Volltext Seite (XML)
XVIII. Jahrgang No. 6. 94 23. Dezember 1903. das Lebenslicht ausgeblasen und so etwas soll auch das sonst grimmigste Jägergemüt wunderbar be sänftigen. „Wer ist denn das? Ich hab da draußen ein famoses Fahrrad stehen sehen und mit Erlaubnis des Besitzers gleich angeordnet, daß es unter Dach und Fach gebracht wird!“ — „Besten Dank, Herr Waßner, für Ihre Freund lichkeit! — Mein Name ist Hermann Lomberg, Prokurist im Hause Steiner & Drossel (ich nannte die süddeutsche Residenz, Sie begreifen, daß ich mein Rennfahrertum dem reichen Fabrikanten gegenüber nicht gerade betonte!) „Spiegelberg — ah pardon — Herr Lomberg, ich kenne Sie dem Namen nach und habe mit Interesse von Ihren Pariser Siegen gelesen! — Ich muß Ihnen sagen, das hat mir imponiert! — Und Sie kommen schon heute per Rad aus der Residenz? — Alle Wetter, das ist um diese Jahreszeit eine Leistung, die Ihnen nicht jeder nachmachen dürfte! Sie haben Schneid’, das muß ich sagen!“ — Der Herr Fabrikant reichte mir wohlwollend die Hand. Ich verbeugte mich artig und dachte in meinem Innern dabei: „Wenn er wüßte, was du im Schilde führst, so würde er dich, statt dir so entgegenkommend die Hand zu reichen, vielleicht eher zur Türe hinaus befördern!“ — „Ich lade Sie ein, mit mir zu essen, denn die Damen haben wohl schon gespeist und werden froh sein, wenn wir sie beim Christbaum nicht stören! Hier hinein, bitte!“ —— Kaum waren wir durch einige geschmackvoll möblierte und dekorierte Gemächer in das Speise zimmer gelangt, als der Fabrikant mit ganz ver ändertem Gesichtsausdruck stehen blieb. „Ich danke Ihnen für Ihr Zartgefühl, Herr Lomberg, den Damen gegenüber, aber ich bin ein Mann! Mir brauchen Sie nichts zu verheimlichen! Nicht wahr, Sic bringen mir schlimme Nachricht von meinem Sohn? — Ist es nicht so? — O, ich hab’ schon diese ganzen Tage über so etwas geahnt! — Lebt er? Ist ihm etwas zugestoßen?“ — — Ich muß sagen, ich war vollständig verblüfft und starrte den Fragenden so erstaunt an, daß er sehen mußte, daß er im Irrtum war. „Na, sind Sie denn nicht ein Bekannter von meinem ungeratenen Schlingel von Sohn? — Bringen Sie mir keine Mitteilung von oder über ihn? — —■ Wie kommen Sie denn überhaupt in mein Haus? — Ich kenne Sie ja doch nicht im Entferntesten, mein Herr?!“ — „Ich war allerdings im Auftrag Ihres Fräulein Tochter“ — Herr Waßner steckte seine beiden Hände in seine Hosentaschen und fing an: „Heil Dir im Sieger kranz" zu pfeifen. „Wie kommt meine Tochter dazu, Ihnen Auf träge in Familienangelegenheiten zu erteilen? Darf ich Sie vielleicht darüber um gütige Aufklärung er suchen?“ — — Der große Augenblick war da. Ich nahm allen /.meinen Mut zusammen und der, gestehe ich offen, ■ war in diesem denkwürdigen Augenblick recht winzig. Wenn ich vorher doch manchmal den Gedanken ge habt hatte, es würde mir gelingen, durch treue Liebe und unermüdliche Arbeit meine teure Hedwig zu er ringen und ihrer unverdienten Liebe, mich wert zu machen, so trat mir in diesem Augenblick der ganze Abstand, der den armen Kaufmann und Rennfahrer von der Tochter des reichen Fabrikanten trennte, mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen. Ich hatte das Gefühl, daß ich Unmögliches erstrebt hatte und daß meine Sache und ich selbst mit ihr verloren sei. In diesem Bewußtsein aber fühlte ich, wie ich all- mahlig gefaßter wurde. „Herr Fabrikant,“ sagte ich einfach und be stimmt, „ich werde es nicht an Aufklärung fehlen lassen, denn zu diesem Zweck kam ich her! — Be merken aber .möchte ich, daß es Ihrem Herrn Sohne nicht so gut gehen muß, wie er schreibt. Diesen Eindruck hatte ich in seinem Zimmer, obwohl ich ihn persönlich nicht antraf!“ — „Das geschieht ihm recht, dem Toren! — Er soll nur lernen, wie schwer es ist, selber Geld zu ver dienen, wovon er bisher noch nicht die blasse Ahnung hatte! — Lassen wir das also! — Aber zu Ihnen, mein Herr!“ — „Ganz recht, Herr Waßner! —- Ich erteilte Ihrem Fräulein Tochter Radfahrunterricht, als sie -“ „Ach so!— O, ich sehe schon! Und Sie hatten die Dreistigkeit, die Gelegenheit zu benutzen, um das unschuldige Herz des weltunerfahrenen Mädchens durch Ihre residenzlichen Don Juan-Künste an sich zu ziehen —!“ — „Herr Waßner, ich hatte das Unglück, mich in Ihr Fräulein Tochter zu verlieben! Das ist das einzige, was ich zugeben muß! — Aber, glauben Sie mir, nicht ein Wort von Liebe ist über meine Lippen gekommen! — Erst als ich zu meinem Schreck, zu meinem staunenden, glückseligen Schreck empfand, und die Überzeugung erhielt, daß ich die Liebe des besten und schönsten Mädchens der Welt ge wonnen hatte, da — — da vermochte ich es nicht, meine Liebe länger zu verbergen! Was, Herr Waßner, wäre wohl Keinem in diesem Falle möglich gewesen!“ — Der Fabrikant ging mit schnellen Schritten auf und nieder. Er hatte wieder die Hände in den Hosentaschen und hielt nachdenklich den Kopf geneigt. „Daraus kann nun und nimmer nichts werden, Herr Lomberg! — Ein Rennfahrer, ein armer Schlucker und meine Tochter und Erbin! — Nun und nimmer!“ Er war plötzlich stehen geblieben. „Das mag alles sein, wie Sie sagen! Es mag auch alles sehr ehrenwert vor sich gegangen sein! Ich glaube das! Ich bezweifle das gar nicht! — Sie sind auch sonst kein so übler Mensch und haben mehr Schneid als mancher andere, aber — mein Freund, eine Dreistigkeit ist es denn doch, an meine Tochter zu denken! — Womit wollen Sie die denn ernähren? Mit Ihrem Kommis-Salär? — So 'was ist sie nie nicht gewöhnt bei mir!“ — Ich sah, daß alles zu Ende war! Ich hätte noch manches ins Feld führen können, aber ich ver zichtete. Nur eines zu erwähnen, hielt ich für meine Pflicht. „Und gilt Ihnen das gar nichts, Herr Waßner, daß Ihre Tochter mich wahrhaft liebt? Ist es Ihnen so gleichgültig, ob Sie Ihrer Tochter das Herz brechen?“ —