Volltext Seite (XML)
Umm««r It Sächsische DolksFeikuna 12. März »3 Die geschichttiche Wahrheil Was begab sich in Deutschland im Frühjahr ISIS? Männer in Versailles s. Folge. . Am 7. Mar, nachmittags 3 Uhr. erfolgt im großen Prunk« I faal des Hotel Trianon die Uebergab« der Frieden»« I bedingungen. Schon find die Delegierten der Entente versammelt. Oberst ! Henry geleitet di« deutsche Delegation in den Saal und melde« mit lauter Stimme die Ankunft der deutschen Delegierten. GrafVrockdorff-Ranhau tritt ein, gefolgt von den fünf Herren, die ihn begleiten. Er schreitet, sich auf seinen Stock stützend, an den Tisch. Die Begleiter stehen neben ihm, nun in liner Reihe. ? Clemenceau, den die Menschen den „Tiger" nennen, der Mann, für den zwanzig Millionen zuviel aus der Welt sind, eröffnet die Sitzung. Aus dem qualvollen Schweigen der Versammlung hebt er an. Er liest aus einem Manuskript, das er in der Hand hält, zuweilen packt ihn die Erregung, daß er das Manuskript ver läßt, cs ist nicht Haß genug in ihm. Jene, die diese Stunde in eine feste Form binden wollten, in eine „festgelegte Prozedur", wollten auch diesem Tiger eine Sprache aufzwängen, die ihnen gerade noch „mild" erschien. „Meine Herren Delegierten des Deutschen Reiches, hier ist weder die Stunde noch die Gelegenheit zu überflüssigen Worten. Sie haben die Versammlung der Bevollmächtigten der großen und kleinen Mächte vor sich. Sie haben uns den Krieg aufgedrungen. Es wird dafür gesorgt werden, daß nicht ein zweiter Krieg in dieser Form entstehen kann. Die Stunde der Abrechnung ist da. Sie haben uns um Frieden gebeten und wir sind ge neigt, ihn Ihnen zu gewähren. Der zweite Versailler Friede ist zu teuer erkauft wor den, als daß wir es verantworten könnten, die Folgen dieses Krieges allein zu tragen. Um auch die andere Seite meines Gedankens zu Ihrer Kenntnis zu bringen, muß ich notwendigerweise hinzu fügen, daß dieser zweite Versailler Friede, der den Gegen stand unserer Verhandlungen bieten wird, von den hier vertreten Völkern zu teuer erkauft worden ist, als daß wir nicht einmütig entschlossen fein sollten, sämtliche uns zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um jede uns geschul dete berechtigte Genugtuung zu erlangen." Dann gibt er das Verhandlungsverfahren bekannt. Der Sekretär der Friedenskonferenz trägt zu dem Tisch, an dem die deutschen Delegierten sitzen, den dicken Band der Friedcnsbedingungen. Fünf Monate haben die Mächte der Entente benötigt, diese Bedingungen niederzuschreiben. Der deutschen Delegation wird es lediglich gestattet wer den, zu diesen Friedensbedingungen einzelne Anmerkungen schriftlich niederzulegen und der Entente diese schriftlichen An merkungen zu übermitteln. Eine unmittelbare Verhandlung über diese Gegenstände wird nicht gestattet. Für diese „An merkungen" wird der deutschen Delegation ein« Frist von fünfzehn Tagen gewährt. Das dicke Buch des Frtedensvertrages liegt noch nicht in deutscher Sprache vor. Auch der Zeitverlust, den diese Ueber« fehung braucht, ist in diesen fünfzehn Tagen eingeschlossen. Die deutsch« Sprache ist als Verhandlungssprache nicht zugelassen. Der Vorsitzende der deutschen Delegation hebt die Hand und meldet sich zum Wort. Erst fordert Clemenceau, daß seine eigenen Morte über seht werden. Dann darf Graf Vrockdorsf-Rantzau etwas sagen. Seine Finger zucken zitternd in Papieren, die vor ihm liegen. Er hat zwei Reden vorbereitet, «ine in verbindlicherer Form, und eine andere, die er nur der brutalen Gewalt gegen überstellen will. Hier im Gegenüber sitzt nur brutale Gewalt. Er zieht die zweite vorbereitete Rede vor. Aller Augen richten sich auf. Zwei deutsche Uebersetzer Ireten hinter ihn. Wird er sich jetzt erheben? Er rückt leise mit den Fingern, die zittern, an der Brill«, »— er erhebt sich nicht, er bleibt sitzen. „Wir täuschen uns nicht Uber den Umsang unserer Nieder lage, den Grund unlerer Ohnmacht. Wir wissen, daß die Ge walt der de«tsch«n Masse gebrochen ist. Wir kennen die Macht de« Haste», die uns hier entgegentritt. Und wir haben die leidenschaftlich« Forderung gehört, daß die Sieger uns zugleich als Uebrrwunden« zahlen laste« und al» Schuldige bestrafen wollen. E» wird von uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen am Kriege bekennen. Ein solches Bekenntnis wäre l« meinem Munde eine Lüge. Wir bestreiten nachdrücklich, daß Deutschland, besten Volk überzeugt war, «inen Verteidigungs krieg zu stlhrn, allein mit der Schuld belastet ist. Die öffentliche Meinung in allen Ländern unserer Gegner Kalt wider von den Verbrechen, di« Deutschland im Krieg br- ßzangen hab«. Wir sind nicht hirrhrr grkomm««, um dir Derantwortlkch- k«it drr Männrr, di« den Krieg politisch und militärisch gesührt haben, zu vrrkleinern. Wir wiederholen die Erklärung, di« bei Beginn des Kriege» im deutschen Reichstag gegeben wurde: Belgien ist Unrecht ge schehen und wir wollen es wieder gut machen. Aber auch n drr Art der Kriegsfiihrung hat nicht Deutschland allein gefehlt. Jede europäische Nation kennt Taten Und Personeu, deren sich die besten Bolksgrnosten ungern erinnern, Verbrechen im Krieg mögen nicht zu entschuldigen sein. Aber sie geschehen im Ringen um den Sieg in einer Sorge und Leidenschaft, di« das Gewissen der Völker stumpf macht. Di« Hunderttausend« von Ntchtkämpsern, di« seit dem 11. November an der Blockade zugrundegtngen, wurden mit kal ter Ueberlegung getötet, nachdem für unsere Gegner der Sieg errungen und verbürgt war. Daran denken Sie, wenn Sie von Schuld und Sühne sprechen. Da« Maß der Schuld aller Beteiligten kann nur eine unparteiische Untersuchung sesistellen, eine neu trale Kommission, vor der alle Hauptpersonen der Tragödie zu Wort« kommen, der all« Archive geöffnet werden. Mir haben s «ine solche Untersuchung gefordert und wir wiederholen di« Forderung." Dann erhebt Graf Brockdorff-Ranhau nochmals mkt einem Hinweis aus den Notenwechsel mit Wilson vom Oktober bis November 1V18 die Forderung nach dem Rechtssrteden: Die Grundsätze de« Präsidenten Wilson find also für b«id« Kriegspartrirn, für Sie, wi« für «n« bindend. Da» Grwisten der Welt steht hinter einem solchen Vertrag, «eine Ratio» wird ihn ungestraft verletzen dürfen." Die Wort« des Grafen setzen Anklage gegen Anklage. Die Gegner flüstern. All« Leidenschaften spiegeln sich in ihren Mienen. Die Uebersehung geht Clemenceau nicht rasch genug. Er ruft dazwischen. Graf Brockdorsf-Rantzau spricht noch vom Frieden, vom Auf bau eines neuen Europa, aus der Grundlage des Rechts. Er hat geendet, er erhebt sich. Die Sitzung ist beendet. Di« deutsche Delegation verläßt den Saal. Was ist zu retten? Die Friedensdelegation ist in ihre Quartiere zurückgekehrt. In fieberhafter Eile beginnt die Uebersehung, be ginnen die Meldungen in die Heimat, beginnt die Verteilung der Ausgaben zur Entgegnung. Die ersten Nachrichten in Deutschland bringen die Gewiß heit, daß die Wilsonschen Zusicherungen gebrochen sind, daß an Stelle des erwarteten Rcchtssriedens ein brutales Ge walt d i k t a t vorliegt. Das Kabinett tritt zusammen und berät. Am 8. Mai, nachmittags !> Uhr, tritt der Friedensausschuß, den das Kabinett berufen hatte, zusammen. Reichsministerpräsident Scheidemann berichtet, was bis zur Stunde aus dem Friedensvertrag bekannt ist. Er zählt di« Verluste der Gebiete aus, die von Deutschland sortgeristen werden. berichtet den Verlust der Kolonien, von der Dauer der Besatzung, von den Tributlasten, die Deutschland aufgcbürdet werden sollen: „. . . jedes weitere Wort würde die Unmöglichkeit und Unbarmherzigkeit der weiteren Bedingungen abschwächen, di« nichts anderes sind, als ein befristetes Todesurteil." Aber zugleich fordert er: „Die Rcichsrcgierung muß auch dies jeoes cr-czuyl au,wuhiende Dokument des Hasses und drr Verblendung politisch nüchtern behandeln." Reichspräsident und Reichsregierung wenden sich an diesem gleichen 8. Mai mit AufrufenandasVolk. Eine Trauerwoche des ganzen Volkes wird angeordnet. All« öffentlichen Lustbarkeiten werden untersagt. Die preußische Landesversammlung tritt zu einem Protest zusammen. Präsident Fehrenbach beruft das Plenum der Natto nal v e r s a m m lung für 12. Mat nach Berlin. Ain 12. Mai beschließt die sozialdemokratische Fraktion mit allen gegen fünf Stimmen, daß die Fraktion in der National- Versammlung erklären werde, di« Friedensbedingungen in der vorliegenden Form seien für Deutschland unannehmbar. , Das Volt zieht durch die Straßen mit Schilden, auf denen geschrieben steht: „Nieder mit dem Henkerfrtedenk" „Nur die vierzehn Punkte!" Eine gewaltige nationale Bewegung einigt das ganze Nolt Knurredseke und die kskne Plauderei am >Vockenende von Marabu. > Was ich fiir das wichtigste Ereignis der Woche halte? Aber das steht doch ganz außer Frage. Das ist doch nicht mehr als selbstverständlich: Meinen Schnupfen. Oder sollten Sie anderer Ansicht sein, großgllnstiger Leser? Dann gratulieren Sie sich, dann hat Ihnen der Witterungsumschlag keinen richtigen Schnupfen gebracht. Aber wenn Ihre Nase sich wie die meine in «inen Niagara fall verwandeln würde — wenn Ihr Hals wie zugewachsen wäre, so daß Sie fortgesetzt denken, Sie bekommen in die sem Leben keine Luft mehr.... wenn Ihre Stimme so ganz verschwunden wäre, daß Sie am liebsten auf dem Fundbüro eine Anzeige aufgeben würden: „Wohlklingen der Bariton entlaufen, auf den Namen Marabu hörend, abzugeben gegen gute Belohnung bei...." Kurzum: Wenn Sie nur annähernd einen so gemei nen Grippeanfall hätten wie ich, dann wäre Ihnen auch der Fortgang der Wirtschaftskrise uninteressant, uninter essant wäre Ihnen das Steigen der Schmalzpreise und die Zwangsbewirtschaftung für Hartkäse (verkäste Gehirne sind künftig anzumelden: ausgenommen sind nur sogenannte „weiche Birnen"). Gleichgültig wär« Ihnen vor allem di« Politik. Wie meinen Sie, wertgeschähter Leser? Es sei doch in dieser Woche Reichstagswahl gewesen? Aber das ist es ja eben: Gewesen I Sagen Sie, ist eine Wahl eigentlich auch dann noch interessant, wenn sie vorbei ist? Ich kann das wirklich nicht finden. Ja, vorher — das ist etwas ganz anderes. Da kann man ja noch Ein fluß zu nehmen versuchen. Da ist es interessant, irgendwo und irgendwie gestaltend mitzuwirken an diesem Stück Zu kunft, das da im Werden ist. — Aber hinterher? Ja, da weiß man doch genau, was los ist. Und wer es noch nicht so leicht merken kann, für den will ich einen Abzählvers machen, daß er sich künftig nicht verrechnet: Hitler: 288, dieser neu« Laden macht sich. SPD. nur 120, Klassenkamps wird langsam ranzig. 81 KPD., die Hälfte fitzt in Plöhense«. Zentrum wächst auf 73, Herr Geheimrat H. betrübt sich. b2 Kampffrontsreunde — etwas magere Gemeinde...» Ja, so könnte man alle Parteien durchgehen. Aber wozu eigentlich? Daß die Leute so verrückt auf die ilvahl- ergebnisse sind! Wenn sie Liebesromane lesen, da inter essiert sie doch auch bloß das Hin und Her, bis sich die bei den kriegen. Aber wenn sie sich schon haben — na, dann ist es ja gut, das mögen die beiden miteinander ausmachen. Das also ist meine Meinung zum 6. März. Die Hemm nisse, die den Liebenden von Harzburg im Wege standen, sind auch in diesem Falle beseitigt. Sie haben sich jetzt, nie mand kann sie mehr hindern, miteinander glücklich zu wer den. Na, das mögen die beiden miteinander ausmachcn. Ich kann nur sagen: Viel Vergnügen...! Außer meinem Schnupfen weiß ich also aus dieser Woche wirklich nichts Wichtiges zu melde». Höchstens könnte ich Ihnen den Zwischenfall mit Knurrebacke erzählen. Eigentlich sollte ich das ja nicht, denn Sie bekommen daun bloß wieder einen schlechten Begriff von meinem Umgang. Aber lehrreich, lehrreich ist die Sache schon.... Also mein Freund Knurrebacke ist Kunsttischler, kriegs beschädigt, ä2 Jahre alt, fanatischer Marxistcnsresser. Im Felde war er mal verschüttet, da hat er am Gehör gelitten. Beim Kapp-Putsch wäre er als „Gegenrevolutionär" fast an die Wand gestellt worden. Und im übrigen hat er, als er aus dem Kriege zurückkam, geheiratet, und das ist ihm auch nicht gut bekommen. Das ist schon nicht das richtige, wenn einer erst dann heiratet, wenn er vom Zahn der Zeit und den Kümmernissen des Daseins leicht angeknabbcrt ist. Die Franzosen, die Marxisten und seine Frau — die, meint Knurrebackc, haben ihn aus dem Gewissen. Seine Schwer hörigkeit nimmt dauernd zu, und wenn man mit ihm spa zieren geht, darf man nicht Uber Familiengeheimnisse reden. Denn er brüllt in seiner Schwerhörigkeit so, daß man es ein Straßenviertel rveit hört... Aber trotzdem gehe ich gern mit Knurrebacke spazie ren. Er ist ein armer Hund, und ich bin auch ein armer Hund, also verstehen wir uns ausgezeichnet. Und so sind wir am 7. März spazieren gegangen. Hätte ich gewußt, was da vor sich gehen sollte, dann wäre ich nicht gerade auf dem Ring spazieren gegangen... Da ist uns natürlich eine SA.-Abteilung begegnet, die am Rathaus die Hakenkreuz sahne ausziehen wollte. „Geben Sie die Straße frei!" ries der Abtei- lungssührer scharf, aber höflich. Knurrebacke aber mißver stand das: „Schweinerei?" fragte er... „Sie sagten doch: Schweinerei? Das ist allerdings eine Schweinerei, daß Staatsbürger, die ihre Steuern zahlen und sich die Kno chen im Kriege haben kaputt schießen lassen, von solck)«n Kriegskindern angefahren werden, die im Leben kein Feld gesehen haben..." „Herr, schweigen Sie!" fuhr nun der andere auf. .. Ze i gen soll ich's Ihnen?" fragte Knurrebacke. „Das kann schon geschehen." Er streifte den Aermel zurück