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,s, LchlMruch im Sälen. Roman von Iba Bock. (Kachbrvck verboten.) „Erledigt! Ich breche in einer Stunde mit der Gesellschaft auf und um drei Uhr früh geht'» auf die Spitze. Wir übernachten in irgendeiner Schutzhütte — wo, weiß ich selbst noch nicht!" „Trotz de« Gewitters?" „Der Laverl meint, das kommt gegen neun Uhr und dauert nicht lange. Bi» dahin sind wir längst in der Hütte!" „Und ich soll wirklich hier bleiben?" Annette ließ fast ängstlich ihre Blicke herumgletten. „Ruhen Sie sich gut aus, und morgen früh mar schieren Cie dann mit dem Buben von der Nundl zum Eibsee!" „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig!" Das klang sehr gedrückt und kleinmütig. Else zuckte die Achseln, seufzte ein wenig und ging dann zu dem Führer, mit dem sie lebhaft parla-nen- tterte und der ihr dann auch aus seinem Rucksack eine Flasche reichte, allerdings ein wenig widerstrebend. Damit lief sie ins Haus und kam schon nach einigen Minuten wieder lustig zurück. „Der Xaverl hat mir eine grosse Flasch« kalten Tees für Sie gegeben, Frau Baronin, der hat immer so was mit. Die Nandl macht gleich eine Tasse heiss. Eier und gebratenen Speck gibt's auch, mein Brot, das laste ich Ihnen da, ebenso Kake« und Schokolade — verhungern werden Sie also nicht!" Sie kramte in ihrem Rucksack, teilte ihre Vorräte ehrlich mit Annette, die nur schwach abwehrte, denn sie hatte fürchterlichen Hunger. Else ass mit vielem Vergnügen ein grosses Stück Schwarzbrot und Salami und animierte die zögernde Annette, auch zuzugreifen. Mittag — Brot und Salami! — Aber was wollte sie machen! Es dauerte nicht lange, da mahnte der Führer zum Aufbruch. Rur ein alter Herr blieb zurück und warnte vor dem Wetter. Es war allerdings immer dunkler geworden. „Wird gleich Heller sein!" rief Else übermütig. Zapplig vor Ungeduld, hatte sie sich schon von An nette verabschiedet. „Wir werden doch nicht da liegen bleiben wegen ein paar Wolken!" Eilig nahm sie die kleine La terne, die am Rucksack baumelte, herab und entzün dete sie. „So — on avant.!" Sie hing die Laterne an ihren Bergstock, den sie schulterte, und begann al» erste mit langen Schritten voranzueilen, den schmalen Steig durch die moosige Talsohle einschlagend, der direkt den Berg hinanführte. Die anderen folgten. Eine Weile hörte man noch ihr Lachen und Sprechen. Dann trug der Wind nur mehr vereinzelte Laute herüber — endlich nichts mehr. Es wurde totenstill. Wie schwarze Punkte verschwanden die Gestalten in dem grauen Dämmerlicht, das sich allmählich herabsenkte. Äb und zu zuckte es hell auf, hoch und höher steigend: Elses brennende Laterne, die wie ein Stern durch das Dunkel leuchtete. Annettes Stimmung war mit einem Male um geschlagen. In dieser überwältigenden Natur kam sie sich jetzt ganz verlassen und kraftlos vor, und — alt — alt alt! Das Mädchen, ja, das war jung, das klomm aufwärts, immer höher! Sie musste schon zurllckbleiben! Was half alles Wehren, aller Selbst betrug: sie war flügellahm geworden, mit all ihrer Sehnsucht nach der Sonne, die sie nie gesehen, nach dem Glück! Vergebens bemühte sie sich, sich selbst aus zulachen! So ein Unsinn — nahm symbolisch, dass sie, die Untrainierte, nicht auch auf Berge laufen konnte! Es half nichts, ein paar heisse Tränen ran nen ihr über die Wangen hinab. Wie lange sie so völlig versunken in ihre trüb seligen Gedanken dagesesten, wusste sie selbst nicht. Sie schrak erst auf, als sich ihr eine Hand auf die Achsel legte und eine gutmütige Stimme sagie: „Kimmt's in d' Stuben, heraust is jetzt kalt und grauslich!" Vor ihr stand die Nandl, eine derbe Bäuerin, deren von Wind und Wetter zerfurchtem Gesicht der unausgesetzte Aufenthalt in der scharfen Bergluft deutlich anzumerken war. Annette sah sich ganz verstört um. Sie fass allein an dem Tisch. Die graue Dämmerung hatte zuge nommen, aus den Bergkuppen sassen schwere dunkle Nebelhauben, die sich tief und tiefer senkten. „Sie wer'n Ihna verkühln", mahnte die Rand!. Dann ging sie von Tisch zu Tisch, nahm da und dort ein vergessene» Weinglas mit und ging dann wieder gegen das Hau» zu, ein wenig zögernd und ungewiss. Die Türklinke in der Hand, wandte sie sich noch mals um. „Mögen'» net was zum Esten?" Nun stand Annette doch auf, dehnte ihre steif gewordenen Glieder und ging dann eilig zur Nandl hinüber, denn ein Schauer schüttelte sie: es war bitter kalt geworden. In der kleinen, ganz mit Hellem Holz getäfelten Stube, in der auch Holztische und Bänke standen, wie vor dem Hause, brannte eine von der Decke herab hängende melancholische Petroleumlampe, die ein trübseliges Licht verbreitete. Die Nandl ging schweren Schrittes in ihren derben Nagelschuhen ab und zu, brachte endlich wieder eine Taste Tee und einen Teller mit Zwieback und Kakes, alles mit einem aufmunternden „hoass iv er" vor Annette hinstellend. „'n bisschen primitiv hier, nicht wahr?" meinte der alte Herr. „Weiss Gott! Besonders, wenn man's zum ersten mal kennen lernt!" sagte sie seufzend. „Oh, da haben Sie's freilich schlecht getroffen! Gerade die Hütte hier gehört zu den primitivsten, weil sie nur selten als Nachtquartier benutzt wird, Und dann wirkt eben diese Abgeschlossenheit ohne Aussicht furchtbar bedrückend und ernst, wenn man nicht gerade ein ausgepichter Alpinist ist." Annette sah den Herrn dankbar an. Wie nett von ihm, ihr so die Erklärung ihres seltsamen Wesens zu ersparen! „Ich war vorher niemals im Gebirge!" sagte sie wie entschuldigend. „Da hätten Sie doch bester eine kleine Höhentour gemacht! Hier gibt es ja so mühelose. Aufs Kreuzeck oder den Schachen — da hätten Sie Aussicht gehabt, das wirkt dann ganz anders, als solch ein Stein kessel!" Nach und nach wurde Annette wieder stiller und einsilbiger. Das Gespräch wurde schleppend und mühsam. Um acht Uhr stand der Alte auf und empfahl sich. Er wollte um zwei Uhr morgens weiter, da hiess es, früh zur Ruhe kommen. Auch Annette erhob sich. Sie bat die Nandl, sie in ihr Zimmer zu führen. Zimmer? Es war ein Bretterverschlag mit einer Pritsche, von dem allge meinen Schlafraum abgctrennt durch eine halbhohe Wand. — Und da sollte sie schlafen? Völlig angeklcidet warf sich Annette auf das Lager, fuhr aber gleich wieder entsetzt in die Höhe. Was war das? Ein Heulen und Fauchen, ein Stöhnen und Brausen, als sei die Hölle losgelösten, umtobte die Hütte. Wieder und nochmals. Es riss und zerrte an den Holzwänden, dass Annette ver meinte, jetzt und jetzt müsse das Haus gehoben und hinweggetragen werden. „Fürchten Sie nichts, gnädige Frau, das Haus ist ganz fest!" ertönte von nebenan die Stimme des alten Herrn. „Was ist denn das, um Gotteswillen?!" „Der Sturm, Gnädigste. Das Gewitter hat ohne hin lange genug gezögert, jetzt wird's gleich los gehen!" Und wirklich brach es nun mit aller Macht los. — Gewitter im Hochgebirge! Wer es nicht miterlebt in all seiner furchtbaren Schönheit, vermag nicht zu er messen, wie derlei auf den ahnungslosen Neuling wirken muss. Donnerschlag auf Donnerschlag! Von den Felsmauern rollte der Schall tausendfach verstärkt zurück, von Gipfel zu Gipfel, wie unaufhörlicher Kanonendonner. Blitz um Blitz! So leuchtend, dass Annette sich von einem Feuermeer umgeben wähnte. Dann folgte wieder tiefste Finsternis. Endlich brach der Regen los. Es prasselte auf das Dach der Hütte mit einer Stärke und Ausdauer, dass Annette schaudernd die Wolldecke Uber den Kopf zog. Sie wunderte sich nur, dass sie immer noch im Trockenen lag. Und da leben Menschen wie diese Nandl monatelang, und so viele lasten sich's alljähr lich viel Geld kosten, um dann so, wie sie, eine tolle Schreckensnacht schlaflos auf einer so elenden Pritsche zu verbringen! Und das soll nun Genuss sein? Nein, dafür hat sie kein Verständnis. Bielleicht, weil sie verweichlicht war durch ein jahrzehntelanges Wohl leben! Nein, nein, Strapazen ist sie nicht gewachsen! Sie — zu alt dazu! Wie wollte sie mit dem kraft vollen Mädchen Schritt halten? Unsinn? Man wird nicht von heute auf morgen ein anderer Mensch! Annette musste endlich doch eingeschlasen sein, denn als sie die Augen aufschlug, tanzten auf dem lichten Holzgetäfel funkelnde Sonnenringe. Alle Schrecknisse der Nacht erschiene» ihr wie ein böser Traum. Strahlender goldener Sonnenschein überall: ein wolkenloser, tiefblauer Himmel! Und ein löst licher, würziger Duft von Wald und feuchtem Gestein umschmeichelte Annette, als sie vor die Hüttentür trat. „Was, aber heut' is a Tag!" rief Nandl fröhlich herüber. Sie stand am Brunnen und wusch Wäsche. „Mögens a Frühstück?" „Ja, Nandl, recht was Heisses möcht' ich — ich hab' Hunger!" Die Nandl verschwand in der Küche. Bald darauf brachte sie den Tee, auf den sich Annette heute gierig stürzte. Hinter der Nandl erschien der Schorsch, ein Bauernbursche von etwa sechzehn Jahren, mit einem ziemlich stupiden Gesicht. Er erbot sich, Annette zum Eibsee zu führen. „Na, geh n ma halt!" sagte er grinsend und griff nach Annettes Mantel, den die Nandl diensteifrig herausgebracht hatte. Annette zahlte, verabschiedete sich von der ob des grossen Trinkgeldes ganz verdutzten Nandl und stapfte dann hinter dem langausschreitendcn Schorsch her, der, ohne weiter zu fragen, den Weg einschlug, den gestern Else mit der Touristengesellschaft genommen. „Sie — he — ich will ja nicht auf die Zugspitze, sondern zum Eibsee!" rief Annette, als der Weg steiler bergauf zu führen begann. „Is ja gut — in zwa Stund' san ma dort!" Schorsch blieb stehen und wies auf einen sattel förmigen, mehrfach abgestuften Einschnitt zwischen zwei Bergkuppen. „Da drinnert is der Eibsee!" „Um Gottes willen, da hinüber soll ich — das kann ich nicht!" rief Annette ganz entsetzt. „Aber es is ja gar net schwer über die Riffeln, und der kürzeste Weg! A bissel kraxeln muass ma halt, aber dös wern's schon kinna!" „Nein, das kann ich nicht! Gibt's denn gar keinen ebenen Weg?" Annette war das Weinen nahe. Schorsch warf verächtlich die Lippen auf und machte kehrt. „Ich hab' g'laubt, Sö wöll'n über die Riffeln — was brauchen'? denn am ebenen Weg an Führer!" „Weil ich mich nicht auskenne!" „Is ja eh alles markiert!" sagte er missmutig und trottete verdrossen den Weg zurück. Nun ging's wieder an der Hütte vorbei, den Weg durch die Klamm zurück und dann noch links hinüber, den Waldweg. Da stand ja auch der Wegweiser: „Zum Eibsee." Annette schleppte sich mühselig hinter dem Burschen her. Tausendmal verwünschte sie die tolle Idee, sich blind der Führung eines fremden Menschen anzuvcrtrauen. Sie sah den wundervollen Wald nicht, der sich stellenweise so hoch und feierlich wie ein Dom über sie wölbte, achtete nicht der Ausblicke auf das herr liche Gebirgspanorama. Weiter trabte sie, stumpf wie ein Mensch, der sich in ein widriges Schicksal er geben hat. Endlich hörte sie ihren Führer sagen: »Jetzt sa man glei da!" Die wenigen Worte erschienen Annette wie eine wundervolle Verheissung. Mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte stolperte sie vorwärts. Vor ihr lag der See. Dunkelgrün wie ein Smaragd, eine spiegelglatte Fläche, ringsum von waldigen Bergeshöhen eingeschlossen, hinter denen hohe Schroffen aufragten. Aber Annette sah nichts von all den Reizen der Natur, sie sah nur ein grosses, langgestrecktes, zwei Stock hohes Haus mit feinen Balkons und Veranden — das Hotel! Zehntes Kapitel. Auf der Holzbank unterhalb der Bude, in der Ansichtskarten und Andenken vom Eibsee feilgebotrn werden, ganz nahe am Ufer des Sees, sassen zwei Herren. Der eine gross, blond, breitschulterig, mit gut- gefärbtem, von einem weichen Volldarte umrahmten Gesicht, der andere, etwas kleiner, fast zierlich, blass, mit allen Anzeichen von 'Nervosität in den glatt rasierten Zügen, schwarzhaarig. Der Blonde: Hans von Briesendors-Kleh, der Schwarze: Max von Briesendors Härtling. Die beiden Vettern waren in ein ziemlich lebhaft geführtes Gespräch vertieft. Der Blonde wandte sich eben ganz dem anderen zu und sagte gutmütig: „Du hast ja so recht, liebster Max! Mt allem hast du recht! Arbeit ist keine Schande, arbeiten soll und muss der Mensch! Kann er's nicht, dann ist er ein unnützes Möbelstück, und ist er obendrein ein armer Teufel, dann hat er keine Lebensberechtigung — also fort mit ihm! " Er schlug die Beine übereinander, stützte den rechten Arm darauf, lehnte das Kinn in die Hand und starrte hinaus auf den See, der so strahlend im Sonnenschein blitzte und funkelte, wenn der 'Wind, der sich erhoben, kleine Wellen mit weissen Schaum kämmen an das flache Ufer trieb. Max verzog un geduldig sein scharf geschnittenes Gesicht, dann schüttelte er den Kopf: „Ich verstehe dich nicht, Hans! Diese Mutlosigkeit! Was sott denn die, zum Kuckuck! Also gut, du hast's toll getrieben, Schulden gemacht — na, und was weiter? Die werden doch noch zu bezahlen sein!" Ueber des Blonden Gesicht flog ein leiser melancho lisches Lächeln: „Wovon denn?" „Und Onkel Karl? Da scheint was nicht zu klappen! Du weichst so seltsam au- — was ist da los — Hans, wir haben doch Niemals Geheimnisse voreinander gehabt!" Hans verzog unmutig das Gesicht „Jetzt sitz' ich an dem herrlichen Eibsee .nid mag nichts anderes denken, als dass die Sonne scheint, der Himmel blau und der See grün ist — basta!" „Kindskopf! Lebst immer norq von heute auf morgen! Du weisst, ich will von hier aus Onkel Karl auf die Bude rücken! In der ganzen Zeit meines Fernseins habe ich nichts von „Familiengeschichte" gehört, aber jetzt möchte ich mich doch informieren — also los!" „Na, meinetwegen, damit du endlich Ruhe gibst!" Hans Briesendors verschränkte resigniert die Arme über der Brust: „Wie lange warst du jetzt eigent lich fort?" Max von Briesendors Machte einen Augenblick nach: „Wart' mal — im Jahre -W., kam ich zur Ge sandtschaft nach Tokio — also vier Jahre, was?" „Und dein Vater hat dir von all den Neuigkeiten, die sich inzwischen ereigneten, nichts geschrieben?" „Papa?" Max lachte laut auf. „Da kennst du den alten Herrn schlecht. Jedesmal za Neujahr kam ein Brief, in dem nicht mehr als ,Lnf Zeilen standen: „Wie geht's, Junge? Hier alles all rirrbU Halte dich weiter munter!" Das war alles. Er meint, wenn einer 'aus ist, soll er froh sein, nichts von da heim zu hören — bei mir stimmt das ja auch, mit gairz wenigen Ausnahmen!" „Hat ganz recht, dein Alter! Gutes hört man ohnehin nie! Also, du weisst ja, nach Papas Tod sah's bös bei uns aus, total abgewirtschaftet! Wie's um Papa stand, hat ja nie einer gewusst —!" „Natürlich nicht!" Hans sah den Vetter an. Das hatte wie Spott geklungen. (Fortsetzung folgt.) ksumun 8<)-Voxstsuk Tlnixe aulend ^ot>en linsten Einige aulend ölulen- 3U8 allen I^a^ern des Gaules und allen äloÜarten 6lulen Ivette ^darlc 300 l)j§ IHOO das 5tüdc f Igelte 1 ^dark an Pol icH von 1 ^darlr M