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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.04.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-04-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100412016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910041201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910041201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-04
- Tag 1910-04-12
-
Monat
1910-04
-
Jahr
1910
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). Anzeigen-2rci5 Morgen-Ausgabe Bezugs-Preis Wp.'.igcr Lagcklaü Handelszeitung Ämtskkatt L.s Nates und des Nokizeiamtes der Ztadt Leipzig 104. Zshrgang Nr. 100 Viensla-, üen IS. April ISIS t. viril, 81.154. dLSllä die Wahlrechtsvorlage. ISA«. i« ZI» so« S1.1S Montagssitzung des Bundesrats Entwürfe des Zuwachs st euer- * In den verschiedenen Deputationen des sächsischen Landtages standen gestern u. a. die sozial politischen Anträge und die Reform der Er st en Kammer zur Beratung. (S. Letzte Dep) 1L0.S0 18L10 I4b.8ll ZL6.- * Am heutigen Dienstag tritt der Reichstag nach der Osterpause wieder zusammen. Er nimmt zuerst die Beratung des Entwurfs über Ent lastung des Reichsgerichts vor. * Der Termin für die Reichstags st ichwahl im Wahlkreise Posen ist auf den 21. April fest gesetzt. 195,- 147.25 1«5,7o 85.078 !r«oa. islo«. 148.- M75 10240 irziu 2A- 88.70 L 80.85 «l. 80.60 L MAL U >2.-ü. >5.-- 0. Die rSmtMe Kirche in üen vereinigten Sissten. Der Papst hat mit den Schwierigkeiten, die dem Expräsidenten Roosevelt wegen des nachgssuchten Empfanges gemacht find, in den Bereinigten Staaten keine angenehmen Gefühle erweckt. Das erhellt schon aus den gequälten, vertuschenden Worten, die die nordamerikanischen Bischöfe zu der Angelegenheit ge macht haben; noch mehr aber aus den Ausbrüchen feindseliger Stimmung verschiedener protestantischer Sekten gegen das ganze Papsttum. Damit stehen natürlich die am meisten betroffenen Methodisten voran. Die Vereinigten Staaten haben den Grundsatz der Trennung der Kirche vom Staate durchgeführt, so lange sie bestehen. Cavour hat ihnen ein gleiches für Italien nachgemacht, aber die Scheidung erkennt der päpstliche Stuhl nicht an, ebensowenig wie für Frank reich, wo die Prozedur vor wenigen Jahren unter heftigen Schmerzen für die Kirche vollzogen ist. In Nordamerika ging die Sache leichter; erklärlich genug, denn bei der Unabhängigkeitserklärung gab es kaum Katholiken und vollends kein katholisches Kirchenoer mögen. Was seitdem an Kirchenvermögen gesammelt ist, das ist einfach Bereinseigentum, um das sich der Staat gar nicht bekümmert. Ebensowenig hat er irgendein Kirchenregiment. Ihn geht weder die Lehre etwas an noch die äußere Organisation. Dabei hat sich Rom sehr gut gestanden. Es hat es allmählich auf 14 Erzbischöfe und 86 Bischöfe ge bracht. Unter jenen sind mehrere Kardinäle, von denen Gibbons von Baltimore und Zreland von Minneapolis auch diesseits des Ozeans bekannt ge worden sind. Das Direktorium der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten gibt an, daß zu ihm im Jahre 1909 14 484 Geistliche und eine Be völkerung von 12 651944 gehören. Es zählt 11814 Kirchen. Geht schon hieraus hervor, daß die römische Kirche in Nordamerika sich in gutem Gedeihen befindet, so erhellt das noch mehr aus der Tatsache, daß 1900 die Zahl der Katholiken nur 8 421301 betrug, daß sie sich also in neun Jahren um die Hälfte vergrößern konnte, während die Bevölkerung in derselben Zeit von 76 auf 89 Millionen stieg, also ungefähr nur um ein Sechstel. Zum großen Teil hat das seine Ursache darin, daß die Einwanderung seit einer Reihe von Jahren aus den protestantischen Ländern England, Deutschland, Skandinavien sehr gering gewesen ist, desto stärker aber aus dem katholischen Südeuropa nebst Oesterreich-Ungarn. Auch Rußland hat viele Zuzügler gesandt, allerdings neben katholischen Polen auch russische Orthodoxe und Juden. Aber in solchem Maße hat doch die Einwanderung nicht statt gefunden, daß sie die Vermehrung von 8 auf 12 Millionen erklären könnte. Es finden eben auch Uebertrttte in großer Zahl statt. Die nichtkatholischen Amerikaner sind in kirchlicher Beziehung ein eigenartiges Volk. Ihr Gefühl ist außerordentlich lebhaft, dabei von Unbeständigkeit in bezug auf das Bekenntnis. Auch England und Schottland haben Neigung zur Sektenbildung, gegen Nordamerika verschlägt das gar nicht. Man zählte (Katholiken, Lutheraner usw. einbegriffen) 1890 * Das preußische Abgeordnetenhaus voll zieht am heutigen Dienstag die gesetzmäßig vorge- jchriebene Wiederholung der Schlußabstim mung über Dtschs. R.) * In der wurde dem gesetzesdieZustimmung erteilt. 85.05 S. 816.201. ckil><1«k. >>» 1^1. !. n. i.,L - I./S. i>. > l>i»»s«» 680« > pror. L-Ü. iO,- «. Christi" nur mit mit den Das Wichtigste. * Im den nächsten Tagen ist «in offizieller Au schlag der Leipziger Mitglieder des Bauarbeitgeberverbandes über die Sperre an sämtlichen in Frage kommenden Bau stätten für den 15. April zu erwarten. (S. d. bes Art.) 85.-4. 84.10 L .-f. S «kl«« «Ikc 4«I. 5754. 420«. K04. 7Za. 950». izooe lür Jnierai« au» Le>v««g uns Umgebung IN« Sgrwaltene SO wm bretl« Petilzeil« 2b di« 7« mm drei!« ReNamegcil« I von auiwtrt« M Reklamen 1.20 Inserate von Bekbrden amtlichen le» di« 74 mm breite Petirzeile 40 «rlchä'l-ani-iqen MI« P!atzvors(trillen UN» in der Lo«iidauiaade im Preije erbst,!. Rabatt nach Lain. ÄeUagegebLhr b p. Lausend exll. Zollgebühr. geliertem« Aufträge können nicht zurück- gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmten Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Antigen-Annahme: Luguku-platz 8, dri sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen bet In» und Auglandei. --«nvt-SUial« Verls«: Carl Du Ucker, Herzogl. Bahr. Hosbu ch- dandlung, Lützowstiabe UL (Le.eptzun VI, Ar. 40a8). Hauvt-Ailsale Dresden: Leest rohe 1 (Telephon 4621). Mr Leipzig und Borortr durch »User« Lräger und Spediteure 2mal täglich in« Hau« gebrach»: VO -H inonatl., oierteliährl. Bet unser« Filiale» u. An» uahmestellen abgebalt: 78 H monatl., I.lU v,ertel»drl. Durch dir »oft: Innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien oierteliährl. ii.SS ^gk, monatl. l.ro auischl. Postbeftellgeld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donaustaatrn, Italien, Luremdura, Niederlande, Nor wegen, Oesterreich-Ungarn, Rußland, Schweden, Schweiz u. Spanien In allen übrigen Staaien nur direki durch di« Geschäftsstelle de« Blatte« erhältlich. Da« Leipziger Lagedlatt erschein» 2 mal täglich. Sonn- u. Feiertag« nur morgen«. Adonneu ent-Annat.me: Buguttulplatz 8, bei unseren Lrägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern u»b Bries lrägern. rinzelveclansePrei» der Morgen» >u«gad« 10 -H. der Abendausgabe S ch. Siedaktion und Geschäft-Kelle: Iohanniegasse 8. Fernsprecher: I46S2, 146!», 14694. 145 kirchliche Gemeinschaften, 1906 aber 189. Also in 16 Jahren 41 neue Sekten! Daß es keine Staats kirche gibt, liegt schon in dem Begriff der Trennung von Kirche und Staat. Aber auch als kirchliche Ge meinschaften spielen die großen protestantischen Kirchen Europas drüben keine Rolle. Die lutherische Kirche verzeichnet nur 2 082 000 Gemelndemitglieder, die englische Episkopalkirche nur 896 000, die deutsche, holländische usw. reformierte Kirche nur 437 000. Damit vergleiche man das, was wir Sekten nennen. An der Spitze stehen die Methodisten mit 6 826 000, dann folgen die Baptisten mit 5 435 000, Presbyterianer (schottische Reformierte) 1 807 000, Kongregationalisten 721 500, „Schüler 1431000. Eine große Anzahl Sekten zählen wenige tausend Anhänger. Manche entstehen einem volkstümlichen, Prediger und erlöschen seinem Tode. Die Gläubigen fluten zwischen Sekten hin und her. Nach einem Scherzwort sagt ein Vater auf die Frage, welcher Konfession sein Sohn angehöre: „Der und der; sie ist zwar nicht die mei nige, aber ich versichere Sie, es ist eine der besten, die wir hierzulande haben." Wenn wir die genannten Zahlen der römisch-ka tholischen Kirche gegenüberstellen, die fast doppelt so viel Angehörige hat als die stärkste protestantische Kirche in Amerika, so ist freilich zur Richtigstellung eins zu berücksichtigen: Gerade bei diesen Sekten meldet sich oft nur das Familienhaupt als Mit glied; Frauen und Kinder zählen nicht mit. Ebenso besuchen Millionen die Sektenkirchen, ohne sich ein schreiben zu lasten, damit sie keine Abgaben zu be zahlen brauchen. Anderseits gibt es einzelne Gottes häuser, die sich eines besonders beliebten Predigers erfreuen, die einen Dollar Eintrittsgeld nehmen können und doch jeden Sonntag ihre Räume voll haben. Im ganzen erhalten sich die verschiedenen Kirchenverwaltungen durch Beiträge wohlhabender Leute, die zum Teil freiwillig geben, zum Teil arg „getreten" und mit zukünftigen Höllenstrafen ge ängstigt werden. Untereinander stehen die Gemein den derselben Sekte miteinander in Verbindung über das ganze Land hin. Sie haben ihre Synoden usw.; aber alle auf dem Boden des freien Dereinslebens; ein Kirchenregiment mit irgendwelcher Zwangs gewalt gibt es nicht. Demgegenüber steht die römisch-katholische Kirche als eine geschlossene Macht von 12^ Millionen Seelen da. An ihrer Spitze steht ein römischer Delegat. Bei der großen Zahl der Sprengel sind die einzelnen selbstverständlich sehr klein. Desto mehr können sich Bischöfe und Priester ihren Anhängern widmen. Und sie tun das auf echt amerikanische Art. Die Tradition der einzelnen Kirchen und Klöster, die in Europa so viel ausmacht, hat dort wenig zu bedeuten. Wir wissen nicht, ob bereits wundertätige Stätten vorhanden sind; jedenfalls spielen sie keine Rolle. Alles ist neu. Aber im Neuen sind die Bischöfe an der Spitze. Wenn es gilt, ge meinnützige Unternehmungen ins Leben zu rufen, findet man sie sicher. Auch an patriotischen Festen beteiligen sie sich in leitender Stellung. Einwanderer finden an den katholischen Kirchen stets einen Halt, der Gottesdienst ist jedem Katholiken der gleiche, wie er ihn aus seiner Heimat kennt. Dagegen finden Lutheraner, Reformierte schwer einen Anschluß, was durch die Verschiedenheit der Sprache noch erschwert wird. So ist denn die Lage der römischen Kirche in den Vereinigten Staaten glänzend. Man klagt nicht. Zusammenstöße mit dem weltlichen Staat kommen Vicht vor. Rom hat wenig Veranlassung, sich einzu mischen. Um so unbequemer ist den amerikanischen Katho liken, daß der Vatikan mit Roosevelt seinen kleinen Zusammenstoß gehabt hat. Wenn die hundert katholischen Bischöfe mit den Methodisten und zahl reichen anderen Sekten auskommen und sich ganz an diese gewöhnen, so hätte, meint man, der Vatikan auch wohl mit einem so toleranten Mann auf gutem gesellschaftlichen Fuße bleiben können, zumal dieser gar nicht einmal Methodist ist. Roosevelt aber hat Anlaß, sich über einen neuen politischen Glücksfall zu freuen. Er hat mit einem Male viele Hundert tausende von Methodisten für sich gewonnen, denen er früher gleichgültig war. Lelpstg unü üer Ssmpf im Baugewerbe. Wie wir schon in der gestrigen Abendausgabe und vorher durch besonderen Aushang bekanntgegeben haben, hat sich nunmehr der Kampf im Baugewerbe auch auf unsere Stadt übertragen. Der Bauarbeit- geberoerband von Leipzig und Umgebung beschloß am Montagvormittag in einer von etwa 180 Mitgliedern besuchten Versammlung, gemäß den Berliner Be schlüssen des Deutschen Bauarbeitgeberverbandes, vom nächsten Freitag an sämtliche organisierte Bauarbeiter auszusperren. Diese Maßregel, von der in Leipzig mindestens 8000 Maurer, Zimmerer und Bauhilfsarbeiter direkt und mindestens etwa die gleiche Zahl indirekt beteiligter Berufs, Glaser, Kluge, üer Tüchtige. Wegen Unterschlagungen in Höhe von 400 000 -4t wurde der Prokurist Fritz Kluge von der Firma Arthur Koppel, Aktiengesellschaft, von der dritten Strafkammer des Landgerichts I Berlin zu 5 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrenrechtsverlust verurteilt. Auf die Strafe wurden 1 Jahr und 3 Monate der Untersuchungs haft anaerechnet. Die Anklage gegen den Filial leiter Kluge lautete auf Urkundenfälschung in Jdealkonkurrenz mit Betrug. Es war gegen ihn bereits am 30. April v. I. einmal verbandelt worden, der Termin mußte jedoch bald nach Beginn abgebrochen werden, weil der Zustand des Ange klagten unter dem Einfluß der langen Unter suchungshaft so bedenklich war, daß Kluge nach An sicht der medizinischen Sachverständigen verhand lungsunfähig war. Erst jetzt, nach fast einem Jahre, war die weitere Verhandlung möglich. Das Gericht hielt den Angeklagten für einen Speku- Sind Einigungsvrrsuche zu erwarte»? Es dürfte noch in Erinnerung sein, welche frucht bare Tätigkeit das Leipziger Gewerbe gericht im Mai 1895 bei dem damals ausge brochenen großen Maurerstreik als Einigungs amt entfalten konnte. Den aufopfernden Be mühungen des damaligen Vorsitzenden war es zu einem großen Teile zu danken, daß damals nach langem, erbittert geführtem Kampfe zwischen beiden Teilen eine Einigung zustande kam, die zum Segen für das Leipziger Baugewerbe bis zu den jetzig« n kritischen Stunden angehalten hat. Die Frage ist nun: Kann das Leipziger Gewerbe gericht bei der gegenwärtigen Sach lage wieder eine Tätigkeit als Eini gungsamt ausüben? Der Gesetzgeber hat dis Bahn hierfür gegen früher erheblich freier gestaltet. Es bedarf nicht mehr, wie damals, der Anrufung des Gewerbegerichts durch beide streitende Teile, sondern das Gewerbegericht kann sogar Vermittlungs versuche ohne jede Anrufung durch einen der streitenden Teile einleiten. Es heißt nämlich in 8 65 des Gewerbegerichtsgesetzes: „Auch in andern Fällen (d. h. ohne jede An rufung) soll der Vorsitzende bei Streitig keiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Bedingungen der Fortsetzung oder Wieder aufnahme des Arbeitsverhältnißes auf die An rufung des Einigungsamtes hinzuwirken suchen und dieselbe den Beteiligten bei geeigneter Veran lassung nahelegen." Der Gesetzgeber hatte bei diesem Paragraphen hauptsächlich die Fälle von Ausständen und Aus sperrungen im Auge, von denen der Gewerbegerichts- vorsitzende auf andere Weise wie durch die Be teiligten, vor allem durch die Tagespresse, Kenntnis erhält. (Kommentar von Menzinger L Prenner.) Es gilt dabei, möglichst noch vor Aus bruch des Streiks Fühlung mit den Interessenten zu nehmen. Leider stößt ein solches Unternehmen, wenn es hier an zuständiger Stelle beabsichtigt sein sollte, auf sehr große Schwierigkeiten. Es handelt sich nämlich nicht, wie 1895, um einen örtlichen Vorgang, sondern die endgültige Beschlußfassung für beide Parteien liegt in den Händen der zentralen Organisationen. Also das Berliner Gewerbe gericht würde die erste maßgebende Stelle für einen Versuch in dieser Richtung sein. Immerhin wird man auch hierorts die Angelegenheit nicht außer Auge lasten dürfen. lanten und Spieler, der durch betrügerische Mani pulationen die Aktiengesellschaft Arthur Koppel um mehr als 400 000 geschädigt, hielt ihn aber nicht für geisteskrank im Sinne des 8 51 und gelangte so zu seiner Verurteilung. Nichts an Fritz Kluge, der jetzt vor seinen Ber liner Richtern stand, am Scheideweg ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt: nichts im Wesen dieses Ungetreuen, der seinem Chef fast eine halbe Million unterschlug, weil ihn der Spielteufel gepackt hatte und ein sonderbarer Ehrgeiz dazu, scheint so ver worren, so ungewöhnlich und krank, daß man seine Sühne wirklich in Heilung verwandeln müßte. Er selbst zieht das Gefängnis vor. Er selbst besteht darauf, daß man ihn für normal nimmt, trotz Gebet buch und „ritueller Uebungen", trotz feiner mysti schen Multiplikationen mit den Zahlen 3 und 6 und 9. trotz der zwecklosen Tabellen, die er als „Gewinn system" im O-Zug ausarbeitete, wenn er zu einem Jeu von drei Stunden achtzehn Stunden nach Paris, achtzehn Stunden wieder zurück nach Berlin fuhr, zweckloser, kindischer Tabellen, die der Kriminal kommissar Manteuffel übrigens gar nicht so hirn verbrannt findet. Fritz Kluge verzichtet auf das Irrenhaus. „Der Zug der Degeneration", meint einer der Sachverständigen, „liegt in der ganzen Familie, aus der Kluge stammt. Von der Familie der Mutter stammt die Hauptbelastung. Es liegt eine konzentrische erbliche Belastung vor, die eine ge steigerte Erkrankungsmöglichkeit in sich schließt, aber für eine schon eingetretene geistige Erkrankung ist kein Anhalt gegeben. Der Zahlenzwang, unter dem er stehen will, gehört zu dem Bilde der Degeneration, aber er hat keinen Einfluß auf die Handlungen Kluges. Das gleiche gilt von seiner Abneigung gegen Renommage. Auf dem Gebiete der Intelligenz zeigt sich bei ihm nicht die mindeste Störung. Zweifellos ist Kluge vom Spielteufel umklammert, aber auch diese Svielsucht ist nichts weiter, als eins der vielen Dinge, die zu dem Bilde der Degeneration gehören. .. Auch feine Idee, Millionen verdienen zu müßen, ist keine Wahnidee, sondern die irrige Idee eines an sich gesunden Menschen, der sich aus Spieleraberglauben und mangelhafter Logik in diese irrige Idee verbißen hat. . . . Bei hysterischen Leuten kommen auch solche Eottesvisionen vor, wie sie der Angeklagte gehabt haben will, aber für eine Geisteskrankheit ist daraus nichts herzuleiten." Und vielleicht weiß er es selbst am besten, daß er nicht mehr isll als ein verun glücktes Gemisch von dekadenter Schwäche und Arro ganz, Aberglauben. Spekulationswut und Arbeits kraft, — ein verunglücktes Gemisch, das jetzt unter Zubilligung mildernder Umstände, wie Kluge selbst hofft, möglichst glimpflich davonkommen wird. Der Spielteufel und der Spieleraberglauben sind banal genug, um sich nicht in die paar Nuancen ver tiefen zu müßen, die an dieser gestrandeten Existenz vielleicht wirklich neu sind. Seine moralische Schwäche war in zahllosen Prozeßen schon angeklagt: sie hat keine originellen Varianten, und auch die Frommen, die heimlich stehlen, oder die Diebe, die heimlich beten gehen, sind keine Erscheinung mehr, die einen Staatsanwalt verwirren müßte. Erstaun lich bleibt nur eins an Kluge, eins, das ihn ein wenig gegen andere Gauner abschattiert: die Arbeits kraft, die vielleicht wirklich nur sein Ehrgeiz trieb, die ungeheure, aufreibende Energie, die er in den Dienst eines Schwindels stellte, um über ihn zu einer Karriere ehrlichen Glanzes zu kommen. Er fingiert Kunden, die abgenütztes, für sie nicht mehr nötiges Bahngleis zum Kauf anbieten. Die Firma kauft das Bahngleis. Er fingiert weiter die Kunden, an die die Firma das Erstandene zur Miete abgibt. Kluge steckt das Kaufgeld ein und zahlt da von die — natürlich geringeren — Mietsbeträge der Kunden Nr. 2 an die Firma. Das erscheint als ein ganz einfaches und, solange man nicht erwischt wird, als ein ganz rentables Geschäft. Dennoch ist die Arbeit ungeheuer, die hinter der Operation sich ver birgt. Kluge rückt das Lockinserat in ein Provinz blatt ein. Firma Soundso will Schienen ver kaufen. . . . Kluge läßt an Soundso schreiben. Klug: fährt in die Provinz, um das Antwortschreiben an sein Haus zu besorgen. Die gleiche Geschichte dann mit den Mieten. Er muß von Berlin nach Heidelberg reisen, nur um dort einen Brief in den Kasten zu stecken. Wie er die ersten Kinderkrankheiten seines Verfahrens hinter sich hat, kriegt er Routine. Er legt sich eine Kombinationstechnik zurecht, die ihm die „Geschäftsreisen" vereinfacht. Er nimmt jetzt immer gleich ein paar Stationen auf einmal mit, in denen er Briefe zu besorgen. Briefe zu empfangen hat, er korrespondiert mit Hotels und Postämtern, um möglichst alle Briefschaften an eine Zentrale zu di rigieren. Die Reisen bleiben immer noch anstrengend genug, aber sie sind nur der Arbeit kleinerer Teil. Denn er führt ein ganzes Korrcspondenzbureau, bei dem er verdammt auspaßen muß, um keine Dummheit zu begehen. Er hat für Varianten in Schreib maschinen, für Varianten in Farbbändern zu sorgen, muß selbst sie katalogisieren, um einem Irrtum vor zubeugen, der alles aufdecken könnte. Er erfindet Verkäufer, Käufer, Schachtmeister, Unterbeamte, Sta tisten, die eine krakelige Handschrift haben und die Solidität geschäftsmännischen Verfahrens verbürgen müßen. Cr muß sich hundert Sorten Briefpapiere ausdenken. Er muß hundert Firmennamen er- inden, die nichts Abenteuerliches an ihrem Namen ragen, so daß man stutzen könnte. Er darf in dem Hotelzimmer am Anhatter Bahnhof, das sein Korre pondcnzbureau, sein Schreibmaschinen-Farvbänder. und Briefpavierlager ist, nicht nervös sein. Nervös darf er höchstens bei seiner Arbeit im Hause feiner Firma sein. Dort toleriert man die Nervosität, denn man weiß: der Mann hat mehr vielleicht zu arbeiten als alle. . . . Zu dieser Riesenarbeit die Arbeit des Filia! leiters eines grogen Hauses. Sie spannt selbst Befähigte so tüchtig ein, daß für Nebenbeschäftigung kaum Zeil, noch Neigung bleibt. Aber Fritz Kluge sibafft's. Und schafft noch mehr. Er rechnet Ge- winnchancen aus. Er unternimmt Spielreisen. All das geht durch diesen Kopf, ohne ein Tobuwabohu zu schaffen. Im Geschäft ist er so tüchtig, daß er nicht bloß nervös fein, daß er sogar arrogant fein darf. Vielleicht ist auch das Berechnung: der Chef denkt. Klempner, Bauschlosser, Steinmetzen, Bautischler, Sand- und Mörtelarbeiter usw. betroffen werden, muß naturgemäß für unsere Stadt in wirtschaftlicher Beziehung von einschneidender Bedeutung sein. Diese annähernd 20 000 A r b e i t e r, die vom kommen den Freitag an arbeitslos sein werden, spielen selbst verständlich auch in dem gesamten Konsum eine wesentliche Nolle. Es ist weiterhin in Betracht zu ziehen, daß in erster Linie auch das Bauwesen Leip zigs durch diesen Riesenkampf äußerst start in Mit leidenschaft gezogen werden wird. Die Bauten der Baugenoßenschaft der Gartenstadtgesellschast Quas- nitz, ebenso die Vauarbeiten in Lößnig und vor allen Dingen am Hauptbahnhos müßen da durch selbstverständlich vorläufig liegen bleiben Denn wenn auch jedes Baugeschäft einen gewißen Stamm unorganisierte Arbeiter aufzuweisen hat, G ist doch mit einer so kleinen Zahl von Arbeitern nicht an die Wetterführung der im Betrieb befindlichen Bauten zu denken. Auf diese Weise muß sich natür lich die Kalamität multiplizieren. Die Ursachen des Kampfes nochmals anzugeben, ist nicht mehr nötig; es ist darüber schon das Nötige an dieser Stelle gesagt worden. Ebenso würde es ohne praktischen Wert sein, Vermutungen anzustellen über die Aussichten der kämpfenden Parteien. Es soll in dieser Beziehung nur erwähnt sein, daß die in Frage kommenden Pauarbeiter für die ersten 14 Tage des Kampfes, wie man hört, auf die Streikunter stützung verzichten wollen. Die Bauaeschäste haben ihrerseits die Entschädigungsgesellschaft des Ver bandes Sächsischer Industrieller. Den Mitgliedern dieses Verbandes wird nach 90tägiger Mitgliedschaft für jeden Arbeiter und jeden Tag des Streiks 5 ,4t vergütet. In der Versammlung im „Siebenmännerhaus" wurde auch die Frage ventiliert, ob es nicht möglich sein dürfte, noch rn Verhandlungen ern- zutreten. Man nahm davon jedoch vorläufig Abstand, weil man sich nach der Lage der Sache keinen praktischen Wert von solchen Verhandlungen versprach. Nachdem am vorigen Sonnabend den Mitgliedern des Bauarbeitqeberverbandes bereits mitgeteilt worden war, daß vom Freitag den 15. April an sämt liche Geschäfte den Betrieb einzustellen haben, wird in den nächsten Tagen ein offizieller An schlag über die Sperre an sämtlichen in Leipzig in Frage kommenden Bauten erlaßen werden.
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