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Aber auch sonst bestehen riesige Unter schiede zwischen diesen beiden Gebieten. Im Norden herrscht überall verschwen derischer Luxus und Reichtum; Hotels und Häuser zeigen eine Pracht und Dimensionen, von denen man sich bei uns zu Hause keine richtige Vorstellung machen kann. Im Süden dagegen findet man ärmliche Häuser und Hütten, die miserabelsten Hotels und schlechtmöglichste Verpflegung für Rei sende; alles macht einen etwas verkommenen, schmutzigen und unappetitlichen Eindruck. Das Bedienungspersonal in den Hotels be steht ausschließlich aus Schwarzen, die als sehr unsauber bekannt sind und alles stehlen, was nicht eingeschlossen ist. Bier, Wein, überhaupt alle alkoholischen Getränke sind in den meisten Südstaaten ver boten und das Wasser ist in dem sumpfigen Land vielfach gesundheitsgefährlich. Man lebt hier nur von Limonade, destilliertem Wasser, Tee und Kaffee, welch letzteren man 3 mal täglich zu jedem Essen serviert erhält. Für einen an Bier gewohnten Süddeutschen ist dies im Anfang ein jammervolles Dasein, doch man kann sich auch in kurzer Zeit an diese Entbehrung gewöhnen und empfindet bald, daß man sich ohne Biergenuß mindes tens so wohl befindet, wie mit diesem. Je mehr man nach Süden kommt, desto mehr nimmt die schwarze Bevölkerung über hand. In North-Carolina sind bereits 40 Proz. Schwarze, in South-Carolina werden Weiße und Schwarze gegenseitig gleich stark ver treten sein; noch weiter südlich wiegt die schwarze Bevölkerung vor. Zwischen den Weißen und Schwarzen be steht ein unüberwindlicher gegenseitiger Flaß. Die Wartesäle auf den Bahnhöfen, die Eisen bahnen und Trambahnen haben besondere Abteilungen für „white and colored people“. „Neger“ darf man nämlich hier nicht sagen (dies wird als Beleidigung angesehen), sondern „colored man“. Auch unter den Bewohnern der Nord- und Südstaaten ist ein sehr in die Augen fallender Unterschied: im Nordenein Jagen und Hetzen, sowie rücksichtsloses Draufgehen, im Süden dagegen träger Schlendrian, und man bekommt hier den Eindruck, daß jeder nur soviel arbeitet, als er nötig hat, um sein Leben zu fristen. Diese Trägheit und Indolenz wird wohl auf das warme Klima zurückzuführen sein. * * * Die Baumwollindustrie in den Süd staaten hat in der allerletzten Zeit einen riesigen Aufschwung genommen. Noch vor verhältnismäßig wenigen Jahren waren textil industrielle Etablissements in dieser Gegend selten, und heute hat dieser Bezirk mehr als 9 Millionen Spindeln, sowie die entsprechende Anzahl Webstühle aufzuweisen. Entlang der Bahnstrecke nach dem Süden fährt man an unzähligen neuen Spinnereien und Webereien vorbei und es werden immer noch weitere gebaut. Das rapide Anwachsen der Textilindustrie in den Südstaaten ist aus folgenden Zahlen ersichtlich: Jahr Anzahl der Spindel- Webstuhl ¬ Fabriken zahl zahl 1880 164 561 360 12 329 1900 441 ■ 4 540 515 105 990 1901 531 5 819 835 121 923 1902 570 6 408 974 132 991 1903 643 6 889 454 152 963 1904 740 8 248 275 171 441 1905 762 8 615 369 185 144 1906 777 9 205 949 201 054. Dabei fehlt es überall an Arbeitern. I vielen Fabriken stehen wegen Arbeitermangels mehr oder weniger Spinnmaschinen und Web stühle still, oder sie sind zum mindesten schwach besetzt und nicht richtig ausgenützt. Die weiße Bevölkerung ist nicht sehr zahl reich, dabei sind die Leute durch die an haltend sehr lohnenden Baumwollpreise wohl habend geworden und haben es selbst nicht mehr so nötig, in die Fabrik zu gehen’ oder ihre Kinder dorthin zu schicken. Die Schwarzen arbeiten grundsätzlich nicht in der Fabrik, höchstens lassen sie sich als Hoftag löhner oder für sonstige Beschäftigung im Freien verwenden. Die Arbeit an den Ma schinen ist ihnen zu monoton. Außerdem arbeiten Schwarze und Weiße unter keinen Umständen nebeneinander; einmal vertragen sie sich nicht, und zum anderen sagen die Weißen, daß die Schwarzen einen unange nehmen Geruch hätten. Vor einiger Zeit machte man nun wegen des Leutemangels den Versuch, eine Fabrik ausschließlich mit Schwarzen zu betreiben, doch mißlang derselbe. Diese Leute arbeiten eben nur, bis sie Geld in den Händen haben, dann kaufen sie sich möglichst bunte Kleider und die Weiber einen möglichst roten Hut. Damit fühlen sie sich wie ein König, auch wenn sie nur Wassermelonen zu essen haben, und arbeiten erst dann wieder, wenn es gar nicht anders geht. Die Mischlinge von Weißen und Schwarzen sollen noch minderwertiger und schlimmer als die reinrassigen Neger sein, weil sie nur die schlechten Eigenschaften von beiden Rassen erben. Diese Arbeiternot ist eine große Kalamität für die Fabriken im Süden. Fremder Zuzug ist nicht zu erwarten, denn die Einwanderer ziehen sich lieber nach dem Norden. Dort haben sie außer höheren Löhnen durchweg bessere Existenzbedingungen als im Süden, wo manchmal an den auf vier Freipfosten stehenden, äußerst primitiven Holzhütten nur noch die Räder fehlen, um einem ganz ge wöhnlichen Zigeunerkarren ähnlich zu sein. Verirrt sich mal ein fremder Arbeiter dorthin, so verwendet er den ersten Verdienst, um so schnell als möglich aus dieser Gegend zu kommen, die je trostloser wird, je mehr man nach dem Süden kommt. Um die Einwanderung nach diesen ehe maligen Sklavenstaaten zu fördern, haben sich in neuester Zeit im Süden Komitees gebildet, an deren Spitze der Gouverneur von South-Carolina steht. Unter anderem soll auch die Anwerbung von Arbeitskräften aus Europa betrieben werden, wofür eine beson dere Einwanderungskommission aufgestellt worden ist. Der Staat South-Carolina erzielte mit seinen Bestrebungen auch einen Erfolg, denn gegen Ende des Jahres 1906 brachte 1 ein Dampfer des Norddeutschen Lloyd fast 500 belgische, österreichische und serbische Fabrikarbeiter nach Charleston. Es war dies ein wahrer Festtag für die Stadt; der Dampfer wurde feierlich empfangen und die Einwan derer sind, ehe sie auf Spezialzügen nach den Bestimmungsorten gebracht wurden, fest lich bewirtet worden, wobei Damen als Auf wärterinnen fungierten. Die Freude war indessen nicht von langer Dauer. Nach den bestehenden gesetzlichen Be stimmungen ist es nämlich nicht gestattet, aus wanderungslustigen Leuten die Überfahrt zu bezahlen, auch darf man mit ihnen nicht vor erfolgter Landung einen Arbeitskontrakt abschließen. Gegen diese Bestimmungen hatte der Einwanderungskommissär gefehlt, weil er in einzelnen Fällen den Einwanderern mit Geldbeträgen ausgeholfen und ihnen lohnende Arbeit zugesichert hatte. Die Behörden in Washington bestanden auf strikte Einhaltung der Einwanderungs gesetze, und es mußten etwa 50 Leute, welche zurückgewiesen wurden, mit dem Dampfer, der sie brachte, wieder nach der Heimat zurückbefördert werden. —- Es gibt auch hier im Süden einige recht bedeutende Etablissements, doch, wie oben schon gesagt, bei weitem nicht so große wie in den Nordstaaten. Ein Hauptplatz der Textilindustrie ist Charlotte, die Hauptstadt von North-Caro lina, mit za. 18000 Einwohnern. Hier, bezw. in allernächster Umgebung, existieren allein 20 Spinnereien und Webereien, und mehrere neue Fabriken sind gerade im Bau. Sodann kommt Columbia in South - Carolina in Be tracht, wo sich die auch in Deutschland durch Beschreibungen und Abbildungen be kannte Olympia Mill befindet, ein Betrieb mit 10000Ö Ringspindeln und 2250 Stühlen. Die Größe ist für amerikanische Verhältnisse ja nichts besonderes, aber das Etablissement ist architektonisch hübsch gebaut, gut ein gerichtet und durchweg mit elektrischem Gruppenantrieb versehen. In der Nähe be finden sich auch hübsche Arbeiterhäuser, so wie Klubgebäude für Beamte und Meister. Außer der Olympia Mill sind noch einige größere’ und kleinere Betriebe an dem letzt genannten Platze. Von den verschiedenen anderen Etablisse ments, die ich besuchte, sei doch noch eine bedeutende Spinnerei und Weberei in Greens- boro (North-Carolina) erwähnt, die von einem Deutschen betrieben wird. Bisher bestand dort nur eine Spinnerei mit 20000 Spindeln und eine Weberei mit 1100 Stühlen; zurzeit meines Dortseins war eine neue Fabrik mit 60000 Spindeln und 3<>00 Stühlen gerade im Bau, und auf allen diesen Stühlen wird nur ein und dieselbe Sorte Drill mit buntem Schuß hergestellt. Für diesen Weberei-Neubau ist das sonst in Amerika nicht gebräuchliche Shedsystem angewendet. Die guten Erfahrungen, die man damit gemacht hat, haben inzwischen verschiedene Fabrikanten zur Nachahmung dieser Bauart veranlaßt. Auch in Danville (Virginia) sah ich noch ein bedeutendes, im Entstehen begriffenes Etablissement von 34000 Spindeln und 3200 Stühlen zur Anfertigung von buntgewebten I Kleiderstoffen. (Fortsetzung folgt.)