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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.01.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110118017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911011801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911011801
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-01
- Tag 1911-01-18
-
Monat
1911-01
-
Jahr
1911
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Nr. 18 10S. 3sttrgang. terpziyer Tsyedlstt. DeuMes Reich. Leipzig, 18. Januar. ' * von der Reis« des Kronprinzen, ^iachdem der Kronprinz des deutschen Reiches die Sehenswürdig- leiten des alten Delhi sowie die durch ruhmvolle Erinnerungen von 1857 geweihten Stätten unter sachkundiger Führung durchwandert hat, unternimmt er heute mit dem Gouverneur der United Provinces einen siir etwa eine Woche berechneten Ausflug in das Innere vieles interessanten Teiles von In dien. Bei der Schwierigkeit der Unterbringung abseits der großen Heerstraße wird der Kronprinz aus dieser Tour nnr von zwei Herren seines C»c jolges begleitet * Dir Gewerdeordnuugstommission des Reichs tagcs nahm einen Zentruinsantrag an, welcher verbietet, daß Älerlmale in die Lohnbücher ausgenommen werde», die bestimmt sind, einen Arbeiter zu kennzeichnen. * Zur Revision des Impsgejetze». Die Abgg Dr. Faßbender und Dr. Pseisscr iZentr.k haben im Reichstage den Antrag aepellt, zur Klärung der strittigen fragen bei der Revision eines Imps gesetzes eine k o m missio n ein zusetzen. welcher Inipi ireunde und Impfgegner angeboren, und das von ihr ausgearbeitete Waterial dem Reichstage vor znlcgen. » Der stand der >roi,tu»»tttztloujrlsragr. Ueber den stand der Fiagc der Einschräitkung der Kontur renztlausel erfährt die „Fns." ivlgendes: Nachdem der preußisch? H a n d e l s m i n i si e r im vorigen Sommer die Handeisoeltretuuge» zur Abgabe von Gutachten zw-cl- Eiuschräntuag des Gebrauches der konlurrenzklaujei aujgesoroert harte, sind nunmehr die betreffenden Antworten bei der zuständigen Br Hörde cingrganzen und einer Sichtung unterzogen worden. Es sind inner hin eine grosse Anzahl von gutachtlichen Aeußerungen mrderer interessierter Der bände sz. B Arbeitgeber und H.rn-lungsgehilsenver bände) eiuge-zangen. die sich gleichfalls eingehend zu der Frage äugern. Das MiniNerium hatte 11 Gründ sähe ausgestellt, die in Anregung gebracht worden waren. Es handelte sick ferner um eine Stellung »ahme zu der Frage, ob einer Ausdehnung der für die technischen Angestellten vorgejchlagcncn Grundsätze auf alle gewerblichen Arbeiter Bedenken entgegen stehen. Dor allem handelt es sich aber um den Gründ satz der bezahlten Karenz, der an stelle an derer früherer Dorschlägc getreten ist. Die cinge gangcnen gutachtlichen Aentzcrungen, die zum Teil auch neue Vorschläge enthalten, Nellen eine außer ordentliche Fülle von Material dar, das längere Zeit einer eingehenden Bearbeitung unterzogen werden muß. Da die Ansichten vielfach auseinandergchen. wird es daraus antommeil, eine Ileberbrückung der oorbaudenen Gegensätze herzustellen und eine mittlere Linie zu finden, auf der eventuell später gesctzgcbe rrschc Bestimmungen basieren können. Durch die Be arbeitunq des vorliegenden Materials im Handels miiiisterlum wird die Angelegenheit selbstverständlich wesentlich gefördert, doch lommen für die eventuell? Vorlegung eines Gesetzentwurfes die Neichsämter iRcichsiusttzamr und Neichsamt des Innern) in Frage. Bei diesen Behörden gehen die bezüglichen Aeugerungcn der Bundesregierungen ein. Nach Lage der Dinge würde möglicherweise entweder Lurch eine Novelle zum Handelsgesetzbuch oder durch eine Novelle zur Gewerbeordnung eine Neuregelung der konkurrenzklausclfraae erfol gen. doch sind bis jetzt hierüber selbstverständlich keine Bestimmungen getroffen worden. Der stand der ganzen Angelegenheit lägt erkennen, daß, wenn eine entsprechende Vorlage gemacht werden würde, diese noch längere Zeit auf sich warten lassen wird. - Ein „»»es Mitglied,rverzeichnis ist m R«':->. tage ausgegeben worden. Die augenblickliche Stärke de. Parteien ist danach folgende: Zentrum 191. K«-n jervative 58. Sozialdemokraten .">2. Nationalliberale 19, Fortschrittliche Volkspartei 19, Neichspartei 25, Polen Al. Wirtschaftliche Vereinigung 17, Deutsche Ncsormparlei :!, fraktionslos sind 17. Erledigt sind n Mandate, nämlich 9. Königsberg durch den Tod des Abg Hirsch berg (Ztr). ll. Schwaben durch Len Tod des Abg. Schmid. Immenscadt lZtr.), und 1. Hellen durch den Tod des Abg. köbler lRespt.). Reichstaqskandidaturen. Die national liberale Panei h"i für den Neichstagswahlkreis Wo rins-Heppenheim al? Kandidaten Freiherr» von Henl zu Herrnsheim ausgestellt. — Die sozialdemokratische Partei hat für den Wahl kreis Offenbach-Dieburg den seitherigen Reichs tagsabgeordnten Ullrich wieder ausgestellt. Für die Reichstagsersatzwahl in Bielefeld- Wiedenbrück stellen die konservativen den Hand werlskainmerjekrctär Sackmann lBielefeld) als Kandidaten auf. Für das Zentrum kandidiert Amtsrichter Emminger tAugvburgj. ' Die sprunghafte Ausdehnung der Maul- und Klauensrnche, wie sie leider tn den letzten Monaten in Deutschland zutage getreten ist und ihre Wirkungen aus die Märkte rn so unangenehmer Weise geltend macht, hat auch die Beschickung der Wanderausslcllung Kassel der Deutschen Landwirtschafts Gesellschaft mir klanenvich tRrnder, Schafe, Ziegen, Schweine) tangiert. Das Zusammcnströmen einer großen Masi? von Tiere» bietet außerordentliche Gefabrcn für die Weiterverbreitung der Seuche, und die Rücksicht »abme aus die dadurch gefährdeten Interessen der Viehaussteller hat die Deutsche Landwirtschafts-Ge sellschaft zu dem Entschluß geführt, sämtliches Klaucuvieh von der Kasseler Ausstellung >25. Wanderausstellung, 22.-27. Juni 1911) auszu- ; schließen. An Tieren werden daher in Kassel nur Pferde, Geflügel. Kaninchen, Fische, Schäferhunde, Bienen ausgestellt werden. Dafür soll aber angr strebt werde», u. a. durch Vermehrung der Preise, < i,ie möglichjt umfangreiche Beschickung der übrige» Abteilungen herbeizutührcn. So «oll ein Reit- und Fahrwctutreir mit hohen Preise» den Züchtervcr einiguligen und Einzel,Züchtern Gelegenheit zur Vor führung deutscher Gebrauchspfcrde geben. Auch die Kolonialaussteilung >oll umfangreicher, als nrsvrüng lich geplant, vertreten jein. Ferner wird die Deutsche Laudwirrschasts-Gesellschaft iclbcr aus dem Reich ihrer Tätigkeit eine größere Ausstellung veranfralten. - Denkschrift und Untersuchung über das Radboder Unglück. Wie der „Inf." mitgeteilt wird, find die ,,A n f w ä l t i g u n g « a r b e i t e n" aus der Zeche Nadbod vor kurzem beendet worden, und es ist zu hoffen, daß die gerichtliche Untersuchung gegen die Beamten der Grube nunmehr auch bald zum Abschluß gebracht wird, da durch die Arbeiten alles noch fehlende Material zutage gefördert worden ist. Es Kandell sich bei dieser Untersuchung um die vom Staatsanwalt gegen die Krubenbeamten ein geleitete Verfahren, das, wie vielfach geschehen, nickt mit dem privaten Beleidigungsprozeß des Direktors Andre gegen den Redakteur der „Bergarbeiter zeitung" zu verwechseln ist. Dieser Prozeß ist bereits beendet, und während der Verhandlungen haben zahl reiche Vernehmungen über eine Reihe von Umständen statlgcfunden, die mit der Ursache des Unglückssalles zu>ammenhängen. Hierbei wurde festgestellt, daß sich die Ursache des Unglücks nicht sicher feststellen läßt, und daß eine Schuld der Verwaltung nicht nachgewiesen werden kann. Die Leraverwaltung wird ab r den Abschluß der Untersuchung gegen die Beamter, der Grube abwarten und -ann an die Aus arbeitung einer genaue» Beschreibung des Unglücks salles gehen, die in Form einer Denkschrift abgefaßl werden wird. " Das preußische Irrlehre-Gesetz soll zum erste» Male in Kraft treten. Der „Köln. Ztg." zufolge wurde gegen Pastor 2 aiho von, Oberkirchenrat ein Ermittel uii gsnerfahren wegen Irrlehre ein- geleitet. Iatho ist ein bekannter liberaler Geistlicher in Köln. * Ablehnung von Orden. Verschiedene hessische Lehrer haben in letzter Zeit die ihnen zugedachten Ordensauszeichnungen abgelehut mit der Be grimdung, daß die ihnen zugedachten Auszeichnungen nicht,brer sozialen Stellung ent sprechen. Die Lehrervereine non Mainz und Offenbach haben nunmehr an die Regierung die Bitte gelichtet, von einer Ordensverleihung solange abzusehen, bis »ran einen Weg gefunden habe, der den Lehrern einen ihrem Rang entsprechenden Orden bringt. Ruslsnü. Frankreich. ' Ein Attentat auf Briand. Im Laufe, der gest rigen Sitzung der Deputiertenkammer wurden von der Zuschauertribüne herab zwei Revolver schüsse auf den Ministerpräsidenten Briand ab gegeben. Briand blieb n »verletzt. Mirman , der Direktor des Armenwefens. wurde an der Wade verwundet. Der Angreifer wurde festgenom men. Er ist ein ehemaliger Gerichtssekretär namens Gizol'me aus Bayonne, der erst vor kurzem aus einer Irrenanstalt entlassen worden ist. Ueber das Attentat werden folgende zum Teil »echt merkwürdige Einzelheiten gemeldet: Der Attentäter befand fick auf dec oberhalb der äußersten Linken und unterhalb der Journalisten tribüne gelegenen Zuschauerbühne. Der erste Schuß ging am Kopse des konservativen Deputier RUttmoch, 18. Hanusc 1911. ten Dillebois-Mareuil vorbei, die zweit« Kugel streifte den Direktor des Armenwefcns unc der Gesundheitspflege im Ministerium des Innern, Mirman, der der Sitzung als Rcgierungskommis- sar beiwohnte, an einem Beine und prallte dann zu Boden nieder. Gizolme war noch vor wenigen Tagen im Irrenhaus Ville Enrard bei Paris und wurde seiner Familie übergeben, da die Aerzte, die ihn als Neurastheniker anschen, einpsohlen haben, ihm möglichst viel Zerstreuung zu bieten. Zu diesem Zweck gab man ihm eine Karte für die heutige Kam- wersitzung. Es heißt, daß er vor dem Staatsanwalt und dem Untersuchungsrichter erklärte, er habe «ei nerlei Rache üben, sondern sich nur amüsieren wollen. Er hat vor mehreren Jahren mit derselben Motivierung zwei R'e volverschiisfe auf einen Konsul in San Sebastian abgefeuert und ist da mals seiner Gerichtsaktuarsrelle enthoben worden. Sein Bruder ist Ingenieur und der Präsidial kanzlei des Ministers der öffentlichen Arbeiten zuae- ieilt. Er wohnte der Kammersikung bei. — Gi zolme gab nor dem Untersulbunasnibtcr meist un zusammenhängende Antworten. E: verweigerte an- sanas jede Auskunft, gab aber schließlich an, rn der Richtung der Mitglieder der Reoierung geschossen zu haben. Bei einer genaueren Untersuchung wurde feitgeitellt, daß die Kugel Mirmant den rechten Ober schenkel durchbohrt uud eine Kontusion am linken Vein verursacht hat. * Die Veröffentlichung der Dotumente von 187V/71. Die Debatte betreffend die Veröffentlichung der Schriftstücke über den Krieg 1870/71 in der Kammer ist Gegenstand cisriger Presseerörterungen. Regie rungsfreundliche und radikal« Blätter geben ihrer lebhaften Entrüstung darüber Ausdruck, daß diese Angelegenheit von der Opposition benutzt wor den sei, um Schwierigkeiten zu bereiten. — Petitc Röpublique" schreibt: Da die nor einigen Tassen gehaltene Rede des Ministers wiederholt der friedlichen Absicht Frankreichs Ausdruck gab und einen so großen Eindruck ausgeübt hat. ist es unverantwortlich, zu versuchen, den 'Minister hinterrücks zu erdolchen. Wenn der Streich gelungen wäre, hätte das Ausland eine üble Ansicht von unserer Regierung bekommen und unseren Verleim- der» wären seltsame Argumente in die Hctpde ge geben. Spanien. * Ein spanische Intervention in Portugal? Aus Madrid wird über Paris gemeldet: Gegenüber der amtlichen Erklärung, daß die spanische Regierung keineswegs ein Einschreiten in Por tugal ins Auge gefaßt habe, wie ernst auch die gegenwärtige Lage dort sei, hält die Zeitung „A BE" aufrecht, daß iu dem nächsten Ministerratc nach der Rückkehr des Ministerpräsidenten Lanalejas die Frage einer Intervention Spaniens in Portugal e r - örtert werden solle. Das Blatt fügt hinzu, daß England einer solchen Intervention Spaniens gegenwärtig nicht sseneigt sei, und behauptet, daß zwischen zwei Großmächten eine alte Abmachung für den Fall bestehe, daß in Portugal Unruhen aus brechen. — In einer Versammlung in Alicante forderte der Führer der Radikalen, Lerroux, die Re- Bei üer Witwe unseres Rllüerich Leneülk. Mitten in der kauten Stadl, die vor r.-aoen Fahren «eine Kuwerlcrgc ichirmie, auf dem ltillun, ocrmmcncn Iohannisrumho, »cyum Ro-crcck V.-nec» oen letzten Schlaf. Harr am Wege woldt ücn -er treu gepflegte Grcwhugei unter hangenden Zweigen der trällernden Eicke, nahe der Staue, wo dankbare, cc -nnernngsuohe Herzen ri»langst der Mutter nno ^ckweper Nicyard Wagners eine» iparen Lcichcnltem gesetzt. Die drei, die hier so nahe verein ruhen, ,la,l0cii sich wopk cinit im Leven nape. teilten Freuvc ilnb 'Rot vor drelMennhcnaktern. 'Wer weilt noch unter ,-ns Rachgedorenen, der uns davon erzählen koniuc? Die Eiche reckt gamm »>erwci,eno ihre Zweige über die versmneilcn Grabhügel in der Runde. Alle find üe gestorben, die einst fung waren. Eiiie aber lebt noch Dl. Rooerich Benedu Keß. ol^ er 1875 ztim Sterbe» tam, eine >u»gc Ekeg-iahrn» zurück Vor Fahren schon hörte ich von ihr. do», sie eine kunstsinnige Greisin sei, die der itrebendrii Fugend mit klugem Rat auf den Lebensweg »elfe. Vom Grabe Bencdix' führte mich oer W<cg z» ihr. Ei» Großmütterche» würde ich finden, sagte mir mein Ahnen, eine Grein», müd i,»d still, des letzten T«a-. gewärtig. 'Aki die Tlirilhiille am Franlfnrter Tvihius wie der Bayreuilmr Feltjplelba» in mächtiger siibdueue oie Gustav-Adolf Straße binantwtiiki. wo weithin die Lin-enauer Wiesen ini Schnee!,chl erglänze», sand ick das cinsache Mietshaus, erstieg zusammen mit -knem fuiigcn Frelin-e, dem Erwartung die Brust >ch.D?llte, im Aben-dämmcrn die Treppen unk las dos ichmolr Türschild: Frau Dr. Benedir. Ein rosiges Fung inädche» mit blanken Augen. rundein Arm ,:eß uns willkommen, wo wir Alter und Gebrechlich??» er warteten. Ein Gruß «in das Lebe», mitten '.'raus gegriffen ans dem besten Benediritück. »ns antcs Omen, denn wen die Götter lieben, der rh'.e des Boten, der als Euter auf fremder Sckwelle rbn will kommen heißt. Fm halbounklen Salon der s.bwarze Schalten einer Frau, leicht vornübergebeugt, das Haar ergraut. Auf der Sckulter bockt ihr ein schreiender, grellbunter Papagei Das ist ,-.raii Dr. Benedir Fch halte ihr« welke Hand, jucke in den Zügen und blicke mich im B'»"'?« »m Großväter Hausrat. Bäcker in Schränken. Bilder rings an Leit Wänden, breite Portieren, ein offenes Klavier. Wir treten mit begrüßende» und bankenden Worte» »eben un ins Wohnzimmer, wo eine Freundin niid Alters gcfohrtl» »liier barrt Zwilche» Bl»»ienge^ächsen und Bilder» am Fenster ein zierlickcr Schre'blisck aus Großmutters Zeil, hocklehnige Sessel im mollig?» Erker, und vor dem geschweiften Sofa lädt der Kaffee lisch, sauber gedeckt, znm Plaudern. Von draußen webt das Abeiiddämnlcr» mit weichen, verschwebende» Strahlen »nd qoldet -en greiien Scheitel Großmütterchcns. Wie sie mit feiner Gebärde dem Mädchen zu winkt, uns znm Zitze» ein lädt, erkenne ich in ihr die gefeierte Künstlerin der Bühne wieder, Leontine Paulmann. eines Paulmann Tochter und eines Paulmann Enkelin. Mit gehn Fahren stand sie schon in Kinderrollen neben dem Vater aus der Bühne der Wiener Hofburg, mit zwanzig Jahren jugendliche Liebhaberin am Leipziger Ztadttkeater. die Braut des Doktor Roderich Benedir Fch sitze ihr gegenüber und sebe in dem wkckxm Schatten -er Abenddämmerung ihre feinen, chlanke» Hände -cn Plandertrank kredenzend, blicke forschend ihr ins Gesicht und suche in den Zügen de? Alter? die Spure» vergangener Fugen- un- Schönheit. Auf me>» Bitten wird die Lampe noch nicht gebracht, die Stunde ist so schon zum Plauschen und Traume». Wir plauder», »»- ich lausche in ihre wohllautende Stimme yinein, die. kaum von Atemnot gegualt, noch ganz -en weichen Schmelz und Reiz bemann, oer vor einem balbeii Fahrhu.wen oas Ohr der tteipziger entzückte. Was liniere Gedanken beschäftigt in Liefer stunde, erfüll: auch alsbald unser Gespräch: Roderrch Leneötr. ..Wir spreche» von Roderich!" run sie -er schwer hörigen Freundin zii, und i.h scbe ihr Ange in helbem Glanze ausleuchten. Beglückt er .oylr sie mir. wie schon feit Wochen Vereint un- Schnuiteller, Zeitungen sie um Bilder. Bücher und Manuskripte aus -em reichen Schatze bitten, -en ,ic hütet, und mir kindlicher Freude bekennt sie Gotr ihren Dank, daß er sic -icsen Tag, be» himdcrttten Geburtstag ihres Ro-erich, -tun neck erleben läßt, nächst jenem Tage, -a sie. sich vor .'>2 Fahren ihm anverlobic, ibr höchstes, reinstes Glück auf Erden. „Von feiner Ki'idheil und Fugeno weiß ick > ur aus lenien Erzttblungen. aber alles in mir leveu-ig im Gedächtnis geblieben, habe ich -och ieir <>r Fahren nichts weiter vorn Leben gehab: ui'.o verlangt, als nur an chn zu Lenken, in ihm zu leben." Fhre Stimme klingt weich wie von Tränest, und ick lehe in ibren leuchtende» Augen den »rahlenden Glan; iinverminderier Garteulrekre, die io ocele Fahr« ubers Grub hinaus Treue un- Angedcnkeii wahrte. Die tiefe» Runen die oas Leid -cs Lebens m bitteren, einsamen Fahrzchnlen grub, sind mit eins itns -em Antlitz geschwunden, nno wie in ihren jungen Tagen febc ich die seltene Frau, ganz Erinnerung lind Liebe. Da hat man draußen in -er überreizte» AKI'., öre wie ein Sturm «m -iejem stille» Heim vcriidcr blaust, jetzt jo ost vom „gefährlichen Alter" -er Fran geschrieben uno gr-jprochen. von -en Dreißig ir», in denen leine Frau mehr ihrer entfesselten Sinne mächtig und alle in steter Gefahr seren, -as kzeilige Gebot der Treue zu brechen. Hier ist eine Frau, oic euch alle verstummen »«acht, ihr Schwätzer und Schim-er oer Frauenehrc und treue. Diese Frau ward in den Dreißigern Aktive und trug -en Witwenschleier durch vierzig Fahre in Treue und Ehren. Un- ist'? Rätsel? „Roderich war ein wahrhaft guter Mensch, er war ,o von Herzen gutmütig und «del. Un- jo sind auch all? seine Stücke. Er wollte als ein echter Deutscher ein Reiiiiacr sein von fremder, französischer Ari. Dec Franzofe Hai feinen Salon parliert, wir Deutsche,, oc singen Haus und Herd un- tun es mit Herz und Gemüt. Roderich konnte niemand verspotte» nnd locherltch machen in seine» Stücke», den» er li.'bi? oie Mensckien und war allen Menschen gut." Fch horche auf un- spüre oen gilte» Geist Be.-edir. oer uns Junge und Alte noch immer aus ieine» ehr würdigen stücken anweht, in den Worte.» die'-r Frau, die ganz von der Art »dies unvergessenen Galten, el tüllt ist. in der stubc. dem ekrbaren. einfach-:' Haus rat. -er mich einen Augenblick lavendei-ust!»d. al, fränklich anmutete. Fch habe Liefe Stube, bi ie Frau lieb, ich spüre es und emofinde mit Verehrung, welch ein guter Mensch Roderich Benedir gewesen I'in muß. ,'einem Zlkibc ein solches Her; zu geben. „Was ick bin. danke ich khm, ganz allein iqm. Es reichte aus. mich durch ein langes Leben voll bitterer Not hindurchzuretien und noch im Alte» 'lücklich zu machen." Deut Aitfborchenden erzählt sie. wie oie Mutter und Schneller ihr harnen, die Stieilinde: sich adwandten, wie das eigene Kind einen !a»zamen Tod sand. Wie sie einsam war und krank, »no wie sie aefundet«. immer wieder erstarkte an Sem Andmke» Roderich? Fch frage nach seiner Fugend, ob er denit Richard Wegner gekannt habe, der zwei Jahre nach ihm in Leipzig geboren wurde, und mit beglücktem Eifer gibt mir die „Frau Doktorin", wie sie genannt jein mag, Antwort auf manche ungesprochenc Frage, den» ihr ist es ja eine Feierstunde, .andächtigen Herzen von Roderich zu erzählen. ..In -er allen Waffe,»unsi wohnien «nie Familien Bcnebir und Waqner. Oft kamen sie mii der Familie Gerhardt in deren Garren an der Lessingstraße zu sammen. Die Knaben Richard und Roderick schrieben damals jchon — Goethe mar ihnen hierin unbewußt ein Vorbild — ihre Theaterstücke »nd führten sie auch vor den Eltern und Gejchwistern aus. sogar ein Ein lrirtsgeld mußte von den oft erzwungenen Zufchausrn entrichtet werden, ein blanker Dreier. Die Vor stellungen sanden in dem kleinen Tempclchen statt, da. jetzt in, Fohannapart ausgestellt ist. Richard Wagners älteste Schivester Rosalie Wagner war Roderich Benedir' erste Flamme. Die beiden gingen ost abends um die große Allee ringe um die Stadt spazieren »n- wnrbe» deswegen gern gehänselt. Roderich, hieß es dann, un- Rosalie waren noch spät aus -er Aller Roderich jollle nach Wunsch feines Barer? Kaufmann wcr-cit, aber ec hatte gar keine Luit zu diese», Berufe. Der alte Benedix beiaß ein beträchtliches Vermögen UN- kcw.ste damals s18W) «ms ganze Gelände an -er heutige» Lortzing und Zöiluerstcaße bis »ach Plagwitz für ttt P' pro Oua-ratrute. Er richte«? -ort eine Wachsbleiche ein. Ec hatte auch eine große Lottcriekbllektro», in -er er alle Lose, die liege» bliebe», selbst spielte nn- jo viel Geld verlor. Ro-ench also sollte Kaufmann werden, atwc als er die Reise für die Universität er langt hatte, tiliss er ox - di? Frau Doktorin liebt es hi? und da Fremdwörter iu gebrauchen, manchmal sogar Fackausdrücke aus -er Chemie und anderen Wigenszweigen. Das H>ck'- der alten Dame ganz jckannant zu Miinde. -- Roderich ging aus dem Eltern haus nki, ein paar guten stiesellohlen und einem Takr, -en ihn, -ie weiilende Mutter zugestcckt batt?. Er wanderte in einem Tagemarfch bis nach Mersc bürg un- weiter Tag um Tug. bis er an die Eifel kam. Ni:» war feine Barichaft ansgezehrt, und er wandle sich «rn einen The'rerdirektor. der -en jungen Benedir bebieit, weil er ei» gewisses Talent und eine gu«e Tenolstimme besaß. So spielte er denn zur 'oll«.» Zusriedcnheit -er Zuschauer heute in der Oper und tags daraüs im Schauspiel oder im Lui« spiel. Aber iiicki nur wegen feines Könnens wurde Benedir gejchätz.. auch »och aus einem anderen Grunde. Der Theaterdirettor jein Name war Engel jagte gl.ick zn Anfang: „Den Mrnn müssen wi: uns ».'''ballen, er !mt einen braunen Frack mit gelben knöpfen." Un- -.-> braune Frack wechselte manchen Abend seinen Besitzer. Damals lernte Benedir anck eiiie Frau Som.»er kennen, zu der er in »äh>_re Beziehungen iral und -ie er mit 21 Jahren bsiratcle. Er amalgamierte sich, sagte die Frau Doktorin. Bald zog er an de» Rhein, nach Elber feld. -ort führ,? er -ie Regie und war dann stell- verlrcrenüer Direkror in Barmen und Elberfeld. Lange war er oni solche Weise tätig, oft mit dcm Gc fühl: das in nick: -er reckte Wea Un- io fing er an zu schreiben. seine ersten Werke waren „Die Männer- jeindtn" und „Johanne Zebus". Bald darauf schrieb er „Das bemooste Haupt" und schickte es -em Schau spieler Krauß in Berliu ein. Eine Abschrift sandte er an seinen Vater nach Leipzig, der ihm antwortete: „Steck das Zeug ins Feuer!" Nachdem Roderick Leipzig verlassen hatte, lösten sich die Beziehungen zu Richard Wagner; es war nur eine knabensreun-schast gewesen. Als Benedix später in Leipzig den ..Meistersingern" beiwohne, wär er außer nch nor Fveude. Die Kritik lehnte damals das Werk noch ab. wärend Roderich und ick den hohen Wert dieses musikalischen Lustspiels sofort erkannten!" Stolz sprach es die greise Frau Doktorin aus. Ich lenkte das Gespräch wieder auf „Das bemooste Haupt". „Das stück fand in Berlin eine geradezu beispiel- lose Ausnahme. Aber Roderich hat nie auch nur einen Groichen dafür bekommen. Er war immer viel zu gurmüiig. Oft gejchah cs, daß die Direktoren ihn um das Aufführungsrecht eines neuen Lustspieles an gingen. und wenn sie es dann in der Tasche hatten, sagten sie: Schenken Sie uns doch das Stück! Roderich tat es." Fch dachte an L'Arronge, der als Millionär starb, dachte an die Riesenhonorare eines Richard Strauß un- empfand die bittere 'Wehmut in -en Worten der bescheidenen Frau: „Wenn mein Roderich nur noch sechs Fahre gelebt bäire, er wäre Millionär geworden." „Bald ging Roderich", fuhr die Frau Doktorin lebhaft fort, „nach Köln, wo man auf ihn aufmerksam geworden war, und von da an datiert sein Ruf. Naftlos hat er von nun an gearbeitet. Die Seckach ward jeine Schülerin. Speidel und von Kohn riefen ihn als Intendanten nach Frankfurt. Der Dichter litt unter dem Intendanten, und Roderich gab die Stellung wieder auf, weil sein Schaffensdrang zu groß war. Friedrich Haase ward hier fern Schüler und Freund." Der frische Fünfundachtzigjährige, ihm lacht noch das Leben! Ich gedachte oer Zeit, wo Haase in Leipzig Direktor war und erinnerte die Frau Doktorin daran. „Ja", bestätigte sie mit bewußtem Stolze, „daß Haase als Direktor nach Leipzig gekommen ist, ver dankt die Stadt nur meinem Roderich, der damals gerade endgültig nach Leipzig übergesiedelt war. Bürgermeister koch trug Roderich die Leitung des Stadtthcaters an. aber er lehnte ab, weil -er sich zu alt und ,u schasiensfreudig fühlte. „Aber ich kann Euch einen Mann nennen . war sein letztes Wort. „Eilten, der sich an mich anlehnen kann. Was ich in künstlerischen Dingen ihm raten kann, will ich gern tun." Auf die telegraphische' Berufung gab Haase zur Antwort- Aber wie steht s mit der Oper? Für dies? berief man dann den scharmanten Herrn von strantz. Als dieser das Theater an der Elisen- srraße raute, rieten ihm Roderich und sein« Gattin lebhaft ab. D,e Arau Doktorin sagt auch heute dickem kunsttempel trotz seines tüchtigen Leiters noch teine gut.- Zukunft voraus. „Roderich hat sich in den neun Jahren dann sehr wohl in Leipzig gefühlt, obgleich ich ihm immer riet: Geh noch Berlin oder nach Wien! Da ist dein Platz, nickt in Leipzig." Warum nicht? wandte ich ein, uno wir sprachen von Leipzig einst und jetzt p. ,. (Ein Schlußartikel folgt.)
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