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Es geht um Deutschland Mahnruf der grotzen katholischen Volksverbände zu den kommenden politischen Entscheidungen Eine Zeitwende wird in Deutschland verkündet. DI« Regierung hat Neuwahlen angeordnct, um eine letzte Entschei dung herbeizusühren. Di« im Besitz« der politischen Macht sind, sprechen von einem neuen Ausbau aller staatlichen, wirtschast- lichen und geistig-sittlichen Verhältnisse. Als Vertreter groher Verbände der deutschen Katholiken siih- len wir uns in dieser schicksalsschweren Stunde oerpslichtet, össentlich solgendes auszusprechen: Wir haben den entschiedenen und unbeugsamen Willen, a n der Schicksalsgrstaltung unseres Reiches und Volkes zu neuer Gröhe und allgemeiner Wohlfahrt mitzuwirken. Was wir aus tiefster Verantwortung als unsere pslichtgemähe Ausgabe an und in der Nation betrachten, kann uns von nie manden streitig gemacht werden. Au» dieser gewissenhasten Verantwortung heraus sagen wir: Was sich seit Mitte vorigen Jahres in unserem Lande ereignet hat, ist ein nationales Verderben. Da» Volk verwirrt, das Rcchtsbewuhtsein erschüttert, die Klust zwischen den sozialen Schichten vertiest, Hab, Feindschaft und Gewalttat Überall — da« ist die Lage. Angesichts dieser Not, die tiefer geht als alles andere, erheben wir unsere Stimme. Recht und Gerechtigkeit ist die Sehnsucht, die durch unsere Zeit geht. Weite Kreise des Volkes haben den Eindruck, dah gewisse Machthaber keine Hochachtung vor den »erfassungsmäbige» Volks- und Landesrech ten haben, und dah sie messen mit zweierlei Mah. Damit ist der Glaube an die Autorität de« Rechtes ins Wanken gekommen und die Unsicherheit unserer Tage entstan den. Recht und Gerechtigkeit mässen aber die Grundlagen blei ben, auch sär unser Land und Volk. Der Reichstag wurde aufgelöst ohne Not und der preuhische Landtag im Widerspruch zur Verfassung. Die kom munalen Vertretungen in Preuhen verfielen derselben Mah- nahme. Alles das geschieht zu dem Zwecke, den in der Macht stehenden Gruppen die Möglichkeit zu geben, durch Neuwahlen die Mehrheit zu erobern, um sich dadurch in Gesetzgebung und Verwaltung endgältlg sestzusetzen. Wir fragen: Was werden die Frlichte einer solchen Herrschaft sein, wenn sie sich einmal im Besitze dauernder Macht weih? Eine Staats ordnung, in der an Stelle des Rechtes Willkür und Parteilichkeit, an Stelle des Gemeinwohls Gruppen interessen entscheiden; eine Wirtschaftsordnung, in der ein gerechtes Abwägen der Lebensbedürfnisse aller Stände ver drängt wird durch einseitige Bevorzugung bestimmter Schichten; die Beseitigung lener Staatspolitik, die als Gebot des Gemein wohls die Sorge sllr die bedrängten Stände durch eine aus gebaute Sozialgesetzgebung als heilige Ausgabe betrachtet. In der Zusammensetzung und in den Mahnahmen der neuen Regierung suchen wir vergebens di« Bürgschaften für die Er neuerung unser» Volkes in christlichem und nationalem Sinne. Wir hören stolze Worte von deutschem Geist, deutsche Treue, deutscher Freiheit und Ehre, wahrem Christentum und reiner Religion. Deutsch ist nach unserer Ueberzeugung Treue gegenüber dem Schwur, den man der Vcrsassung leistete. Deutsch ist, dir Freiheit lieben, auch die Freiheit des Gegners achten und Gewalttätigkeiten nicht straflos lassen. Wahres Christentum ist, feinem Stifter folgen, der selig nannte, die Friedfertigen, und jene, die Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit haben. Für uns sind deutsches Wesen und Christentum heilige Verpflichtung. Wie recht diejenigen hatten, die ausreichende Sicherungen für die Zukunft verlangten, lehren die Ereignisse. Mit tiefer Entrüstung folgen wir den Verirrungen, dir in unser Volk hineingetragcn werden. Eine Sünde an der deutschen Einheit nennen wir es, wenn man Männer, die für Volk und Reich geblutet haben, als Landesverräter beschimpft, nur weil sie sich dieser Entwicklung entgegnstemmen; eine Versündigung an der Jugend, wenn man sie zu Hatz- und Rachcgedanken ausrust und Andersdenkende vor ihr als vogelfrei erklärt. Das ist Ver wüstung deutscher Jugend und Vernichtung der Grundlagen eines gesunden Staatswesens. Rechts jene, die den Kamps gegen den Marxismus führen, links Marxisten zweier Richtungen, die zu einem gefährlichen Zusammenspiel gedrängt werden. Was wird das Ende sein? Ein Kamps auf Leben und Tod, Front gegen Front, Deutsch land rin BUrgerkricgsgcbiet. Dem Bolschewismus und der Gottlosigkeit sagt man den Kamps a». Aber man versucht nicht, sie von innen her zu über winden, wie cs unsere Volksverbände in ernster Anstrengung seit Jahren getan haben. Statt dessen ahmt man Bolschewis mus nach, in Wortprägungen und Losungen. Wir erfahren es: Bolschewismus kann auch werden unter nationalem Vorzeichen. Wir erklären, dah wir den Kampf führen werden gegen alle Formen des Bolschewismus. Wer unser Land und Volk erhalten, wer der Nation wahr haft dienen will, muh mit uns heute bekennen: Deutschland darf nicht den Extremen ausgellesert werden; weder rechts noch links. Rettung kann nur werden aus dem Geiste einer starken, eigenwüchsigcn und schöpserischen Mitte, einer politischen Mitte, die ihre Ziele setzt nach unveränderten Norme» für die float- liche, wirtschaftliche und gesellschaftlich« Ordnung. Das katholisch« Volk aller Lebens- und Berussständ« fühlt sich als unzerstörbaren Träger einer solchen Ordnung. Darum verurteilen seine Vertreter jede Politik, die die Bahnen des Rechtes und der Gerechtigkeit verlätzt, mag sie von unten -der oben kommen. Uns tst Freiheit ein hohes Gut. Darum lehnen wir eine Diktatur ab, di« dem Volke nichts weiter ,»gesteht, als sich regieren zu lassen. ,,, Geist« der grohcn Papstenznkiken gegen ¬ über unchristlichem «taatsabsolutismus für di« Selbständigkeit volkhaster Lebensordnung in Familie und Gemeinde, in Berus und «tand, tn Stamm und Landschaft. Wir wollen dir Er- haltung des Rechtes im öffentlichen Leben, dir Hetlighaltung des Verfassungscides, die Wahrung der staatsbürgerlichen und sozialen Grundrechte der Rcichsvcrsasiung. "" -»"iE Einsatz aller geistigen und staatsbürgerlichen kUr Verständigung, Versöhnung, Ausgleich, für Rechts ordnung, Wirtschafte- und Kulturordnung rufen wir alle auf. Selbstzerfleischung Einhalt geboten und das deutsch« Volk zurUckgesührt aus de» Weg der Gesundung. Für Wahrheit. Recht und Freiheits Neichsverband kath. Arbeiter- und Arbeiterinnenverein« Deutschlands: Verbandsvräses Msgr. Dr. O. Müller, Ver- bandsprases Msgr. C. Walterbach. , verband katholischer Vcamtenvcreine Deutschlands: Gene- ralprases Msgr. Gehlen Generalsekretär Dr. Zimmer- mann. Kutscher Frauenbund: Frau Dr. G. Krabbel. Katholischer Gesellenoerein: Gcneralpräses Msgr. Hürth, Verbandsgeschaftsführer Winkler. Zentralverband der katholischen Jungsrauenvereine Deutsch lands: Eeneralpriises Msgr Kiens. Katholischer Jungmännerverband Deutschlands: General präses Msgr. Walker Reichsobmann A. Steiner. Verband kath. kausm. Vereinigungen Deutschlands: Vor sitzender Verleger Klagges. Verbandsdirektor Dr. Wages. Jugendbund im Verband« kath. kausm. Vereinigungen Deutschlands: Generalpräses Alb rod. Katholischer Lchrerverband des Deutschen Reichs: Vor sitzender Weber. Verein katholischer deutscher Lehrerinnen: Vorsitzende Ober lehrerin Maria Schmitz. Verband der katholischen Frauen, und MUttervcrein« Deutschlands: Generalpräses Msgr. Kiens, Frau Schu- macher-Köhl. Katholische Wcrkjugend: Vundespräses I. Gickler, Vundesobmann F Göbel. Volksverein für das katholische Deutschland: Reichskanzler a. D. Marx. Generaldirektor v. d. Velden. Für Wahrheit, Freiheit, Recht! Es geschieht wohl, dah alte ehrwürdige Worte im Gebrauch des Alltags ihren Glanz verlieren. Bis dann ein Augenblick kommt, in dem ein neu erlebtes Schick sal die Tiefe und Kraft solcl-er Worte wieder ausleuchten läßt. Als man in Deutschland kaum zu Kämpfen brauchte für Wahrheit, Recht und. Freiheit, als jedermann diese Werte für gesichert und unanfechtbar hielt, da sprach man in unserm Lager die Losung unserer Väter aus wie man zu bekannten Strophen den Schluhrefrnin singt, einfach, schlicht und selbstverständlich. Heute aber, in diesem Wahlkampf, dessen schicksalhafte Bedeutung das katho lische Volk im innersten Geinüte spürt, bricht etwas wie ganz neue flamende Begeisterung hoch, wenn wir sagen: Für Wahrheit, Recht und Freiheit. Freiheit, die ich meine, es heißt eigentlich: Freiheit, die ich meine, die ich liebe... Wo ist heute jene Wahrhaftigkeit im politischen Le ben, zu der sich unsere Jugend schon vor Jahren mit solcher Inbrunst, ja mit solchem Fanatismus, bekannt hat? Ehrlichkeit — hat das nicht Bismarck gesagt? — ist die beste Diplomatie. Auch Dr. Seipel wandte sich seinerzeit gegen das Schlagwort, die Politik verderbe den Charakter. Es gibt keine wirklich großen Politiker, die ohne Charakter gewesen wären. Kleine Politiker aber haben es an sich, ihre Miniaturgedanken hinter Kulissen zu flüchten. Ihre taktischen Manöver sind zu erbärmlich, als daß sie das Rampenlicht der Oeffentlichkeit vertrü gen. Und so schreien sie gegen den Parlamentarismus, der ihre dunklen Wege beleuchtet, ihre Skandale aus Kosten der Nation beim richtigen Namen nennt und Re chenschaft fordert für Sanierungsgelder und ähnliche Dinge. Dem Diebe gleichen sie, der sich darüber mora lisch entrüstet, das; der kiedrokte Hausherr die Polizei an ruft. Wir kennen euch. Und wenn die Wahrheit aus den Lautsprechern des Rundfunks wiche und wenn sie keinen Raum mehr hätte in der Presse und wenn man sie auf Versammlungen totschlüge wenn man militärische Attacken dagegen ritte — sie wird flüsternd von Mund zu Mund gehen, mid eines Tages werden die flüsternden Stimmen zum donnernden Sprechchor von Millionen. Nur Geduld. Das deutsche Volk ist klug und mündig gewor den. Nach all dem Schlagwortgetrommel will auch der anspruchsloseste Mensch wieder denken. Nachdem die in ternationale Kriegsrültungsindustrie sich national be geistert, sicht man sich die Leute an, die uns Vaterlands liebe predigen. Lügen haben kurze Mine, und die Wahl urne steht bisweilen auf der Brücke, so wie der Stein in der Legende vom Vater und Sohn, und man bricht ein Min, wenn man kein gutes Gewissen hat. Warte nur, balde . . . Der katholische Volksteil hält es heute mit Bismarck, der immerhin ein ehrlicher Gegner war, und er sagt mit ihm: Ehrlichkeit ist die beste Diplomatie! Es ist nicht zuletzt unser Verdienst, ivenn seit 1918 so Ge waltiges geleistet morden ist, wenn Deutschland noch einig ist, wenn der Rhein frei wurde, wenn die Repara tionen zu Ende sind, wenn unsere Industrie noch so viele Millionen miternährt. Mit offenem Visier haben mir gekämpft, den ewigen Grundsätzen treu. Das allein schafft Vertrauen. Vertrauen aber baut die Wirtschaft auf und den Staat. Vertrauen gibt uns Brot. Die Wahr heit wird euch frei machen. Für Recht! Da nun einmal Preußisch Trumpf ist, so berufen wir uns gern auf Eigenschaften, die wir auch in den jüngeren Kulturschichten des deutschen Ostens achten. Ja, wir sind für preußische Einfachheit und Disziplin. Wir erneuern die Tradition des Großen Kurfürsten und kennen die Worte, die er in Kleists „Prinz von Homburg" spricht. Damals hätte es fast einem Prinzen das Leben gekostet, weil er den Degen gezogen hatte auf eigene Faust. Der idealisierte Bran denburger vertritt eindeutig das Recht des Staates gegen noch so gut gemeinte persönlich Willkür . . . Wo über all der Fridericus-Rex-Marsch ertönt, erinnern wir uns an so manche Geschichte vom Alten Fritz, der genau wußte, was das Recht bedeutet, war er leider auch ein Freidenker. Wie war das doch mit dem Müller von Sanssouci? Nun, Friedrich war damals König von Preußen, nicht nur Reichskommissar. Was ihm bei seiner Arbeit störte, war eine klappernde Mühle, nicht einmal ein lärmvoller Landtag. Und Fridericus Rex ging zu dem Müller und sagte: „Ich nehme dir deine Mühle". Der Müller aber antwortete: „Sire, wenn das Neichskammcrgericht nicht wäre!" (Das war der'Staats- gerichtshof von damals.) Und der große König, der Herrscher mit den besten Bataillonen der Welt, hatte einen solchen Respekt vor dem Recht, daß er dem Müller seine Mühle ließ. Friedrich der Große war nämlich ein Staatsmann, und er wußte, daß es seinem Preußen wie jedem Reich auf Erden schlecht gehen werde, wenn es eines Tages nicht mehr stände auf dem sicheren Boden des Rechtes. Es wäre diesem »nächtigen König wohl auch möglich gewesen, sich Professoren zu verschaffen, die eil» Rechtsgutachten gegen den leidigen Nluller geliefert hätten. Den»» mit Paragraphen kann man alles bewei sen, besonders wenn man ein gelehrter Professor ist Der Große Friedrich hat aber daran nicht gedacht, obwohl er sich in der Außenpolitik auf solche Künste wohl verstand. Er ließ dem Müller sein Recht und seine Mühle, und da mit Basta. Ist es verboten, in unserer Presse den Nach folgern des Großen Friedrich etwas von seinem Genie zu wünschen? Kein Journal brauchte er mit seinem Krückstock zu verwarnen; »vie käme auch eine Negierung, die das Neckt achtet, zu einer Angst vor der öffentlichen Meinung! Was du nicht willst, daß inan dir tu. das tu auch keinem andern — denn vielleicht wird der andere jenseits der Wahlurne des Schicksals schon bald in der Lage sein, dir ein Gleiches zu tun. Für Freiheit! Es ist heute Mode geworden, gegen den Bolscljewismus zu Kämpfen. Wir nennen das Mode bei all jenen, die gar nicht den Bolschewismus meinen, sondern einzig und allein den Kampf für ihre eigene unsoziale Haltung. Bekämpften diese höchst verdächtigen Antimarxisten nämlich den Bolschewismus ehrlich, so wüßten sie genau, worin das Wesen des Bolschewismus besteht. Bolschewismus ist Herrschaft einer Klasse. Bol schewismus ist Raub an der Freiheit aller anderen Klas sen. Der Bolschewismus bekämpft die Religion, insbe sondere den Katholizismus, beruft er sich freilich in die sem Kampfe nicht auf den Beistand Gottes, des Allmäch tigen. Bolschewismus ist die Union von Staatskapitalismus und Sozialismus — ei, ei, sollte so etwas in Europa unmöglich sein? Der Bolschewismus gestattet cs, den Arbeiter und den Bauern auszubcuten bis aufs Blut — was natürlich alles ge- schicht im wohlverstandenen Interesse des Staates, d. h. der herrschenden Partei, die sich Staat nennt. Ja. ja. es legt der Osterkzase seine Eier in verschiedenen Farben, rot oder bla»» oder grün oder braun — die Eier kommen aber alle von» gleichen Hasen . . . Weißt du das sellvr nicht, Meister Lampe, oder glaubst du, es hätten die Men schen, die du beglückst, auch so lange Ohren und so wenig Hirn wie du selber? „Den Katholiken", so sagte dieser Tage ein Pfarrer am Rhein, „die heute noch nicht nnssen, un» was gespielt wird, ist einfach nicht zu helfen." Die Zeitläufte sind so. daß wir in der Presse lieber im allgemeinen bleiben. Die besondere Auslegung müssen »vir dem Leser überlassen. Aber das lernt sich, das Schreiben und das Lesen. Die Wahlurne wird es zeigen.