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250 allerdings nur 33 Mill. Einwohner, da Oestreich und Liechtenstein, Mecklenburg, Hamburg, Bremen, Lübeck und Holstein noch nicht beige treten sind) freie Einfuhr und Ausfuhr, freien Tauschhandel ihrer gewerblichen Erzeugnisse gestattet, müssen wir verlangen, daß Alle unter vollständig gleichen Bedingungen produciren können, wenn anders die Concurrenz eine gleiche und ehrliche genannt werden soll. Ist aber ein Gewerbszweig in dem einen Staate minder freigestellt, und sind auch nur geringe Differenzen vorhanden, so fehlen die Be dingungen gleicher Productionsfähigkeit, und Las Gewerbe, welches in seiner freien Entfaltung beschränkt ist, wird unterliegen müssen. Schon daraus folgt für die Regierungen die Nothwendigkeit, mög lichst freie Institutionen zu gewähren, damit ihre Angehörigen in ihren Erwerbszweigen die übrige deutsche Concurrenz nicht zu fürch ten brauchen. Nicht minder wichtig ist eine einheitliche gewerbliche Gesetz gebung hinsichtlich der Niederlassung. Als Basis der gemeinschaft lichen Regulirung, der Gewerbebefugnisse und Heimathsrechte in Deutschland muß der Satz angenommen werden, daß jeder Deutsche zum Aufenthalte und Wohnsitze an jedem Orte berechtigt ist. Ob er ausgewiesen werden soll, wenn er der Armenunterstühung anheim fällt, oder sich gemeine Vergehen oder Verbrechen hat zu Schulden kommen lasten, können wir hierbei ganz außer Betracht lasten, eben so wie wir hier nicht zu untersuchen brauchen, wie das Heimaths- und Gemeindebürgerrecht geregelt werden solle. Wir constatiren nur den allgemein gerechtfertigten und ebenso allgemein ausgesprochenen Wunsch möglichst vollständiger Freizügigkeit durch ganz Deutschland. Bisher hat man nun in den Staaten, welche die Freiheit des Ge werbebetriebs gesetzlich aussprachen, auch die Freizügigkeit innerhalb der Landlsgrenzen gestattet und so den inner» Zusammenhang beider praktisch bewiesen. Die nothwendige Freizügigkeit durch ganz Deutschland verlangt aber ebenso sehr als ihrnothwendiges Correlat ein einheitlich deutsches Gewerbegesetz. Ist nämlich der Betrieb eines gewissen Erwerbszweiges in den einzelnen Staaten an verschiedene Beschränkungen gebunden, in andern Bezirken frei, so werden die Vertreter dieser Nahrungszweige bei der freien Niederlassung vor zugsweise denjenigen Ort aufsuchen, der ihnen die geringsten Be schränkungen auferlegt, und werden daraus mancherlei Mißverhält nisse in der angemessenen Vertheilung der Bevölkerung entstehen. Gleiche gewerbliche Vorbedingungen werden dagegen von selbst durch das Gesetz des Angebots und der Nachfrage eine angemessene Regu lirung der Bewohneranzahl herbeiführen. Die Nothwendigkeit einer solchen Regelung hat nicht blos in den Jahren 1848 und 1849 die deutsche Nationalversammlung er kannt, indem sie im tz. 3 der Grundrechte indirect zugab, daß die dort decretirten allgemeinen Rechte ohne ein allgemeines Gewerbe- und Heimathsgesetz unpraktisch seien ; auch die badische Regierung hat schon unter dem l l. Nov. 1852 Anträge beim Bundestage ge stellt, welche die Feststellung allgemeiner Heimathsverhältniffe unter Zugrundelegung der Gothaer Convention vorbereiten sollten. Am 10. März 1853 beschloß die Bundesversammlung, die dem Gothaer Congreß noch nicht beigetretenen deutschen Regierungen (Oestreich, Holstein, Hessen-Homburg, Hamburg und Lübeck) zum Beitritt auf zufordern. Jene Verträge sind heute nicht mehr ausreichend, sie würden sich aber als geeignete Basis für weitere Verhandlungen be trachten lassen. Die Freunde der Gewerbefreiheit haben aber gerade zu die Verpflichtung, den Wunsch nach einem einheitlichen deutschen Gewerbegesetz immer und immer wieder auszusprechen, weil die Redaction desselben heute nur imSinne der Gewerbefreiheit erfolgen kann, und die zunftfreundlichen Regierungen von Bayern, Hannover, Hessen-Cassel, Mecklenburg, Hamburg, Lübeck u. s. w. einer Re organisation ihrer Gewerbeordnungen kaum mehr ausweichen könnten. Von diesem Gesichtspunkte haben wir vor einigen Monaten mit Freuden die Nachricht begrüßt, daß die thüringischen Staaten ein gemeinsames Gewerbegesetz zu bearbeiten geneigt seien. Wir erwarteten einen Entwurf, der ähnlich wie das Gesetz von Nassau und Bremen seiner Einfachheit und Kürze wegen geeignet wäre, als deutsches Gewerbegesetz, je früher desto bester, proclamirt zu werden. Der Entwurf ist erschienen — unsere Erwartungen find nach dieser Seite hin allerdings getäuscht worden. Die Gesetzgeber der thürin gischen Staaten haben sich mit dieser allgemeiner» Idee, die eine spätere Umänderung erspart haben würde, nicht befreunden können, sie haben es vielmehr vorgezogen, den praktischen Bedürfnissen der nächsten Jahre Rechnung zu tragen und sich an den östlichen größer» Grenznachbar, an das stammverwandte Sachsen, anzulehnen. Die Ständeversammlungen der thüringischen Lande werden die überaus schwierige Frage zu beantworten haben, ob die Aussichten auf ein deutsches Gewerbegesetz in der nächsten Zeit einen Erfolg für sich haben, oder ob es gerathener ist, mit Sachsen in ganz gleiche Pro- ductionsbedingungen zu treten, d. h. ein Gesetz anzunehmen, das durch die Berathungen der sächs. Stände mit mancherlei Jnconsequenzen und mir Widersprüchen gegen die ursprüngliche Idee des Gesetzgebers ausgestattet worden ist. Entscheidet man sich für die erstere Ansicht, so ist das Gesetz zu verwerfen; gewinnt dagegen die letztere Meinung die Oberhand, so ist es dann jedenfalls gerathen, das sächsische Gesetz mit allen seinen Fehlern und Mängeln, also unverändert an zunehmen. Die Berathungen werden erst in einigen Monaten erfolgen. Dies veranlaßt uns, mit unserm Urtheil jetzt noch zurückzuhalten und abzuwarten, welche Erfolge die Gewerbefreiheit in Deutschland bis dahin aufzuweisen haben wird. Ist der Zeitraum auch nur ein kurzer, so ist doch in der letztvergangenen Zeit in Deutschland, was wirthschaftlichen Fortschritt betrifft, in Wochen mehr geschehen, als sich sonst in Jahren ereignete. Macht sich dann in Bayern und Hannover, Kurheffen und Mecklenburg, Hamburg und Lübeck von Seiten der Behörden noch derselbe Widerstand gegen eine Reorgani sation der Gewerbeverfaffungen im Sinne vollständigster Ungebun denheit geltend und schwinden somit die Aussichten auf ein deutsches Gewerbegesetz, bestätigen sich ferner die Hoffnungen auf eine Reor ganisation der deutschen Bundesverfassung, welche jetzt plötzlich neue Nahrung erhalten haben, gleichfalls nicht, so reden wir selbst der Annahme des sächsischen Gesetzes das Wort, so gern wir sonst bereit ! sind, an dessen Vorzüglichkeit zu zweifeln. Der sächsische Gesetzentwurf ist seiner Zeit in diesen Blättern besprochen worden; die Umänderungen, die das Gesetz enthielt, sind zum größten Theile bekannt; der Thüringer Entwurf lehnt sich meist ! mit demselben Wortlaute daran an. Wie in Sachsen, will man sich auch in Thüringen nicht entschließen, den Gewerbebetrieb mit dem ! Eintritt in das Mündigkeitsalter (21. Lebensjahr) zu gestatten, son- dern bindet ihn mit einigen Ausnahmen an die Vollendung des 24. Lebensjahres. Concession ist erforderlich bei den Preßgewerben, i Schenkstätten und Gasthäusern, für Agenten und Commissionäre, zum Betrieb des Abdeckergewerbes, sür Theater, endlich zur Fabri- kation von Spielkarten. Der Hausirhandel, der Pionier des Ge- werbfleißes, bedarf der obrigkeitlichen Erlaubniß; die Baugewerke sind an den Fähigkeitsnachweis gebunden ; die Dienste der Hochzeit- und Leichenbitter sind dagegen in Thüringen von der Regulirung durch die Ortspolizei befreit geblieben. Diejenige Fabrikindustrie, welche ihre Umgebung entweder belästigt oder der Feuergefährlichkeit ihrer Stoffe wegen schaden kann, ist ebenso, wie in Sachsen, betreffs ihrer Errichtung an die ausdrückliche Genehmigung der Behörde ge bunden; die thüringische Gesetzgebung vergrößert die Zahl derselben, wie uns scheint, ohne besondere Nothwendigkeit, durch die Aufnahme der Braunkohlen- und Torfstreicheplätze. Von besonderem Interesse sind die Paragraphen über die ge werbliche Freizügigkeit. Durch die gewerbliche Niederlassung in einem Orte wird die Verpflichtung zur Gewinnung des Bürgerrechts an sich nicht begrün det; im Uebrigen kommen hinsichtlich der Gewinnung desHeimaths- und Bürgerrechts die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen in An wendung. Die Erlaubniß zum ferner» Aufenthalte in einer Gemeinde kann einem darin nicht Heimathsberechtigten entzogen werden, wenn derselbe mit Entrichtung der öffentlichen Abgaben über ein Jahr im Rückstände bleibt, oder der Gemeinde durch Unterstützungsbedürftig keit lästig wird, oder den guten Leumund (leider kehrt dieser vage Begriff, der mancherlei Deutung zuläßt, auch hier wieder) verliert. Der Zuzug der Ausländer, abgesehen von bestellten Arbeiten an der Grenze, wird an das Recht der Gegenseitigkeit gebunden. Was den Umfang und die Ausübung der Rechte der Gewerb- treibenden betrifft, so hat der Thüringer Entwurf jenen Rückschritts paragraph des sächsischen Gesetzes nicht zu dem seinigen gemacht, nach welchem ein und derselbe Gewerbtreibende an demselben Orte für dieselben Artikel nur eine Einzelverkaufsstätte außer derjenigen an der Werkstätte besitzen darf. Vielmehr ist im tz. 48 die Aus übung des Gewerbes an einem und demselben Orte auch in mehreren Werkstätten und Verkaufslocalen ausdrücklich zugesichert worden. Wie das sächsische Gesetz, so behält auch der Thüringer Ent-