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XVIII. Jahrgang, No. 6. 92 23. Dezember 1908 Platz im Automobil-Rennen um den Großen Preis von Amerika gegen sehr große Konkurrenz des Auslandes. Diese Erfolge, um die wir allerdings stark beneidet werden, sind höchst ehrenvolle für unsere deutsche Industrie, die hoffentlich nicht durch ein einseitiges Automobil-Haftpflichtgesetz - in ihrer Weiterentwickelung geschädigt wird. Sport, Verkehr und Industrie sind mit einander so eng verwachsen in vieler Beziehung, daß des Einen Schaden auch des Anderen Verlust ist. Aus diesem Grunde hat auch unser Bund das leb hafteste Interesse am baldigen Eintritt von Be ruhigung in den bedrohten Kreisen. Hoffentlich ist recht bald die wirtschaftliche Krise in ihrem tiefstem Punkte überwunden, hoffentlich finden auch mit dem Eintritt des neuen Jahres die mancherlei politischen Wirren den erwünschten friedlichen Ausgleich. Denn der Wünsche größter geht doch beim Jahreswechsel dahin: Möge Deutschland der Frieden er halten bleiben! In dieser Hoffnung »Frohe Weihnacht! Glückliches Neujahr! u Die Weihnachtsfahrt. Festnovelle von Dr. Wer als Radler noch keine Tour gemacht hat an einem schönen Wintertage, wenn kräftiger, an dauernder Frost den Schnee befestigt hat, der weiß gar nicht, wie erfrischend und stählend das Radeln auf Körper und Geist zu wirken vermag! — Die Straßen bieten prächtige Bahn, die entlaubten Zweige der Bäume haben einen schneeigen Pelz an gezogen, der im Sonnenlicht blinkt und glitzert und die Tannen im Walde dünken wie lauter aus geschmückte Weihnachtsbäume. Und es war auch um diese Jahreszeit, genauer am Tage des »heiligen Abends“ 189. als ich unver zagt, ohne Freilauf, denn die waren damals noch nicht so üblich wie heute, das Gefall hinuntersauste, das in das schöne Schwarzwaldtal hinabführte, dem ich einen Weihnachtsbesuch zugedacht hatte. Die Strecke vom Kamm des Gebirges abwärts durch prächtige Tannen, auf denen der flockige Schnee leuchtete, war, dank den hier zu dieser Jahreszeit durchweg verkehrenden Schlitten, glatter als eine Rennbahn und schon konnte ich unten im Tal die große Sagemühle und das hübsch im Schweizerstil gebaute Landhaus gewahren, die in dieser Welt abgeschiedenheit gelegen waren. Dies war mein Ziel. Wenn ich aber sagte, daß ich unverzagt hinunter gefahren sei, so ist das eigentlich nicht ganz richtig, oder doch nur, soweit es die herrliche Fahrt selbst anging. In meinem Innern aber herrschte eine starke Beunruhigung, die nicht sehr weit von nervöser Auf geregtheit entfernt war. Ich muß Ihnen hier nämlich beichten. Die Sache war sehr ernsthaft. Ich war damals Fahrlehrer und Kommis in einem bedeutenden Fahrradgeschäfte einer süddeutschen Residenz und hatte auch als Rennfahrer im lu- und Ausland verschiedene Erfolge davon getragen. Da hatte ich als Fahrlehrer das Glück, einer jungen Dame Stunden zu erteilen, welche zeitweise in der Residenz zu Besuch war. Wenn ich so alt würde, wie der selige Methusalem, diese Unterrichtsstunden würde ich nie wieder vergessen. Ich liebte — und schon nach wenigen Stunden wußte ich jubelnd: ich ward wieder geliebt. Soll ich sie Ihnen schildern? Braunes, kastanienfarbenes Haar und große blaue Augen, rosig und frisch, schlank, gewandt und munter, ein kleines Plappermäulchen und ein rechter Schalk — sehen Sie, das war meine Hedwig! — Karl Biesendahl. Und wenn ich nun unruhig war, wissen Sie, ihretwegen war ich es nicht! Nein! Beim Abschied auf lange hatten wir ausgemacht einander zu schreiben. Da kam nun kurz vor Weihnacht ein herziges Schreiben von meinem Lieb, worin sie mir so mancherlei erzählte und ihr Leid klagte. Es war eine böse Geschichte. Sehen Sie, so haben auch reiche Leute ihr Vater war ein schwerreicher Mühlenbesitzer im Schwarzwald — ihre Sorgen und ihren Kummer! — Sie hatte nämlich noch einen Bruder, der studierte. Nun hatte sich dieser mit seinem Vater entzweit, zu dem er sonst immer in dem herzlichsten Verhältnis gestanden hatte. Was eigentlich die Ursache ge wesen war, war mir selbst nicht ganz klar. Irgend eine Kleinigkeit im unrechten Augenblick hatte, trotz ihrer gegenseitigen Liebe, zwei stolze und eigensinnige Herzen auseinandergebracht. Heftige und bittere Worte waren beiderseits gefallen und Ernst Wassner hatte an einem Abend in den Herbstferien sein Vater haus verlassen und alle Unterstützung seitens seines Vaters von sich gewiesen. Er war entschlossen, in Zukunft alle Verbindung mit ihm abzubrechen. Hedwig hatte mir mitgeteilt, daß Ernst sein Studium aufgegeben hätte und daß er, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, in die nämliche Residenz gezogen sei, wo ich lebte. Sie schrieb nur, daß sie regelmäßig Briefe von ihm erhalte, in denen zu lesen sei, wie gut es ihm gehe, daß er eine glänzende Stellung gefunden habe und wie sehr er sich freue, auf eigenen Füßen zu stehen. Ihr Herz hing außer ordentlich an diesem nur wenige Jahre älteren Bruder und sie bat mich, ich möchte mich nach ihm umsehen und sie und auch den Vater über das Schicksal des Jünglings zu beruhigen. — Sie drückte die Sehnsucht aus, mich in kürzester Zeit wiederzusehen, damit wir uns wieder einmal aussprechen könnten. Sie klagte herzzerreißend über ihr zerstörtes Familienleben und was das für ein trauriges Weihnachtsfest sein werde, wenn nun weder ihr Bruder, noch ich ihr nahe sein würde. So entschloß ich mich kurz, in meinen freien Tagen die Schwarzwaldfahrt zu wagen. Nun schlug mir doch nicht wenig das Herz, wenn ich mir meine Dreistigkeit reoht überlegte. Ich, der arme Kommis und Rennfahrer und ihr Vater, der reiche Fabrikant! die Sache konnte gut werden! — Und wenn ich nun wenigstens noch hätte gute Nach richten bringen können. Ich hatte zwar den jungen