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Herausgegeben von Otto Dammer Achtundzwanzigstcr Jahrgang. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter. Wöchentlich ein Bogen Xr. 49. Friedrich Georg Weck s Deutsche 1863. k. Die Stahlfeder-Fabrikation in England. Die Versuche, Metallfcdern an Stelle der fortwährend der Kor rektur bedürftigen Gänsekiele zu setzen, sind sehr alt. Wenigstens hat man Federn aufbewahrt, welche ein Alter von mindestens 50 Jah ren haben. — Es wollte erst gar nicht gelingen, die Feder von einer Elastizität Herstellen, wie sie die Hand und der vielgewundene Buch stabe mit seinem Grund- und Haarstrich bedurfte, bis ein gewisser Perry im Jahre 1830 auf die Idee kam, nicht nur einen einzigen Längenspalt auf dem Rücken der Feder, wie dies bisher geschah, zu machen, sondern auch an beiden Seiten Einschnitte anzubringen. Auf diese einfache Aenderung hätte man, so sollte es scheinen, rascher kommen muffen und doch war dies eben nicht geschehen. Oft aber ist es in der Industrie eine erst spät gefundene, an sich einfache Verbesse rung, welche einem Fabrikationszwcige oder einer Erfindung allge mein Werth und Ausdehnung verschafft. So war auch hier mit Perry s Aenderung das Richtige gefunden und seine Stahlfeder ist denn auch trotz der mannigfachsten Variationen dennoch die praktisch allgemeine geworden. Und welche Ausdehnung hat dieser Industrie zweig gewonnen, welche Mannigfaltigkeit in den Formen. Diese ist geradezu unermeßlich. Man hat Federn mit harten und weichen Spitzen, Federn, die eine sehr breite Linie, andere, die den feinsten Haarstrich ziehen, ferner gedrehte, halbmondförmige, säbelklingen artige, hyderköpfige Federn, Federn von dem verschiedensten Metall oder Metallzusammensetzungen, von Stahl, Messing, Gold, Silber, Glas, Federn von Stahl mit Gold-, Guttapercha-Ueberzug ic. re, Feder» von der mannigfachsten Farbe und phantastischsten Gestalten. Doch ist die einfachste Form die brauchbarste geblieben. Auf der Lon doner Industrie-Ausstellung waren (von Oesterreich) Federn ausge stellt, deren Rohr mit Tinte gefüllt wird und mit denen man 8—10 Stunden ununterbrochen schreiben kann. Ein Hauptmangel der Stahlfeder» ist noch immer das Rosten derselben. Die Versuche, dieselben durch Galvaniflrung oder Gutta- percha-Waschung mit einem feinen Ueberzuge z« versehen, haben nicht zufriedenstellende Wirkung gebabt. Gold aber, von welchem der Ueberzug sehr gut sein würde, ist zu theuer für die so ungemein billig gewordene Waarc der Stahlfedern. Höchst interessant ist nun der eigentliche Arbeitsprozeß vom Ltahlblock hinauf bis zur fertigen Scbrcibfedcr. Gerade an diesem Industriezweig kann man mehr als an irgend einem anderen die Macht und Wirkung der gewerblichen Arbeitstheilung erkennen. Wir wollen diesen Arbeitsprozeß jetzt vor unfern Augen einmal vorüber gehen lassen, gleich als wären wir in den Arbeitsräumen irgend einer großen Fabrik zu Birmingham, dem Hauptfabrikationsortc dieses Artikels in England, von wo aus ja jährlich Millionen und Aber- millionen Federn in die Welt hinausgehen. Die großen Stahlplatten liegen vor uns aufgcschichtct. Markige Arme zweier Arbeiter ergreifen eine solche Platte, im nächstanstoßcn- den Zimmer wird sie in Stücke von 1—5" Länge geschnitten, die, nachdem sic in Schwefelsäure gereinigt find, unter einem gewaltigen Walzwerke zu jeder beliebigen Dünne ausgcwalzt werden. Die Streifen gehen nun in einen anderen Saal, wo in langen Reihen wohlgekleidete Mädchen sitzen, vor denen Schlagstcmpel taktmäßig, wie bei einer Uhr, niederfallen, von einem Maschinenwerk getrieben. Das Mädchen ergreift jetzt einen kurz vorher gewalzten, noch war men Blcchstreifen und sieht wie viel Stahlfedern sie wohl aus dem Stück herauszuschlagen vermag. In der Regel ist die Größe des Streifens schon auf eine gewisse Anzahl Federn berechnet. Der Stempel schlägt nun genau die Größe einer Feder (im breiten Zustande) heraus und die arbeitenden Hände der Mädchen sind so flink, daß manche derselben in 10 Arbeitsstunden über 30,000 Fe dern schlägt. In einem anderen Saale sitzen wiederum diejenigen Mädchen, welche das Einschlitzcn und Durchlöchern der Federn, eben falls mit Schlagstempeln, besorgen. Die Arten der Schlitzung sind ebenso verschieden, wie cs die Form der Federn selbst ist und eine Unzabl Stempel sind also nöthig, um den verschiedensten Anforderungen des Publikums zu genügen und womöglich für jede Hand eine passende Stahlfeder auzufertigcn. Es werde» nun die Federn in luftdicht verschlossenen tbönernen Ge schirren geglüht, um sic elastischer zu machen und nach diesem Prozeß gestempelt. Die größte Fabrik Englands ist die von HiukS L Wells in Birmingham. Sic beschäftigt über 300 Arbeiter, die meist »ach Stücklohn bezahlt weiden. Das Etablissement liefert jährlich 187 Millionen Stück Federn! Die bisher verfertigte Feder ist »och immer platt. Mittelst kon vexer Stempel erfolgt nun das Biegen zur eigentlichen Fcdcrform, dem alsdann, um die Feder wieder hart zu machen, ein nochmaliger Glühprozcß folgt, der aber damit schließt, daß die Federn noch rotb- glühcnd unmittelbar in kaltes Oel geschüttet werden. Aus diesem Oelbadc kommen die Federn in große von Maschinen getriebene Blechtrommeln, welche über Feuer gehen, natürlich unter einem wah-