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Xr. 4S. Iriedrich Heorg Wiecks 1834. k Die Strohwaareniildiistrie im Königreiche Sachsen. To interessant eS ist, einen blühenden Erwerbszweig bis in seine ersten Anfänge zurückzuverfolgen, so ist dies doch nur in den selten sten Fällen möglich, da die Chronik zwar außergewöhnliche Ereignisse, nicht aber die stetig fortschreitenden, doch kaum bemerkbaren Verän derungen der Industrie und des socialen Culturlebens notirt. Das Strohflechten ist in der alten Bergstadt Altenberg um daS Jahr 1800 zuerst eingesührt worden, wer es aber aus der Fremde mitgebrachl. wer es gelehrt, ist heute nicht mehr zu erfahren. Niemand konnte da mals vermnthen und ahnen, daß der neue Industriezweig 60 Jahre später 20—25,000 Hände beschäftigen und über einen Gesammt- umsatz von mindestens 2 Mill. Thlr. verfügen würde. So viel ist in dessen bekannt, daß das Strohflechten aus dem Spitzenklöppeln ber- vorgegangen ist, und damit hat der Industriezweig gegenwärtig noch manche verwandte Seite. Wie bei dem Klöppeln erfordert auch das Strohflechten eine Fertigkeit und Feinheit der Finger, welche das Tagewerk des eingeübten Kindes fast ebenso hoch bezahlen läßt, als das der Frauen und erwachsenen Mädchen. Hier wie dort unterrichtet die Mutter das S—6jährige Kind in den ersten Anfängen, und sucht das noch jüngere Kind aus Nachahmungstrieb noch spielend die Ar beit der älteren Geschwister nachzuahmcn. Wie das Spitzcnklöppeln, das Gori- und Handschnbnähen, wie die Bandzäckchenfabrikation, so hat sich auch das Strohflechten hausindustncll entwickelt. Die Flech terinnen liefern die fertigen Maaren in einer Länge des Geflechts von 24 Ellen feiner sogenannten Mandel) an die Aufkäufer (Factorenj ab, und diese versorgen damit die Grossisten oder Fabrikanten. Letztere geben wiederum neue Muster oder veränderte Aufträge an die Factorcn ad, welche nach dem Princip der Arbeitsglicdcrung die neuen Bestel lungen vcrtheilen. WaS die örtliche Ausdehnung betrifft, so kann gegenwärtig Dip poldiswalde als Mittelpunkt des Strohflechtbezirks betrachtet werden, obgleich Altenberg sich immer noch durch größere Intensität und fei- nere Arbeiten als der Hauplsitz der Flechtindustrie zu erkennen giebt. Von hier aus hat sich dasselbe über Geißing, Lauenstein, Bärenstein, Liebstadt, Glashütte, bis nach Berggießhübel und Gottleuba, und am Abfall des Gebirges bis nach Maxell. Dohna, Kreischa fast bis zur Elbe verbreitet, und in den letzten Jahren hat sich auch die Um gebung von Franenstein dem Flechten mehr und mehr zugewcndet. j In gleicher Weise gewinnt die Industrie an der böhmischen Seite des Gebirges an größerer Ausdehnung, doch wird der größte Theil des böhmischen Geflechts durch die sächsischen Factoren und Fabrikanten vertrieben. — In Freiberg ist das Flechten seit mehreren Jahren durch die Thätigkeit des Fraucnvcreins eingesührt worden, und in größerer Ferne von dem Flechtbczirke, im Dorfe Neubausen bei Saida, ist es den lobenswerthen Bemühungen deS Lehrers Jentzsch gelungen, mitten in der Spielwaareninduftric der dortigen Gegend do) Stroh flechten zu einer Zeit einzubürgcrn, als in Spiclwaaren eine bedenk liche Geschäftsstockung eingetreten war. — In mehreren der genann ten Orte, wie Altenberg, Dippoldiswalde, Freiberg u. s. w. bestehen, unterstützt durch Staat, Gemeinde oder Korporationen, Flechtschulen, die indessen nur da eigentlich nothwendig sind, wenn es sich um die Einführung des Industriezweigs oder um die Erlernung ganz neuer Muster handelt. Wo bereits eine Generation geflochten hat, wird die Mutter die beste Lehrerin des Kindes. Große Schwierigkeiten bereitet nicht selten die Beschaffung eines vollkommen geeigneten Rohmaterials, deS Weizcnstrohs, da auf dessen Einbringung eine außerordentliche Sorgfalt verwendet werden muß. Sobald der Halm adgeschnitten ist, schadet ihm selbst der nächtliche Thau, und es entstehen dann Flecke, die bei dem ungefärbten Stroh durch keine Mittel zu beseitige» sind. Nasse Sommer, wie der dies jährige, liefern daher ein nur wenig taugliches Rohmaterial. Eigen- thümlich ist ferner, daß nur das Weizcnstroh eines magern Gebirgs- bodenS allen Anforderungen entspricht, nnd ist besonders das Produkt des Müglitzthales ein gesuchter Artikel. Ein fetter oder stark gedüng ter Boden soll den Halm zu scbilsig machen und ihm die nöthige Ela- sticität rauben. — Ist daS Stroh eingebracht und sind die '.'lehren abgeschnitten, so wird der Halm so gctheilt, daß die einzelnen Stücke knotenfrei sind. Um eine weißere Farbe zu erzielen, wird das Stroh geschwefelt und dann je »ach der beabsichtigten Feinheit des Geflechts mit einem stählernen kammartigen Instrument in schmale Streifen ge- theilt oder nach dem technischen Ausdruck gerissen. In Sachsen ist das 11-Halmgeflecht das gangbarste, do» kommen wohl alle Thei- lungen des 7 —18zähnigen Geflechts vor. DaS fertige Fabrikat wird darauf gewaschen und nochmals geschwefelt und kommt in den sogenannten Mandeln in den Handel Wie bereits erwähnt, sollen diese Mandeln genau 24 Ellen ent halten; durch die böhmische Kundschast bat sich indessen manche lln- reellität eingeschlichcn, die leider auch auf sä»sii»er Seite Naehabnn ng gefunden hat. Nicht selten werden nämlich, zumal dann, wenn starke Nachfrage vorhanden ist, Geflechte von nur 2Z und bis herab zu 18 Ellen abgeliefert, die der Fabrikant bei den zahlreichen Ablicfc-