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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.09.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190909070
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090907
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090907
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-09
- Tag 1909-09-07
-
Monat
1909-09
-
Jahr
1909
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s. Beilage Dienstag, 7. September 1SVS. Leipziger Tageblatt. Nr. 248. 1V3. Jahrgang. Die Frau im Arankenstnyl. Von Norbert Jacques, Salenstein a. Bodensee. Als ich den Bahnhof von Lemwig verlieh, sah ich, daß er mit einigen neuen Gebäuden auf der Hohe einer Löschung lag und daß sich der eigentliche Ort drunten am Lymsjord befinden müßte. Die Rich- rung zu finden war nicht schwer; es gtng nur eine Straße vom Bahnhof auS auf die Kante der Böschung zu, hinter der einige Dächer herauf, ichamen. (Lin paar Neubauten standen, unzusammenhängend noch, rechts und links vom Weg, in dem die Schar der mit dem Zuge An gekommenen eine Staubwolke auftrieb. Ich blieb zögernd langsam etwas zurück, und als ich an die Ecke kam, hatte sich die Mcnschengruppe schon in den Treppenwccj versenkt, der zum Städtchen hinabsührte. Eine Hecke, in der junggrünc Blättchen im Winde spielten, umzog an dieser Stelle einen Rasenplatz. Ein hagerer weißer Wegweiser stand gerade an der Umbiegung aus der Hecke heraus. Aber als ich mich vor ihm aufstellen wollte, um ihn abzulescn, ge wahrte ich dicht neben mir eine junge Frau in einem Krankenstuhl. Meine Blicke glitten an ihrem grauen, schlichten Kleid hinab; ich sah, daß sic die Beine übereinander geschlagen und die Hände ineinander geschmiegt auf dem hochstehenden Knie liegen hatte. Aber meine Blicke wurden fast unwillkürlich von ihren Augen cmporgczogcn. Diese Augen waren vor allem blau. Sic hatten die stille, unbewußte Bläue eines Blümleins. Sie bestimmten auch mit der weichen Zufriedenheit ihrer Blicke den Ausdruck des sonst lieblich bedeutungslosen, von flachgcglätteten blonden Haaren umbordcten Ge sichtes, bestimmten das Bild der ganzen Persönlichkeit dieser jungen, gelähmten Iran. Nun erst fiel mir auf, daß sie ganz allein in ihrem beräderten Krankcnstuhl an der Wegeckc saß, und ich schaute sic erstaunt an. Sie nickte mir einen Gruß recht freundlich ins Gesicht, und ich sah auch in ihren Augen wohl den Wunsch, ob ich nicht vielleicht einer sei, mit dem sich ein kleiner Plauder anstellen ließe. Aber sogleich übermannte mich die Peinlichkeit des Gefühls, daß sie eine traurige, jugendliche Kranke sei, der das Geschick den besten Teil geraubt — die Freiheit, sich zu bewegen. Und gerade ausschließlich in der Sorglosigkeit dieser Freiheit hatte ich die vergangenen Wochen in ziellosen Wanderungen, Bahn- und Schiffahrten gelebt. Deshalb wandle ich etwas erschreckt die Augen aus ihren freund- lich aufmuntcrnden Blicken und ging langsam, mit großer Aufmerksam keit aus das Städtchen hinabschauend, davon. Was war das für eine Frau, die da oben ganz allein in der Früh lingssonne in ihrem Krankcnstuhl an der Hecke saß und deren Zustand so merkwürdig mit der stillen und milden Zufriedenheit ihres Gesichtes stritt? Ein leises abenteuerliches Rätsel der Seele wuchs in meinem Innern aus einem kleinen Pflänzlein rasch zu einem Gebüsch auf, und das Gebüsch nimmt alle Gedanken in seinen weich dunkeln Schatten; wie es uns oft an fremden Orten mit fremden Menschen geht, die uns im. Vorbeigehen mit einer Seltsamkeit berührest Tas Städtchen, das ich dann durchzog, besaß nichts anderes,, als Vas 'ch in den letzten Wochen immer in den jütischen Nordsecbäfchen gesehen hatte. Es ließ meine Gedanken frei um das Geschöpf im Krankenstuhl und mit den blumcnblauen Augen wuchern, und zum Teil wohl in der Hoffnung, die Frau droben noch einmal zu sehen, entschloß ich mich, gleich wieder zum Bahnhof hinanfzugchcn, um noch vor der Nacht wieder wegznsahren. Bis zum nächsten Zuge war noch ein Stündlein Zeit, und ich kletterte langsam den breiten Trepvcnweg zwischen den Häusern hinan, indem ich mich darüber zu freuen begann, -daß ich so maßlos unabhängig war. Keiner konnte über meine Zeit gebieten. Ich konnte hier schlafen oder dort, in einem Hügel liegen oder.-Zaa Fahren, und hatte ich dazu kein Geld, so waren meine langen, starken Beine noch da. Die Frau saß noch an der Ecke in ihrem Krankcnstuhl, war noch immer ganz allein. Ich sah von weitem, daß ihre Augen zu mir herüberschautcn, näher gekommen, daß sic mich erwarteten. Dieser er wartende blaue Blick ließ etwas leise Faszinierendes in meine Be wegungen gleiten. Ich wollte eigentlich an der anderen Straßenecke vorbei und lenkte nun meine Schritte in die Mitte des Weges. „Hat Ihnen Lemwig nicht gefallen?" fragte ihre Stimme mit einem wohlig singenden Fallenlassen des Tones, wie ich es merk würdigerweise aus einem Städtchen meiner Heimat kannte. Ich empfand einen leisen Stich im Herzen, als ich so plötzlich an geredet wurde. Sie nickt einen lächelnden, freundlichen Gruß. Ich zog die Mühe und suchte die Worte der fremden Sprache zur Antwort her bei. Aber sie fuhr fort: „Und nun wollen Sie mit dem Zug von 6 Uhr 10 schon wieder vom schönen Lymfjord weg? Es tut mir leid, daß Lemwig Ihnen nicht gefällt!" „Auch mir tnt's unendlich leid!" sagte ich. „Auf der Landkarte lag es so versprechend, halb Nordsee, halb Fjord. . . . Aber Landkarten sind wie Photographien, und die Originale finden schließlich bei per sönlicher Berührung eine enttäuschte Liebe. Man wendet dann gerne doppelt schnell den Rücken!" „Wie Sie vorhin vom Zug kamen, sah ich gleich, daß Sie ein Fremder sind. Wie Sie auf das Städtchen hinuuterschauten zum Bei spiel, das sah so aus, als kämen Sie nur wegen des Städtchens . . . da habe ich mich sehr über Sie gefreut!" , - „So war cs ja auch! Aber diesen Ausdruck von .Heimatsliebe, wie jetzt bei Ihnen, hab' ich noch nie gefunden", entgegnete ich. Sie streifte mit einem zärtlichen Blick die Häuser, die sich mit kühler Phantasielosigkeit drunten zusammenscharten. Dahn fragte sie plötzlich: „Und was haben Sie eigentlich da auf dem Rücken?" „Das nennt man Rucksack bei uns. Es ist eine etwas primitive, aber um so bequemere Art eines Reisekolfers. Behindert einen sozu sagen gar nicht und enthält alles, was man braucht. Damit kann man Gegenden bereisen, in denen es weder Fuhrwerke noch Dienstmänner gibt. Man ist wie mit ihnen verheiratet. Ein großer Vorteil'" „Wenn Sie einen richtigen, schweren Koffer gehabt hätten, wären Sie sicher hier geblieben." „Das wird wohl so sein. Denn ich wäre dann der Sklave dieses Koffers gewesen und, moße Ihre Heimarsliebe es mir nicht Nachträgen, hätte es sich gelohnt? So wie Lemwig sah ich in der letzten Zeit ein paar jütische Oerter. Immer dasselbe, immer nur — Betriebsamkeit... nur . . .!" „Genügt das nicht?" fragte sie und schaute mich freundlich, aber bestimmt an. Diese Frage war ganz harmlos gestellt, doch ich errötete aus Scham, weil ich dachte, ich hätte durch die wegwerfende Art, über dieses Städtchen zu sprechen, sie daran erinnert, daß es der einzige Ort ist, den ihr der Krankenstuhl zugänglich macht. „Werden Sie jetzt nicht rot?" fragte sie mit stiller Lebhaftigkeit. „Ja, nicht wahr. Sie sehen ein, daß Sie etwas Unwahres gesagt haben? Das war auch undankbar, was Sic sagten! O. wenn Sie einmal er lebt hätten, was in solch einem Ort alles steckt, was sich alles darin ent wickelt, was ans Andeutung Leben wird. Ich bin in Lemwig zu Haus und ich sitze nun schon so oft hier an der Bahnhofsecke. Eigentlich schon etliche Jahre. Und hier geht unter meinen Augen alles Leben auf. Ich sehe drunten die Schiffe in den Hafen fahren und die Menschen vom Bahnhof herauskommen. Ich könnte diesen Platz nicht entbehren. Von hier auS hab ich mich in alles mit hineingeschlichen, was so einem Städtchen, das emporkommt, die Kraft zuführt. Abends lese ich oft zu Haus Bücher. Aber in keinem war noch so etwas geschildert, wie ich es in diesen Jahren von dieser Stelle ans mitgelebt habe. Und das ist so drollig und so rührend, wie ich hier die jungen Arbeiter aus der Gegend mit dem Zug zurückkommen sehe und wie ihre Schätzchen sie des Abends abholen kommen und wie dann bald die Schätzchen nicht mehr kommen, sondern zu Haus als Frauen das Abendmahl kochen; wie die Kinder kommen, langsam und doch schnell aufwachsen. Aus zwei Menschen werden sechs, und das Städtchen wächst mit ihnen. Auf dieses Abbolenkommen zum Zug kann ich dann fast alles zurückführen, waS im Ort wird. Das ist sozusagen die Grundformel, nach der alles geschieht. Daraus entstehen Arbeit, Wohlstand und die neuen Häuser und die neuen Kais im Hafen und die neuen Straßen hier oben, die drunten schon keinen Platz mehr finden. — Eigentlich möchte ich von dieser meiner Ecke mal ein Buch schreiben. Aber ich bin zu dumm dazu! . . . Feuilleton. Freundlichen Menschen schenkt die Natur schon bei der Geburt den Schlüssel zu anderer Herzen. Eduard 2)oung. . . . O, adieu, lieber Herr! Schnell, da kommt mein Mann mich holen, und der ist eifersüchtig!" sagte sie mit einem warmen Lachen und schaute in den Treppengang hinab, indem sie mir zugleich die Hand reichte. „Ihr Zug geht ja auch gleich. Vorhin schlug's drunten sechs!" * Tann fuhr ich in der schmalspurigen Dahn ivieder zurück. Der Abend zerschmolz alle Farben über dem Flachland zu der ungeheuren Einfachheit von Dunkel und Hell, und mit kalter Sehnsucht stand der starrblaue Himmel darüber. Flache, weiße Nebelkränze stiegen aus der Erde, umschlangen die Gruppen der kleinen Wälder und hoben sie wie dunkle Inseln einsam hoch. Der kleine Zug raste mit Stampfen und Schreien zwischen ihnen dahin. Ich dachte in seinem tobenden Prasseln an die gelähmte junge Frau, der ich vorrenommieren wollte, daß ein Koffer mir die Flügel lähmen würde. Und sie hatte mich dabei mit so einfältigem frommen Ernst angeschaut und hatte tote Beine, viel schwerer als alle Koffer der Welt, und besaß doch frohes Genießen im Herzen. Die Natur hatte ihr die Freiheit der Bewegungen genommen und gütig an ihrer Stelle dem Herzen die reiche, stille und genügsame Empfindsamkeit gegeben, das innige, fromme Erschauen, ohne die das Leben Laune und Zufall, Schaum und Vergehen ist. In ihren blauen Augen, nun weiß ich es, schaute die Güte, die sie erfahren hatte. So fuhr ich auf dem schwankenden Züglein einem unbekannten jütischen Nachtstädtchen zu und war mit erschauerndem Herzen Gott dankbar für dieses Erlebnis, in dem Demut und Reichtum — inniges Leben — mit so stiller Tiefe an den Weg des unbedachtsam genießen den Wanderers gelegt worden waren. HeMg-oninien. Bon Adolph Donath. TaS heißt Heiligtum. Und ist wirklich ein Heiligtuip. Prinz Ludwig von Bayern, der Bornholm im vergangenen Jahre besuchte, hat dieses Stückchen Erde den schönsten Punkt der Insel genannt, und der Besitzer von Helligdommen gibt stolz den Ausspruch des Fürsten wieder . . . Vor tausend Jahren schon sind die Dänen hierhergepilgert. Zur Hellig-Kilde, zur heiligen Quelle, die tief unten aus einem Spalt der mächtigen Klip pen hervorschießt, an die die tiefblauen Wellen der Ostsee herantanzen. Und die Hellig-Kilde hat diesem paradiesischen Fleckchen, das 250 Fuß über dem Meer und dicht an den Klippen den Duft der Rosen atmet, den Weichen Namen Helligdommen gegeben, Helligdommen . . . Ja, eben, im späten August noch blühen die Rosen hier, blühen bis in den Dezember hinein. Als erwachte der Frühling von neuem . . . Erst wenn die De zemberstürme von Rußland herüberkommen, beginnt es da kälter zu werden. Helligdommen ist die Sehnsucht dec Bornholm-Touristen. Schon auf dem Schiffe sprachen die Leute davon. Sagten: „Man muß cs gesehen haben." Ich aber sage euch: Hier muß man Wochen zugebracht haben, um alle Wunde: dieses stimmungsrcichen Naturpanoramas fassen zu kön nen. Immer sieht oich das Meer an, ob du die Täler durchschreitest oder die Waldwege gehst, die nach den mastigen Klippen führen. Immer sieht eS dich an, guckt zivischeu dir Aeste der Buchen, durch die Eichen und Linden, die mächtig emporstreben, und durch die breiten Ebereschen, deren rote Dolden malerisch abstechen von dem Grau und Gelb der Klippengebrlde. Und bis tief in die Felsen hinein verankern Eschen und Buchen ihre der- fistelten Wurzeln ... Wenn wir jetzt an den kühlenden Augustabenden auf der Veranda deS Helligdommen-Hotels sitzen — um die Veranda rankt der Pfeifenstrauch kokelt seine sattgrünen Herzblätter — denken wir oft an die Hundstags nöte der Berliner. Und wir sind eine ganze Menge Berliner hier. Beste Gesellschaft. Und sind wie eine Familie. Geheimräte, Bergwerks- und Bankdirektoren, Offiziere, Rechtsanwälte, Fabrikanten, Chemiker, Maler, Verleger, Sänger. Und wenn dann fernher von der Spitze der Insel die Feuer des Leuchtturms von Haminershus blinken, verschwinden allmählich die — Herren. „Wie in Berlin . . ." lagen die verlassenen Damen. „O diese Skat-Verschwörer", rufen die Empörten. Aber plötzlich verstummt selbst das leiseste Flüstern. Aus einer Ecke des Speisesalons ertönen Lieder aus Parsifal. Carl Lejdström, der Schwede, der in Deutschland lebt und der auch schon in Bayreuth gesungen, spendet uns Proben seiner starken Sangeskunst. Und bis in die späte Nacht wird gespielt und gesungen. Aber wir Find doch wieder am frühen Morgen an den Klippen draußen, hoch oben hinter Eschen und Buchen oder tief unten im BadchauS, das romantisch zwischen den Felsen steht, oder in der Felsenbucht bei den Schiffern, die uns bald rund um die Klippen fahren. Gern horcht man den wasterblau- äugigen Männern, wie sie — und alle sprechen gut deutsch — von der weißen Maus erzählen, die da auf dem Felsen haust, oder von der Riesen gans, die vor tausend Jahren dort in die dunkle Felsenrinne — Gänsr- rinne — fiel und versteinert wurde, oder von der schlanken, einsamen Lichtklippe, die ewig hinausleuchtet ins Meer . . . Nach Mitternacht aber legen die Schiffer — denn all? Schiffer sind Fischer hier — ihre rot braunen maschigen Netze aus. Und ihr Ertrag ist reich. In einer ein zigen Nacht fing kürzlich einer Tausende von Heringen, für die er drei- hundert dänische Kronen bekam . . . Helligdommen . . . Die Maler lieben es, lieben dieses „nordische Capri" mit seinen blauen Wassern, seinen wundersonnigen Klippen, sei nen dunkelschattigen Wäldrrn, seinen üppigen Wiesen und Feldern. Und immer im Sommer sind Maler hier, und eben erst haben Berlin und Düsseldorf manchen tüchtigen hcrgesandt. Sie müssen sich freilich, so sagen sie, beeilen, denn in zwei Jahren wird Helligdommen schon Bahn station sein. Denn in diesen zwei Jahren wird die Strecke vollendet werden, die die Hauptpunkte der Insel verbinden soll. Und dann wird man von Berlin aus via Swinemünde die Insel in neun Stunden er reichen können. Dies aber bedeutet trotz der Klage der Maler die Zu kunft von Bornholm und — Helligdommen. * * Clyde Fitch s. Der bekannte amerikanische Dramatiker William Clyde Fitch ist in Chalons für Marne an Blinddarmentzündung gestorben. Dem Leipziger Publikum ist Fitch durch das Lustspiel „Wahr- heit" bekannt geworden, das in der letzten Spielzeit im Schauspielhaus auf geführt wurde und einen sebr freundliche» Erfolg sand. Was dieses Stück aus- zeichnet: treffende Charakterzeichnung und Sinn sür gesunden Humor, das kennzeichnet auch die anderen dramatiichen Werke des fruchtbaren Amerikaners. Seit 1890 wurden nicht weniger als 56 seiner Lust- und Schauspiele aufgeführt. Fitch, der am 2. Mai 1865 in New Aork geboren war, befand sich unterwegs von Deutschland nach Paris, als ibn in ChalonS die tückische Krankheit befiel, die seinem Leben ein Ziel setzen sollte. * Ernst Hardt, der Autor des Dramas „Tantris der Narr", wird bei der Premiere seines Werkes am 14. d. M. in Leipzig anwesend sein und bereits am 10. d. M. zur Teilnahme an den letzten Proben eintreffen. * Klaus Groth als Zoologe. Klaus Groths „Quickborn" ist von dem vräciii'.cu Zeicnner Orto v veck ter weinerlich illustriert worden; die beiden verwandten „hervorstechend norddeutschen Naturen" des nieder- deutschen Lyrikers und des Hamburger Künstlers schlossen sich hier zu einem harmonischen, volkstümlich innigen Werke zusammen. Der „Quick- born" ist das einzige Werk geblieben, das Groth und Specktcr zusammen schufen. Aber der Dichter hat die ernsthafte Absicht gehegt, auch zu Speck- tcrs Tierzeichnungen einen Text zu schreiben und mit ihm gemeinsam ein Ticrbuch hcrauszugeben.^ lieber diesen Plan erfahren wir mancherlei in den Briefen Groths an Specktcr, die Rosa Schapirc in „lieber Land und Meer" veröffentlicht. Groth hatte sich bei seiner scharfen und eifrigen Beobachtung der Natur auch zoologische Kenntnisse erworben; als Lckul- lehrer hatte er Naturwissenschaften aller Art getrieben und durch den „Quickborn" erst seinen Dichterberuf entdeckt. Als ihn Specktcr in Tel- lingstädt zum erstenmal beiuchte, fand er ihn, der immer noch kränkelte nach den Anstrengungen, die ihm die Schöpfung des „Quickborn" be reitet, auf dem Bett liegend, eine lange, magere Gestalt. „Die Persön lichkeit der meisten Dichter , schrieb er an feine Frau, „die ich kennen gelernt, hat für mich nichts Ucbcreinstimmcndes mit ihren Gedichten gehabt und dadurch störend gewirkt. Bei Groth ist cs anders. Nach dem ich diesen einfachen, schlichten Holsteiner gesehen, der nur gedichtet, was er gesehen und erlebt, wo alles in jeder Beziehung wahr ist, sind mir seine Dichtungen noch viel lieber geworden, und diese Bescheidenheit solltest Du sehen und diesen Humor! Er ließ sich einmal hinreißen, uns einige Bauern vorzuspielen, so vortrefflich, daß Volperding cs nicht besser macht. Leider mußte Groth darüber selbst so lachen, daß er ganz erschöpft zurücksank und wir ihn verlassen mußten. Groth ist früher ein heiterer, ausgelassener Mensch gewesen. . . Ein echter deutscher Rammskopf mit schönen blonden Haaren und den schönsten sprechendsten blauen Augen, die ich gesehen, mit einem kindlichen Lächeln, wöbe, er seine schönen Zähne zeigt. Seinem Gesicht sah man nichts Krankhaftes an; eS war von Auf regung stark gerötet, die bei der Freude, mich zu sehen und mit mir über die Zeichnungen zu sprechen, noch gesteigert wurde." Groth setzte nun Specktcr in einem Briefe auseinander, mit welchen Augen er das Tier leven betrachtet. „Da gilt mir bloß die genaueste Beobachtung und in der Auffassung daS poetische Element. In der eigentlichen Naturkunde halte ich es mit der prosaischsten Untersuchung; ihr Zweck ist mir ein rein philosophischer, und wenn wir unsere Leser wirklich hier und da werden hineinblicken lasten, so sollen sie das ahnen und empfinden. Ich bin kein ganzer Laie in diesen Dingen." An einigen Beispielen erläutert Groth feine praktische Zoologie und die humorvolle Art, mit der er vom Tier leben erzählen wollte. „Mein Vater sitzt auf Dubenheide auf einer Kuhlenkante. Er verzehrt sein Butterbrot. Ein Frosch kommt aus seinem Loche eilig zwischen seinen Füßen heraus. Er denkt, was mag der Eiliges haben? Gleich kommt eine Schlange hinterher, er voran, sie ihm nach, verschlingt ihn. Mein Alter schneidet, mit dem Messer in der Hand, gleich einen Stock, spaltet ihn^ und sagend: „Warte, du sollst gleich deinen Lohn haben!" steckt er die Schlange dazwischen und wirft sie in ein Wasserloch, wo er Hechte hat. Ein Hecht taucht sogleich aus, faßt sie in Leibesmitte und fährt mit ihr ab. . ." „Ein Hauptkerl ist für mich der Kuckuck. Sie müßten ihn einmal im frühen Frühjahr auf Dubenheide studieren. Einsam rufend^ scheint er melancholisch: recht in seiner Hei mat, zwanzig bis dreißig Stück zusammen, gibt es kein wohligeres Bcast. Er lacht wie ein übermütiges Mädchen und kann vor Lachen nicht wieder zu Atem und ins Geschäft, das heißt seinen melancholischen Ruf kommen. Fliegend wird er von Ackermännchen und Grasmücken verfolgt, die dicht hinter ihm, oft den Schnabel in seinen Schweif steckend, fliegen. Wir sagten: sie puhlen ihm die Eier aus. Es ist gegründet, daß er in deren Nester legt. Ich habe einmal einen jungen Kuckuck im Nest gesehen. Für eine Kleinigkeit sucht ein Hölmer Junge Ihnen ein Nest. Einen halb erwachsenen Kuckuck sah ich auf einem Pfahl. Maul offen, die ganze Nach barschaft von Grasmücken und Ackermännchen kam, nicht bloß die Stief eltern, alle halb im Schrecken, halb im Staunen, trugen ihm Insekten zu, er verschlingt sie sdic Vögelchen werfen sie ihm ängstlich m den Rachens, dann sperrt er das Maul wieder auf. Es ist ein reizendes Bild des Natur,clt ns. * Cook und Swerdrup. Aus Kopenhagen wird uns gemeldet: Gestern fand eine Begegnung zwischen Cook und Swerdrup statt. Tie Begrüßung zwischen den beiden Nordpolforschern war sebr herzlich. Cook ging auf Swerdrup zu, ohne ein Wort zu sprechen, und beide Männer drückten sich lange die Hand und waren sebr erregt. Endlich sagte Cook: „Ich bin glücklich, Sie zu lehen. Ihnen verdanke ich den Erfolg meines Leben-." Cook hat auf feiner Nordpol fahrt die von Swerdrup entworfenen Karten der Polargegend benutzt und wies in dem Gespräch mit Swerdrup ausdrücklich darauf hin: „Dank Ihren Karten fand ich die Mittel, so rasch vorzubringen." Der Korrespondent de» „Matin" hatte eine Unterredung mit Swerdrup, worin sich dieser dahin äußerte, daß er glaube, Cook habe den Pol erreicht, well er nicht den gewöhn lichen Weg verfolgt, sondern seiner eigenen Idee nochgegangen sei. Der von Cook gewählte Weg sei der einzig gute, weil hier die Verschiebung deS Eises langsamer vor sich gehe. Er selbst habe in der Tat zuerst auf diese Route hingewiesen. Auch die Eskimos seien sür die Erfolge von Wert gewesen. Der Mut und die Ausdauer CcokS erfüllen ibn mit Bewunderung. Merkwürdiger weite hält Nansen noch mit seiner Ansicht zurück. Auch der Skeptizismus in England nimmt zu. — Ter Professor der Astronomie an der Kopenhagener Universität Dr. Ctroemgren erklärte gegenüber einem Vertreter Rizaus, daß er gestern eine Unterredung mit Dr. Cook gehabt habe, nach der er nicht länger zweifeln dürfe, daß Dr. Cook dru Nordpol erreicht oder jedenfalls in unmittel barer Nähe gewesen ist. Die Zeitungsberichte, die vom astronomischen Stand punkt auS Zweifel an der Tatsache erwecken konnten, hätten sich bei näherer Untersuchung als auf Mißverstädnissen beruhend erwiesen. Gegen das von Cook bei künstlichem Horizont angewandte GlaS sei vom wissenschaftlichen Standpunkt auS nichts einzuwenden. * Wie viele Opfer hat der Nordpol gefordert, ehe er von Dr. Cook er- reicht wurde? Die Anzahl der Forscher, die auf der Suche nach dem Nordpol das Leben eingebüßt haben, wird gewöhnlich überschätzt. Nach einer Zusammenstellung, die der amerikanische Historiker Thomas Wood land einmal veröffentlicht hat, waren es in den ersten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts nur 67 Menschen, die auf der Suche nach dem Norpvl umgekommen sind. In den folgenden vier Jahrzehnten nennt Woodland 107 Todesfälle, und bis zum Anfang unseres Jahr- hunoerts ist nach feinen Angaben die Anzahl auf 312 angewachscn. lieber die Hälfte der Verunglückten, nämlich 52 Proz., sind Amerikaner; 21 Prozent sind Norweger, 14 Proz. Dänen, 9 Proz. Franzosen, 6 Proz. Deutsche: die übrigen Nationen stehen in der Aufstellung mit geringen Prozentsätzen am Ende. Der geringste Verlust kommt auf Deutschland, wenn man die Anzahl der ausgerüsteten Expeditionen in Betracht zieht. Von den dänischen Polarfahrern dagegen hat jeder achte das Leben lassen müssen. Die letzten Opfer des Nordpols sind der Däne Mylius Erichsen, der russische Baron von Toll und davor Andree- Daß ganze große, ivohlaus- gcxüstcte Expeditionen zu Grunde gegangen sind, gehört zu dep größten Selrenheiten. Aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ist nur ein einziger Fall dieser Art bekannt. Von der Franklinscken Expe dition, die 1845 mit 129 Mann die Themse verließ, hat kein einziger seine Heimat wiedergesehen. Nach den einzigen aufgefundenen Aufzeichnungen, die vom 25. April 1848 stammen, ist Franklin am 11. Juni 1847 ge storben. In der zweiten Hälfte deS vergangenen Jahrhunderts sind zwei große Expeditionen bis auf wenige Ueberlebende untergegangen. Der Expedition des Amerikaners Greelh (1880—83) kann man jedoch den Vorwurf eines gewissen Leichtsinnes nicht ersparen, denn Greely, ein Kavallerie-Offizier, verstand nur wenig von der Seefahrt und noch weniger von der Seefahrt im Polargebiet, und ebenso war es um die Kenntnisse fast aller übrigen Teilnehmer von der Expedition bestellt. Nach dreijährigen entsetzlichen Leiden waren von den 26 Teilnehmern nur noch 7 am Leben: einer Ersatzexpedition gelang es, sie auszufinden und von diesen 6, darunter Greely selbst, wieder in die Heimat zu bringen. Tie Expedition, zu deren Rettung Greely ausgezogen war, die „Jeanette"-Ex- pedition, hat ein ähnliches trauriges Schicksal gefunden. Sie war auf 3 Jahre berechnet und gelangte im Jahre 1879 durch die Beringstraße in die Koliutschin-Bai; das Schiff trieb jedoch 21 Monate lang im Eise und vermochte schließlich dem Druck der Eismassen nicht zu widerstehen. Volle 17 Monate hindurch mußten die Pumpen Tag und Nacht arbeiten, um das Schiff über Wasser zu halten; endlich jedoch, am 17. Juni 1881, versank c». Die Schiffbrüchigen retteten sich mit einigen Vorräten in drei Schalup pen, die jedoch bald durch einen heftigen Sturm getrennt wurden. DaS eine Boot, dem sich 11 Insassen anvertraut hatten, erreichte nach 108- stündiger Fahrt eine russische Ansiedelung; das zweite Boot kam bis zur Lena-Mündung; seine Insassen erlagen jedoch dem Hunger und der Kälte bis auf 2 Martosen, die auf die Suche nach Hilfe ausgesandt waren. Das dritte Boot ist spurlos verschwunden und man hat nie wie der von seinen Insassen gehört. Alle anderen Norpolexpeditionen aber haben wohl den Verlust einzelner Menschenleben beklagen müssen, haben sonst aber die ärgsten Leiden überstanden, so daß man den Worten dcv PolarfahrerS Sherard Osborn wohl beistimmen kann: „Man zeige mir Entdeckungen von gleicher Größe und Schwierigkeit, wie die der Polar gebiete, die mit geringeren Opfern an Menschenleben durchgeführt wur den!" Osborn führte dann an, daß z. B. bei dem Dienst in China und an den Küsten Afrikas innerhalb von 4 Jahren viel mehr Menschen um gekommen sind, als während der arktischen Expeditionen von 1818—1854 Wieviel Polarforscher auch umgekommen sind, so sind doch weit mehr Opfer bei tropischen Forschungsreisenden zu zählen. In den ersten 94 Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind in Afrika allein nicht weniger als 374 Forschungsreisende ums Leben gekommen und hierbei ist zu be- rücksichligen, daß Todesfälle unter Martoien, Dienern und Arbeitern dabei gar nicht namhaft gemacht zu werden pflegen, während bei den Angaben über die Opfer des Nordpols immer die ganzen Mannschaften gezählt worden sind. * Steinzeitsnnde in Franksnrt a. M. AuS Frankfurt a. M. wird uns depeschiert: Bei den Baggerarbeiten für den neuen Osthafen wurde eine Siedelung aus der frühesten Steinzeit, etwa 2000 vor Ehristi, aus gedeckt. Bis jetzt hat man 13 Wvhnhöhlen freigelegt und eine große Anzahl von Gerätschaften, Geschirr ufw. gesunden. * Hochschulnachrichten. Die „Vereinigung Mitteldeutscher Psychiater und Neurologen" wird am 23. und 24. Oktober inIena ihre 15. Ver sammlung abhalten. — Der Privatdozent der Botanik an der Uni versität Graz Professor Dr. E. Palla wurde zum außerordentlichen Professor ernannt. * Mnsikchronik. Die Leipziger Gesanglehrerin Johanna Koch, einstmals Schülerin von Augusta Götze, hatte in einem geistlichen Konzert in der Frauenkirche in Dresden mit dem vorKglichen Vortrage zweier Gesänge von Schubert und Strauß einen schönen künstlerischen Erfolg zu verzeichnen. * Kleine Chronik. Der Herzog von Sachsen-Kobnrg-Gotda hat die Quelle am FrstungSgraben m Gotha, di« Gustav Frrytag im ersten Band seines Romanzyklü« „Die Atmen" als Schauplatz de» Zusammentreffens von IngoS Gemahlin Irmgard mit der thüringischen Königin schildert, vom Bild hauer Lenz in Nürnberg künstlerisch fassen, und den Felsblock, dem die Quelle eniivringt, mit dem Bildnis de» Dichters schmücken lassen. — Eine neue Oper von Saint-Sa ön» wird wahrscheinlich in dieser Saison an der Pariser Großen Oper aukgeführt werden. Der Komponist hatte zu einer antiken Tragödie „DSjanire" von Louis Gallei, die am Odöon-Theatrr und am Arenatbeaier zu BSzierS aufgesührt wordr, die Musik geschriebru. Saint-SaönS arbeitet jetzt da» Werk zu einer Oper um, deren Titelrolle Frau Segond-Weber singen wird. — Sarah Bernhardt hat bekanntlich vor zwei Jahren ein Drama „Adrienne Lecouvreur" geschrieben. Sie iührte «» a, ibrem Theater in Pari» auf und »ahm e» später auch mit auf ihre Gastspiel reisen. Wie jetzt au» Pari» gemeldet wird, dichtet Sarah Bernhardt ein neue» Stück. Vorläufig macht sie jedoch nur einige geheimnisvoll« Andeutungen darüber. Wie verlautet, ist da- Drama nur in verseu geschrieben, lieber Titel und Inhalt wird vorläufig noch nicht» verrateu.
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