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Allgemeine gewerbliche Verhältnisse. Der Entwurf eines Gewerbe-Gesetzes für das Groß- herzogthnm Baden. Der Entwurf eines Gewerbegesehes für das Großherzogthum Baden liegt uns, nach der ersten Lesung des Großherz. Handels ministeriums als Manuscript gedruckt, vor. Grundprincip desselben ist die Gewerbefreiheit, d. h. das Recht jedes Einzelnen, von seinen erlangten Fertigkeiten und Kennt nissen, sowie von seinem Kapitale jeden freien Gebrauch zu machen, der mit der Freiheit aller Andern verträglich ist. Die Freizügig keit, welche in notwendigem Zusammenhänge mit der Gewerbe freiheit steht, ist angebahnt, so weit es die gegenwärtigen Ver hältnisse Deutschlands erlauben. Dem gewerblichen Genossen schaftswesen ist eine freie Entwicklung gesichert, und Gewerbe kammern sollen da, wo es nöthig erscheint, die Interessen der Ge- werbtreibenden vertreten. Das ungefähr sind die allgemeinen Grundzüge des Entwurfs, von dem wir im Nachstehenden unfern Lesern eine vollständige Uebersicht vorlegen. Der I.Abschnitt handelt von derBefugniß zumGewerbe- betriebe. Nach demselben wird der Zunftzwang aufgehoben. Jede vertragsfähige Person, welche das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat und in einer Gemeinde des Großherzogthums Heimatksrecht besitzt, ist zum selbstständigen Gewerbebetrieb im ganzen Umfang des Staatsgebiets berechtigt und hat die Befugniß, verschieden artige Geschäfte, insbesondere neben Handwerk und Fabrikation auch den Handel, gleichzeitig an mehren Orten und in mehren Localitäten desselben Ortes zu betreiben, von einem Gewerbe zum andern überzugehen, und Hilfspersonen aus verschiedenartigen Ge werbszweigen in beliebiger Anzahl zu beschäftigen. Von dem erwähnten Alterserforderniß kann aus dringenden Gründen Nachsicht ertheilt werden, sowie auch dasselbe bei Witt- wen wegfällt, welche das Gewerbe ihres verstorbenen Gatten fort betreiben , und bei andern Frauenspersonen, welche sich mit soge nannten weiblichen Arbeiten beschäftigen. Gegen die gewerbliche Niederlassung in einem Orte, in wel chem der Gewerbtreibende das Heimathsrecht nicht besitzt, ist die Gemeindebehörde dieses Ortes berechtigt, bei der Verwaltungs behörde Einsprache zu erheben, wenn derselbe: 1) durch den öffent lichen Ruf als ein schlechter Haushalter bezeichnet, oder der Trunk sucht oder eines ausschweifenden Lebenswandels bezichtigt ist, oder 2) zu einer peinlichen Strafe verurtheilt worden ist, oder 3) zu einer Arbeitshausstrafe von wenigstens sechs Monaten, oder zur Dienstentlassung, oder wegen Diebstahls, Unterschlagung, Fäl schung, Betrugs, Landstreicherei oder Bettels zu irgend einer an dern Strafe verurtheilt wurde, und sich nicht zwei Jahre hindurch seit erstandener Strafe klaglos erhalten hat, oder 4) wegen eines Verbrechens, das nach Ziffer 2 und 3 eine Einsprache zur Folge haben kann, in Untersuchung steht, oder 5) sich als Pflegling in der polizeilichen Verwahrungsanstalt befunden und sich nicht zwei Jahre seit seiner Entlassung aus derselben klaglos verhalten hat. Auch kann dem ortsfremden Gewerbtreibenden innerhalb der ersten fünf Jahre nach erfolgter Niederlassung der Aufenthalt von der Ortsgemeindebehörde mit einer angemessenen, mindestens drei Monate betragenden Frist gekündigt werden, wenn bei ihm in dieser Zeit einer der in Ziffer 1,2,3 und 5 genannten Fälle ein tritt, oder wenn er mit der Erfüllung seiner gesetzlichen Verbind lichkeiten gegen die Aufenthaltsgemeinde länger als ein Jahr im Rückstand haftet, oder wegen Verarmung aus öffentlichen Kassen Unterstützung bezieht. Die Gewerbebesugnisse eines Inländers kommen auch den Angehörigen derjenigen deutschen Bundesstaaten zu, in welchen den Angehörigen des Großherzogthums gesetzlich die gleichen Be fugnisse eingeräumt sind. Angehörige anderer Staaten sind zum selbstständigen Gewerbebetrieb im Großherzogthum nur in so weit Wieck« Meiste. deutsche Gewerbe-Zretung I8tt. befugt, als dies durch Staatsvertrag oder durch eingeholte beson dere Staatserlaubniß ihnen zugestanden ist. „Der Besuch der Messen und Jahrmärkte*) ist den Ausländern in gleicher Weise wie den Inländern gestattet." Die höhern und niedern Diener der Hof- und Civilstaats- verwaltung, sowie die Militärpersonen, die in Ruhestand versetz- ten nicht ausgenommen, bedürfen zur Ausübung eines Gewerbes ! in eigner Person oder durch Mittelspersonen der Erlaubniß ihrer vorgesetzten Dienstbehörde. Die Leitung von Neubauten und von Veränderungen oder „Ausbesserungen" **) in den Haupttheilen von Gebäuden ist nur i denjenigen gestattet, welche eine Prüfung im Fache genügend be- standen haben. Das Prüfungsverfahren wird durch die Regie rung geordnet. Personen, welche wegen eines der in den Titeln XXVI und XXXVII des Strafgesetzbuchs genannten Verbrechen bestraft wor den sind, oder wegen unredlicher Handlungsweise einen von ihnen bekleideten öffentlichen Dienst verloren haben, sind zum Betrieb sog. Commissions- oder Geschäftsbureaus nicht befugt. Gleiches gilt von dem Makler-, Boten-, Packer-, Trödler- und Pfandleiher gewerbe. Personen, welche wegen eines Verbrechens gegen die Sittlichkeit bestraft worden find, oder welche im Rufe der Trunk sucht oder eines ausschweifenden Lebenswandels stehen, dürfen sich gewerbsmäßig mit dem Verdingen von Gesinde, Arbeitsgehilfen und Lehrlingen, mit dem Vermiethen von Schlafstellen, mit der Kostgeberei, mit der Errichtung und dem Betrieb von öffentlichen Bädern, Belustigungen, Schaustellungen, Tanzschulen u. dergl. nicht befassen.***) Der Hausirhandel und alle Gewerbe, welche im Umherziehen betrieben werden, dürfen nur nach erlangter Staatserlaubniß und mit Beobachtung der hierüber bestehenden oder künftig von der Regierung zu erlassenden Verordnungen ausgeübt werden. Die dermalen geltenden Vorschriften über mit der Presse zu sammenhängende Beschäftigungen, einschließlich des Haltens von Leihbibliotheken und Lesekabinetten, über Feuerversicherungs- und Auswanderungs-Agenturen, Kaminfegerei, Handel mit feuerge fährlichen Gegenständen, Waffen und Munition, Salz, Giften und Arzneistoffen, über das Apothekergewerbe, den Kleinhandel mit geistigen Getränken, die Wirthschaften, das Eisenbahn- und Telegraphenwesen, die Schifffahrt und Flößerei, die Fischerei, die Wasenmeisterei und den Gewerbsbetrieb im Zollgrenzbezirk, erlei den durch das gegenwärtige Gesetz keine Abänderung. Die Re gierung bleibt ermächtigt, diejenigen der hierunter begriffenen Be stimmungen, welche im Verordnungsweg erlassen worden sind, aus gleichem Wege umzugestalten oder ganz zu beseitigen. Jeder, der irgend ein Gewerbe selbstständig betreiben will, hat vor dessen Beginn sein Vorhaben bei der Gemeindebehörde desjenigen Ortes, an welchem der Betrieb stattfinden soll, unter Nachweisung der gesetzlichen Erfordernisse anzumelden. Die Ge meindebehörde übergibt die Anmeldung der Verwaltungsbehörde, welche die Eröffnung des Geschäfts untersagt, wenn die gesetzlichen Erfordernisse nicht nachgewiesen sind, andernfalls darüber, daß dieselbe keinem Anstande unterliege, eine Bescheinigung ertheilt, j-) sowie auch die fernere Ausübung eines bereits im Betrieb befind- ') Sollte wohl genauer beißen: „Das Feilbalte» auf Messen und Jahrmärkten im Grvßhcrzogtbum." ") Der Ausdruck „Ausbesserungen" ist sebr unbestimmt und wird dem Satze wobl eine klarere Fassung zu geben sein. '") Die kiermit gegebenen Beschränkungen sind unbedingt zu I billigen und möchten Nachahmung in andern Ländern verdiene». f) Während man von einer Seite getadelt hat, daß die Eröffnung !dcs Geschäfts nicht sofort mit erfolgter Anmeldung geschehen dürfe, fin den wir im Gcgcntheil die obigen Bestimmungen zweckmäßig zur Bcr bütung von voreiligen Schritten, welche zum Nachthcil der ein Geschäft ! beginne» Wollenden ansschlagcn müßten. 40