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Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschinenbau; Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. Redaktion, Expedition Fernsprech-Anschluss: Nr. 1058. Leipzig, Turnerstr. 17. Herausgeber und Chefredakteur: Theodor Martin. Redakteur Martin, Leipzig. Organ des Vorstandes des Vereins der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner, und des Voigtländisch-Erzgebirgischen Zeichner-Verbandes. Leipzig, 30. April 1891. Nachdruck, soweit nicht untersagt, ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet. N°- 4. VI. Jahrgang. Der Jahresbericht der königlich säch sischen Gewerbe-Inspectoren für 1890 or uns liegen, zu einem Bande ver einigt, die Jahresberichte der säch sischen Gewerbe-Inspectoren für das Jahr 1890. Sie bilden in ihren umfänglichen und erschöpfenden Erörterungen wieder ein schönes Zeugniss für die Sachkennt- niss und den Eifer, mit dem sich die genannten Beamten auch im vergangenen Jahre ihrer schwierigen Aufgabe gewidmet haben. Mancher lei Rügen und Anregungen, zu denen sich die Herren auf Grund ihrer sorgfältigen Beobach tungen veranlasst sahen, sind geeignet, der ge- sammten Industrie zu dauerndem Nutzen zu gereichen; manche aus unmittelbarer Anschau ung geschöpfte Bemerkung über Arbeiterver hältnisse vermag mehr als langathmige Commen- tare zur Erklärung einzelner wirthschaftlicher Er scheinungen der Jetztzeit beizutragen. Im Gegensatz zu dem notorischen Aufschwung der Industrie während der letzten zehn Jahre constatiren sämmtliche Berichte für das Jahr 1890 einen wesentlichen Rückgang, der seinen Grund findet hauptsächlich in mehrfachen Arbeitseinstellungen, Ueberproduktion der vor hergehenden Jahre, besonders aber in veränder ten Exportverhältnissen durch Erhöhung der Einfuhrzölle in Ländern, nach denen nament lich von Sachsen aus Waaren ein geführt wurden. Die vielbesprochene Mac Kinley Bill hat doch grosse Beunruhigungen verursacht, wenn auch der Bericht der Inspection Zwickau ausdrücklich con- statirt, dass die Sorgen, denen sich die Textil industrie in Bezug auf die Bill hingegeben, vielfach unbegründet waren. Trotzdem vermag diese Inspection sowohl wie die übrigen bei ihrer kurzen Uebersicht über die einzelnen Branchen der Textil-Industrie wenig tröstliches über den Geschäftsgang zu vermelden. Die Thätigkeit der Gewerbe-Inspectionen hatte sich auf insgesammt 13 386 Anlagen, darunter 2554 Textil-Betriebe, zu erstrecken. Da der Bericht des Vorjahres nur 12 963 resp, 2363 Anlagen nennt, so ist eine namhafte Ver mehrung trotz der ungünstigen Geschäftslage eingetreten. Von den 2554 Textil - Betrieben besitzen 1550 Dampfbetrieb, 431 sonstige ele mentare oder thierische Motoren und 553 über haupt keine Motoren. Den Betrieben entspre chend hat auch die Arbeiterzahl in der Textil industrie, wie in der Gesammtindustrie, zu genommen. Während im Vorjahre die sämrnt- lichen Betriebe 340498 Arbeiter zählten, wovon 135 348 auf die Textil-Industrie entfielen, zählt der diesjährige Bericht 369 258 Arbeiter der Gesammt-Industrie, davon 146 484 Arbeiter der verschiedenen Textilbranchen. Diese 146 484 Arbeiter zerfallen in 126 484 erwachsene und in 20 000 jugendliche und kindliche Arbeiter. Von den erwachsenen Arbeitern waren 59 141 männlich, 67 343 weiblich, von den jugend lichen Arbeitern (14—16 Jahren) 4906 männ lich, 8822 weiblich, von den kindlichen Arbeitern (12—14 Jahren) 3207 Knaben und 3065 Mäd chen. Männliche Arbeiter insgesammt (er wachsene, jugendliche und kindliche) wurden 67 254 gezählt, weibliche 79 230. Es ergiebt sich also ein andauerndes Ueberwiegen der weiblichen Arbeitskräfte in der Textilbranche. Die 20 000 jugendlichen und kindlichen Arbeiter waren in 1912 Betrieben beschäftigt. Ueber- tretungen der die Beschäftigung dieser jugend lichen und kindlichen Arbeiter betreffenden Schutzgesetze und Verordnungen wurden 429 ermittelt, die sich in 254 Betrieben zugetragen; 27 Fälle hiervon führten zu Bestrafungen. Mängel, auf deren Abstellung im Interesse der Unfall verhütung hingewirkt wurde, fanden sich 2464 in den Textilbranchen, 8849 in der Gesammt industrie, ein Verhältniss, das in Anbetracht I der Arbeiterzahl ein für die Textilbetriebe nicht | ungünstiges genannt werden kann. 1264 Dampf kessel wurden einer regelmässigen Revision unterworfen; der Bericht giebt nicht an, wie viele hiervon auf Textilbetriebe entfielen. Der direkte Verkehr der Inspectionen mit den Arbeitgebern war allenthalben ein sehr reger, während die Arbeiter sich, wie wenigstens die In spectionen Dresden und Plauen beklagen, in auf fälliger Weise fernhielten. Dass damit den Be amten manche Gelegenheit zu günstigem Wirken genommen war, liegt auf der Hand. Der ge schäftlichen Situation entsprechend liess die wirthschaftliche Lage der Arbeiter hier und da zu wünschen übrig. Der günstige Ausfall der Kartoffel- und Getreideernte im Gebirge darf unter solchen Umständen als ein erfreuliches Ereigniss betrachtet werden. Die sonst aber allgemein auftretende Steigerung der Lebensmittelpreise führte auch der Arbeiter bewegung neue Nahrung zu. Namentlich im Inspections-Bezirk Leipzig nahm dieselbe be deutenden Umfang an, so dass sich die Arbeit geber zu besonderen Maassregeln genöthigt sahen. Für Leipzig und Umgegend haben die Gewerbtreibenden mit wenigen Ausnahmen sich im Hinblick auf die beunruhigende Haltung der Arbeiterschaft zu einem dauernden Verband vereinigt. Derselbe verfolgt den Zweck, seine Mitglieder und deren Arbeiter vor sozialdemo kratischen Uebergriffen zu schützen, und es können demselben alle Fabrikanten, Vorstände von Betrieben, ferner alle im Bezirk der Ge nossenschaft bereits bestehenden Verbindungen von Arbeitgebern, sofern sie die Rechte einer juristischen Person erworben haben, wie auch die Innungen als Mitglieder beitreten. Für den Verband gelten u. A. folgenden Satzungen: Jede von einer Arbeiterdemonstration betroffene Berufsgruppe oder jeder Einzelbetrieb fasst selbstständige Beschlüsse, hat aber den Ver bandsvorstand sofort von der Angelegenheit in Kenntniss zu setzen und gleichzeitig diejenigen Arbeiter namhaft zu machen, welche sich sozial demokratische Uebergriffe und Ausschreitungenzu Schulden kommen liessen. Der Verbandsvorstand untersucht auf Grund der Unterlagen, ob und in wieweit das Eintreten des Verbandes als nöthig zu erachten ist. Handelt es sich hierbei