielleicht war gar der Grund des Zaubers in dem Kästchen drin? Da überwand der Argwohn die Treue. Ohne Be sinnen brach er sein Versprechen, löst« die seidene Schnur und öffnete da, Kästchen. Sogleich stieg lautlos «in weißer kalter Rauch wirbel heraus, hob sich in die Lrckt gleich einer Sommerwolke und trieb schnell nach Süden zu über di« stille See Sonst war nichts in dem Kästchen. Da wußte Urashima. daß er sein eigenes Glück vernichtet, hatte Niemals wieder konnte er zurück zu seiner Geliebten, des Meerkönigs Tochter. Er weinte und schrie bitterlich in seiner Verzweiflung. Nicht lange aber Denn plötzlich fühlte er sich verändert. Ein eisiger Frost schoß durch sein Blut — die Zähne fielen ihm aus, das Gesicht schrumpft« ihm ein, weck wie Schnee wurde sein Haar, seine Glieder zer- fiol«, die K«fi ging von um. Leblos s»at « tn den Sand, zermalmt von der Wucht der vierhundert Winter. Pierre Lott in üen Ruinen von Rngksr. Von den großen, heute einsam und verlassen liegenden Rurnenfeldern von Angkor, diesen Er- innerungsstätten an alten asiatischen Fürstenglanz und buddhistische Kultur, die noch immer an gewissen Jahrestagen von fernher die Gläubigen anlocken, entwirft Pierre Loti in der „Illustration" eine farbenreiche Schilderung. Selbst über der kleinen französischen Kolonie, die hier in der Nähe der altbuddhistischen Kultstütie er standen ist, scheint der schwere Druck gestorbenen Lebens zu lasten: die verfallenen einsamen Ruinen geben weitum dem Lande ihr Gepräge. Es ist ein heißer Tag, und unwillkürlich sucht man im «chatten der Bäume Zuflucht. Die gerade un gelegten Straßen des französischen Viertels liegen tot und verlaßen, zwischen den Pflaster steinen sprießt das Gras, und in den Gärten sieht man unbekleidete Zwangsarbeiter von Kam- botscha, die mit lässigen Bewegungen träge die bizarren Pflanzen und Sträucher begießen. Sonst begegnet man keinem lebenden Wesen: die Stadt des Königs Norodon schlummert, bi» die Abend- dämmcrung sie vielleicht wieder erweckt. Hier, hinter dieser Pforte, von deren Pfeilern seltsame stein gemeißelte Gesichrer finster auf uns herabblicken, dehnt sich das weite, verlassene Feld, das einstmals die gewaltige Stadt war. Man muß es -wissen, denn selbst hinter den Umiastungsmauern scheint sich der Waid zu dehnen, und mächtige Bäume breiten Jahrhunderte aite Aeste über Mauertrümmer und gestürzte Tierbilder, die im Schatten im Halbdunkel zu schlummern scheinen. „Hier verlosten wir unsere Wagen, um zu Fuß weiter zu gehen, über kaum erkennbare schmale Vfade. auf den Fährten wilver Tiere: mein kam- bot chischer Dolmetichcr will mich durch dies Laby rinth, durch dielen Kirchhof buddhistischer Zivili sation führen. Baid erlischt das Geräusch unserer Schritte in Gesträuch und Blättern, und wir hören nicht» al» das leise Rascheln der durch unser Kommen aufgescheuchten Schlangen, die hastige Flucht der Affen. Aber ringsum tauchen in mitten von Schlingpflanzen, Blättern, Blüten und Orchideen, inmitten dieser Blumen des Halbschattens, die ihre Sträucher um die Stämme de: Bäume winden, zu allen Seiten die Trümmer und Ucberreste vergangenen Baufleißes auf. Unzählige buddhistische Götzenbilder, winzta kleine, mittelgroße und riesenhaste, kauern auf ihren Thronen und lächeln ins Nichts. Man hatte fie einst au» hartem Stein gehauen, und so find sie geblieben, habe» ihre« Platz behauptet, währond dt« Tempel längst gestür-i
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