Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.09.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100924019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910092401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910092401
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-09
- Tag 1910-09-24
-
Monat
1910-09
-
Jahr
1910
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis M L»>pj>a u,d v«r»n» durch u»>«r, IrLgcr UN» Luediirurr 2««I IIal ich In? van» gebrach«: vv munarl.. >.7Ü^U oierrellLbr« Br« uniern!4il«aie»«n- »admelleUrn abnrbol«! 71 ch »>»»aU„ -.LS vierrrliLhrl. Lurch »le »,»: «nnrrbuld Deuiich and, und der brunche» Kolonien »ierreUtdrn ».IV «onall. I.iv autlchl. Poüdrslellgcld Werner m Brlglen, Tinemarl. den Donaullaateu, Jlalien. vurrmdurg, Äieberlande, R»r» wrc,rn. Lellerreich Ungarn, Rußland, Schweden, Schwer» u. Spanien An allen bdrigrn Staaten nn« oirekt durch di« ÄeichPignelle de« Blatte« erdtuuch. Ta» Leipziger iivediat« ericheini 2«»»> ilgltch. Sonn. » Ae> rmg« nur lllvonne eni-ülnnaam« Auguttutvlatz 8, bei unteren Trtgern. Filialen, Spediteur»» und Aunadmellcllen >owi» PokILmiern u»b BrietrrLgern Itn»el»«rkaul »rei« der Morgen» eutgad« 10^. der : den» u»gad« » ch. «rdaktton und tSelcha»r»aell«r .1obanni»gas>e «i. 8«r»l»recher: I46VL I46Li. I4SS4. Morgen-Ausgabe. npMcrTMblaü Handelszeitung. Ämtsvkalt des Rates und des Votizeiarntes der LtadL Leipzig. -inze.i.cn-Prciü Mr Intrraie an« reior«, und Umgebung di« «^inaltene so u>w breit» Berttzeil» Sch. dt« 74 Mio »reue «ellame»eU, l »»» «»»wärt« ch» ch, ittr-N-men UL» I»s»r«te »»» «rdbrden -W amUtch«, LrU »U 74 nun drett, VertUetl» 40 Getchouann^igen <n«r ch atzoorlchrtttr» nn» t» »er v^endandaod« ,n> prerle erd»l>i. Aadari nach taut. Beitagrgedübr s p. tauiend exL. voligidühr. Fetter«eilt» Lu'rrta« kinnen nicht »urüch- getoge» werden. Für da« aricheinrn »n beitrmmren tagen und Pl-gen wir» trUr» »araan, übernommen «neigen, «nnadme, Uu,nll»4pI»H »»> itmtlichen Filialen a. allen tlnnon«» «tlv»dUu>u«n »— I», un» «u»la»d«4. H«u»r-SUi«l» Merlin: Tirt Lun« er tzerrogl. Baur. HRb»^ Handlung, Lü-owttiaß« Ut (Leiephon V t. Rr. «Mij». Haupt.Filiale Lreddrm keettra«,- 4.1 (Telephon 4«Wr Kr. 2S4 Sonnsbena, ürn L4. September ISIS. l04. Jahrgang. Oss Wichtigste. * Die bevorstehende Metallarbeiteraus sperrung droht einen sehr bedeutenden Umsang anzunehmen. (S. d. bes. Art. und Letzte Dep.) * Bon einer „Krisis in der nationaltideralen Partei" fabelt eine Berliner Korrespondenz. (S. Letzte Dep.j * Pariser Blätter wissen zu melden, daß Sir Ernest Cassel in der Anleihesrage zwischen der türkischen Regierung und der Deut schen Bank vermittelt habe. (S. Ausl.) ' Der Papst erhebt in einem Sckref^-n an den Kardinalvikar Protest gegen eine Rede des römischen Bürgermeisters Nathan anläß lich des Jahrestages der Einnahme Roms. (S. Letzte Dep.) * Der Aviatiker Chavez hat am Freitag mit seinem Aeroplan den Simplon überflogen. (S. Sport.) ViirgermeMerpolitik. Aus Berlin wird uns geschrieben: In dem Kampfe zwischen rechts und links ist augenblicklich eine kleine Abflauung zu konstatieren. Bielleicht ist es Zufall, viel leicht auch will man den Ausgang der Wahl in Frankfurt a.O.—Lebus abwarten. Die konservativen Führer in diesem größtenteils ländlichen, aber mit recht viel Industrie durch setzten Kreise sollen sich nach Nachrichten von dort ehrliche Mühe geben, möglichst mel Stimmen dem liberalen Kandidaten Archivrat Dr. Winter-Magdeburg zuzuführen. Man wird den Erfolg abwarten müssen, um die Intensität dieses Mühens voll zu würdigen. Die Konser vativen wissen ganz gut, daß ein wirklich ein mütiges Eintreten für den liberalen Kandi daten ihrem Rufe, eine staatserhaltende Partei zu sein, förderlich wäre und ihre Stellung in gewisser Beziehung, namentlich nach oben hin, stärkte. In Regierungskreijen wendet man den Geschehnissen in dem Wahlkreise Frankfurt sorg fältige Aufmerksamkeit zu. Dieser Teilnahme hatte sich der Kreis schon früher zu erfreuen; kein anderer als der Kanzler Fürst Bülow hat sich seinerzeit auf das lebhafteste dafür interessiert, daß der Kreis, der damals dem revisionistischen Sozialdemokraten Braun, dem Gatten der geborenen Lilli v. Kretzschmann, zugefallen war, durch Einreichung eines Protestes wieder frei gemacht und dem nationalliberalen Führer Bassermann verschafft wurde. In diese Zeit, die einem Waffenstillstand oder wenigstens einer Abschwächung des Kampfes ähnlich sieht, ist die Ernennung des Metzer Bürgermeisters Böhmer zum Unterftaatssekretär im Kolonialamte gefallen, und schon hört man von der Absicht, ein anderes Stadthaupt, den Oberbürgermeister Tettenborn-Altona, in den Staatsdienst zu ziehen. Ob es sich dabei um die Berufung auf den Posten eines Unter staatssekretärs in einem preußischen Ministerium, um ein Reichsamt, oder etwa um einen Richter posten handelt, steht noch nicht fest; die Tatsache selbst hält man in politischen Kreisen für glaub haft. In den Kreisen der nationalliberalenPartei- leitung ist man weit entfernt, sich der Täuschung hinzugeben, daß mit jedem solchen Bürger meister ein liberaler Parteimann in die Re gierung einziehe. Weder Lentze, noch Böhmer, noch Tettenborn kommen als liberale Partei männer. Aber anderseits verhehlt man sich nicht, daß die Berufung mehrerer Gemeinde beamter, die in unmittelbarer Be rührung mit dem Bürgertums gestanden haben, von Vorurteilslosigkeit zeugt und daß damit die hierarchische Regel in einer Weise durchbrochen wird, die immerhin einen gewissen Mut erfordert. Jede solche Berufung knickt Hoffnungen und schafft böses Blut; hoffentlich bewähren sich die neuen Männer und wissen den Widerständen, die ihnen sicherlich aus den Reihen der Bureaukraten entgegentreten, zu begegnen. Es liegt nahe, die Berufung der Außenseiter direkt auf den Kaiser zurückzuführen, dem man ja auch die Berufung Miquels und des „langen Möller" zugeschrieben hat. Es ist auch j richtig, daß der Kaiser sich mit der Besetzung des Finanzministeriums direkt befaßt hat. Er soll den Bankier Delbrück, der vor einiger Zeit Mitglied des Herrenhauses geworden ist, ge fragt haben, ob er nicht Finanzminister werden wolle; dieser hat erklärt, daß es ihm unmöglich sei, und auf Lentze verwiesen. Wenn aber der Kaiser sich für die Besetzung des Finanz ministeriums zwar interessiert hat, so wird in unterrichteten Kreisen doch angenommen, daß die Berufung der Außenseiter durchaus der Politik des Reichkanzlers entspreche. Es mag das eine Konsequenz seines Wunsches sein, die Agitation „auszuhungern". In liberalen Parteikreisen wird demgegen über immer betont, daß, wenn auch das Be streben anzuerkennen sei und möglicherweise dem Kanzler sogar die offene Feindschaft der Rechten zuziehe, diese Mittel doch nicht ausreichen, um die im liberalen Volksteile durch die Ereignisse des vorigen Jahres hervorgerufene Erbitterung in freudige Zustimmung zu wandeln. Dazu müßte eine völlige Umkehr der Politik erfolgen. Die bevarltetzenüL Aussperrung in üer Metallinüultrie. Wie wir schon in der gestrigen Morgenausgabe mitteilten, hat der Ausschuß des Gesamtverbandes Deutscher Mctallindustrieller in einer am 22. Sep ¬ tember in Berlin abgehaltenen Sitzung einstimmig beschlossen, vom Sonnabend, den 8. Oktober, an eine Aussperrung von 60 Prozent der gesamten Beleg- sckaften eintreten «u lasten. Wenn dieser Beschluß zur Ausführung kommen sollte, d. h. wenn nicht vorher die ausständigen Arbeiter der Schiffswerften ihre Forderungen, die Lohnerhöhung und Regelung der Arbeitszeit anstreben, zurückziehen, so würde Deutsch land der Schauplatz eines wirtschaftlichen Kampfes werden, wie wir noch keinen gesehen haben. Daß das keine übertriebene Befürchtung ist, mögen die nach stehenden Zahlen beweisen. Die Eisen- und Stahl- Berufsgenostenschaften, in denen die Metallindustriel- tcn ihre Arbeiter und Beamten versichert haben, wei sen in dem vorliegenden Berichtsjahr von 1909 fol ¬ gende Ziffern auf: Süddeutsche Eisen- und Verrechnete Löhne Stahl-Verufsgenostenschaft Südwestdeutsche Eisen-Be- rufsgenostenschast Rhein.-Westf. Hütten- und Walzwerks-Berussgenost. Maschinenbau- u Kleineisen- industrie-Berufsgenoss. Säcks.-Thür. Eisen- u. Stahl- Berufsgcnossenschaft Nordöstl. Eisen- u. Stahl- Berussgenostenschaft Schles. Eisen- u. Stahl-Be- rufsgcnostenschaft Nordwestl. Eisen- u. Stahl- Berufsgenostenschaft 233 585 610 71 121 500 „ 252 325 712 „ 276 935 781 „ 171552 393 „ 111211122 „ 107 527 905 „ 173 791869 „ Arbeiter u. Beamte 193 630 59 171 173 281 223 455 152 713 125 013 109 176 131 781 In diesen Berufsgcnossenschaften sind demnach 1 171586 Arbeiter und Beamte mit einem Lohne von 1 Milliarde 431 Mill. 388 222 pro Jahr versichert. sIn der Lohnberechnung sind zum Teil auch Unter nehmer einbegriffen.) Wie ersichtlich ist, sind Arbeiter und Beamte zu sammen aufgeführt, und es läßt sich demnach keine absolute Zahl der Arbeiter erkennen; auch wird ja eine große Zahl der in Rechnung gestellten Arbeiter selbst wieder nicht direkt von der Aussperrung be ¬ troffen werden. Fernerhin soll zugegeben sein, daß viele Betriebe — wie vielleicht die Walzwerke u. a. — für die Aussperrung ebenfalls wenig in Frage kom men; immerhin ergibt sich aus den Riesenziffern, von welch weittragender Bedeutung die angedrohte Aus sperrung sein müßte. Es ist weiter zu beachten, daß große Masten an derer Arbeiter, die von der Metallindustrie direkt oder indirekt abhängig sind, ebenfalls in Mitleiden schaft gezogen werden würden. Allerdings handelt es sich ja in erster Linie nur um die im Verbände der Metallindustriellen organisierten Arbeitgeber, die zur Aussperrung verpflichtet sein würden. Aber diesem Verbände gehörten nach den Angaben von 1909 nicht weniger als 2960 Mitglieder an, die rund 190 000 Arbeiter beschäftigten. Zn gewißem Maße sind dieser Organisation jedoch auch die in beson deren Verbänden zusammengeschlostenen Eisengieße reien, Schiffswerften und eine Anzahl sonstige In dustrien zuzurechnen. Alle diese Organisationen zu sammengenommen weisen 12 398 Mitglieder mit 751000 Arbeitern auf. Was die Organisation der Metallindustrien«» betrifft, so ist dieselbe ziemlich geschlossen. Es liegen hier zwar keine genauen Einzelzahlen vor, man darf jedoch annehmen, daß etwa 60—70 Prozent der genannten Betriebe in der Organisation stehen; in Leipzig selbst, das ungesähr 120 Betriebe mit 18—20 000 Arbeitern aufzuweisen haben dürste, sollen mindestens 80—90 Prozent der Betriebe dem Verbände angeschlossen sein; und vor allem find es hier die großen maßgebenden Unter- nehmer. Eine Aussperrung von 60 Prozent der Arbeiter müßte sich demnach schon in unserer Stadt erheblich fühlbar machen. In welcher Weise man die Aus sperrung vorzunehmen gedenkt, ob alle organisier ten oder nur die freigew.'rkschoftlich zusammen geschlostenen Arbeiter davon betroffen werden sollen, darüber herrscht bei den Gewerkschaftsführern bis jetzt noch keine Klarheit. In erster Linie müst.n naturgemäß die freien Gewerkschaftler, die die weit aus stärkste deutsche Mctallarbeiterorganisation haben, in Frage kommen. Der Deutsche ssoz) Metallarbciteroerband zählt insgesamt rund 400 009 Mitglieder; davon werden auf die Stadt Leipzig etwa 13 000 Mitglieder kommen. Die anderen Orga nisationen (Hnsch-Duncker und christliche Gewerk schaften) sind hier zahlenmäßig schwach vertreten. Für den Fall, daß die Aussperrung tatsächlich vor genommen werden sollte, rechnet man in den Kreisen der Arbeiterführer damit, daß zusammen etwa 400 000 Arbeiter in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Genaue Angaben nach dieser Richtung hin lasten sich jedoch vorläufig noch gar nicht macken. W. Hierzu wird uns von unserem O. Mitarbeiter noch gemeldet: Berlin, 23. September. (Priv.-Tel.) Der Kom merzienrat Ernst von Borsig, der Vor sitzende des Verbandes der Berliner Metallindustriellen, hat sich über die Aussperrung in der Metallindustrie wie folgt aus gesprochen: „Da die Werftarbeiter bisher keine Neigung zum Nachgeben gezeigt haben, hat sich der Verband der Werften, der auch dem Eesamtverband der Metallindustriellen angehört, an diesen mit der Bitte um Unterstützung gewandt. Dieser Bitte ist der Eesamtoorstanü um so eher nachgekommen, als im Bereiche der einzelnen Zweigverbände für die streikenden Hamburger Werftarbeiter große Geld beträge gesammelt wurden. Allein von Berlin ist eine ungeheure Summe Geldes ausgebracht worden. Den vereinigten Melallindustriellen mußte daran liegen, den Arbeitern zu zeigen, daß auch unter ihnen Einigkeit und Solidarität vorhanden ist. Der 8. Oktober ist deshalb als Zeitpunkt der Aussper rung gewählt worden, weil ein großer Teil der Mitglieder des Gesamtverbandes ihre Arbeiter mit vierzehntägiger Kündigungsfrist angestellt hat. Da erst morgen gekündigt werden kann, so konnte der Termin nicht früher festgesetzt werden. Ausgesperrt werden naturgemäß in erster Linie sozialdemo kratisch organisierte Arbeiter und die Mitglieder der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaft, die sich mit ihnen solidarisch erklärt haben. Die nationalen und die nicht organisierten Arbeiter sollen möglichst verschont werden. Bulgariens Geüenkleier. In ganz Bulgarien ist dieser Tage der 25jährige Gedenktag seiner Verbindung mit Ost-Rumelien, festlich begangen worden. Der Erinnerungstag eines Ereignisses, dessen Bedeu tung die Königsproklamation von 1908 schier über strahlt. Denn diese drückte bloß das Siegel der staatsrechtlichen Form auf das Ergebnis einer ^jäh rigen Entwickelung, während der 18. September 1885 ein zweites Königreich den Donau-Bulgarien hinzu gebracht hat. Welche Gedanken mögen die Feiertagsstimmung der Bulgaren beseelt haben? Zunächst wohl: wann wird das dritte Königreich unser werden? Wo bleibt jenes Großbulgarien, welches der Vorfrieee von San Stefano erschaffen hatte, bis es die russisch englische Verständigung und der Berliner Kongreß wieder zerrissen; wo bleibt unsere Provinz Maze donien? Es ist wohl selten geschehen, daß poli tische Wünsche in so überreichlichem Maße erfüllt sind, wie der „Zar Befreier" Alexander II., den aus- ichweisendsten Träumen der bulgarischen Patrioten entgegengekommen war. Die Grenzen des neu zu gründenden Fürstentums waren mit unglaublicher Voreiligkeit festgelegt. Man hatte doch den Krieg gegen die Türken mit dem Nationalitätsprinzip recht fertigen wollen und nun im Uebereifer oen Bulgaren griechische, serbische, walachische, türkische und alba nische Gebietsteile in den Schoß geworfen. Eine Zustimmung Englands und Oesterreichs zu diesen Abmachungen mit der besiegten Türkei war unmög lich. und mit ihrer Unmöglichkeit muß russischerseits gerechnet, cs muß einfach nach Schachererart über fordert sein. Um so mehr waren bre Bulgaren ent täuscht, als Rußland so bald beigab und das „Groß bulgarien" gedrittelt wurde. Für das europäische Friedensbedürfnis war aber der Schade nicht wieder gutzumachcn. Den Bulga ren war ein gewaltiger Wechsel auf die Zukunft aus gestellt, und seine Nichtigkeitserklärung hat nichts ge fruchtet. Noch dazu, da wiederum Halbheiten einfws- sen, ein weiteres Drittel als ..autonome Provinz" ge richtet wurde. Mag der Türkei, welche ihr Be satzungsrecht vernachlässigte, die andere Hälfte der Schuld zufallen: die Grundursache für den raschen Zusammenbruch der Kongreßakte lag in ihr selbst. Man muß es der bulgarischen Politik nach rühmen, daß sie mit einer außerordentlich geschickten Mischung von fester, kühner Tat und in der Form vorgegangen ist. Nachdem Für st Alexander durch seinen be rühmten Ritt über den Balkan die „autonome Pro- oinz" an sich gebracht hatte, versöhnte er die aufs schwerste betroffene Pforte durch eine unbedingte Unterwürkigkeitserklärung, durch eine Besiegelung seines Vasallenverhältnisses — mit dem Wort. Denn kernen Augenblick hat er daran gedacht, nach Stam- bul zu fahren und sein Haupt vor seinem Souzerän zu beugen. Und den ohnehin kärglich bemessenen Tribut sind die Bulgaren seitdem mit noch größerer Regelmäßigkeit schuldig geblieben. Mil der gleichen Zähigkeit, mit gleichgewandter Abwechselung von verwegener Tat und versöhnlichem, aber unverbindlichem Wort hat Ferdinand von Kodurg seinem Vorgänger nachgeeifert. Sein Staatsstreich des 5. Oktober 1908, welcher dem Lande seine Unabhängigkeit und seinem Herrscher die Zarenkrone cingebracht hat, wurde der Türkei mund gerecht gemacht durch das Versprechen, die mazedo irische Bandcnbeweguna zu unterdrücken, vielleicht auch gegen Serbien Hilfe zu leisten und durch Erle gung des doch uneinbringlichen Tributes in einer Barsumme, die man in Konstantinopel ausgezeichnet gebrauchen konnte. Aber auch in der mazedonischen Frage ist bulga- rijcherseits kein einziger wirklicher Fehler begangen. Treulosigkeiten, Wortbrüche genug. Man hat die Banden verleugnet, Hunderte, Tarnende von Malen. Man hat sie auch gelegentlich an den Grenzen fest gehalten. Aber gelegentlich haben die Erenzwächter auch beide Augen zudrücken müssen. Besonders im mer dann, wenn die Pforte mit neuen Zugeständ nissen an die bulgarischen Schulen und kirchlichen Verbände auf ottomanischem Boden zögerte; also mit Zugeständnissen an die Friedenspropaganda, die viel gefährlicher ist als der bewaffnete Guerillakrieg. Man hat sich aber bei alledem gehütet, dem Banden krieg ein völliges Ende zu bereiten, man hat die mazedonische Wunde am türkischen Staatskörper sich niemals schließen lasten. Es ist törichte Kurzsichtigkeit oder Heuchelei des Parteitreibens, wenn die nationalistische Opposition den Kabinetten König Ferdinands und dem Könige selber Schwächlichkeit in der Behandlung der mazedonischen Frage vorwirft. Die Negieren den Bulgariens haben sich allezeit haarscharf auf der Grenzschneide gehalten, die verwegene Tatfestigkeit von unbesonnener Tollkühnheit trennt. Dieser Seil tanz hat die bulgarischen Aussichten in Mazedonien ungemein gefördert. Man muß im Gedächtnisse fest halten, Sag in der Stunde des Friedens von «an Stefano das Nationalbewußtsein der bulgarischen Mazedonier überhaupt noch unerweckt war, daß die Wühlarbeit der Komitees an keinem einzigen Punkte das Rhodopcgebirge überschritten hatte, und daß selbst in den Schluchten dieses Gebirges während des Waffenstillstandes die bulgarischen Pomaken gegen die Rusten unter die Waffen traten und sieg reich, freilich vergeblich, für ihr Verbleiben unter un mittelbarer Türkenherrschaft stritten! Man darf auch zweifeln, ob Bulgarien im Ernste jetzt gesonnen ist, sür den Kriegsfall an Griechen lands Seite zu treten. Alle Erfolge dieses Viertel jahrhunderts hat es errungen, ohne zum Schwerts zu greifen — die leichte Besiegung Serbiens war auch mehr ein diplomatisches Zwischenspiel —, hat es er rungen durch seine meisterhafte Benutzung der Um stände, sein scharfes Zugreisen, seine Ausnutzung der gewagtesten Gelegenheiten, und es hat doch seine Kräfte zurückgehalten, wo Griechenland sie leicht fertig geopfert hat. Ein Angriff auf die durch ihre asiatischen Hilfsmittel noch überstarke und dazu von mehreren Großmächten gedeckte Türkei ist ein bedenk liches Wagnis, welches sic Verbindung mit Griechen land eher erschweren als begünstigen wird. Wohl aber ist es wahrscheinlich, daß Bulgarien in den nächsten Wochen mit einer Beteiligung an griechischen Donquichotterien spielen wird, um — neue Vorteile von der Pforte herauszuschlagen. Ist es doch jo leicht, den friedlicheren Charakter des bulgari schen Exarchates im gegebenen Augenblick in bengalische Beleuchtung zu setzen auf dem schwarzen Hintergründe der Unverschämtheiten des griechischen Patriarchates. Bei einer solchen Politik bliebe Bul garien seiner 25jährigen Vergangenheit treu, bei ihr wäre es zu besseren Hoffnungen berechtigt, als wenn es durch militärische Unterstützung des verteidigungs unfähigen Griechenlands zum Verdrusse des konser vativen und friedliebenden Europas den Gesamt komplex der Äalkanfragen aufrollen wollte. Auch dürfte, trotz üer uns Westeuropäer fremdartig an mutenden Raschlebigkeit der Bulgaren, ihres der Vergangenheit abgewandten Lebens in Eegenwarr und Zukunft, es zweifelhaft bleiben, ob schon heute die Erinnerungen an die schrecklichen bulgarisch- arccchischen Rastenkämpfe von 1906 überwunden sind. Die Türkei freilich mag mit sich zu Rate gehen, ob sie einen zweiten Lufthicb gegen Griechenland mit neuen Zugeständnissen an ihren qefährlichsten Widersacher erkaufen darf! Die verpaßte Gelegen heit, vor 25 Jahren mit Rußlands und Oesterreichs Gunst ihre Balkangrenze wiederherzustellen, wird ihr schwerlich eine Ewigkeit zurückbringen! Deutsches Kelch. Leipzig, 24. September. * Ein Interview mit dem neuen Präsidenten der sächsischen Staatseisenüahnen. Zum ersten Male seit Sem Bestehen des sächsischen Staatseisenbahnwesens tritt am 1. Oktober d. I. an die Spitze der General direktion der König). Sächs. Staatsersenbahnen ein Techniker, der Geheimrat Professor Dr. Ulbricht. Dieser Systemwechsel wird ganz beson ders freudig von der Industrie begrüßt. — Ein Vertreter der „sächsischen Zentral-Korrespondenz" in Dresden wurde am Donnerstag von dem neuen Leiter des sächsischen Staatsbahnwesens empfangen. Natürlich tönne er, so sagte der neue Präsident im Anfang des Gesprächs, sich auf kein Programm fest le gen, nach dem er sein Amt verwalten oder gar etwa reformieren werde. Soviel lönne er sagen: Er werde sich bemühen, den Interessen der Industrie ^soweit als möglich entgegenzu kommen! Den Beamten gegenüber hege er selbst verständlich das größte Wohlwollen Da Geh. Rat Prof. Dr. Ulbricht jetzt Regie rungskommissar für elektrische Bahnen ist. richtete der Interviewer die naheliegende Frage an den neuen Präsidenten, ob in absehbarer Zeit an eine Umwandlung der sächsischen Staats eisenbahnen in solche mit elektrischem Be. trieb zu denken sei. Herr Präsident Ulbricht er-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite