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Ilr. 35. Friedrich Keorg Wieck s 1864. Deutsche b. Die Weberei der Kaschmir- null indischen Shawls. Hie wunderbare Feinheit, die seltene Farbenpracht und Wärme der berühmten Kaschmir- und indischen Shawls hat seit ihrem Bc- kanntwerden den Europäern und besonders den Engländern, welche als Herren von Indien die nächste Gelegenheit haben, jene kostbaren Stoffe zu bewundern, viel Kopfzerbrechens gemacht. Bald schrieb man diese noch von uns unerreichte Bravour in Weberei und Fär berei den Gräsern Tibets und Gewässern des Hydaspes, sowie der Geschicklichkeit der dortigen Weber zu, bald fabelte man von der Wolle eines breitschwänzigen Schafes, welches am Brahmaputra heimisch sein sollte. Die neueren Nachforschungen haben nun er geben, daß das fabelhafte Thier kein Schaf, sondern eine Ziege mit geraden Hörnern ist, die in den weiten Einöden am nördlichen Ab hang des Himalaya lebt und gegen die eisigen, furchtbaren Stürme von der gütigen Natur außer einem dicken Pelze noch eine dichte Decke langen weißen Flaumhaares erhielt, so daß sie auch bei der schärfsten Kälte im Winter ihre Nahrung an von Schnee entblößten Stellen fi^ suchen und im Freien fortleben kann. Kein Abhang ist ihr zu steil, wie die Gemse klettert sie auf Graten und an Abgründen von schwindelnder Tiefe. Manche schreiben den weichen Flaum der Wolle den mageren Weiden des unermeßlichen Tafellandes zu, welche die Thiere freiwillig bewohnen, sie vorziehend den üppigen Wiesen im Süden, und glauben dies um deswillen, weil die Shawlziege, wenn sie in wärmere Klimaten, nach Bengalen, Kaschmir, Pendschab, Persien und europäische Länder verpflanzt wurde, ihre feine Wolle verlor, ja kränkelnd hinfiechte. Wir glauben aus sonst genauerer Kenntniß des Pelzhandels und der Pelzthiere, daß einmal schon das Krankwerden in milderen Gegenden, wo das Thier sich sonst nicht vorfindet, anzeigt, daß dasselbe seine Heimath in rauhen Strichen hat, sodann aber, daß eben die Feinheit der Haare mit ihrem ihnen von der Natur angewiesenen kalten Wohnplatze zusammenhängt. Je feiner die Haare, desto dichter und wärmer der Pelz — die Shawl ziege hat, wie angeführt, sogar einen Doppelpelz —, die Natur hat dies weise so eingerichtet. Auch bei den sibirischen Pelzthieren, z. B. beim Zobel, macht man dieselbe Bemerkung, daß das Fell um so schöner ist, aus je nördlicherer, kälterer Gegend er herkommt, oder je strenger der Winter war, in welchem das Thier gefangen wurde. Die Shawlziegenheerden müssen ungeheuer groß sein, denn die Anzahl der Weber ist überrasckend groß. Nach Beendigung des letzten Sikh-Krieges erhielt der Fürst lHolab Singb die Provinz Kaschmir von den Engländern und mit ihr zugleich das Monopol aus die feineren Shawls-Wollen, die deshalb insgcsammt von den wunderbar geschickten Webern seiner Besitzungen verarbeitet werden. Die europäischen Manufakturistcn bemühen sich nun bereits seit drei Jahrhunderten, die unvergleichliche Feinheit und Farbenschönheit der Kaschmir-Shawls nachzuahmen, aber vergebens. Sehr möglich ist es, daß das Wasser des HydaSpcS und des Dschclam beiträgt zu dem Glanze der herrlichen Stoffe, wie man ähnliche Beobachtungen in Deutschland auch bei der Rothgarnfärberct gemacht hat, bei der dieses oder jenes Wasser eine sehr verschiedene Intensität der Farbe hervorbringt. — Anch in Indien wurden große Anstrengungen ge macht, die Vortrefflichkeit der Kaschmirer Webwaarcn zu erreichen. Akhbar der Große begründete 1000 Shawl-Manufakturen in Delhi und Randschit Singh schuf Aehnlichcs in Lahore, aber nirgends kamen die fabricirten Zeuge der Schönheit der Shawls von Kasch mir nahe. Leider wird dieser künstlerisch unvergleichliche Industriezweig von den Fürsten nach echt orientalischer Sitte in drückendster Weise zur Gelderpreffung benutzt. Die Weber, diese wunderbar geschickten Leute, verdienen nämlich kaum so viel, um ihr Leben zu fristen, trotz der enormen Summe, die häufig ein einziger Shawl kostet. Der persische und russische Gesandte bestellten einmal mehrere, von denen das Stück 12,000 Rupien oder 8000 Thaler kostete! Randschit Singh zog jährlich 180,000 Pfd. Stcrl. aus dem Monopol, also circa l V» Million Thaler. Welchen Umfang dieser Shawlhandcl und resp. die Shawlfabrtkation hat, zeigte sich unter der Sikh-Re- gierung, wo alle Erzeugnisse der Scrinaghacr Webstühle nach Amritsir gebracht wurden, und einmal bei einer Handclsstockung Shawls im Werthe von 3^ Millionen Thaler lagen! Zur Zett der Mogul-Kaiser sollen im „Glücklichen Thal" 40,000 Webstühle im Gange gewesen sein, eine große Anzahl davon in der Hauptstadt selbst. Durchschnittlich liefert ein Stuhl im Jahre nur 5 Shawls. so daß sich die Gcsammtzahl der Stücke auf 200,000 belaufen würde. Nach einer neueren Angabe betrüge die Anzahl der Stühle 16,000 mit einem Gesammtprodukt von 80,000 Shawls. Der Export ist ein weit geringerer, als er sein könnte. Die schöne Waare wird eben durch die orientalische Habsucht der Fürsten unnatürlich vertheuert. So erhält Gholab Singb von jedem Shawl der feinen Sorte 60 Pfd. Sterl. (400 Thlr.) Tribut! In Europa zahlt mau diese enormen Preise nickt. Nordindische Tänzerinnen besitzen oft Shawls zu 600— 700 Thalern. Die junge Frau eines türkischen Pascha'S