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Leipziger Tageblatt 2. vells-e. Sonmsg, 10. Mal 1914. Nr. L3S. Sonntass-Nusoabe. Selle 9. veulscder Reichstag. G Berlin. 8. Mai. Sitzungsbericht. Am Bundesratsttsche: Kriegsminister v. Fal. kenhayn. Präsident Dr. Kaempf eröffnet die Sitzung um 12,20 Uhr. Die zweite Beratung des Militäretats wird fortgesetzt mit der gestern abgebrochenen Debatte über das Kapitel „Militärjustizverwaltung". Abg. Kunert (Soz): Es war nicht richtig, wenn gestern vom Negierungstzsch behauptet wurde, die Aoldatenmißhandlungsfälle hatten abgenom - men. Wohl trifft zu, Latz die Prozesse wegen Sol- datenmißhandlungcn abgenommen haben. Unsere Resolutionen werden vom Bundesrat nicht genügend gewürdigt. Oft werden sie in geradezu schmäh licher Weise behandelt. (Präsident Dr. Kaempf rügt diesen Ausdruck.) Der strenge Arrest ist eine gesetzlich gestattete Folter. Anstatt diese nun aufzuheben, wie wir es verlangen, sucht der Bundes rat die Anwendung dieser Strafe noch zu vermehren. Das sind entehrende Dinge, entehrend für die jenigen, die sie au irechterhalten wollen. Oft wird der strenge Arrest noch verschärft durch Aufhängen des Delinquenten an den gefesselten Händen, so das; er nur noch mit den Zehenspitzen den Fußboden berührt. Wir verlangen die Aus dehnung der Kriminalstatistik aus Heer und Marine. Alle freiheitlichen Strafen, Haft- und Disziplinar strafen, müssen in ihr berücksichtigt werden; ebenso die Fälle, in denen bei Gerichtsverhandlungen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Leider ist eine niedere Gesinnung gerade bei den amtlichen Organen vorhanden, die uns diese gemein gefährliche und gemcinschädliwe Mili tär) ustiz zumuten. (Glocke. Vizepräsident Dr. Paasche ruft den Redner zur Ordnung.) Dieser Infamie müssen wir entgegentreten. Generalmajor Freiherr o. Langermann und Erlenlamp: Die gestern von mir über die Straf statistik gebrachten Zahlen sind völlig authentisch. Mit der Reform des Militärstrafgesetzbuches müssen wir warten, bis das neue Zioilstrafrccht fertig ist. Tine Abtrennung von Militär- und Zivilstrafsachen ist nicht denkbar. Der strenge Arrest als Disziplinarstrafe kann nicht entbehrt werden. Sie wird nur vollzogen nach ärztlicher Untersuchung. Abg. Weinhausen (Fortschr. Vpt.): Ein in meinem Wahlkreise ansässiger ehemaliger China kämpfer, der wegen eines Vergehens zu Ge fängnis verurteilt war, aber wegen Krankheit ent lassen wurde, bekommt immer noch Zuschriften unter der Adresse: „An den ehemaligen Militär- strafgefangenen". Das zieht sich nun schon neun Jahre hin und ist daher eine unglaubliche Gewissensgvausamkeit. Kriegsminister v. Falkenhayn Ich weiß nicht, wie in den Bureaus die Sache oehandhabt wird. Billigen könnte ich ein solches Verfahren nicht. Ich wäre für das Material dankbar gewesen, dann könnte ich dem Vorredner schon heute Mitteilen, daß die Angelegenheit geregelt sei. Noch nochmaligen Ausführunae- des Abg. Kunert (Soz.) wird das Kavitel bewilligt. Es folgt das Kapitel „Höhere Truppen - befehlshabe r". Abg. Schmidt Meißen (Soz.): In Sachsen wird der Militärboykott immer noch aus politischen Rücksichten über Gastwirtschaften verhängt. Redner trägt eine Reihe von Einzelheiten für seine Be hauptung vor wie die Zivllbehörden die von der Militärverwaltung geforderten verbotenen Tafeln an den Lokalen airbringen lassen. Vizepräsident Dr. Paasche ersucht den Redner, sich kürzer zu fassen, zumal da noch 49 Redner auf der Liste ständen, obgleich nur 40 Aogeordnete im Hause seien. Abg. Schmidt (fortfahrend): Inzwischen hätte ich schon wieder einige Beispiele vortragen können. (Große Heiterkeit.) Redner geht auf weitere Bei spiele ein. Vizepräsident Dr. Paasche: Diese Fälle gehen die Zivilbehürde an, nicht das Kriegsministerium. Abg. Schmidt (fortfahrend): Sie sind aber alle auf das Generalkommando zurückzufiihren. Nur einige besonders interessante Fälle. Redner fährt in seinen Beispielen fort, die sich auf die Aufforderung der Kommunalverwaltungen an die Wirte beziehen, sozialdemokratischen Vereinen die Sitzungslokale zu kündigen. Der militärische Boykott ist eine der häßlichsten Maßnahmen im politischen Kampfe. Zur Aufrechterhaltung der Disziplin ist er nicht not wendig, er muß beseitigt werden. Sächsischer Generalleutnant Freiherr Leuckart von Weißdorf: Das militärische Verbot wird von den militärischen Befehlshabern, die für die Disziplin der Truppen verantwortlich sind, lediglich aus disziplinären Rücksichten verhängt. sian be rücksichtigt auch die wirtschaftlichen Interessen der Saalinhaber. Allein der militärische Befehlshaber vermag zu beurteilen, ob das Militärverbot dauernd oder für einzelne Tage zu verhängen ist. Sobald er sich dabei nicht auf eigene Wahrnehmungen stützen kann, stützt er sich auf die Behörde. AndcmMili - tärverbot halten wir fest und lassen nicht nach im Interesse der Disziplin, die kein Heer ent behren kann. In diesem Zusammenhang machte ich die vorjährige Zurückweisung der Vorwürfe, die der Vorredner gegen die sächsische Militärverwaltung er hoben hat. Im übrigen gehe ich auf die Bemerkun gen des Abg. Schmidt nicht ein. Sie gehören in der Mehrzahl zum Ministerium des Innern. Ich hatte ihn im vorigen Jahre, als er einen Fall verbrachte, darauf hingewicsen, er möchte sich mit feiner Beschwerde an das Ministerium wenden. Er hat, ich weiß nicht aus welchen Gründen, dies nicht getan, sondern es vorgezogen, die Sache hier zur Sprache zu bringen. Abg. Keil (Soz.) beschwert sich über einzelne Fälle der Verhängung des Ndilitärverbots in Württem berg. Württembergischer Generalleutnant v. Graevenitz: Ob ein Verein, der die Uriack« des Militärverbots bildet, ein sozialdemokratischer ist oder nicht, darüber zu entscheiden, ist nicht Sache der Militärbehö'-dc, sondern der Polizeibehörde, auf deren Bericht hin das Militärverbot erlaßen wird. Abg. Schöpflin (Soz.): Der sächsische Bundesrats, bevollmächtigte hat sich über die Dauer der Rede des Kollegen Schmidt-Meißen avfgehalren. Es geht die Herren gar nichts an, wie lange wir reden. Wir müßen uns solche Bemerkungen ver bitten. Wir fragen, ob die sächsischen Militärbehör den sich über eine mildere Handhabung des Militär boykotts vereinigen wollen. (Zurufe.) Der Kriegs minister kann veranlassen, daß sich die. beiden Kom mandierenden Generale darüber verständigen. Es war schon mal eine mildere Handhabung vorhanden, neuerdings geht man aber wieder mit schikanösen Maßnahmen vor. Die Sache gehört auch nicht vor das Ministerium; denn den Boykott spricht der Earnisonälteste aus. Der Boykott ist eine schwere Schädigung der bürgerlichen, nicht der sozialdemokratischen Kreise. Gestern abend haben Sie gelesen, daß der oberste deutsche Soldat, der Deutsche Kaiser, sich herzlich mit einem Sozialdemokraten unterhalten und ihm die Hand gedrückt hat, nämlich mit dem Führer der Gotthardbahn. Sächsischer Generalleutnant Frhr. Leuckart vo» Weißdorf: Ganz siclzer verhängt die Militärbehörde das Militäroerbot. Was «cd oeni Ao- .ckmidt er widerte, bezog sich auf die Fälle, wo er über das Ver halten der Zioilbehörde sich beschwerte. Abg. Schmidt-Meißen (Soz): Der Generalleut nant ist nicht richtig informiert. Er hat di« Gen darmen vorhin in Schutz genommen. Sein siche rer Gewährsmann dürfte derselbe sein, der jetzt eine gerichtliche Bestrafung erfahren hat. Im vorigen Jahre hat er mir gegenüber ganz anders als heute gesprochen. Generalleutnant Freiherr Leuckart von Weißdorf: Ich muß dieser Behauptung ganz entschieden wider sprechen. Ich bin dem Abg. Schmidt im Falle der Schneiderschen Wirtschaft entgegengekommen und habe ihn um sein Material ersucht. Die dann ein geleitete Untersuchung hat die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Verbots ergeben. In seine Zeitung hat Herr Schmidt der Wahrheit zuwider gesagt, die Amtshauptmannschaft habe die Gründe nicht angegeben. Er mußte eine Berichtigung bringen. Ich habe ihm weiter gesagt, er erbringe doch selbst den besten Beweis für die Nichtigkeit des Verbots, da er doch alle vier Wochen dazu auf fordere, nur dieses Lokal zu besuchen. Generalmajor Wild von Hohenborn: Wir neh men zunächst dankend davon Notiz, daß der Abg. Schöpflin gesagt hat, wir verlangen nicht die völlige Beseitigung des Militärverbots. Nach den vom Kriegsministerium ergangenen Direktiven ist durch die Generalkommandos bereits eine sehr milde Handhabung eingetreten. Das Verbot des Betretens von einzelnen Wohnungen findet nicht mehr statt. Das tageweise Verbot sonst einwandfreier Lokale an Vcrsammlnngstagen wird immer weiter durchgesührt und hat gute Früchte getragen. Nach den günstigen Erfahrungen mit der jetzigen Form des Verbots kann ich eine mildere Form nicht in Aussicht stellen. Abg. Schmidt-Meißen (Soz.): Es entspricht nicht den Tatsachen, daß meinerseits etwas widerrufen worden ist, auch nicht, daß alle vier Wochen auf gefordert worden sei, nur in diesem Lokale zu ver kehren. Abg. Schöpflin (Soz.): Ich habe nicht gesagt, wir verlangten nicht die völlige Beseitigung, sondern, ich würde mich begnügen, wenn wenigstens eine Milderung erzielt würde, da die völlige Beseiti gung nicht zu erreichen ist. Wenn man wenigstens allgemein soweit gehen würde, wie früher in Sachsen gegangen worden ist. An unserer grund sätzlichen Stellung ist nichts geändert. Mit höchstem Bedauern nehme ich die Erklärung zur Kenntnis, daß eine weitere Milderung nicht eintreten soll. Es gibt noch jetzt in Preußen Bezirke, wo das Verbot dauernd verhängt wird, sobald nur eine einzige sozialdemokratische Versammlung in dem Lokal ab gehalten wird. Es wird so nicht gehalten, was General von Heeringen uns versprochen hat. Generalleutnant Leuckart von Weißdorf: Was ich gesagt habe, entspricht vollständig den Tatsachen. ( Abg. - ch m i d t - Meißen ruft: ..Nicht wahr!" — < roße Heiterkeit.) Das Kapitel wird bewilligt Kapitel 20 (Garnison-Kommandanten und Platzmajore) wird angesichts der schwachen Besetzung und der vorliegenden wichtigen Anträge abgeseßt. . » Kapitel 21 (General st ab und Landes» vermessungswesen). Abg. Zimmermann (Natl ): Die bei der Landes aufnahme beschäftigten Kupferstecher sind durch Be seitigung des Akkordsystems erheblich geschädigt worden. Der Verkauf der Karten sollte wieder dem Buchhandel zugeführt werden. Generalmajor von Schöler: Bei den alten Ar beitsbedingungen mögen die Kupferstecher sich bester gestanden haben. Jetzt besteht ein kombinierte» System zwischen Beamtenstellung und Akkordsystem. Sie erhalten 3200 u Gehalt, b00 -it Wohnungsgeld und haben lbon weiteren Verdienst. Ein Nach teil, der für die Uebergangszcit für zwei Beamte — mehr kommen nicht in Betracht — entstehen mag, wird durch einen prozentualen Zuschlag aus geglichen. Nach einigen Bemerkungen der beiden letzten Red ner wird das Kapitel h bewilligt. Die Abstimmung über eine dazu vorliegende Resolution erfolgt später. Kapitel „Gcldverpflegung der Trup. p e n". Abg. Held (Ho>sp. d. Natl.j: Die Lage der Offi ziere in den Grenzgarnisonen ist bei den hohen Mietpreisen und den großen Unkosten für die Kindererziehung eine äußerst schwierige. Sie werden in den kleinen Nestern nervös und verbittert. Deshalb müßen sie nicht allzu lange in den Grenzgarnisonen bleiben. Generalmajor Wild von Hohenborn: Di« Nach teile der kleinen Grenzgarnisonen verkennen wir nicht. Eine regelmäßige Verschiebung im Offizier korps ist aber nicht möglich, weil dadurch der Zusam- menhang im Korps und damit die Traditionen gestört irerden. Es wird aber schon in dieser Be ziehung viel getan. Für den Train sind die mannig fachsten Maßnahmen getroffen, insbesondere durch kriegsmäßige Wtaffenausbildung, und die Wahrhaftig keit dieser wichtigen Truppe und ihr Ansehen zu heben. Seinen Namen wird der Train behalten, da er auf ihn aus den letzten Feldzügen stolz sein kann. Kapitel 24, Titel 3 (Besoldung der Ve- amten und Unteroffiziere). Abg. Ponschab (Ztr.): Die AZaffenmeister sollten in Beamtenstellung kommen. Dabei mutz ihnen unter» MM 44 Ä/c/e/ÄslMs secÄeserre/' TsM/ez? ist ebenen