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Herausgegeben von Otto Dammer Ncummdzwanzigster Jahrgang. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter Wöchentlich ein Bogen Die Freiheit, oder ^icht und Schatten Von Adolph von Carnap. KSuigl. Commerzienralh. II. Wir haben unlängst Englands politische wie volkswirthschaft- liche Zustände mit allen seinen freisinnigen Institutionen besprochen und find dabei zu der Frage gelangt: welche Erfolge hat das System geschaffen, welche Erfahrungen die Zeit gebracht? Hat das System einer unbegrenzten Freiheit auch krankhafte Symptome? was sagt uns der Zustand des englischen Volkes? Die Beantwortung dieser Fragen führt uns zunächst zur Be leuchtung desjenigen Unterrichts, den die große Nation den ärmeren Klassen des Volkes, dem massenhaft Heranwachsenden Geschlechte, bietet; und da finden wir denn, daß in England auch der Unter richt eine freie Industrie ist. Man eröffnet eine Schule, man gründet eine Anstalt ohne irgend eine höhere Genehmigung; in diesen Schulen, diesen Anstalten, ist die Methode völlig verschieden, je nach den Ansichten und der Will- kühr derer, die sie leiten. Keine Vorschriften, keine Controle irgend einer Art, als etwa eine solche, der man sich freiwillig unterwirft. Völlige Unabhängigkeit ist die Regel. Auch da, wo Korporationen die einzelnen Personen ersetzen, erhält sich die Selbstständigkeit; man ist eben wenig beschränkt oder scrupulös in der Wahl der Mittel zum Zweck. Wenn ein Pfarrsprengel eine Schule gründet und unterhält, so verwaltet er sie vollständig, durch Vermittelung seiner Wächter innerhalb den Grenzen seiner Gewohnheiten; riese dulden von äußerem Einfluß nur was sie gut heißen. Unter den Anstalten, deren Verantwortlichkeit, und zuweilen auch deren Kosten, der Staat und die Kirchspiele unter sich theilcn, sind die sogen. ^Vorkllonsss, die Arbeitshäuser, die wichtigsten. Die Schulen dieser Anstalten haben alle eine bestimmte Gestalt und einen besonderen Organismus. Das gegenwärtige englische Armengesetz datirt von 1334 und ist hervorgegangen aus dem Zustande, welcher früher die Heerstraßen mit Heimathlosen füllte. Das Gesetz von 1836 reducirt gewisser maßen das Recht auf Unterstützung auf das Recht auf Arbeit. Es verpflichtet die Gemeinden, welche sonst wegen der Zugehörigkeit von Armen in zahllosen Prozessen mit einander schwebten, sich in Ver bänden (Horvos) zu vereinigen und das Armenwesen gemeinsam zu verwalten und deren Unkosten durch Vertheilung nach Procenten dcS besteuerten Einkommens vom Grundeigenthum aufzubringen; cS ver pflichtet ferner diese Verbände zur Errichtung von Arbeitshäusern, in welche die arbeitsfähigen Armen cintretcn müssen, bei Verlust jedes Anspruchs auf Unterstützung, und wo sie nach den Geschlechtern und Kinder von den Erwachsenen getrennt einer strengen Hausordnung unterworfen und zur Arbeit gezwungen find. Außer diesen Arbeits häusern, diesen Gefängnissen der Armen, wie der Akademiker LoutS Reybaud sie nennt, werden in der Regel nur noch solche Personen unterstützt, welche arbeitsunfähig find. Doch wir wollen die Er wachsenen verlassen und uns mit den Kindern beschäftigen. Im Laufe des Jahres 1861 waren 44,608 Kinder in den Arbeitshäusern von England und Wales eingcschlossen und 262,204 theilS unterstützte, thcilS nichtunterstützte befanden sich außer den- > selben. Von den eingeschlossenen Kindern waren 8356 uneheliche ! und 25.532 Waisen oder Verlassene. Von den Kindern, welche ihre Freiheit hatten, gehörten 126,764 an Witwen, und 5736 an Eltern, die wegen Vergehen ihre Strafe abbüßtcn, 3907 waren unehelich und 14,334 waren Waisen. Wenn man zu diesen Zahlen noch 30,000 Armenkinder hinzufügt, die in verschiedenen Distrikten lebten, worin keine Anstalten waren, so gelangt man zu der Gesammtzahl von 336,312 Kindern, welche dem Familienleben entfremdet, dem Staate oder den Kirchspielen zur Last fallen. Für die Erziehung und den Unterricht dieser Kinder sind folgende Einrichtungen getroffen. In jedem Arbeitshause ist eine Schule, in der täglich drei Stunden in den Elcmcntarsächern der Unterricht ertheilt wird; die Lehrer der selben wohnen in den Anstalten oder in der Nähe derselben. Ans den Menschen, welche diese Arbeitshäuser bevölkern, lastet kein anderes Unrecht, als daß sie dem Gemeinwesen zur Last fallen, und dennoch ist in diesen Häusern jede moralische Gesinnung wie er storben. Nirgendwo herrscht die Leidenschaft und der Haß gegen die Besitzenden so stark wie hier; eine geheime Unzufriedenheit hat alle Herzen erfaßt und führt nur zu oft zu den mannigfachsten Anfällen von Ungehorsam und Gewalt. Unter so bewandten Umständen ge- stalten sich diese Arbeitshäuser zu einem Erziehungsherde der schlech testen Art, wo nur zu oft drei Generationen nach einander ihren Aufenthalt suchen und finden. Die Kinder gewöhnen sich, dieses Asyl als das einzige Erbtbeil anzusehen, worauf sie gerechten An spruch haben; sie verlassen dieselben und kehren wieder dahin zurück, wie es ihnen genehm ist, und mit der Gewißheit, daß, waS sich auch zutragen möge, do» immer daselbst ein Bett und ein Mahl für sie