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Blutiger Beginn -es Wahlkampfes Gewalttaten bei Zusammenstößen — KeimiUrkische UebersSlle Traurige Blulbilanz Die neue „nationale" Regierung kann als „Erfolg" für sich buchen, datz die Bluttaten, die in den ersten Mo naten der Regierung Papen an jedem Montag die Spal ten der Zeitungen füllten, wieder in Uebung gekommen sind. Früher ging man am Sonntag mit dem Gebetbuch aus — heute scheint für viele unserer Mitbürger der Re volver an Stelle des Gebetbuciies getreten zu sein. Vielleicht wird die Regierung versucl)en, auch diese neue Welle politischer Bluttaten auf das Schuldkonto von „Rotmord" zu sehen. Ob aber eine solclze Behauptung in der Oessentlichkeit Glauben finden wird? In der Mehrzahl der Fälle sind doch Angehörige einer Regierungspartei, der NSDAP, die Täter. Man mag in allen Füllen, wo Schimpfgefechte mit Angehörigen anderer Parteien vorhergegangen sind — wie bei den Zusammenstötzen in Chemnitz — die Schuldfrage zunächst offen lassen. Aber lzeimtückisäze Uebersülle wie der Mord des Statzfurter Bürgermeisters, den ein nationalsozialistischer Gymnasiast ausgosührt hat, oder der Feuer-Ueberfall auf das kommunistische Ver kehrslokal in Schöneberg — diese Fälle zu entschuldigen, wird die Regierungspresse sich vergeblich bemühen. Wir verurteilen jeden Mord, und doppelt jeden Mord aus politischen Motiven. Wir verlangen, dass mit der ganzen Schärfe des Gesetzes gegen die Täter einge schritten wird. Aber das mutz geschehen ohne Unter schied der Person. Die Negierung Hitler hat wirklich schon nach diesem einen Sonntag reichlich Ge legenheit zu zeigen, datz sie entschlossen ist, auch gegen über ihren eigenen Anhängern strenge Gerechtigkeit wal ten zu lassen. Verhetzte Iuaen- Bürgermeister von Stahsurt von 17jährigem Gymna siasten erschossen Der Erste Bürgermeister der Stadl Statzsurt, Kallen, der als sozialdemokratischer Abgeordneter den Wahlkreis Magdeburg im Preußischen Landtag vertritt, wurde Sonn abendabend von einem 17jährigcn Gymnasiasten erschossen. Nach einem Umzug der NSDAP und des Stahlhelm war es am Sonnabend zu politischen Reibereien gekommen, bei denen ein Arbeitersamariter verletzt wurde. Bürgermeister Kasten lietz daraus eine Person verhaften und vernahm diese im Rathaus. Ats er sich dann in seine Wohnung begeben wollte, trat ihm ein 17,ähriaer Gymnasiast entgegen und schätz ihn mit den Worten: „Mann, jetzt heißt es abrechnen!" nieder. Kasten wurde sofort overiert, erlag aber nach einigen Stunden seii-rr schweren Verletzung. Der Schüler wurde fest- genommen. Die Polizei und die Magdeburger Mordkommis sion stellten gegenwärtig Untersuchungen an, ob an der Tat noch weitere Personen beteiligt sind. Der Gymnasiast soll keiner politischen Organisation an gehören, aber in SA-Kreisen verkehrt haben. Oberbürger meister Kasten konnte kurz vor seinem Tod eine Darstellung der Tal geben. Der Täter legte bisher noch kein Geständnis ob. Am Sonntag versuchten Reichsbannerleute und Kommu nisten zu demonstrieren, was aber die Polizei verhinderte. Um Zuzug von ausivärtigen Demonstranten abzuriegeln, wurden die Strotzen nach Stahsurt gesperrt. machen zu müssen" In den späten Nachmlttagstunven trat M Stadtgebiet wieder völlige Ruhe ein. In Breslau ereigneten sich nach einer Demonstration der Eisernen Front schwere Zwischenfälle, die ein Todesopfer und mehrere verletzte forderten. Ein Student, der das Ab zeichen der Eisernen Front trug, wurde durch Stiche so schwer verletzt, datz er bald nach seiner Einlieferung ins Kranken haus starb. Unter dem verdacht der Täterschaft sind zwei Personen sestgenommen worden. Auch bei anderen Zusam- menstötzen nahm die Polizei mehrere Verhaftungen vor. Vier Schwerverletzte in Köln Köln, 6. Februar. In der Altstadt kam es in der ver gangenen Nacht zwischen 2 und 3 Uhr zu einer Schietzerei zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, bei der vier Personen verletzt wurden, unter ihnen zwei Männer durch Bauch- und Brustschüsse und eine Frau durch einen Nücken- stcckschutz so schwer, datz sie ins Krankenhaus gebracht wer den mutzten. Aazis überfallen kommunistisches Verkehrslokal Berlin, 6. Februar. (E. M.) Die Wirtin des kommu nistischen Verkehrslokals „Pappschachtel" in der Nubens- stratze in Schöneberg, Anna Nöde, die gestern bei einem nationalsozialistischen Uebcrfall auf das Lokal durch eine« Bauchschutz schwer verletzt wurde, ist noch im Lause der Nacht im Auguste Viktoria Krankenhaus ihren Ver, letzungen erlegen. SA'Führer erschollen Sonntagnacht gegen 0,15 Uhr wurde in der Dietrich- Becking-Stratze inVochu m-G ertheder SA-Führer Paul Putzmann durch fünf Pistolenschüsse getötet. Patzmann befand sich ohne Begleitung aus dem Heimweg. Plötzlich wurde er von mehreren Kommunisten gestellt. Es fielen mehrere Schüsse und schwerverletzt brach Patzmann zusammen, kurze Zeit später ist er dann seinen Verletzungen erlegen. Al« Täter kommen vier bis fünf Kommunisten in Frage, die sich nach der Tat in Richtung nach Hiltrop entfernten. Zm Lause der sofort ausgenommenen Ermittlungen wurden insgesamt 31 Kommunisten sestgenommen. Kommunistische Zersehungszentrale ausgehoben Die Hagener Politisct-e Polizei hob eine von der Kommu nistischen Partei unterhaltene geheime Vervielfältigungs- und Verbreitungszentrale für illegale Zersetzungsschristen hoch, verräterischen Inhalts aus, die seit langem eine wohlorga« nisierte umstiirzlerijche Propaganda in ganz Südwestfalen betrieb. Der Politischen Polizei ist wichtiges Schrif ten m a t e r i a l in großem Umfang in die Hände gefallen. Die Rädelsführer wurden sestgenommen. Die neuen WahlvorschMge Die Parteien aus -er Neichslisle Wagemann Reichswahlleiter Berlin, 6. Februar. Der Reichsminister des Innern hat die Nummernfolge der einzelnen Parteien zur bevor- st'henden Reichstagswahl auf der Reichsliste wie folgt festgesetzt: 1. Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter partei, 2. Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 3. Kommunistische Partei Deutschlands, 4. Deutsche Zen- trnmspartei, 5. Teutschnationale Volkspartei, K. Baye rische Volkspartei, 7. Deutsche Volkspartei, 8. Christlich- Sozialer Volksdienst, 9. Deutsche Staatspartei, 10. Deut sche Bauernpartei, 11. Landbund (Württembergisäzer Weingärtnerbund), 12. Deutsch-Hannoversche Partei, 13. Thüringischer Landbund, 14. Reichspartei des Deut schen Mittelstandes (Wirtschaftspartei). Der Festsetzung dieser Nummernfolge war eine Aussprache der Parteiführer im Neichsinnenministerium voraufgegangen. Auf Listenverbindungen in den einzel nen Wahlkreisen brauchte man bei Ausstellung der Num mernfolge auf der Neichslisle keine Rücksicht zu nehmen. Die Parteien haben vielmehr bis zum 16. Februar Zeit, solche Listenverbinduugen in den einzelnen Wahlkreisen einzugehen. Es sind entschiedene Bestrebungen auf Li ¬ stenverbindung kleinerer Parteien im Gange, die das Ziel verfolgen, alle für diese Parteien abgegebenen Stimmen zu verwerten. * Der Reichsminister des Innern hat zum Reichs, mahl lei ter den Präsidenten des Statistischen Reichs, amtes, Geh. Rcgierungsrat Professor Dr. Wage mann, ernannt. Schätzer bei Papen Berlin, 6. Februar. Der Vizekanzler empfing am Sonntag den bayerischen Staatsrat Schiisser, der ihm zugleich ein Schreiben des bayerischen Ministerpräsidenten übermittelte. Im Verlaufe der Aussprache betonte der Vizekanzler, datz sein wiederholt abgelegtes Bekenntnis zu der föderalistischen Grundlage des Reiches unter Wahrung des Eigenrcchts der Länder gerade den bayerischen Herren bekannt sei. In dieser seiner Auffassung sei kein Wandel eingetreten und ihm sei nichts bekannt, datz irgendein Anlatz vorläge, der die V e f ü r ch t u n g e n d e r b a y e r is ch e n S t a a t s, regier»ng gegenüber der neu ernannten Reichsregler ung rechtfertigen könnte. Tote in Chemnitz und Breslau Anläßlich einer Kundgebung der Eisernen Front in Lhemnih ereigneten sich am Sonntagnachmitlag Zusammen stöße zwischen Mitgliedern de» Reichsbanners und National sozialisten. Ein Reichsbannermann wurde getötet, zwei wei tere wurden schwer verletzt. Mehrere Reichsbannerleute und Nationalsozialisten erlitten leichtere Verletzungen. Das Polizeipräsidium Chemnitz teilt mit: Am Sonntagnachmittag fand eine größere Kundgebung der Eisernen Front aut dem Theaterplatz statt, mährend und nach der es an verschiedenen Stellen der Stadt, insbesondere am Theaterplatz und vor dem „hansahaus", zu mehreren Zu sammenstößen zwischen politischen Gegnern gekommen ist. In der Schillerstraße oberhalb des genannten Platzes stan den schon vor Beginn der Kundgebung der Eisernen Front zahlreiche Zuschauer, unter denen sich ein großer Teil poli tischer Gegner befand. Während die Teilnehmer an der Kund- gebung auf dem Theaterplatz noch im Aufmarsch begriffen waren, kam es zu wiederholten beiderseitigen Zurufen zwi schen Teilnehmern der Eisernen Front und den oberhalb des Platzes stehenden politischen Gegnern. Plötzlich entwickelte sich eine größere Schlägerei zwischen Angehörigen beider Par teien, bei der mehrere Personen verletzt wurden, darunter ein Reichsbannermann durch einen Rippenstich tödlich. Die Polizei griff sofort ein und war gezwungen, die Schillerstraße wiederholt, teilweise unter Anwendung des Gummiknüppels und an einer Stelle sogar mit aufgepflanztem Seitengewehr, zu räumen und die Menschenmenge in die Seitenstraßen ab zudrängen. Nach Beendigung der Kundgebung haben sich dann noch an mehreren StelUn der Stadt Schlägereien zwi schen Anhängern der Eisernen Front und der NSDAP ent wickelt. Bei den Zusammenstößen sind insgesamt 12 Personen durch Stich- und Schlagwasfen verletzt worden, davon 5 Per sonen schwer, die in die Krankenhäuser eingeliefert wurden. Lebensgefahr besteht bei keinem der Verletzten. Zwei Per- onen konnten nach Anlegung von Verbänden wieder aus >em Krankenhaus entlassen werden Es besteht aber die Mög- ichkeit, daß noch mehr Personen verletzt wurden, deren Namen aber der Polizei nicht bekannt sind. Von den Verletz ten gehören 5 der Eisernen Front, 6 der NSDAP und 1 an geblich keiner politisäzen Partei an. Bei einem Zusammen stoß auf dem Waifenplatz wurde auf zwei Polizeibeamte eingelchlagen. Sie waren in ihrer Bedrängnis gezwungen, zur Schußwaffe zu «reisen, aber obne davon Gebrauch Am den wirtschafkspolilischenkurs Immer wieder ist in den vergangenen Monaten aus Unter- nehmerlreiscn die Warnung ausgesprochen worden: „Lagt die Wirtschaft endlich in Ruh e." Ganz im Gegensatz zu dieser verständigen Warnung ist in den letzten Wochen erneut wieder eine Unruhe und Unsick-erheit in den Wirtschaftskreisen hervorgcrusen worden, die kaum noch zu übertreffen ist. War schon die Miniertätigkeit jener Kreise, die den Sturz des Kabinetts Schleicher herbeisührten, der Wiederherstellung ruhi ger und stabiler wirtschaftlicher Verhältnisse sehr abträglich, wie sich deutlich aus der Stockung des Konjunkturaufsticgs während der letzten Wochen zeigt, so ist es erst recht die über flüssige Ausschreibung von Neuwahlen und die völlige Unkennt nis der Oessentlichkeit über das künftige wirtschafts-, wäh- rungs- und sozialpolitische Programm der neuen, aus Vertre tern heterogenster Auffassungen gebildeten Regierung. Bisher hat es das Reichskabinett abgelehnt, seine zweifellos nicht leicht auf eine gemeinsame Linie zu bringenden wirtschafts- politischen Ziele und Methoden bekannt zu geben. Statt eines klaren Programms ist ein wortreicher Aufruf des Kanzlers der neugierigen und besorgten Mitwelt vorgesetzt worden. Bei der Vieldeutigkeit seiner Formulierungen und den zahlreichen Lücken, der er ausweist, kann es nicht ausbleiben, datz Gerüchte über Gerüchte entstehen, die nur zu sehr geeignet find, den letzten Rest von Klarheit zu beseitigen. Statt eindeutige Antwort aus naheliegende Fragen zu geben, schweigt sich entweder die Regierung aus, wie sie es auch mit den Zentrumssragen getan hat, oder aber es erfolgen Dementis über Dementis, die nur noch mehr geeignet sind, Unruhe und Mißtrauen hervorzurufen. Auf die in Rechtskreisen gern gehört« Behauptung, daß die Nelchsrcgierung Mittel und Wege finden wolle, den Reichsbank präsidenten Dr. Luther seines Amtes zu entheben, erfolgte vor wenigen Tagen di« Richtigstellung, daß die Frage „gegen wärtig nicht aktuell" sei. Was in der Tat stimmt, — wie wohl inzwischen auch die stürmischen Währungsreformen, die der neuen Regierung nahestehcn, wohl oder übel haben einschen müssen —da es ein l e g a l e o Mittel, den Ncichsbankpräsidcnten vor Ablauf seiner Wahlzeit Im Frühjahr l93i zum Rücktritt zu zwingen, nicht gibt, es sei denn, daß der Generalrat der Reichs bank ihn abberuft, woran dieser jedoch nicht im geringsten denkt. Da also an der Autonomie der Reichsbaut vorläufig nicht gerüt telt werden kann, jedenfalls nicht bevor die Ratifizierung des Lausanner Abkommens erfolgt ist. und währungspolitische Son- dcrwünsche durch Herrn Luther nicht erfüllt werden, treten erfreulicherweise die Vermutungen und Kombinationen über den zukünftigen Kurs in der Währungspolitik gegenwärtig wieder in den Hintergrund. Um so mehr beschäftigen sich da gegen die interessierten Kreise über die Handhabung und Ausge staltung des Schuldnerschutzes, insbesondere für den landwirtschastlichcn Sektor der Wirtschaft. Gestern brachte die „Kreuz-Zeitung", also das Organ, das der gegenwärtigen Re gierung sehr nahe steht, in bestimmter Form die Mitteilung, daß ein mehrmonatliches Gesamtmoratorium für die Landwirtschaft vom Reichscrnährungsministcr Hugenberg vorbereitet würde. Voraus ging die Erklärung Hilgenbergs, daß er „seinen schon im Dezember 1930 von ihm im Reichstag eingebrachter Entschnldungsplan für die Ostprovinzen nunmehr als Gesetzent wurf für die gesamte Landwirtschaft im Reichskabinett nach entsprechender Anpassung an die veränderte Lage zur Beschluß fassung bringen werde." Achnliche Aeußerungen liegen auch aus dem Munde des Reichslandbundführers. des Grafen Kalck- reuth über eine wesentliche Ausdehnung des Vollstreckungs schutzes vor. Wenn man weiß, in wie weitgehendem Maße nach diesen Plänen des Jahres 1930 bereits eine Entschuldung und Zinsbefreiung der Landwirtschaft erfolgen soll, deren Kosten selbstverständlich, da Währungsexpcrimente nicht gemacht wer den sollen, nur von Seiten des Reiches, also der übrigen Steuer zahler oder der ebenfalls bedrängten Gläubiger aus Industrie, Handel und Handwerk ausgebraacht werden können, so erscheint die Behauptung der „Kreuz-Zeitung" wirklich nicht mehr so fernliegend. Von zuständiger Stelle wird dagegen nun erklärt, daß alle diese Nachrichten unrichtig seien und an scheinend von übelwollender Seite verbreitet würden. Sehr bezeichnend ist jedoch die weiter« Mitteilung, daß „alle diese Dinge sich noch im Zustande der Erwägung" befän den. vorläufig werden also alle diese Gerücht« über Vollmora torien, Zwangszinskonverfion, Ausdehnung de» Vollstreckungs schutzes, regierungsseitig dementiert, obwohl solche und ähnliche Gedanken und Methoden in den Kreisen der jetzigen Regierung ihre geistige Heimat haben, wie die Erklärungen Hugenbergs beweisen, selbst wenn man de» Nationalsozialisten niemals die ominöse Brechung der Zinsknechtschaft zugetraut hat. Daß durch dieses vollständige Durcheinander, durch die Ge rüchte und ungenügenden Dementis sich eine ständig wachsende Unruhe in weiten wirtschaftlich interessierten Kreisen ergibt,