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Was die französische Industrie vom Freihandel hält! Hier und da ist mander Ansicht, daß jene Freiheit, mit aller lei Waaren aus der Fremde ohne weitere Umstände und ohne viele, womöglich ohne alle Abgaben die einheimischen Märkte zu verse hen, die man gemeinhin Freihandel nennt, die Völker des Erd balls beglücken werden, weil Statistiker, Volkswirthe, englische Politiker es so berechnen, folgerechten und für höchst nützlich an sehen. Wir glauben inzwischen nicht an den Heiland des engli schen Freihandels und der deutschen Nachbetung, denn wir bemü hen uns praktisch zu sein wie die Engländer und nichts auf Sy steme zu geben. In Frankreich ist man gleicher Anstcht in den Reihen der Vertreter der Volksarbeit! So schrieb schon vor einigen Jahren k. L—s varnis im lVIon. iuck. wie folgt, und wir find gewiß, daß weder er noch die französische Judustrie ihre Ansicht gewechselt hat. Wir erhalten von England eine die Lehre und Warnung reiche Nachricht, daß ein noch riesenhafteres Unternehmen als alle jene, die bisher das stete Wachsthum der Erzeugungs kräfte Großbritanniens verkündeten, im Entstehen ist. Bei Dept- ford wird eine zur Verarbeitung der Wolle bestimmte Fabrik er- baur, deren Motor aus zwei Dampfmaschinen, jede von SOOPfcr- dekraft besteht und die mithin i» einer einzigen Fabrik eine An zahl Stühle im Gang erhalten werden, wovon sich keine andere gewerbliche Anstalt, weder auf dem Festlande noch im vereinigten Königreiche selbst, auch nur einen Begriff machen kann. Einer der ersten französischen Wollfabrikantcn, der jenen Ort besuchte, berechnete, daß diese einzige Fabrik eine Arbeitskraft ohngefähr gleich der aller Fabriken in ReimS oder Roubair zusammen ge nommen habe. Diese Vereinigung gewerblicher Kräfte ist im Stande unzuberechnende Wirkungen herbeizuführen in Folge Er sparung von Arbeit, Zeit, Frachten oder allgemeinen Unkosten verschiedener Art. Jene Zusaiumendrängung des Schaffens von Wollgeweben wird sich sicherlich auch noch auf andere britische Industrien, besonders auf die der Baumwollenzeuge ausdehnen. England hat einen neuen Weg betreten, wodurch cs alle gegen wärtig bestehenden Verhältnisse der Fabrikation Umstürzen will, und in der That, cs ist alle Aussicht vorhanden, daß es gelingt. England wird, ja muß sogar alle ihm offen stehenden Märkte mehr als jemals mit einer Masse Waaren überschwemmen, wie sie in der Geschichte der Industrie noch nicht dagewesen ist. Man weiß jedoch unter welchen Umständen England diese großen Anstrengungen macht und glaube ja nicht, daß die Ge schäfte und Gewerbe in England sich in einem glänzenden, auf munternden Zustande befinden. Weit davon entfernt ist cs die Beute der Krisis und ihrer Folgen in allen Zweigen seiner weit läufigen Industrie. Die Nachfrage ist flau, der Absatz schwach. Aber trotz dem Vorwärts! Auf dem einmal betretenen Wege muß die britische Industrie ohne Besinnen weiter schreiten. Auch die unerschöpflichen Kapitale dieses Landes drängen sich mehr und nichr in die gewerblichen Unternehmungen, trotz des geringen Vor- theilS, den sie dabei finden. Die Ursache davon ist, daß Handel und Industrie die einzige Abzugsguelle für die unermeßlichen Rcichthümcr Großbritanniens gewähren. *) Das Land in Eng land ist im Besitz fast unveräußerlich. In dem Maße wie die Ka pitale sich vermehren, muß man ihnen neue Verwendung geben und dazu bietet nur die Industrie Gelegenheit. Daher das sich immer mehr und mehr fühlbar machende Sinken des Diskontos trotz der Geldklemme. ?) Die englischen Kapitalisten begnügen sich gegenwärtig mit einem Gewinn, doch das ist ein ungeeignetes Wort, nein, mit einem Zins von 2 bis 3 "/<>! Dieser Stand der Dinge war schon früher da, und der größte Theil der engli- - ') Wir wissen, daß England immer reicher wurde während der Re gierung mit Napoleon I., und glauben auch nicht, daß es durch die Krimkriege ärmer geworben ist und durch die Kriege in Ostindien und Ehina ärmer werten wird. Man wird sich für die Verluste zu entschä digen wissen, selbst wenn ganz Indien verloren ginge. Geldklemme in ter Bankersprache ist ein Ausdruck um zu be zeichnen. daß man Diesem und Jenem nicht borgen will oder im Fall diese oter jene dreifache Sicherheit gestellt und Vortkeile gewährt werden müsse—. Red. D.-Gwbztg. schen Fabrikanten, die schon lange ihre ersten Einrichtungskosten gedeckt und die Auslagen dafür wieder eingezogen haben, begnü gen sich mit dem geringsten Nutzen, in Erwägung, daß man einen großen Gewinn durch Vermehrung der Geschäfte, Wiederholung des Umsatzes erzielen könne, und übcrdcm durch die Nothwcn- digkeit angespornt werden, dem sie umgebenden und andrängenden Arbeitervolke das tägliche Brod zu verschaffen. Welchen neuen Aufschwung aber wird die britische Industrie nun durch jene Fa briken von unerhörter und bisher ungekannter Leistungsfähigkeit nehmen, deren Bestimmung ist, alle andere Konkurrenz todtzuschla- gcn ? Welche Summe von Erzeugnissen, welch verzweifel ¬ ter Wettkampf muß daraus für England selbst, sowie für ganz Europa entspringen! Wäre nun Frankreich nicht, oder nur unzureichend durch seine Zölle geschützt, einer solchen Gewcrbthätigkeit, einem solchen dnrch die Kapitale Großbritanniens unterstützten Freihandel gc- genübergestellt, würden seine Fabriken den Stoß auch nur einen Augenblick aushalten? Nein! Die französischen Fabrikanten haben lange nicht die Hülfsquellen und genießen namentlich nicht den Vorschub von Seiten der Geldleute wie ihre Nebenbuhler jcn- seit des Kanales. Das französische Kapital wendet sich nur mit einer gewissen Acngfilichkcit und Zurückhaltung der Industrie zu. Der ungeheure bei der letzten Anleihe stattgehabte Zusammenfluß har bewiesen, welche Anziehungskraft das Anlegen des Geldes ohne Aussicht auf besondere Wechselfälle ausübt. Die Kreditanstal ten, der Fabrikkrcdit Frankreichs, ist weit von der umfassenden Ausdehnung entfernt, dessen sich der englische erfreut.*) DcrGe- scllschafts- und Unternehmungsgeist ist in Frankreich noch zu we nig entwickelt, als daß er jene großen gewerblichen Anstrengungen, jene ungeheuren Anstalten, wie sie in England aufwachsen, Hervor zurufen vermöchte. Wie viele Fabriken von der Art, wie die sich jetzt bei Depl- forb erhebende, wären nölhig, um zum Beispiel die schaffende Kraft der jämmtlichcn französischen Spinnereien in sich zu fassen? Die Rechnung ist leicht, denn die französische Spinnerei wendet in ihrer Gesammtheit keine größere Kraft an, als die von 16,000 Pferden! Man kann es sich nicht verhehlen, daß die Verwickelungen des Freihandels und des Krieges England einen Stoß gegeben ha ben 2), dem cs sich bestrebt niit jener Festigkeit und Ausdauer zu widerstehen, die, wir sagen cs zu seiner Ehre, von jeher jenes Land auszeichncten. Aber Frankreich, das so ganz andere Bcdingniffe für sein Bestehen hat, sollte es den Gefahre», womit es durch die englischen Neugestaltungen bedroht wird, gegenüber, die Augen verschließen und sich abschwächen schuld des Niederreißens der Schlagbäume, die im Stande sind Frankreich einzig und allein auf der gegenwärtigen Rangstufe zu erhalten und eS ihm gestatten, mit kaltem Blute und dem Gefühle der Sicherheit auf jene gewaltigen neuen Rüstungen einer unwiderstehlichen und unerbitt lichen Konkurrenz zu blicken, deren Zweck nur der ist, dnrch die Menge und Billigkeit der Erzeugnisse alle Märkte dcö Auslandes zu erobern und an sich zu fessel». Unter allen der englischen Re form folgende» Begebenheiten ist diese Umwälzung in seiner In dustrie die allerunerwartetstc. Und doch lag sie in der Natur der Dinge und ist nur Folge der Freihandelspolitik. England fröhntc ehemals zwei Interessen, nämlich dem des Ackerbaues und dem der Industrie und beide hat cs, so lange cS ging, verbunden aufrecht und im Gleichgewicht erhalten. Als aber ein Opfer nöthig wurde, nahm es keinen Anstand, selbst auf Kosten seines mächtigen Adels das Interesse des Ackerbaues (vor der Hand) sinken zu lassen. ES 't Man schwindelt allerdings in Frankreich nicht minder als in Deutichland gern, nm schnell reich zu werten und sein Spielglück in Ruhe zu genießen. Aber wenn es sich darum handelt, Geld in gewerb liche Unternehmen festzusiecken, die vernünftiger Weise in den ersten 2, 3 bis 4 Jahren keine oder nur geringe Rente abwerfen können — dann hat man keine Ohren. Nur an den Papieren will man verdienen, nicht an den Unternehmungen, worauf die Papiere gegründet sind. Das ist auch die ausgesprochene Absicht vieler Kreditanstalten und Banken Deutsch lands. Das ist aber nicht der Weg, wie die Industrie einer Landes zur Blüthe gelangt und das Land groß und mächtig wird. Red. D.-Gwbztg. Der indische Aufstand hat diesen Stoß um ein Bedeutende« verstärkt.