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Leipziger Tageblatt. 2. velkrye. /reitsg, l5. April 1910. Das Unuer-ehbsre. Roman von Leonie Meyerhof-Hildeck. (Nachdruck verboten.) Elftes Kapitel. Stumm waren die Gatten nebeneinander heimge gangen. Eni «Nein hatte das Wort geführt. Walter hatte jeden Augenblick darauf gewartet, daß Lisbeth ihn nach jener „Schuld" fragen werde, die er Viktor abzuzahlen habe. Aber sie mochte sich wohl selber alles zurechtlegen. Nach seinem anfäng lichen Triumphgefühl stieg die alte Beängstigung auss neue in ihm auf. Ihm war, als habe er einen Kreis von Lanzen um sich hergestellt, die alle ihre Spitzen ihm zukehrten, und zwischen denen sich kein Raum zum Entschlüpfen bot. Ihm schien, er könne über haupt nicht weiterleben, ohne in Schande und Elend zu fallen. Fortgehen mit Weib und Kind — das Fidei- kommißhaus im Stiche lassen, das ihnen freie und ge sunde Unterkunft bot den Kampf mit dem Leben aufnehmen, weltfremd und nervös, wie er war . . . . Unmöglich. Und Viktor, seinem Wohltäter, das Haus verbieten — hier in dem kleinen Eggersberg, wo jeder jeden zehnmal täglich traf, — noch unmöglicher. Er durfte ihm überhaupt nichts weiter sagen, es war ja schon viel zu viel gesagt worden! Er blickte zurück auf die Reihe seiner Torheiten — da standen sie in Reih und Glied und nickten ihm zu. Wenn er nur damals gestorben wäre, dachte Walter — in oder vor der Operation, ruhig und ge tröstet, da er Weib und Kind in guten Händen wußte. .... Da könnten sie jetzt in Ueppigkeit und Reichtum auf Eggershof wohnen — Nein, nein! Sein Atem keuchte und Hände und Zähne schlossen sich fest bei dieser Vorstellung. Lisbeth in den Armen des andern — Cott — Gott — das war das Un erträglichste! Nur dies eine nicht! Und deshalb war ihm auch der Tod keine Erlösung. Er wußte nicht, wie er leben sollte, und sterben durfte er nicht. . . . Es war ein sonderbar grüblerisches Phantasie leben, das er jetzt führte — neben seiner Frau — nicht mehr mit ihr. : Immer wieder sah er sich auf dem Kranken bette — die Hände der beiden ihm liebsten Menschen ineinanderfügend. Und von diesem Augenblicksbilde zweigten sich seine übrigen Erlebnisse ab, strahlten fächerförmig von ihm aus. Er selbst —? Hatte er diese Dinge geformt? Nein, das war das Leben, das war ein folgerichtiges Jneinandergreifen der Dinge. Den Anstoß hatte er wohl gegeben; alles andere hatte sich so vollzogen, daß es kein Entweichen gab. Man konnte sagen: es war höhere Fügung. Nie hatte er groß von sich gedacht. Jetzt wollte es ihm — zwischen Momenten wild schmerzvoller Auflehnung — scheinen, als sei er zu klein, viel zu klein für das Schicksal, eine starke weibliche Natur neben sich zu haben, die von einem anderen, einem Stärkeren begehrt wurde. War das eiserne Beharren in ihm, das eine solche Frau zu führen vermochte? In ihm, der sich nicht einmal wirtschaftlich auf eigene Füßen zu stellen vermochte? Augenblicke tiefer Müdigkeit kamen über ihn und häuften sich. Lieber den akuten Schmerz, Lisbeth für immer zu entbehren, als dies Hin und Her in seiner Seele länger zu ertragen. Denn sein Leben lag drinnen in ihm, nicht außer ihm. Die Wirklichkeit war sein Feind; nur wenn er still vor dem Schreib tische saß, in der Welt seiner Phantasien, dann war ihm wohl. Solange er Lisbeth als einen Teil seiner inneren Welt besessen hatte, als ein Etwas, das ihm unverbrüchlich gehörte, so lange war er zufrieden ge wesen. Um sie zu kämpfen, dazu reichte seine Kraft nicht länger. Und dann wieder, wenn er sie vor sich sah in ihrem häuslichen Walten, das sich jetzt so still in einer selt samen Dumpfheit vollzog, dann schrie es in ihm: Ich kann sie nicht von mir lassen — ich kann nicht! Eine Zuflucht — wo gab es eine für ihn? Don ihr losgekettet, mußte er ins Nichts versinken. Zhm war, als sei sie allein der Halt gewesen, der ihn über Wasser gehalten hotte. ' Walter saß an seinem Schreibtisch und schrieb wirre Phantasien nieder. „Das Weib" stand als Titel über seinem Blatte. Und er sah das Weib als Engel und als Teufel sich zu ihm neigen. Er sah es mit einem Bündel Dornenruten aus sich zuschreiten, und es schlug mit den Ruten — nicht ihn selbst, sondern auf den Platz, neben dem er saß. Aber jeden Schlag fühlte er; denn wenn ihr Arm ausholte, so war es, als ziele es auf ihn, und wenn das dornige Bündel niedersauste, so hatte er schon Len Schmerz empfunden, ehe es den leeren Platz neben ihm traf, und er blutete unter den Stacheln, die ihn nicht be rührten. Und sie sah ihn an und lächelte ganz wenig, so wie er jetzt Lisbeth manchmal lächeln sah, wenn sie vergaß, daß. er neben ihr im Zimmer war. Dann dachte sie an den andern. Und er sah das Weib als ein unschuldig spielendes Tier, als eine Katze, die den lebenden Vogel zwischen Himmel und Erde hält. Denn sie sitzt mit ihm aus einem Baum, und er sicht, während ihre scharfen Krallen sich in seine weichen Brustsedern wühlen, droben das unendliche Blau oes Ideenreiches, von dem ihr Griff ihn nun fernhält, und drunten die feste Erde in ihrer starken Wirklichkeit, die er niemals beschreiten soll. Er schrieb und schrieb. Noch nie hatte er so ge schrieben. Ueber ihn stand das Schicksal gelehnt und führte ihm die Hand. Das Schicksal —? Irgend ein Muß war da, etwas außer ihm, das stärker war als er. Etwas, das ihn fortführte von den andern. Was war es? Da brachte ihm eines Tages der Briefträger einen Brief. Er sah die Handschrift und wußte, daß er sie kannte, aber er erkannte sie nicht. Ein Etwas reichte ihm die Hand von jenseits eines breiten Flusses, den er — Gott weiß wann — überschwommen hatte. ... Als er Josefas Namen unter dem Briefe entdeckte, da besann er sich, daß es nur Wochen waren, die ihn von dem mit ihr Erlebten trennten. Aber das war nur ein Gedanke. Das zeitlich noch Nahe lag so fern, so fern, daß er es gerade so gut in den Jahren vor seiner Ehe erlebt haben konnte. Er las, und es war, als greife die Hand, die sich unerwartet nach ihm ausstreckte, in seine Brust und halte ihm das Herz fest, daß es für einen Augenblick seinen Schlag aussetzte. Und dann stürmte es auf ein mal mit einer Raschheit und Wildheit, wie nie zuvor. Jofefa schrieb: „Vsber Nretmdl Ich hin in die Ruhe eingegangen. Der Friede ist nur da, wo die Himmelskönigin herrscht. Ich fühle, daß auch Sie leiden — warum kommen Sie nicht auch zu ihr? Sie kennen das Glück noch nicht. Sie suchen es an falscher Stelle, da, wo auch ich es einst suchte. Kommen Sie! Schreiben Sie an den Pfarrer Gäthke in Leytritz bei Duderstadt. Maria erwartet Sie. Schwester Veronica, früher Josefa v. Leytritz." Walter saß, die flache Hand auf dem Briefe, eine lange Weile vor dem Schreibtisch. Die starr da liegende Hand wurde ihm allmählich kalt, und in seiner Brust lag unbeweglich atwas Schweres, und er wußte nicht, ob es Sturm oder Stille war, was sein Inneres anfüllte. Er wollte lachen; er sah den Frei herrn v. Leytritz vor sich und hörte, wie er ihm nach pfiff in seinem Spott. ... Der westliche Himmel vor ihm öffnete goldene Pforten; Feuersäume liefen an den sommerlichen Abendwolken entlang und glühende Schlünde vertieften sich, aus denen undeutliche Ge stalten hervorleuchteten. Einen Augenblick glaubte Walter einen erhabenen, riesigen, gekrönten Frauen kopf zu erkennen. ... Er schrak zusammen, glitt von seinem Sitz herab auf die Knie und legte das Gesicht mit den schmerzenden Augen in die Hände. Lisbeth! schrie es in ihm. Meine Lisbeth.... Und ohne das Gesicht zu erheben, sah er das ge krönte himmlische Weib vor sich, wie es ernst und langsam mit dem Kopfe schüttelte und dann auf sich selber deutete. „Nicht Lisbeth!" hieß diese Bewegung, „ich — ich, Maria, die Himmelskönigin!" ZwölftesKapitel. Es ging ein milder Wind und die Sommersonne schien. So war es gut für den Tag der Denkmals enthüllung. Viktor, im Frack und weißer Binde, stattlich und feierlich, schritt schnell durch die Parterrezimmer des Eutshauses, mit seinen scharfen Augen links und rechts blickend, und mit der Linken von Zeit zu Zeit nervös in den Halskragen fahrend, der nicht sitzen wollte. Hinter ihm drein trippelte die Wirtschaf terin mit einigen Dienstboten, die sich hinter ihrem Rücken Blicke zuwarfen, sobald der Herr irgendeine Ausstellung zu machen hatte. Hier schlug es ein — und bei ihnen würde es zünden! Im Speisesaal dauerte die Prüfung länger. Neben dem riesigen grünblauen Teppich blinkte ein Streifchen spiegelblank gebahnten Parkettbodens. Die hochlehnigen alten Mahagonistühle mit ihrem naturfarbenen Lederpolster standen in zwei langen Reihen um den Tisch, der mit altem Porzellan und Silber bestellt war und in der Mitte anstatt eines Tafelaufsatzes eine kolossale Altwiener Vase trug, mit großen, stark duftenden Orchideen, Clematis und anderem großblütigen Eeranke, in eigenartigem und auserlesenem Geschmacks gewählt. Auch das dunkle Büfett und die kleineren Kredenzen waren mit ein zelnen besonders schönen Stücken aus dem Eggers hofer Porzellanschatz geschmückt. Lisbeth war es ge wesen, die auf seine inständigen Bitten die Tafel dekoriert und die Vasen gefüllt hatte. Schon in aller Morgenfrühe war sie — nicht allein, wie er gehofft, sondern in Walters Begleitung erschienen, und hatte mit großer Umsicht und der ihr eigenen kraftvollen Schnelligkeit alles an geordnet und erledigt, die Blumen aber eigenhändig in die Vasen eingeordnet. Tie schien es vorher genau überdacht zu haben; und so vollzog sich alles Schlag auf Schlag, so pausenlos und eilig, daß auch nicht eine Nr. 103. 104. Istnysny. Minute zu einem Privatgespräch blieb. Freilich, sie hatte ja auch noch Toilette zu machen und ihr Gedicht zu memorieren Dennoch hatte Viktor so innig auf diese Stunde gehofft Die ganze Woche hatte er vergebens einen Moment des Alleinseins oder auch nur ein vertrauteres Gespräch herbeizuführen gesucht. Sie war ihm sichtlich ausgewichen, hatte seinen Blick vermieden, seine in Walters unvermeid licher Gegenwart gesprochenen Anspielungen und Doppelsinnigkeiten unbeachtet gelassen. Vergebens hatte Viktor Lisbeth gesucht: auf dem Kochbrink, dem Rabenberg, im Urwalde, auf dem Wege nach Sooldorf — überall, wo sie früher, ohne sich etwas dabei zu denken, sich getroffen und lange Gespräche geführt hatten. Diese Stunden des Suchens hatten noch Holz hinzugetragen zu dem Feuer, das in ihm wütete. . . . Hatte es sie in Angst versetzt? Traute sie sich selber nicht? Denn, wie sie zu ihm auf den Kochbrink gekommen war — verändert, in einer schlecht beherrschten Befangenheit — das war ja eine so deutliche Sprache gewesen in aller Einsilbigkeit. An dieser Stunde hing jetzt seine Seele und glühte in ihrer Erinnerung; es war so wundervoll süß ge wesen; jede Minute dieses Zusammenseins liebte er mit seinem ganzen Wesen. Es war wohl so, daß Walter ihr die Wieder holung eines solchen Zusammenseins verboten hatte, und daß sie wie ein Kind gehorchte, mit der herben Gewissenhaftigkeit ihres klaren, geordneten Wesens. Wie er dieses Wesen an ihr liebte — und wie es ihm doch feindlich war! Zn solchen Gedanken stand er und blickte auf die Blumenoasen und rief sich die charakteristischen Be wegungen ihrer festen weißen Hände zurück, mit denen sie die großen durchsichtigen Blüten und an mutig kapriziösen Ranken geordnet hatte, und das Ausblitzen ihres Trauringes, das er mehrmals wie einen Stich ins Auge empfunden halte. Der Knall einer Kalksprengung kam von Sooldorf herüber, rollte ringsum an den Bergwänden hin und schreckte ihn auf. Er blickte in die schnell sich zu aus druckslosem Ernst verändernden Gesichter seiner Dienerschaft, die sich, auf sein wortloses Erstarren durch Blicke und Mienen aufmerksam gemacht, und alsdann nach der antiken Standuhr im Winkel; sie zeigte auf zehn, und so mußte er an die Station hinübereilen, wo der Bürgermeister und einige andere Herren, feierlich angetan, schon versammelt waren. Bereits kündigte ein langgezogener Pfiff den Extra zug der Sekundärbahn an, der, von He^wigsen aus gehend, einen hohen Offizier mit Begleitung als Stellvertretung des Landesherrn — gur Feier der Denkmalsenthüllung nach Eggersberg bringen sollte. Auch die beste unter den bejahrten Kutschen von Eggershof steht angeschirrt vor dem Bahnhof, das Ge schirr der beiden Apfelschimmel blitzt im Sonnen schein; der Kutscher in seiner Livree fitzt steifer als je auf dem Bock. Er soll den Genernl hinauf nach Eggersberg und nach dem Kochbrink fahren. Unter der tadellosen Livree schlägt das Herz des ehemaligen Militärs höher als sonst; doch das darf man nicht merken. Die Würde darf niemals eine Bruchstelle bekommen, selbst nicht um eines kommandierenden Generals willen Am die lange glänzende Tafel herum sitzen sie, die Fracks wie die Uniformen, dazwischen die schüchtern in kleinen Dreiecken entblößten Nacken der Damen. Mn MiM Verkauf wird dis Luck« duoi iw alten Dobai Krlwwaiseko Str. 31 tortgvsetrt. kurtsv Uarkenüors - ^>. ^d 1. daii delluckeu sied mol»« kesokilktslokalltliteu ^okannlsplLtr 5, Lnlselievstoek. llärlvn unrk Kunoi'tv. Mw bet Königsberg i. Pr. Ostsee- kräftigster Wellenschlag. os,», IIF Herrl. Waldungen. — Elektr. Licht, GaS, Kanal-u. öäli HDD Wasserleitung. 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