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IX. Jahrg. No. 24 375 24. November 1900 32 Löchern für Speichen bohren lassen und sind darin unter einander einig geworden, dass dies die beste Methode dafür ist. Falls man dasselbe Prinzip etwas weiter führt — nicht zu weit — dann wird man leicht der Antwort nahe kommen, die der Frage der Ueberschrift dieses Aufsatzes gegeben werden muss. Eine absolut exakte und gleiche Konstruktion einschliesslich Entwurf soll nicht befür wortet werden, da man keinenfalls allen Fabrikanten per sönlichen Geschmack oder Unternehmungslust für prak tische Neuerungen nehmen darf. Was unter einem Standard-Fahrrad zu verstehen ist, ist eine Maschine, deren kleine Teile, welche Reparaturen und Erneuerungen unterworfen sind, in gleicher Grösse hergestellt werden, so dass man für Reparaturen etc. den Teil des einen Fahrrades für ein anderes sofort benutzen oder dagegen auswechseln kann. Konstruktion und Entwurf der einzelnen Fahrrad marken sollen nach wie vor Anziehungspunkte der ein zelnen Fabrikate bleiben, da die Individualität der Pro duzenten ein mächtiger Faktor in der Entwickelung der Maschine und deren Industrie ist. Aber solche Indivi dualität der Fabrikanten und ihrer Produkte beruht keinenfalls auf den Grössenverhältnissen von Schrauben gewinden, Schraubenlängen, sowie der Grösse von Ko nussen, Keilen, Schalen, Kugeln etc. Die Vereinheit lichung solcher Teile ist aber das Objekt, dass der Idee des Standard-Fahrrades unterliegt, und für diesen gesun den Vorschlag fechten alle Freunde des Fortschrittes und einer grossen starken Fahrradindustrie. In jedem Fahrradgeschäfte und jeder Reparaturwerk stätte findet inan Kistchen und Kasten mit allmöglichen Fahrradteilen, alt und neu; dieselben sind thatsächlich wertlos, da sie niemals für eine Reparatur passen, für die sie versucht werden. Gewöhnlich haben diese Kasten die Ueberschrift „Allerlei“ und oft werden die Teile durchsucht, um etwas Passendes für eine Reparatur zu finden, doch die stundenlange unprofitable Arbeit ist meistens umsonst; gewöhnlich geht der Kasten mit einer sehr unhöflichen, gefühlserleichternden Bemerkung nach seinem Platze zurück, da keine Schraube, keine Schale und kein Konus passen will. Diese Kasten mit ihrem Inhalt repräsentieren die individuellen Ideen der einzelnen Fabrikanten ein unnachahmbares Fahrrad herzustellen, welche Hauptidee alle als patentierbar annehmen. Das ein Teil des „Allerlei“ aber für den Zweck, den es zu er füllen hat, auch nur für ein Jota besser sei, wird niemand auch nur annehmen, viel weniger beweisen können; die Teile sind einfach verschieden, das ist ihre Empfehlung und ihr Fluch; keiner derselben wird für eine andere Maschine passen, wie für die, für die er geschaffen und da die Maschinen in Reparatur andere sind, kann man den Teil nicht verwenden. Wer aber von denen, die diese Maschinen kauften und fuhren, kümmerte sich während der ganzen Zeit des Besitzes, ob die Pedalnadel 20 oder 24 Gewindedrehungen hatte? Kommt aber die Zeit, dass eine Kurbel gebrochen und der Fahrer hört von dem Reparateur, dass in der ganzen Stadt keine 24 er Pedal nadeln zu haben sind, dass man vielmehr nach der Fabrik schreiben und diesen Teil mit nicht unbedeutenden Kosten und grossem Zeitverlust speziell beziehen muss, dann wird der Radfahrer zum wenigsten wünschen, dass sein Fahrrad'eine andere Pedalnadel hätte. Wer kümmert sich beim Kauf einer Maschine darum, ob eine Nabenachse 24 oder 30 Gewinde hat, bis eine gebrochene Achse er setzt werden muss und die gleiche Grösse kann nur aus der Ferne bezogen werden? Wer interessiert sich dafür, ob die Lenkstangenröhre 7 /s °^ er ls /ie Zoll im Durch messer ist, mit Ausnahme des Fabrikanten, der sie her stellt, des Monteurs, der die Teile zusammensetzt, des Engroshändlers, der alle Grössen auf Lager halten muss, des Reparateurs, der für jede Reparatur nach der Fabrik zu schreiben hat und des Fahrers, der gerne eine andere Lenkstange kaufen würde, aber unglücklicherweise an seiner Maschine ein Lenkstangenrohr hat, das J / 16 Zoll zu gross oder zu klein ist? Niemand kümmert sich um die exakten Dimensionen vom technischen Standpunkte, da alle gleich stark und ansehnlich sind; aber wenn Reparaturen vorzunehmen sind, dann kann man oft starkes Heulen und Zähneknirschen hören. Ein vor mir liegender Katalog zeigt u. a. siebzehn verschiedene Grössen in Kronenkonusse für Lenkkopf lager und jeder derselben dient dem gleichen Zwecke und kann man von keinem derselben sagen, dass er für diesen Zweck besser sei. Jede dieser siebzehn Varietäten be darf aber eines besonderen Satzes von Werkzeugen zur Herstellung, was gleichfalls von den einundsiebzig Varie täten in Lenkkopf kugelschalen gesagt werden muss, die in dem gleichen Katalog zu finden sind. Profitiert diese Fabrik etwas mit dieser Multiplikation von Entwürfen, deren Herstellung gewaltige Kosten und Auslagen ver ursachen. Können solche Fabriken ihre Kunden so billig bedienen und ihren Aktionären so viel Dividenden ein bringen, wie sie dies rechtmässigerweise thun sollen? Würde der Gesamtumsatz eines solchen Unternehmens zurückgehen, falls die ganze Kraft und Energie der An gestellten auf eine Mittelgrösse konzentriert würde? Und profitieren die Fahrradhändler, denen die Auswahl ge lassen wird, etwas dabei, dass ihnen individuell die Wahl gelassen wird, sich einen Teil auszuwählen, den vielleicht kein anderer genommen? Heutzutage handelt es sich im Geschäfte, mit kleinen Verdiensten und grossen Umsätzen hohe Dividenden zu erzielen, was aber mit enormen Auslagen für spezielle Werkzeuge und Zersplitterung im Herstellungsverfahren nicht möglich ist. Will man aber sich erst einmal ein genügendes Bild von der vorherrschenden Verschwendung machen, dann multipliziere man diese siebzehn und ein- undziebzig mit der Anzahl von Fabrikanten, die gleiche Varietäten in verschiedenen Grössen herstellen, wenn man ein Resultat erhalten wird, dass jeden Fabrikanten und Händler mit gesundem Menschenverstand überzeugen muss, dass mit solch sinnloser Verschwendung nichts Besseres von der Industrie erwartet werden kann, wie man dasselbe heutzutage beobachten muss. Diese Original verschwendung ist aber noch nicht das Ganze. Angenom men, dass von sechs Spezialfabrikanten jeder einundsiebzig verschiedene Kopfschalen macht und fünfzig Fahrrad fabrikanten machen ihre eigenen Teile nach eigenem Massstabe, dann erzielt man die angenehme Summe von 476 Varietäten in Kopfschalen. Falls nun eine dieser Lagerschalen brechen sollte, dann wird der Reparateur, dem die Herstellung der Maschine anvertraut wird, vor das Dilemma gestellt sein, welcher der 476 Varietäten dieser Teil angehören möge. Er hat einige Kopfschalen auf Lager, aber keine 476 ver schiedene Arten und muss daher sich umsehen, von welcher Fabrik der Teil hergestellt worden. Möglicher weise ist es ein Reparateur im Auslande und eine deutsche Maschine, weshalb es Tage und Wochen braucht und viel Geld kosten wird, bis ein passender Teil beschafft