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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.09.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100924022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910092402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910092402
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-09
- Tag 1910-09-24
-
Monat
1910-09
-
Jahr
1910
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Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. i-ruzeeu- - rclo lär Inf «rate au« Leiv»ig und Umgedn»» »«» Sgelpaltene b0 wm drert» PetitzeN« 2L ch, di« 74 uuu breu« Aektameznl« > van »»«wärt« -10 lttrlamen l.Ll Ml, Juferate »an Bebbrden -» »mtllche» DM »t, 74 wm brrtt« BetUzell« 4i »rlchLlllunteigen MN V a»»orlchrt>«»» »M t» »er Adendautgab« >w Preii« erhöht. Haban nach Lar-s. Be>Iag,gedükr L al p. Daulenb exkl. Postgebühr. ,>«Nerteilt« Aulrräg« künne» mcht zurüL- «ejogen werben stüc da« urlcheiue» ,» destiMLten Lage» und Plätze» wir» lch» Baranti« überuomaren Anzeigen-Annahme, Aiiguftuäplatz kch bar sämtlichen Filialen u. allen Annonce». ltMttttwnen de« g». und Au«laa»M Haupt-Atllale Verl Ur: T«rl lvnnckrr. tzeriogl. Ba,r. han»luxg, Lützawlliab« Ult lDelephon Vt, «r. 4uoü). Haupt-Filiale Dretben: Seeitrase 4, l lDelephoa «ülächt Nr. 2S4 Snnnnden», äen 24. Semember !Sl0. 104. Jahrgang. Sus üen ReitzstagskommiMsnen. Di« Reichsverficherungskommission lehnte in ihrer gestrigen Sitzung gegen die Stimmen der Nationalliberalen und der Rechten den § 582 ab, der eine Befristung der Zahlung kleiner Unsallrenten (der sog. Schnapsrenten: Renten von der Bollrente und darunter) vorsieht. Damit wird auch 8 583 hinfällig. Nach § 584 wird die Unfallrente nach dem Jahres arbeitsverdienst berechnet, den der Verletzte während des letzten Jahres im Betriebe bezogen hat. Soweit er 1500 übersteigt, wird er nur mit einem Drittel angerechnet. Anträge auf Heraufsetzung des Be trages für die volle Anrechnung, die mit der Ver minderung des Geldwertes begründet wurden, werden abgelehnt oder zurückgezogen und 8 584 un verändert angenommen. Zu den folgenden Para graphen liegen Anträge der Nationalliberalen vor, die sich auf die Berechnung des Jahresarbeits verdienstes in gewissen Fällen beziehen. An genommen wird davon ein Antrag zu 8 588, der sicherstellen will, daß auch bei Personen, die schon vor dem Unfall dauernd teilweise erwerbsunfähig waren, mindestens das tatsächlich verdiente Entgelt zu grundegelegt wird. Zu 8 597 beantragte die Fortschrittliche Volks partei folgende Zusatzbestimmung: „Ist ein verletzter Betriebsunternehmer, auf den nach 8 569 die Ver- sicherungspflicht erstreckt ist, bei keiner reichsgesetz lichen Krankenkasse oder Ersatzkasse versichert, so hat die Berufsgenossenschaft dem Verletzten, solange er in den ersten dreizehn Wochen nach dem Unfall er werbsunfähig ist, eine Ecldunterstützung zu ge währen, deren Höhe gleich drei Viertel Les Betrages Les von der maßgebendn Ortskrankenkasse gewährten Krankengeldes sein muß." Der Antrag, der mit den Interessen der kleinen Unternehmer, namentlich der Dauhandwerker, begründet wurde, wird abgelehnt. Als 8 603a wurde auf Antrag der Sozialdemo kraten folgende Bestimmung neu ausgenommen: „Hat die Berufsgenossenschaft zu einer Zeit, für die sie leistungspflichtig ist, die Fürsorge für den Verletzten nicht übernommen und hat für diese Zeit eine zu ständige Kaffe geleistet, so ist die Berufsgenoffenschaft für diese Zeit an die Feststellung der Kaffe in bezug auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten gebunden. Bei 8 607 wird durch Annahme eines Antrags der Sozialdemokraten die Rente auch den unehelichen Kindern zugesprochen. —Weiterberatung Sonnabend. Die Strasprozeßkommission setzte gestern zunächst die Beratung über die Voll streckung der Todesstrafe fort. (Der Antrag der Sozialdemokraten auf Abschaffung der Todes strafe war als nicht zur Prozeßordnung, sondern zum Strafgesetzbuch gehörig in der gestrigen Sitzung ab gewiesen worden.) Es lag ein Antrag vor, zu der Be stimmung des Entwurfs, daß der leitende Beamte auch einzelne andere als die offiziellen Personen zu lassen kann, den Zusatz zu machen: „soweit ein sach liches Interesse an ihrer Zulassung besteht". Andere Anträge wollten statt „einen Geistlichen" „den vom Verurteilten gewünschten Geistlichen" setzen und die Bestimmung streichen, daß nur eine einfache Be stattung unter Ausschluß von Feierlichkeiten Platz greifen darf. Schließlich wurde beantragt, von einer amtlichen Veröffentlichung der geschehenen Hin richtung abzusehen. Diese Anträge wurden sämtlich abgelehnt. Dagegen wurde der Satz gestrichen, daß bei der Hinrichtung überhaupt einzelne andere Per sonen, zugclassen werden können. Nach lebhafter Aussprache wurde trotz Wider spruchs der Regierung folgender neue 8 471a ange nommen: Gegen Mitglieder gesetzgebender Versammlungen des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates darf während der Sitzungs periode der Versammlung nur mit deren vorheriger Genehmigung eine Freiheitsstrafe in Vollzug gesetzt werden. Jede gegen ein Mitglied solcher Versamm lungen vor deren Zusammentritt begonnene Voll streckung einer Freiheitsstrafe wird auf Verlangen der Versammlung für die Dauer der Sitzungsperiode ausgesetzt. Weiterberatung Montag abend. vom Magdeburger Parteitage. (Rosa Luxemburg auf dem Rückzüge.) Unser zum Sozialdemokratischen Par teitag nach Magdeburg gesandter Mitarbeiter schreibt uns von dort, 23. September: Zwei Klippen war die Partei stets zu umschiffen bemüht: Die Frage der Vudgetbewilligung und den politischen Massen st reik. Auf der ersteren ist das Parteischiff jetzt aufgefahren, nach dem es in Lübeck, Dresden und Nürnberg mit viel Vorsicht und Geschick sich herumlaviert hatte. Ob's ganz festsitzt, wird erst di« Zukunft lehren. Wahr scheinlich ist'? nicht. Es hat noch einen recht tüch tigen Steuermann, und der wird das schon wieder flott machen, das Leck, wenn auch mühsam und not dürftig, wieder stopfen. Auch die zweite Frage drohte heute fast verhäng nisvoll zu werden. Den Radikalen war, nachdem sie vorgestern die Süddeutschen so erfolgreich über rumpelt und zum Hause herausgejagt hatten, der Kamm geschwollen. Die Debatte über die Wahl rechtsfrage schien ihnen günstige Gelegenheit, auch die Frage des Massenstreiks anzuschneiden und end lich auch hierin reinen Tisch zu machen. Diesmal war Rosa Luxemburg der Spiritus rektor, hatte man sich doch dabei auf ihr Spezialgebiet be geben. Sie brachte in aller Stille eine Resolution, so ganz nach ihrem roten Herzen, aufs Konzept, ließ sie von 61 Genossen der extremsten radikalen Rich tung unterzeichnen und legte das Ding frühmorgens dem überraschten Vorsitzenden auf den Tisch des Hauses. Der war aber durch den Reinfall am Mittwoch abend gewitzigt, sagte nichts, berief aber heimlich die Mannen des Vorstandes zum Kriegs rat. Während man sich im Saale recht ernträchtiglich über die Fleischnot und andere Nöte des Klaffen staates unterhielt, setzte hinter den Kulissen, in den Beratungsznnmern das Paktieren ein: Nicht ohne Erfolg, denn als Rosa zur Begründung ihres Zusatzantrages auf die Rednerbühne, oder vielmehr vor den um zwei Stufen höhergestellten Vorstands tisch hüpfte, da gab's eine kleine Ueberraschung. Die sonst Sturmbewegte trat den Rückzug an. Sie er klärte mit der unschuldvollsten Miene, das Wort „Propagierung des Massenstreikes" könnte leicht zu Mißverständnissen Anlaß geben, deshalb hätten sich die Antragsteller entschlossen, es zurückzuziehen. Aus der ganzen langen Resolution das einzige Wort. Dann setzte die Debatte ein: Die Mehrzahl der Diskussionsredner schwieg sich über Rosa Luxemburg und ihre Resolution zuerst aus. Sie wußten nicht recht, was sie mit der Sache ansangen sollten. Dann aber rückten die Gewerkschaften mit einer ge harnischten Erklärung vor. Der Antrag könne nur die eine Wirkung haben, das erfreuliche Einver nehmen zwischen den Gewerkschaften und Verbänden einerseits und der Partei andererseits zu stören. Bei der Inszenierung eines Massenstreiks hätten sie auch noch ein Wort zu reden. Das war ein energischer Ton. Der wirkte. Auf die Rednerbühne stiegen nur Leute, die kein Blatt vor den Mund nehmen, son dern die Rosa ordentlich heimleuchteten, ^br wurde nur ein ernstlicher Verteidiger, Liebknecht, der sie mit forensischer Beredsamkeit gegen den Vor wurf des Disziplinbruches in Schutz nahm und die Manen Liebknecht scniors zu Schwurzeuaen anrief. Aber die Sache stand trotzdem schlecht, auch die Gegenpartei hatte inzwischen ihre Minen spielen lassen. Es mußte wieder zum Rückzug geblasen werden. Das tat Llara Zetkin. Sie sprang für ihre Freundin und Eesinnungsgenossin ein. und -""lite ihr anscheinend die Blamage der Retirade erleich tern. Im letzten Augenblick vor der Abstimmung erklärte sie. die Antragsteller hätten sich wieder ein mal entschlossen, diesmal die zweite Hälfte des Zu satzantrages Luxemburg zurllckzuziehen. Das war aber das Wesentlichste des ganzen Antrages, da darin ihr Parteivorstand aufgefordert wurde, im Hinblick auf die künftige Wiederaufnahme der Wahlrechtskamvagne die Erörterung des Massen streiks in der Presse und in den Versammlungen in die Wege zu leiten. Was von der geharnischten Resolution jetzt noch übrig blieb, ist im Grunde n-n-nnmen eine ziemlich belanglose Erklärung, die nichts wesentlich 'Neues besagt. Der Parteitag gibt damit zu, da der Wahl rechtskampf in Preußen nur durch eine -"-atze Mallen aktion des arbeitenden Volkes zum Siege geführt werden kann, wobei alle Mittel, auch der Massen streik, nötigenfalls zur Anwendung gebracht werden müssen. Das hatte die Sozialdemokratie von jeher gepredigt, und das dürfte auch jeder Genosse unter schreiben. Irgend eine bestimmte Verpflichtung nahm man ja damit nicht auf sich. Und so stimmte denn auch die Mehrheit für diese so zurecvtgestukte Resolution. Rosa Luxemburg aber drehte wut schnaubend den unfolgsamen Genoffen den Rücken. Ihr schöner Anschlag war zunichte geworden. In die Freude über die gelungene Abfertigung der süd deutschen Diisziplinbrecher war ein Tropfen Wermut gefallen. iu-Ic. politische Nachrichten. Arbeiterbewegung in der Lausitzer Tuchindustrie. Kottbus, 24. September. (Tel.) Die im Arbeit geberverband der Lausitzer Tuchindustrie organi sierten Tuchfabrikanten der Städte Kottbus, Forst, Spremberg, Guben, Luckenwalde, Sommerfeld und Finsterwalde machen durch Aushang in ihren Betrieben bekannt, daß sie am 5. Oktober abends ihre Fabriken bis auf weiteres schließen, falls nicht biszum 27. September abends die in Forst in einigen Betrieben streikenden Spinnerei arbeiter die Arbeit zu den bisherigen Bedin gungen wieder ausgenommen haben. Don der angedrohten Aussperrung werden ca. 25 000 Textilarbeiter betroffen. Spionage. — Emden, 24. September. (Eigene Drahtmeld.) Heute vormittag wurden in dem Hotelzimmer, das der der Spionage verdächtige Engländer Trench bewohnte, 20 Photographien und Karten von Kiel, Wilhelmshaven, den Nordsee inseln, den Forts von Borkum und des Emsfahr- wassers mit der Angabe, wie die Fahrwassertonnen liegen, usw. gefunden. Sie lagen in der Matratze Les Bettes ausgebreitet und wurden bei der Reinigung des Zimmers entdeckt. Der russische Minister auf Reisen. 8t. Frankfurt a. M., 24. September. (Priv.-Tel.) Der russische Minister des Aeußern, Iswolski, der bis gestern abend in Frankfurt a. M. weilte, hat seine ursprüngliche Absicht, nach München und Tegernsee und von dort nach Wiesbaden zu gehen, aufgegeben. Er ist vielmehr nach Paris abgereist, was man mit Gerüchten in Zu sammenhang bringt, er sei zum Nachfolger des ver storbenen Pariser Botschafters ausersehen. Wahr scheinlicher aber ist, daß seine Reise mit dem Ab bruch der türkischen Anlerheverhand- lungen und den sich daraus ergebenden politischen Folgerungen in Beziehung steht. Von der internationalen Seerechtskonferenz. Brüssel, 24. September. (Eigene Drahtmeld.) Die Internationale diplomatische Seerechtskonferenz hat endgültig den internationalen Ver trag über Schiffskollisionen und über gegenseitige seemännische H i l f e l e i stu n g (Bergelohn) unterzeichnet. Eröffnung der Eortes in Portugal. Lissabon, 24. September. (Tel.) Der König er öffnete unter dem üblichen Zeremoniell die Session der Tortes. Die Thronrede hebt die guten Be ziehungen zu andern Mächten hervor, erinnert an den Besuch des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen und hetont, daß das Kabinett fest entschlossen sei, das liberale Programm durchzuführen, indem es ein Gesetz zur Abstimmung bringen werde, durch das die Stellung der religiösen Genossenschaften geregelt werde. Die Thronrede stellt dann eine Besserung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage fest und be spricht die verschiedenen Handelsverträge. Nur eine geringe Anzahl Senatoren und Deputierter wohnten der Seffionseröffnung bei, von der Opposition nie mand. In den Wandelgängen der Kammer spricht man von einer gegen Ende des Jahres bevorstehen den Vertagung des Parlaments. Die ministeriellen Zeitungen sprechen davon, daß die Regierung die Arbeitsfähigkeit der Eortes wünsche. Die Opposi tionsblätter halten die Mehrheit für zu schwach, um den Angriffen der Opposition standzuhalten. Die türkisch-englische Anleihe. London, 24. September. (Tel.) „Morningpost" meldet aus Konstantinopel: Die Anleihebedingüngen Sie Kau im Spiegel. Don E. W. Appleton. (Autorisierte Uebersetzung.) „Wozu dieses strenge Kreuzverhör?" fragte ich in errkgtem Tone. „Ich habe diese lange Reihe von Fragen nach bestem Wissen beantwortet. Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß niemand in das Haus auf Besuch gekommen ist, seitdem ich darin wohne." Er lächelte. „Gewiß, gewiß. Entschuldigen Sie — apropos, ich habe heute mittag einen Freund von Ihnen in Scotland Pard getroffen." Ich blickte erstaunt auf. „Wirklich", sagte ich. „Wen, wenn ich fragen darf?" „Herrn Rechtsanwalt Hamilton." „Was zum Teufel hat ihn dorthin geführt?" „Der Direktor hat ihn bitten lasten." „Wozu?" „Um einige Auskünfte über Goliby und ihn selbst zu geben" erklärte Le Noir und fuhr dann, als ich ihn, sprachlos vor Erstaunen, anstarrte, fort: „Ist es Ihnen noch nicht ausgefallen, Herr Lart, daß die Polizei nur Ihren und des Herrn Goliby seltsamen Bericht als Grundlage für ihre Untersuchung hat? Diese Berichte klingen in höchstem Grade unglaub lich. Andern Gemütern könnte sich die Vermutung aufdrängen, daß Sie mit Herrn Goliby unter einer Decke stecken." Ich schaute ihn bestürzt an. „Ich — ich — folge — hm — Ihnen nicht ganz", stammelte ich. „Nun, wäre es nicht für Sie und Herrn Goliby ein leichtes gewesen, die Papiere beiseite z^ schaffen, sodann die Klingeln in Bewegung zu setzen, den Eeldschrank wieder abzuschließen und die Papiere einem Verbündeten zu übergeben, der den ersten Zug nach Paris bestieg und sie dort ohne Schwierigkeit einlöste?" Das Blut schoß mir vor Empörung in den Kopf. „Das ist ia eine monströse, eine entsetzliche Er klärung", rief ich aus, „ich bedanke mich schönstens dafür! Habe ich nicht mit eigenen Augen das Tele gramm gesehen, mit den Nummern der gestohlenen Papiere, das Herr Goliby nach Paris gesandt hat? Und was sagen Sie dann zu Dignauds Antwort?" „Das bewoist noch lange nichts. Jedermann kann ein vorher vereinbartes Telegramm unter einem falschen Namen absenden." „Dann bezweifeln Sie also die Tatsache, daß die Papiere cingelöst worden sind?" Le Noir lachte. „Natürlich nicht. Ihre Auffassung steht übrigens mit den liebenswürdigen, aber im Verkehr mit Ver brechern keineswegs vorteilhaften Eigenschaften im Einklang, die mir Ihr Freund von Ihnen erzählt hat. Sie Glücklicher! Welche köstliche Naivität haben Sie sich in diesem materialistischen Zeitalter hewahrt! Sie sollten wahrlich darüber erstaunt sein, daß ich Sie soweit in mein Vertrauen ziehe." „Das bin ich auch", erwiderte ich etwas ärgerlich, „wenn Sic mich für einen solchen grünen Jungen halten." „Ich habe das nicht so schlimm gemeint. Es ist ja nicht Ihre Schuld, wenn Sie bisher von den Nachtseiten des Lebens nicht viel gesehen haben. Ich rede übrigens so offen mit Ihnen, weil wir die Ueberzeugung hegen, daß Sie über jeden Verdacht der Teilhaberschaft in diesem Verbrechen hoch er haben sind. Und dann auch, weil wir der Ansicht sind, daß Sie uns vielleicht am Ende noch einen Dienst in der Sache erweisen können. Es bleiben noch eine Menge Dinge darin zu erklären, und Herr Goliby wird, wie ich vermute, bei den Versiche rungen auf erheblichen Widcfttand stoßen, denn es handelt sich in diesem Falle keineswegs um einen ge wöhnlichen Einbruchsdiebstahl. Sie reisen, wie ich annehme, in dieser selben Angelegenheit nach Paris?" „Jawohl", antwortete ich, nunmehr völlig be sänftigt, aber noch keineswegs beruhigt. „Ich soll morgen dem Herrn Vignaud einen Brief über bringen." „Bleiben Sie lange?" „Einige Tage, falls ich nicht andere Instruktionen erhalte. Ich wohne im Grand Hotel." „Gut", bemerkte er, „so weiß ich, wo ich Sie finden kann, wenn sich etwas ereignen sollte. Ich muß Sie jetzt verlosten, um einen Freund aufzusuchen, der mit mir reist." Er zog höflich seinen Hut und wollte sich schon zu- rückziehen, als mir noch etwas einfiel. „Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Le Noir", sagte ich. „Halten Sie mich nicht für unhöflich, aber wie kommt es, daß Sie — ein Franzose — so auffallend gut Englisch sprechen?" „Ah so?" erwiderte er lächelnd, „das wäre ein großes Kompliment, wenn nicht zufällig meine Mutter eine Engländerin gewesen wäre. Ich bin in England geboren und verließ dieses Land erst, als meine Mutter starb und ich fünfzehn Jahre alt war." Er zog abermals den Hut und entfernte sich. Einen Moment später sah ich ihn am andern Ende des Decks in ernstem Gespräche mit einem Herrn stehen. Nur ein- oder zweimal bemerkte ich ihn noch während der Ueberfahrt, hatte aber keine Gelegenheit mehr, mit ihm zu sprechen. Wir kamen pünktlich in Boulogne an. Im Zoll amt wurde meine Reisetasche gründlich auf Tabak untersucht, und schließlich machte ich mir's in einem Wagen erster Klasse bequem, der mich eilends in der Richtung des Seinebabels entführte. Ich versank in Gedanken. Hatte ich recht getan, aus Le Noirs scharfe Fragen so freimütig zu ant worten? Jedenfalls. Herr Goliby wäre gewiß nicht damit einverstanden gewesen, wenn ich es nicht getan hätte. Auf die Bemühungen der Polizei mußte er nunmehr seine Hoffnungen setzen, wenn er von dem gestohlenen Eelde noch etwas wiedersehen wollte. Jawohl, ich hatte unzweifelhaft das Rechte getan, und beschloß, den Dämon der Ängst, wenigstens für eine Weile, aus meinen Gedanken zu verbannen. Ich vertiefte mich wieder in meinen Roman, eine spannende Liebes- und Abenteuergeschichte, die mich aut und angenehm unterhielt, bis der Zug in Amiens einlief. Als ich den Ruf „Zehn Minuten Aufenthalt!" an mein Ohr gellen hörte, verließ ich meinen Wagen, um meine Lebensgeister wieder durch einen kleinen Imbiß zu kräftigen, wozu ich um diese Zeit ein dringendes Bedürfnis verspürte. Durch ein halbes Huhn und eine halbe Flasche Beaune gestärkt, bestieg ich in ausgezeichneter Stim mung wieder mein Abteil und langte, ehe ich mich besten versah, in Paris an. Die Fahrt vom Nordbahnhof zum Grand Hotel war für mich voller Interesse. Ich war ja zum erstenmal in Paris. Die breiten, belebten Straßen, di« Myriaden von Lichtern, die zahllosen von Gold und Kristall glitzernden Cafes, die endlosen Reihen von Marmortrschchen auf den geräumigen Trottoirs, an denen lausende in heiterem Geplauder saßen, während Zehntausende in lachenden Zügen an ihnen vorüberströmten. oll das erschien mir wie ein Märchen, und als ich zuletzt über den Opernplot«, der in elektrischem Lichte förmlich gebadet war, fuhr, am Cai« de la Paix vorbei, in dem sich die elegante Welt in den entzückendsten Toiletten drängte, und mein Wagen in den großen Hof des Grand Hotels einbog, mit seinen plätschernden Springbrunnen, seinem prachtvollen Pflanzenschmuck und seinen luxuriösen, glänzend beleuchteten Sälen, befiel mich ein wahrhaft kindisches Entzücken, und ich sagte mir, daß jetzt endlich mein Schicksal einen gefälligeren Weg einzufchlagen scheine, als bisher. Nachdem ich mir ein Zimmer bestellt uno mich etwas erfrischt hatte, verließ ich das Hotel und bummelte die Boulevards hinab. Da mir die Sprache keine Schwierigkeiten machte — eine französische Gouvernante gehörte zu den Erinnerungen aus meiner frühesten Jugendzeit —, fühlte ich mich in dem wogenden Leben bald zu Hause. Und so genoß ich das berauschende Gedränge in vollen Zügen, bis ich zuletzt an einem Tischchen vor einem prächtigen Cafe- Platz nahm. Es war eine einschmeichelnde Funinacht. Ich bestellte mir eine Taste Kaffee und beobachtete behaglich die Spaziergänger, die ohne Unterlaß an mir vorüberzogen. Jetzt erst kam mir zum Bewußtsein, wie glücklich ich war, der atembeklemmenden Atmosphäre der Villa „Rabenhorst" entronnen zu sein. Irgend etwas war nicht in Ordnung mit diesem Wohnsitze, trotzdem er den Anschein völliger Harmlosigkeit an sich trug. Und ungeachtet meiner sonstigen Umgebung schlugen meine Gedanken wieder ernstere Bahnen ein und das Haus in St. Johns Wood zog mich von neuem in seinen Bann. Je früher ich es für immer verließe, sagte ich mir, desto bester. Die einfachste Ueberlegung, der gesunde Menschenverstand schon mußte dartun, daß es ganz unmöglich war, daß Ein brecher den großen eisernen Geldschrank hatten öffnen können, ohne Spuren zu hinterlassen und ohne das ganze Haus mit dem Geklingel des elek- irischen Läutewerks zu erfüllen. Hier, wo ich dem Zauber der Persönlichkeit des Herrn Goliby entrückt war, überkam mich ein Gefühl des Mißtrauens gegen ihn. Es nahm zwar keine bestimmten Formen an, und ich bemühte mich auch, einigermaßen beschämt, es wieder loszuwerden, aber immerhin erregte es einige Fragen in mir, denen ich jetzt, da» ganze, un gewohnte Getriebe um mich vergessend, in Gedanken nachg'ng. Was trieb das geheimnisvolle Weib in Golibvs Haus? Wie war es ihr möglich, es zu betreten?
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