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redend außer den Wolkenkratzern und sonstigen Sehenswürdigkeiten auch das interessante Leben und Treiben auf der New-Yorker Baumwollbörse an; außerdem machte ich auch dem bekannten Spekulanten Theodor H. Price einen Besuch, um den Herrn kennen zu lernen, der durch seine wirkungs voll aufgebauten Berichte und Telegramme den Markt schon wiederholt in einer seinen Absichten entsprechenden Weise zu beein flussen verstanden hat. Von detaillierteren Ausführungen hierüber will ich indessen ab sehen, ebenso von Schilderungen New- Yorker Riesen-Geschäftshäuser. Doch muß ich wenigstens eines riesigen Bureaugebäudes Erwähnung tun. Dasselbe befindet sich in Broadstreet No. 25/32. Hier sind in einem Hause za- 1000 Bureaus der verschiedensten Branchen vereinigt, und darin sind rund 7000 Angestellte beschäftigt, also in einem Hause soviel Leute, als eine kleine Stadt Einwoh ner hat. Dieses Gebäude ist, wie einer der darin tätigen Herren mir sagte, „nur“ 26 Stock hoch, hat aber sonst eine große Breiten- und Tiefenausdehnung. 19 Aufzüge vermitteln den Verkehr nach den oberen Etagen; 12 davon sind sogen. Lokalaufzüge und halten an jedem Stockwerk; 7 sind Expreßaufzüge und machen nur am 10. und 20. Stock Station. Von dem sich in einem solchen Hause ab spielenden geschäftlichen Verkehr kann man sich, ohne es gesehen zu haben, gar keine Vorstellung machen. Sonst gibt es jetzt dort Gebäude von 32, 36, 40 und mehr Stockwerken, neben denen Kirchen mit ihren Türmen verschwinden. Mein Reiseziel ging zuerst in die Nordstaaten, auch Neuenglandstaaten genannt, wo ich eine große Anzahl von Fabriken Be suchte. In manchen Fällen ist es indessen nicht so leicht, sich Eintritt zu verschaffen, und um solchen zu erreichen, bedarf es da und dort gjiter Empfehlungsschreiben, die mir allerdings in ausreichendem Maße zur Verfügung standen. Mit diesen versehen, fand ich überall eine liebenswürdige und zuvorkommende Aufnahme. Zu den Neuenglandstaaten gehören die Staaten Connecticut, Maine, Massachussets, New-Hampshire und Vermont, in denen wie bereits angegeben, 16 1 / 2 Mill. Spindeln und die dazu gehörige Anzahl Webstühle im Be trieb sind (gegen 9 s / 4 Mill, in ganz Deutsch land). Die beiden größten Industrieplätze sind New-Bedford und Fall-River. In New-Bedford allein, einer Stadt mit 63 000 Einwohnern, bestehen 21 Gesellschafts firmen, welche zusammen 1470 000 Spindeln und 35 000 Webstühle im Betrieb haben, also etwa gerade soviel, als im ganzen König-» reich Bayern mit seiner doch nicht unbe deutenden Textilindustrie Spindeln und Stühle aufgestellt sind. Fast alle diese Fabriken New - Bedfords sind, um Kondensationswasser für die Dampf maschinen zu bekommen, direkt am Meer gelegen. Neben sehr alten Etablissements, die aber durchweg in gutem baulichen Zustande er halten sind und die meistens ganz moderne Fabrikationsmaschinen enthalten, sind auch viele neue Fabriken vorhanden, welch’ letztere in der Regel elektrisch angetrieben sind. Noch bedeutender als New-Bredford ist Fall-River. Es ist dies eine Stadt von 117 000 Einwohnern; eine Fabrik liegt neben der andern; sie sind fast sämtlich Baumwoll spinnereien und Webereien, dazwischen wieder große Druckereien, Bleichereien und Färbe reien. 92 Spinnereien und Webereien werden von 41 Gesellschaften betrieben, darunter hat eine einzige Firma, die Fall-River Iron-Works, allein 450000 Spindeln und 11000 Webstühle, wozu noch 33 Druck-Rouleaux gehören. Ins gesamt sind in dieser Stadt rund 3 1 / 2 Mill. Spindeln und fast 90 000 Webstühle im Be trieb, also in einer Stadt mehr als in Bayern, Württemberg und Baden zusammen. Die Gesamtzahl der in Fall-River be schäftigten Arbeiter beläuft sich auf 32 000 und in jeder Woche werden rund 230 000 Doll, an Löhnen ausbezahlt. Die wöchentliche Pro duktion ist 250000 Stück Gewebe, und der jährl. Baum wollverbrau ch beträgt 400000 Ballen. An Kohlen werden jährlich 300 000 Tonnen verheizt und au Schmier material 300 000 Gallonen Öl verwendet. Die Be triebskräfte werden mit rund 100 000 PS angegeben, und das investierte Kapital beträgt 49000000 Doll. Während in New-Bedford mehr feine Garne und Gewebe, bis Nr. 100 und darüber, hergestellt werden, liegt der Schwerpunkt der Fall-River-Fabrikation in der Herstellung von Druck-Kattunen. Fall-River ist ebenfalls am Meer gelegen und die 1 lafenVerhältnisse sind in jeder Hin sicht von Natur aus außergewöhnlich günstig. Die Einwohnerschaft setzt sich aus allen Nationalitäten zusammen und man schätzt 15000 Amerikaner, 15000 Engländer, 25000 Irländer, 30000 franz. Kanadier, 5000 Portu giesen, 6000 Hebräer und 10000 Armenier, Russen und Italiener. Von Interesse dürfte vielleicht noch sein, daß die erste Spinnerei von 1500 Spindeln im Jahre 1813 gebaut und der erste mecha nische Webstuhl im Jahre 1817 in Fall-River aufgestellt worden ist. Damals hatte Fall- River 1500 Einwohner, dagegen 1865 17000 Einwohn, und 265000 Stund 1875 45000 1885 56000 1895 89000 1904 117000 „ 1269000 „ 1742000 „ 2883000 „ 3300000 Die bereits I ron-W orks erwähnte Fabrik Fall-River Ist für unsere deutschen Be griffe schon ein riesiges Geschäft; ein noch größeres ist indessen die Amoskeag-Mill in Manchester (Staat New-Hampshire). Hier sind 537 000 Spindeln und 14 000 Webstühle, sowie 22 Druckmaschinen im Betrieb. Um hier wieder einen Vergleich mit heimischen Verhältnissen zu ermöglichen sei bemerkt, daß die gesamte doch nicht unbedeutende Baum wollindustrie von Augsburg und Umgebung in 17 Betrieben zusammen nur 510000 Spin deln und 10 500 Webstühle zählt. Diese alle zusammen sind also kleiner, als die Amoskeag- Mill allein. Die Amoskeag-Mill, in der 14 000 Arbeiter beschäftigt sind, liegt am Marrimack-FIuß, der zum Betrieb des Etablissements 10000 Pferdekräfte liefert; außerdem sind 90 Dampf kessel für Kraft- und Heizungszwecke auf gestellt. Das Unternehmen hat eine eigene Ma schinenfabrik, in der pro Monat 50 neue Webstühle gebaut wurden, teils zum Ersatz alter Stühle, teils zur Erweiterung des Be triebs. Das Etablissement besteht aus einer großen Anzahl hübscher Fabrikgebäude, welche in parallelen Reihen neben einander stehen. Es ist ein imposanter Anblick, wenn man dieses Riesenetablissement mit seiner endlosen Front vor sich sieht; dasselbe wird auch Personen und Kommissionen, welche Amerika in amt licher Eigenschaft besuchen, von der Regierung als Sehenswürdigkeit gezeigt; so war z. B. zur Zeit meines Dortseins eine chinesische Studienkommission in Manchester eingetroffen. Rein zufällig traf ich noch in Pawtucket (Rhode Island) einen Landsmann, der dort Generaldirektor von vier großen Etablisse ments ist. Der betreffende, aus Hohenzollern stammende Herr, war anfangs der 80er Jahre Dessinateur in einem Augsburger Geschäft. 1885 wanderte er nach Amerika aus und gründete dort mit zwei Webstühlen ein eigenes Geschäft; er fand geeignete unternehmende Associöes und konnte mit deren Unterstützung das Geschäft auf seine jetzige Ausdehnung vergrößern. Dessen tüchtige Leitung und gute Rentabilität wurde überall rühmend hervorgehoben. Der Jahresumsatz beträgt 2 Millionen Dollar und es sind seit meh reren Jahren nie weniger als 12 Proz. Dividende verteilt worden. Der Mann, der zudem noch mit einer reichen Deutsch- Amerikanerin verheiratet ist, dürfte sieh schwerlich nach seiner alten Heimat zurück sehnen. Nach teils längerem, teils kürzerem Aufent halt in verschiedenen andern Spinnereien und Webereien machte ich noch einen Abstecher an die Niagarafälle, um mir dieses groß artige Naturschauspiel anzusehen. Ein Wasser quantum, das auf 450 000 cbm per Sekunde geschätzt wird, fällt über eine za. 50 m hohe Felswand, was natürlich sehr imposant wirkt. Von der materiellen Seite aus betrachtet, würden Wassermengen und Gefälle des Nia garafalls einer Leistung von fast 250 Mill. Pferdekräften entsprechen. Ein allerdings verschwindend kleiner Teil des Falls ist auch bereits für Kraftzwecke ausgenützt und zwar auf der amerikanischen Seite des Flusses durch die Power Company. Das Wasser wird dem Niagarafluß oberhalb des Falles in einem za. 400 m langen, 75/30 m breiten Kanal entnommen und zwei neben einander liegenden Kraftstationen zugeführt. Hier sind 21 Turbinen mit zus. 115000 PS im Betrieb und die erzeugte elektrische Energie wird mit 22000 Volt Spannung in die Nachbar schaft, besonders nach Buffalo, übertragen. Die Turbinen selbst sind in Amerika gebaut, doch wurden die Konstruktionszeichnungen von der bekannten Firma Escher, Wyss & Co. in Zürich geliefert. Auf der kanadischen Seite des Niagara flusses wurde während meines Dortseins an einer Turbinenanlage gearbeitet, wofür die Turbinen von J. M. Voith in Heidenheim a. Brenz stammen. Uber Philadelphia/Washington ging es dann nach den Südstaaten. Für die Textilindustrie kommen in Be tracht Virginia, North-Carolina, South-Caro lina, Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana, Texas, Arkansas, Tennessee, Missouri und Kentucky. Je mehr man nach dem Süden kommt, desto kleiner und unbedeutender werden die Fabriken im Vergleich zu denjenigen in Neuengland.