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Fragen wir uns, welche verwandte Orna mente sich noch in unseren Kulturländern be finden, so muss es als verfrüht erscheinen, jetzt schon Hypothesen aufzustellen, welche frühere Beziehungen andeuten. Nur so viel darf gesagt werden, dass in Schweden, an der unteren Donau und in Centralasien sich viele Ornamente noch vorfinden, welche bekunden, dass eine ähnliche Stilisirung wohl auf der ganzen Erde herrschte. Wie in der Grammatik oft Ausnahmen nur Ueberreste alter Regeln sind, so auch müssen wir in diesen der perua nischen Ornamentik verwandten Linien, welche Thiere andeuten, die ältesten Zierformen re- spectiren, welche die Menschheit besitzt. Die technischen Hülfsmittel der Peruaner sind sehr primitiv gewesen, denn die Hauptsache hatte lediglich die geübte Hand zu machen. Selbst spitzenartige Kunstarbeiten, die wie Klöppel arbeiten erscheinen, sind in den Gräbern ge funden. Eine grosse Rolle spielen auch die Kleider, in denen bunte Federn eingewebt sind. — Mit roher Faust haben die Spanier dieses hochorganisirte Volk um seine Reichthümer und um sein Glück gebracht. Es kann sich von solchem Todesstosse nicht erholen. Seine Götterwelt war ähnlich wie die ägyptische, griechische und deutsche, in der Naturreligion wurzelnd. Pachamak, d. h. „Der das All er schaffen und belebt“ gilt als vornehmste Gott heit. Die Sonne, der Mond, die Plejaden, der Blitz und Regenbogen wurden besonders ver ehrt. Eine grosse Rolle spielt der Gott der Berge „Koliauki“, den wir nach Schiller als den „Alten vom Berge“ bezeichnen würden. Er ist wie Rübezahl gefürchtet, macht das Wetter und thront unnahbar in lebensfeind licher, schreckensreicher Einsamkeit auf den Alpenhöhen. Wer ihm in reiner Absicht muthig naht, erhält grosse Gaben. Das erinnert an den Jehovah, dem Moses auf dem Sinai naht. Rudolf Falb, welcher in Peru war, hat versucht, manche Stellen des alten Testamentes mit der Berg- und Feuer-Religion der Peruaner in Verbindung zu bringen. Seine Hypothesen sind jedoch so überschwenglich kühn, dass grosse Vorsicht zu empfehlen ist. Eine Merkwürdigkeit ist bei den figurirten Geweben, dass in der Regel je 3 Köpfe oder 3 Helden so colorirt sind, dass der eine Kopf schwarz erscheint. Es ist daher begreiflich, dass die Hypothese auftauchte, die heil. Drei könige, deren Schädel in Köln verehrt werden, aus Peru kommen zu lassen. Falb will an den berühmten Steinthoren von Tiahuanuco schon das Alpha und Omega entdeckt haben, ob schon Peru keine Schriftzeichen besitzt. Ver lassen wir dieses Wunderland und vertrauen wir, dass die strenge Gründlichkeit der jüngst nach Peru übergesiedelten deutschen Professoren solche Räthsel aus frühester Vergangenheit er klären wird. Die Pyramiden und die Todtenkammern Aegyptens mit den unzähligen Mumien haben unsere Kunde von der ältesten Textilkunst wenig gefördert. Es waren nur einfache Leinwand streifen, die vielfach die einbalsamirten Leichen umhüllten. Im Jahre 1879 schenkte mir Herr Director Dr. Hettner in Trier ein Stück Mumien leinwand. Seit dieser Zeit konnte ich so viele Leinwand aus Oberägypten erhalten, dass ich ähnlich wie vom friesischen Leinen eine grosse Collection verschiedener Sorten vom gröbsten bis zum feinsten Leinen besitze. Wir wissen noch nicht bestimmt, aus welcher Zeit die Gräberfunde zu datiren sind, die durch Graf und Bock angeregt wurden. Die armen Fel- lahs plündern trotz des Verbots der Regierung und trotz der Scheu vor Leichenberaubung einen alten Kirchhof nach dem anderen. Es tauchen dann in den Handelsstädten die schönsten Ge webereste auf und gelangen in unsere Museen. — Obschon über diese sog. koptischen Gewebe, die zahlreich vor einigen Jahren in Trier aus gestellt waren, schon viel geschrieben ist, muss doch das Wichtigste hier hervorgehoben werden. Da wir ausserordentlich wenige christliche Sym bole finden, dagegen vielfach altägyptische und griechische, so sind die meisten Gewebe weiter zurückzudatieren und ist die Bezeichnung ,,kop tisch“ fallen zu lassen und das 3. Jahrhundert vor bis zum 5. Jahrhundert nach Christi Ge burt im Allgemeinen anzunehmen. Bevor wir aber den ausserordentlichen Reich- thum dieser Funde näher beleuchten, sind die altgriechischen und altdeutschen Gewebe in Betracht zu ziehen. In der südlichen Krim im Kubandistrict wurden in der Nähe von Kertsch in der Mitte dieses Jahrhunderts gut erhaltene Grabkammern aufgedeckt. Dort waren am Mithridates-Hügel die Gräber der sieben Brüder, die im Volksmunde noch so bezeichnet wurden. Genaue Untersuchungen ergaben, dass es grie chische Colonisten waren, die dort im 3. bis 5. Jahrh. vor Chr. sich angesiedelt hatten. In der Eremitage in St. Petersburg werden diese Grabfunde verwahrt. Eine von Prof. Stephani 1879 publicirte Abhandlung mit vor trefflichen colorirten Lichtdrucken ermöglichte, diese Funde in treuester Abbildung auszustellen. Besondere Beachtung verdienen vier Gewebe. Eine Decke ist vasenartig bemalt; sie zeigt die griechischen Kampfspiele mit Inschriften. Dieselbe Höhe der Kunstfertigkeit ist wie bei den Vasenmalereien ersichtlich. Ein anderes Gewebe zeigt bunte, fliegende Enten. Die Stili sirung und Farben sind vortrefflich. Ein rothes Gewandstück bekundet durch Palmetten und Spirale, welche durch den Kettenstich einge stickt sind, dass dieselbe Feinheit der Linien wie in der Marmor-Ornamentik auch in der Textilkunst der Griechen zu finden ist. — Ein viertes Gewebe besteht aus Seide und ist mit feinen geometrischen Linien durch die Webe technik gemustert. Dieses muss nach bisheriger Forschung aus Indien stammen und ist daher keineswegs als griechisch zu bezeichnen. Wir wissen nunmehr, dass die perikleische Zeit, die wir früher nur aus literarischen No tizen uns hinsichtlich der Gewebe vorstellen konnten, eine der Marmor- und Metalltechnik ebenbürtige Textilkunst besessen hat. — Der überreiche Prunk mit steifer Stickerei war den Griechen minder sympathisch wie den Asiaten. Was als Goldgewebe galt, war weniger mit Goldfäden gewebt oder bestickt, sondern nur mit dünnen Goldplättchen versehen, die aufge näht wurden. Diese Art der Verzierung war in allen Ländern für Prunkgewebe üblich. Als der Schatz des Chilperich am Ende des vorigen Jahrhunderts gefunden war, glaubte man, diese aufgenähten Lotos-Goldblütben seien Bienen. Napoleon I. erhob die Biene als vermeintlich altfränkisches Symbol zu unverdienter Ehre. Eine andere Art Goldverzierung war die Bemalung mit Goldstaub. Der eigentliche Gold faden als Draht kommt so überaus selten vor, dass wir annehmen müssen, dass diese Kost barkeiten später eingeschmolzen wurden. Erst durch die Anregungen aus Ostasien wird speciell auf der Insel Cypern der mit Goldpapier oder vergoldeten Häutchen umsponnene Leinenfaden fabricirt, der im Mittelalter eine grosse Rolle spielt. Der freie Grieche liebte Gewebe, welche seine Gestalt vortheilhaft durch edlen Falten wurf hoben. Auch von den kunstsinnigen Griechinnen ist dasselbe anzunehmen. Wie wunderbar schön und vornehm-geschmackvoll im modernsten Sinn sind die Griechinnen in den sog. Tanagrafiguren abgebildet! Dass sie aber schon damals im 5. Jahrh. vor Christus, also vor 2300 Jahren, feine deutsche Gewebe trugen, um sich ganz besonders zu schmücken, dürfte bisher unbekannt sein. In der Lysistrate des Aristophanes fand ich die Stelle, dass die Griechinnen, die ihren Männern ganz besonders zu gefallen suchen, sich nicht nur mit Blumen schmücken, sich schminken, in Pantöffelchen und im Safran- Unterröckchen dasitzen, sondern auch „kimbri- sche Talare“ umlegen. Darunter haben wir zarte Gewebe als Schleier oder Umschlagtücher zu verstehen, welche wahrscheinlich von Phöni ziern mit Bernstein aus dem Norden gebracht wurden. Die als rohe Barbaren verschrieenen Kimbrer und Teutonen, die der Schrecken Roms vom 4. bis 2. Jahrhundert vor Christus waren, lieferten also schon im 5. Jah) hundert vor Christus den hochgebildeten Griechen feine Textiiwaaren. Fürwahr, es ist endlich an der Zeit, die derben Irrthümer über die Unkultur unserer Vorfahren in den Geschichts- und Schul büchern zu berichtigen! Römer und Römlinge haben in ältester Zeit schon dafür gesorgt, dass im Volke die Ansicht verbreitet wurde, jeg liches Heil der Ku’tur sei aus dem Süden und Osten uns Germanen zu Theil geworden. Ge wiss, was die Lehre Christi und was die poli tische Staatskunst der Römer, ihre Architectur und einige Verfeinerungen im Kunstgewerbe betrifft, wollen wir dankbar anerkennen, was wir empfangen haben. Aber es ist ein Irrthum, jene vorrömische deutsche Kultur als eine niedrige oder gar barbarische zu bezeichnen. Sie war nur eine einfachere, denn die strengere Lebensführung unserer Voreltern, welche die Worte: „Tugend“ für Alles, „was taugt“, „Sünde“ für das zu Sühnende, und „Laster“ für das die Seele Belastende, fanden, hatte geringeren Sinn für den glänzenden und über flüssigen Luxus, der, aus Asien stammend, die Griechen und Römer verweichlichte. Unzählige Male vernichteten die von allen Seiten ein dringenden Feinde die blühenden Districte Deutschlands, denn es fehlte die alle Stämme umfassende, einigende Macht. Wir sahen bisher unsere Vorzeit durch die Brille der Römer und versuchen erst in neuester Zeit eine auf dem Studium der Edda, alter Urkunden und Gräberfunde basirende, gerechtere Auffassung zu verbreiten. Der Vorkämpfer für dieselbe ist W. Lindenschmidt, der Director des römisch germanischen Museums in Mainz. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der hervorragendsten Gelehrten, die seiner schon vor 10 Jahren aus gesprochenen Ansicht huldigt, dass die Indo germanen nicht aus Indien hergekommen seien, sondern in Nord- und Mittel-Europa ihre an gestammte Ur-Heimath haben. Nur hier konn ten sie ihre Eigenart entfalten, die sie befähigte, ebenso in ältester Zeit nach Indien, wie in jüngster Zeit nach Amerika ihre Colonisten und Eroberer auszusenden. Die deutsche Mytho logie ist die ältere im Vergleich zur griechischen und keineswegs an Schönheit und Tiefe zurück stehend. Der Stein auf dem Feldberg im Taunus, der schon im 13. Jahrhundert urkund lich als Bett der Brunhilde bezeichnet wird, verdient höhere Beachtung der Germanen als der Stein auf dem Ida, der als Bett der Hera von Homer besungen wird. Hier lässt Homer die leuchtende Wolke Zeus und Hera ver bergen, dort umgiebt Odin die Walkyre mit der Waberlohe. Wer die ergreifende Sage von Helgi und Sigrun vom Sewagebirge (Sieben gebirge) in der neuen von W. Jordan bearbei teten Edda liest, muss sich sagen, dass selbst die herrliche Andromache neben Sigrun ver blasst. — Diese Abschweifung vom Textil- Thema möge nicht verübelt werden. Es giebt kein wichtigeres Thema, als die Herrlichkeit