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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.04.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100407016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910040701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910040701
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
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Jahr
1910
-
Monat
1910-04
- Tag 1910-04-07
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Monat
1910-04
-
Jahr
1910
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-U SS. 104. Jahrgang. Regierungskommission wird man „voraussichtlich um die Errichtung besonderer Vcrsicherungsämter nicht herumkommen". und demzufolge sei auch die An stellung einer Anzahl neuer Beamter nicht zu ver meiden, selbst wenn man, wie die Regierung beab sichtige, die Versicherungsämter an die unteren Ver waltungsstellen angliedern und im Rebenamte ver walten lassen wolle. Ebenso dürste die Tätigkeit ein zelner A m t s h a u p t l e u t c bei Einteilung der Wahlkreise in Wahlbezirke, Ausstellung der Wähler listen usw. noch im Plenum scharf beleuchtet werden, so daß man sich ans eine ausgedehnte Debatte schon jetzt gefaßt machen kann. Daß sie durchweg für die Regierung erfreulich sein wird, möchten wir stark be zweifeln. » Hilfe aus Sachsen. Für die von Schmoller leise getadelten, aber doch auch leider gelobten preussischen Junker legt in der „Krcuzztg." ein sächsischer Par lamentarier eine recht stumpfe Lanze ein. Aus seiner anmutigen Verteidigung des Junkertums wollen wir hier nur drei Sätze zitieren, die zur Charakteristik seiner Apologie vollauf genügen: „Der hochangescbene Gelehrte ahnt kaum, wie er dem n a t i o n a l c n A n s e h c n d e s R e i ch e s durch seine Polemik schadet (sic!); sicherlich beabsichtigt er das nicht, aber auch große Gelehrte irren einmal." Und am Echlusi hcissi es: „Keine deutsche Verwaltung kann den ritter lichen Geist der Selbstzucht (val. Olden burg, d. Red.) und Aufopferung (vgl. Erb schaftssteuer. d. Red.) für das Vaterland entbehren, den die allergrösste Mehrzahl des preussischen Junkertums seit Jahrhunderten bewiesen hat. Das Geheimnis, alles zu durchschauen, wird nicht in den Hörsälcn der Universität allein erlangt, sondern die kräftige Lust Ostelbiens (!) gehört wie eine wahre Schutzpolitik für Industrie, Ge werbe und Landwirtschaft zu den Lebcnsbcdingun- gen des Reiches und seiner gedeihlichen Zukunft." Diese eigentümliche Verteidigung der preussischen Junker durch einen sächsischen Konservativen beweist, baß ein großer Teil der sächsischen Konservativen ihren preußischen Gesinnungsgenossen doch nicht so sern stehen, wie sie sich als „Volks"-Konservative immer den Anschein geben; und deshalb wollen wir uns diese sonderbare Charakteristik merken. * Der Staatssetretär des Auswärtigen Amts, Freiherr von Schoen, hat nach der Rüctkehr des Reichskanzlers einen kurzen Erholungsurlaub nach dem Süden angetreten. * Nochmals dementiert. Gegenüber der Anzweif lung des Dementis betreffend eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Korrespondenten Goldstein der „Rußtoje Slowo" in Rom stellt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" erneut fest, das; der Reichs kanzler weder mit Goldstein noch mit anderen Herren der Presse politische Gespräche geführt hat. * Bismarck-Nationaldenkmal. Die Geschäftsstelle zur Errichtung eines Bismarck-Nationaldenkmals auf der Elisenhöhe teilt uns mit, daß der Kartellvcrband der katholischen deutschen Studentenverbindungen, an besten Spitze Amtsgericbtsrat Mündnich in Koblenz steht, auf Antrag der „Guestfalia" in Tübingen fol genden Beschluß gefaßt hat: „Die rcichsdcutschen Ver bindungen des Kartcllverbandes zeichnen für das Bismarck-Nationaldenkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück eine Summe von 5000 Auch der Rund der Landwirte hat vor kurzem den Betrag von '>00 .ll überwiesen. Denselben Betrag sandte zum 95. Geburtstag des eisernen Kanzlers mittels tele graphischer Anweisung der Vorsitzende des akademi schen Bezirksausschusses in Hamburg, Dr. v. Reiche. Fürst von Bülow, der Präsident des Großen Aus schusses zur Errichtung eines Bismarck-Nationaldenk mals auf der Elisenhöhe hat in einem Begleit schreiben zu einer Gabe von 500 die er Ende März von Rom aus überwies, u. a. folgendes ausgesprochen: „Ich betrachte es als eine Auszeichnung, an der Hul digung für meinen unsterblichen Amtsvorgänqer, unser aller Meister, teilzunehmen. Der Name Bis marck läßt jedes deutsche Herz höher schlagen. Ich bin überzeugt, daß Ihr Appell überall lebhaften Widerhall finden wird." Geh. Justizrat Dr. Porsch in Breslau, einer der stellvertretenden Präsidenten, hat 500 -it gezeichnet. » Die sogenannte Brüsseler Konferenz zur Re gelung der Erenzfrage von Mittelafrika schwebt Leipziger augenblicklich in der Luft. Die deutschen Dele gierten baden Brüssel vor Ostern verlassen und sind noch nicht wieder zurückgekehrt. Erft etwa in einer Woche dürfte die Abreise erfolgen. * Zur Privatbcamtenversicherung. Am 2. April sand im Reichstagsgebäude in Berlin eine Sitzung der Siebenerkommission des Hauptausschusses zur Herbeiführung einer staatlichen Pensions- und Hin terbliebenenversicherung für die Privatangestellten statt. An der Beratung nahmen als Vertreter des Reichsamtes des Innern die Geh. Oberregierungs räte Koch und Dr. Beckmann teil, die die Erklä rung abgaben, daß ein entsprechender Gesetz entwurf gegenwärtig von der Negierung ausge- arbeitct werde. Die Vorarbeiten sollen derart ge fördert werden, daß der Gesctzcntwnrs tunlichst i m kommenden Herbste dem Reichstage vorgclegt werden kann. Der Siebenerausschuß nahm diese Erklärungen mit Genugtuung entgegen und beschloß gleichzeitig, einer an ihn ergangenen Einladung Folge zu leisten, wonach am 9. April im Reichsamte des Innern eine Besprechung über die Ausgestaltung der Pensionsversicherung mit Vertre tern aller Richtungen stattsinden soll. Tie Ausarbei tung des Gesetzentwurfes wird nach den Mitteilun gen der Vertreter des Reichsamtes des Innern auf der Grundlage der zweiten Denkschrift erfolgen. * Rektifizierte Landräte. Die „Natl. Korr." schreibt: „Unterm 14 März war Herr Abg. Dr. Fried berg auf Grund ihm gewordener Mitteilungen beim Herrn Minister des Innern vorstellig geworden wegen der eigenartigen Begleiterscheinungen, welche bei Aus legung und Einsichtnahme der Wählerlisten im Wahlkreise Oletzko-Lyck-Iohannisburg zu tage getreten waren. Diese Vorstellung hatte sodann wenige Tage später durch eine Beschwerde des Gene ralsekretärs der nationalliberalen Partei, Herrn Breithaupt, eine Ergänzung erfahren, die sich gegen die Verfügung des Landratsamtes Iohannisburg vom 18. März richtete, „daß die Wählerlisten nur zur Einsichtnahme, nicht aber zur Abschriftnahme auslägen". Den beiden Beschwerdeführern ist nun mehr bekanntgegeben worden, daß das Ministerium des Innern die unliebsamen Vorkomm nisse bei der Ersatzwahl in Oletzko-Lyck-Iohannis- burg gelegentlich der Auslegung der Wählerlisten nichtzu billigen vermöge, daß die betreffenden Landratsämter entsprechend angewiesen worden wären, und daß das Landratsamt Iohan nisburg wegen seiner mit den Gepflogenheiten im ganzen Deutschen Reiche im Widerspruch stehenden Entscheidung zur Rechenschaft gezogen sei. — Alles schön und gut, nur reichlich zu spät. Denn die Wählerlisten haben vom 18. bis inkl. 21. März aus gelegen. und die nationallibcrale Partei würde heute, trotz Eingreifens des Ministeriums des Innern, das Nachsehen gehabt haben, wenn cs ihr nicht recht zeitig, gegen den Willen des Landralsamtes Iohan nisburg, gelungen wäre, die wahlberechtigten In sassen jenes Amtsbezirks fcstzustellen." * Zur preußischen Wahlrechtsreform. In einer öffentlichen Versammlung der nationalliberalen Partei in Wiesbaden, in der auch Regierungspräsident Dr. von Meister anwesend war, wurde in einer Resolution die Erwartung ausgesprochen, daß die nationalliberale Fraktion nur einer solchen Wahl rechtsreform zustimmen möge, in der den Forderungen der Partei: direkte und geheime Wahl und zeitgemäße Aenderung der Wahlkreise, Rechnung ge tragen wird. * Ein schlechter Aprilscherz. Die Nachricht, daß Abg. v. Dziembowski sein Mandat niedergelegt habe, bezeichnet die polnische Presse als einen Aprilscherz des „Dziennik Bydgoski". * Luftschifshafen Königsberg. Nachdem die deutsche Westgrenze mit lenkbaren Luftschiffen und mit Stationen für diese versehen ist, soll auch die Ost grenze in gleicher Weise gesichert werden. Zu diesem Zwecke ist der Erbauer des Kölner Militärluftschiff hafens, Regicrungsbaurat Milatz, nach Kö nigsberg beordert worden, um dort die Vorbe reitungen für den Bau des dortigen Militärluft- schiffhäfens vorzunehmen. * Die Polizei in Bremen warnt. In einer poli zeilichen Bekanntmachung wird aus Anlaß der jüng sten Vorgänge darauf hingewicsen, daß nach 8 7 des Reichsvereinsgesetzes auch öffentliche Versamm lungen unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffent lichen Straßen und Plätzen zum Zwecke von Demon strationen ohne polizeiliche Genehmigung unstatthaft Tageblatt. seien, und daß bei Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften die Polizeibeamten angewiesen seien, auf das nachdrücklichste einzuschreiten. Unbeteiligten werde anheimgegeben, derartigen Veranstaltungen fernzubleiben. * Die Wahlrechtssrage im Herzogtum Anhalt. Der anhaltische Landtag nahm am Dienstag zu den eingebrachten Wahlrechtsanträgen Stellung. Staate. Minister Laue erklärte, daß die Regierung ein sach liches und dringendes Bedürfnis zu einer ander- . weitigen Regelung des anhaltischen Landtagswnhl- rechtes nicht anerkennen könne. Gleichwohl erkläre sich die Staatsregierung bereit, eine Prüfung der Frage vorzunehmen, ob und inwieweit die während der letzten Jahrzehnte in den öffentlichen Verhältnissen des Staats eingetretenen Verände rungen einen Anlaß bieten, die einschlägigen landes rechtlichen Bestimmungen einer Revision zu unter ziehen. Das Ergebnis dieser Erwägungen werde dem Landtag erst nach Abschluß eingehender Vor- arbeiten, jedoch noch vor Schluß der gegenwärtigen Wahlperiode zngehen. In namentlicher Abstrm- mung wurde der freisinnige Antrag auf Einführung des direkten Wahlrechts in den Städten mit 19 gegen 17 Stimmen angenommen. Dafür stimmten die Nationalliberalen, die Frei sinnigen und der Sozialdemokrat, dagegen die Kon servativen. Alle übrigen Anträge wurden mit mehr oder weniger Majorität abgelehnt. * Der Kommandeur der Schutztruppe von Siid- wcstafrika, Oberst von Estorfs, wiro Ende d. M. die Heimreise nach Deutschland antreten und in das Schutzgebiet nicht wieder zurückkehren. Oberst von Estorfs, der zu unseren bekanntesten, ver dientesten und beliebtesten Siidwestafrikanern gehört, dürste nach einem längeren Erholungsurlaub in die Armee zurücktreten. Luslanü. Oelterreich-Ungsrn. * Zur Kassation Les Urteils im Agramer Hoch- verratsprozcß. In der Begründung der Kassation des Urteils im Agramer Hochverratsprozeß wird ausgesührt, daß der Beweis für das Vorlieaen hochverräterischer Umtriebe und Aufreizung zum Auf stand bei den einzelnen Angeklagten nicht in einer zeden Zweifel aus'chließenden Weise geführt worden ist, und daß bezüglich der Tatsachen, die die Glaub würdigkeit der Belastungszeugen erschüttern konnten, den Anträgen der Verteidiger nicht stattaegeben wor den sei. (Der Agramer Hochverratsprozeg richtete sich bekanntlich gegen eine Anzahl großserbischer Agitato ren usw. Von den 52 Angeklagten wurden am 5. Ok tober 1909 zwei zu 12 Jahren schweren Kerkers und einige zu 2—7 Jahren Gefängnis verurteilt. 18 An geklagte waren sreigesprochen worden.) Aankreich. * Marinedcbatte im Senat. Bei der Beratung des Gesetzentwurfes, durch den die Regierung ermächtigt wird, in diesem Jahre zwei Panzerschiffe auf Stapel zu legen, führte im Senat Destournelles de Con stant aus, es sei nicht weise, sich in eine Operation einzulassen, die das Budget noch weiter belasten würde, ohne daß man die Gewißheit habe, daß sie gebrachten Opfer nützlicher seien als die seit 40 Jahren verausgabten Milliarden. Der Marine minister erwiderte, es handle sich gegenwärtig nicht um das Flottcnprogramm, es handle sich augen blicklich darum, der Marine die Mittel zu geben für den Ersatz der beiden ältesten Panzerschiffe. Frankreich habe nur 16 Panzerschiffe, von denen 9 ver altet seien. Das genüge nicht für die Sicherheit des Landes. In Wirklichkeit müßten nicht zwei, sondern drei oder vier Panzerschiffe gefordert werden. (Bei fall.) Die Regierung verfolge keine ehrgeizigen Ab sichten, es handle sich nur darum, nicht noch'weiter zurückzukommen. Er teile nicht die Meinung Destournelles de Constants, der nicht an dieGesahr einer feindlichen Landung glaube. Eine solche sei in Frankreich sehr wohl möglich. Ein Feind, der Ort und Heit vorsichtig wähle, könne in 24 Stunden eine Division landen. Unter diesem Vorbehalt sei die Gefahr gewiß und derjenige sei schlecht beraten, der sich ausschließlich auf Land truppen verlaßen zu können glaube, die eine solche Landung unmöglich machen sollten. (Beifall.) Im Donnerstag, 7. April 1910. Namen der Finanzkommission ersuchte Monis, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Die geplanten Schiffe seien beinahe allen ausländischen überlegen. Nach dem dann noch Flaissiöres den Wunsch aus gesprochen hatte, Frankreich möge mit der Abrüstung anfangen, wurde der Gesetzentwurf einstimmig an genommen. — Dem „Mann" zufolge teilte der Marineminister entsprechend seiner im Parlament ab gegebenen Erklärung mit, daß er den vollen Ersatz der Torpedoboote durch U n t e r s e e b o o - e bis zum Jahre 1923 voraussehe. Es sollen deshalb zu Lande keine Schuppen für die Unterseeboote mehr er richtet werden, die allmählich die für die Torpedo boote bestimmten Räume erhalten sollen. * Die Forderungen der Seeleute. Während der Unterstaatssekretär der Marine Chöron am Diens tagabend an Bord der „Russie" und „Liamone" und späterhin an Bord des „Charles Roux" und „Eugene- Pierre" die nicht im Ausstand befindlichen Seeleute zum Ausharren ermutigte, beschlossen die Strei kenden in ihrer Versammlung rm Arbeiterhaus dieFortsetzungdes Streiks, bis 1) die In haftierten freigelaßen sind, 2) die Klagen der ver schiedenen Kapitäne gegen ihre meuternden und strei kenden Seeleute zurückgezogen sind, 3) die Schuf- fahrtsgesellschaften die arabischen Seeleute und Hei zer entlaßen haben. — Die Heizer von Marseille haben ihren Eewerkschastsverbcrnd zur Erklärung des Sympathiestreiks in sämilicbcn französischen Häfen aufgefordert. — Nus Dünkirchen wird gemeldet, daß die dortigen Seeleute sich vorbercitcn. aus Solidari tät mit ihren Marseiller Kameraden den Au-nnnd zu proklamieren. Gnglanü. * Ein neuer Erfolg des Ministeriums Asquith. Im Unterhause brachte Asquith am Dienstag die sog. Gnillotineresolution ein, die dre Debatte über die Vetoresolutionen auf fünf Tage beschränkt, und kündigte an, daß nach Annahme der Vetoresolutionen eine aus ihnen bc ruhende Dill eingebracht werden würde. Die Oppo sition drängle ihn. zu erklären, ob die Rill durch alle Stadien im Unterhause gebracht werden sollte, worauf Asquith erwiderte, inan dürfe nicht annehmcn, d< g die Regierung die Bill unter allen Umständen durch alle Stadien bringen wolle, ohne Rücksicht daraus, was sich etwa ereignen könnte. Er wiederholte dann seine frühere Erklärung, daß die Regierung nicki beabsichtige, Sand zu pflügen, und daß sie die Reso lutionen den Lords über weisen wolle. Dec Sprecher der Opposition beklagte sich darüber, daß die Regierung die sog. Guillotine damit rechtfertige, die Resolutionen wären nur etwas Vorläufiges, daß iic die Resolutionen aber den Lords so unterbreiten wolle, als ob sie die fest bestimmte Meinung des Unterhauses darstellten. Asquith kündigte ferner an., daß die Regierung am 18. April eine Guillotine resolution bezüglich des Budgets vom letzten Jahre vorschlagen werde, und daß sie dann mit einem zweiten Budgetprovisorium fortfayrcn werde. Er hoffe, daß das Haus sich später zu Früh jahrsserien werde vertagen können. Schließlich wurde die Gnillotineresolution mit 217 gegen 133 Stimmen angenommen. — Die letzte Ankündigung Asquiths scheint anzudeuten, daß die Krisis nicht vor Ende Mai oder Anfang Juni eintreten wird. Rutzlsnü. * Neue Anklagen gegen den General Stößel. Eia Petersburger Prirmttelegramm meldet uns: Die Sc natsrevision der Rechnungen des russrsch- japanischen Krieges ergab neue schwer» I n - s ch u l d i g u n g e n gegen den General Stössel und L2 andere aktive Generale im russisch-japanischen Kriege. Die Senatskommission beschloß, die Akten dem Ministerium zu weiteren Maßnahmen gegen die beschuldigten Generale zu überstellen. * Das Nekrutenkontingent für 1910. Die Duma kommission für die Reichsverteidigung nahm den Ge setzentwurf über das mit 456 535 Mann festgestellte Nekrutenkontingent für 1910 an. Griechenlanü. * Die militärische Lage ist nach einem uns zu gehenden Athener Privattelegramm in einem schnellen Umschwung begriffen. Der neue Oberbefehlshaber der Armee, General Smolenski, hat einen Armeeerlaß ausgegeben, der die Bil- I^Zglivk sisigsnil« Rdonnsnivnrsk Der Stuüent miü öle Kunst. Von Joseph Ang. Lux. Die Studentenschaft einer mitteldeutschen Univer sitätsstadt wendete sich an mich, sie möchte eine Ein führung über „Die Kunst im Leben des Studenten" von mir haben. Ich tue es gern, und möchte es gleich auch für die andern tun. Aber Ich weiß nicht, ob ich da helfen kann. Ich weiß zu wenig von den akademischen Herrlichkeiten, von den akademischen Nöten. Ich war nie Student. Studierender bin ich heute noch. „Die Kunst im Leben des Studenten". Wenn ich's bedenke, so packt mich schon wieder der Zweifel, der verläßlichste Hüter meines Glaubens. Und er sagt mir: So etwas gibt's nicht! Gibt cs ebensowenig wie „Die Kunst im Leben des Kindes" oder wie die Kunst im Leben des Bauern, des Ad vokaten, des Richters, des Arztes, des Soldaten, des Fabrikanten usw. usw. Zwar hat unter dem Schlag wort „Studentenkunst" vor kurzem eine Bewegung von sich reden gemacht, die darauf hinauslief, die Bierkrügel, die Korpsabzeichcn, die Versammlungs lokale ein bißchen a la inoci« zurechtzumachcn. Es ist gut, wenn cs geschieht. Denn manchmal sind diese Dinge wirklich schauderhaft. Vor einiger Zeit sprach ich in einer deutschen Kunststadt vor den Studenten üoer Kunst. Und meine liebe Zuhörerschaft — die liebste, die ich kenne — war begeistert von all den be sprochenen schönen Dingen und batte nicht bemerkt, daß wir an schmutzigen Tischen saßen, mit schmutzi gen Servietten, rostigen Gabeln und Messern, und minderwertiges Essen und Trinken hatten. Der Geist schwelgte in Schönheit und sah dies nicht. Wie ist das möglich? Es ist doch möglich. Ich halte seit dem keinen Vortrag mehr, wenn ich nicht vorher die Gewißheit empfange, daß der Raum unserer inneren Verfassung entsprechen wird. Vielleicht wirkt das stärker als alle Wort«. Aber, wenn die Bude hergerichtet ist, wie es die „Studentenkunst" verlangt, wenn wir in einem feierlichen Saal, beim Scyein festlicher Kerzen sitzen, in amerikanischen Klubfauteuils, vor kunstgewerb lichen Bierkrügeln, sind wir dann wirklich der Kunst auch nur um einen Schritt nähergerückt? Oder ist überhaupt der anständige Sessel, auf dem wir sitzen, da» anständige Gerät, die vernünftige Form der Zei chen und Gegenstände, ist all dieses Zeitgemäße Um und Auf dann noch „Studentenkunft"? Ist es denn überhaupt Kunst? wenn man fragen darf. Steht der sogenannte Kulturmensch oder Eeschmacksmensch der Kunst wirklich innerlich näher? In einer kleinen Universitätsstadt, wo man es mit der „Studenten kunst" sehr genau nahm, sah ich die Studentenschaft, wie sie um Mitternacht mit den Biertöpfen in der Hand über den Marktplatz zog, Katzenmusik machte und Kcschäftsschilder vertauschte, wie es vielleicht noch vor 150 Jahren zu den akademischen Gebräuchen gehörte. Und während in dem alten, kleinen Städt chen die Romantik wucherte, die Romantik des Ver- alternden, Zerbröckelnden, des Kranken und nicht mehr Lebensfähigen, ging rundherum in der Welt die große stille Geschickte mit ihren unerhörten Wun dern vor sich. Man sah es nicht, man hatte zuviel mit den Bierkrügeln, mit den Firmenschildern, mit dem geärgerten Bürgersmann und mit den Katzen musiken zu tun. Aber dafür hatte man die „Stu dentenkunst". Man war der Kunst näher. Oder man wähnte es. In Holland war ich Zeuge von den Lustrumfesten, die von den Universitäten unter Auf wendung großer Mittel mit historischen Umzügen, römischen Wagenrennen und ähnlichen geschichtlichen Maskeraden gefeiert werden. Die römischen Triumphwagen waren, in der Nähe besehen, ein gar jämmerlicher Theatereffekt, die Kostüme waren in Farbe, in Stoff und Schnitt kläglich vergriffen, die Stirnreifen waren dünnes Messing und die Locken, die von ihnen zusammengehalten waren, bestanden aus Werg, vom Periickenmacher geliefert. Man wollte ein historisch getreues Abbild liefern und zeigen, daß man Geschichte verstand. Warum nicht? Man hatte ja auch Kunstgeschichte studiert. Ich dachte daran, was mit diesen Mitteln hätte werden können, wenn man statt bloß Geschichte wirklich Kunst beseßen hätte, statt Vergangenheit Gegenwart. Wieder sah ich Studentenschaften, die sagten, das enge Fachstudium auf der Universität genügt uns nicht, die Welt hat einen schnellen Gang, es ist die Zeit der großen Geschickte wieder da, wir müßen uns selbst umtun und die Lücken füllen, die das Wißen offen läßt. Wir müßen reisen. Länder und Städte sehen, die Heimat und darüber hinaus, fremde Men schen und fremde Sitten, die Arbeitsstätten und die Museen, die neue Kunst neben der alten, den großen Werdegang und den unerbittlichen Kampf, von dem diese Dinge der Ausdruck sind Alles, was ich sage, ist sehr unakademisch. Ich glaube immer weniger imstande zu sein, jemandem einc Anweisung, ein Rezept geben zu können, wie man kunstverständig wird, etwa in der berühmten Formel „Wie werde ich Millionär" oder „Wie er lange ich rite die Doktorwürde" oder „Wie bekomme ich einen schönen Vollbart". Einmal habe ich ja selbst daran geglaubt, daß es mit Doktrinen zu erreichen sei. Da schien alles leicht und einfach. Ich dekretierte: Du brauchst nur mit der Streichholzbüchse anzufangen, wenn die kkdellos ist, dann wirst du als bald deine Wohnung, dein Haus, deine Seele, deinen Kunstsinn mit dieser tadellosen Streichholzbüchse in Uebereinstimmung setzen. Es gibt heute viele, die nach dieser Methode lehren und mit einem Streich holz die Kunst suchen. Ich habe aber nicht gefunden, daß es, seitdem so viele ihr Streichholz angezündet haben, Heller geworden ist. Am besten scheint es mir noch, wenn jemand einen Nutzen davon haben soll, man beschränkt sich auf das, was man persönlich er fahren hat. Alle Kunst ist persönliche Angelegenheit und inneres Erlebnis, sowohl für den Schaffenden als für den Genießenden. Ich verkenne nicht den Wert der Bücher, ich habe selbst etliche geschrieben, vor denen ich nicht unbedingt warnen will. Die Erfahrung aber, die fruchtbarer ist, als das Wißen, muß sich doch jeder im Leben selber holen. Die Gegenwart steht uns näher als die Vergangenheit, das heutige Geschehen ist wichtige, als die große Ge schichte. Denn alle Geschichte, wenn sie überhaupt einen Sinn hckt, ist aus irgendeinem lebendigen Tag heraus geboren, und alles Vergangene können wir mit keinem besseren Maßstab meßen, als mit dem, den uns die eigene Gegenwart liefert. Die Heiligen, zu denen wir äufblicken, waren einst Ketzer, und die Helden von heute werden die Heroen von morgen sein. Nie ist mir die Gotik so klar geworden, als seit ich die modernen Eisenkonstruktionen, die Maschinen hallen und die Riesenbabnhöfe betrachte, und die Renaissance erlebe ick in den naturwissenschaftlichen und technischen Erfindungen von heute und in den Leonardo da Vincis der Gegenwart. Die Argonauten und die homerischen Helden waren nicht größer als Blpriot und Zeppelin; täglich wird ein goldenes Vlies erobert, täglich ein Amerika entdeckt. Die römische Geschichte mit ihrer Weltreichbegründung entsteht vor unseren Augen; nur ist das Weltreich der Römer von heute das anglo-germanische Welt reich. Den Alexanderzug unternimmt Cecil Rhodes; cs handelt sich nicht um Vie Schätze Indiens, sondern um die Diamanten Afrikas, aber es lebt derselbe Rubmessinn, der der Weltkarte ein anderes Antlitz gibt. Auch uns wird das Geschenk einer klassischen Kunst, wie es den Römern ward und wie es die Renaißancekultur empfing; aber das Hellas von heute ist Japan. Aehnlich ergeht es mir auch mit der alten Kunst. Ich verstehe Signorelli, weil ich Hodler ver stehe. Ich verstehe Byzanz, Giotto, beato fra Angelico, weil ich Klimt verstehe. Ich verstehe die steingewor denen Cauchemars der Künstler von N5tre-Dame, weil ich die kunstgewordene, naturwissenschaftliche Spukwelt unseres Obrist verstehe. Ich verstehe die innere Not, das tragische Moment der Künstler aller Zeiten, weil ich die Tragödie unserer Werkstätten und Ateliers kenne, das verzweifelte und nicht immer sieg hafte Ringen mit der Technik, mit dem Stoff, mit der Seele, mit dem Problem. Und weil ich dieses Geheimnis des lebendigen Schaffens kenne, so glaube ich von den alten Werken etwas mehr zu kennen, als das Bruchstück der äußeren Form. Das ist das durch aus Unakademifche meiner Erfahrung. Das mag ein Fingerzeig sein, ist aber gewiß keine Vorschrift. Andere mögen sich anders erleben. So lautet mein Sprüchlein. Es wird immer kleiner. Der Kunst gegenüber sind wir Autodidakten. Viel leicht auch in allem wesentlichen, das uns wirklich innerlich gehört. Was andere für uns tun können, ist verhältnismäßig wenig; das meiste und ent scheidende müßen wir selbst für uns tun. Es läßt sich nicht auf eine allgemeine Formel bringen, so wenig, wie sich die notwendigen und fruchtbaren Wider sprüche des Lebens und der Entwicklung auf einen Lehrsatz bringen laßen. Negativ läßt es sich vielleicht so ausorücken: Wer sich mit Vergangenheit drcwiert, erlebt es nicht, weder die Vergangenheit noch die Gegenwart. Ich sehe junge Akademiker, die im Kostüm des Walter Stoltzing einherschreiten, oder ich die Haare lang wachsen laßen, um Raphael ähn- ich zu werden. Aber sie werden niemals Raphael ein, am wenigsten die Raphaels unserer Zeit. In >er Kunst entscheidet nicht das Dagewesene, sondern die Originalität. Nicht das Typische, sondern das Persönliche. Wir bewundern die Renaissance, vor- ^iglich deshalb, weil sie der Persönlichkeit so großen Spielraum gab. Aber wir vergeßen, daß, wie in ollen großen Zeiten, die Persönlichkeit nie höher im Kurs stand als heutzutage, trotz Heilsarmee. Mili tarismus, Sozialdemokratie. Was die Welt am dringendsten bedarf, ist Einzigkeit des Persönlichen.
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