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arbeitende Vergangenheit überliefert hatte. Hierzu gehört die Behandlung von Gespinnst- Fasern in den verschiedenen Processen, denen sie beim Waschen, Bleichen, Färben, Rösten, Spülen, Trocknen etc. unterworfen sind. Hier standen von jeher die Ansprüche einer gründ lichen und vollständigen Ausführung des Ver fahrens denen auf vorsichtige Behandlung und Schonung der Faser gegenüber. Beide zu versöhnen war schwer, aber das Jahr hundert ist nicht zu Ende gegangen, ohne die befriedigende Lösung der Schwierigkeit in weitaus den meisten Fällen zu bringen. Die Erfindung der Wollwasch-Maschine und des .Leviathans war nur ein Schritt gegen das Ziel, ja man konnte zweifelhaft sein, ob damit eine Verbesserung nach der Seite der Schonung des Materials herbeigeführt werde. Erst der von Obermaier in Lambrecht ver wirklichte Gedanke, das zu behandelnde Wasch-, Färb-, Bleich- etc. Gut nicht durch die Wasch-, Färb-, Bleich- etc. Flüssigkeit hindurchzubewegen, sondern vielmehr letztere durch erstere hindurehzudrücken und hindurch zusaugen, brachte dieLösung des Problems, und seit der Zeit ist die Textilwelt nicht müde ge worden, den trefflichen Gedanken auf alle die genannten Verfahrungsweisen anzuwenden. Auf dem Felde der Weberei wurde um die Mitte des Jahrhunderts eine Erfindung gemacht, welche der Genialität nicht entbehrt und den Reigen einer Menge ähnlicher Er findungen auch auf anderen Gebieten eröffnete, der Schusswächter. Die immer zunehmende Geschwindigkeit, womit man den mecha nischen Webstuhl laufen liess, fand ihre an scheinende Begrenzung in der Fähigkeit des menschlichen Auges, der Bewegung des Schützen zu folgen und das Reissen des Schuss fadens zu bemerken. Um das Auge zu ent lasten, wurde dem Stuhl das unscheinbare „Petit rien“ einer eontrebalancirten Gabel bei gefügt, welche der Faden bei jedem Schuss leicht berührte, mit der Wirkung, dass die Berührung hinreichte, den Stuhl eingeschützt zu erhalten, ihr Ausbleiben bei Fadenbruch aber das Ausschützen zur Folge hatte. Das grosse Verdienst dieses Gedankens liegt in der Herbeiführung einer positiven Wirkung durch negatives Verhalten eines Maschinen- theils. Seitdem erblühten ähnliche „Petitsriens“ auf allen Specialgebieten, nicht am wenigsten auch auf dem der Spinnerei und Zwirnerei. InderWeberei aber folgte dem Schusswächter zunächst die Erfindung des Kettwächters unter Anwendung eines anderen Princips, das seit her weittragendste Verwendung in der Textil und anderen Technik gefunden hat, nämlich der Magnetisirung eines Elektromagneten durch Schliessung eines Stromkreises und der Benutzung der nicht übermässig grossen Kraft des Magneten, um durch Anziehung der eontrebalancirten Ausschützgabel oder ähnliche Veranstaltungen den Stillstand des Stuhles herbeizuführen. Die Schliessung des Stromkreises aber wurde im gegebenen Falle durch Hinabfallen der den gebrochenen Kett faden führenden Weblitze herbeigeführt. Waren durch sicher functionirende Schuss- und Kett-Wächter die Hauptschwierigkeiten beseitigt, welche einer über die Controll- Fähigkeit des Auges hinausgehenden Ge schwindigkeit des Webstuhles bisher entgegen standen, so blieben doch noch andere Hinder nisse einer weiteren Steigerung der Leistungs fähigkeit. Sie lagen wesentlich in zwei Ur sachen, der nothwendigen Unterbrechung der Webarbeit beim Einlegen neuer Spulen in den Schützen und der vom Princip des flachen Webstuhls an sich unzertrennlichen Unter brechung der continuirlichen Eintragung von Schuss in die Kette, welche aus dem Wechsel der Schützen-Bewegung von rechts nach links in die von links nach rechts und um gekehrt hervorgeht. Beide Hindernisse schienen den Erfindern aber nicht unüber windlich. So sahen wir zur Lösung des an erster Stelle genannten, im letzten Jahrzehnt in Deutschland die Claviez’sche Erfindung und in Amerika mehrere Lösungen des Problems entstehen, welche die vom Schussfaden ent blösste Spule selbstthätig hinausschleudern resp. selbstthätig durch eine neue Spule er setzen, ohne dass der Stuhl angehalten zu werden braucht. Dem zweiten oben gekenn zeichneten Hinderniss continuirlicher Web arbeit wird mit gutem Erfolge nach der maschinellen Seite durch das Princip des Rundwebstuhles begegnet, dessen z. Z. beste Lösung die von Herold in Brünn zu sein scheint. Es ist ja seit lange klar, dass eine unausgesetzte Schützenbewegung am ein fachsten durch den Rundlauf des Schützen zu erreichen wäre. Dem stand aber die an scheinend ganz unübersteigliche Klippe im Wege, wie dem Schützen im Fach Antrieb zu geben? Der Gedanke, dies durch einen starken Elektromagneten zu thun, dessen Anziehung auch durch die zwischen Magnet und Schützen befindlichen Kettfäden hindurch wirksam bleibt, ist ohne Zweifel ein genialer, zumal man damit in die Möglichkeit versetzt wird, hintereinander,: etwa um 1 / 4 oder */ 6 Umfang des kreisförmig angeordneten Web stuhls hindurch getrennt, auch mehrere Schützen laufen zu lassen. Es fragt sich nur, ob die hierdurch erreichten Vortheile im Verhältniss stehen zu der Ungeheuern Complicirtheit, welche alle übrigen Bewe gungen des Webstuhles, die Umschaltung der Kettfäden, das Anschlägen des Schuss fadens, das Vorrücken der Kette in Ver bindung mit dem Abzüge der Waare ver glichen mit dem Flachstuhl mit sich führen. (Schluss folgt.) Streifzüge durch die italienische Textil-Industrie. (Für die „Leipziger Monatschrift für Textil-Industrie“ geschrieben von N. R.) [Nachdruck verboten.] in grosser Theil unserer deutschen Textil -Industriellen betrachtet zunächst Italien so, als müsse dasselbe noch recht viel Waaren vom Auslande importiren, und ferner wähnt man, die Industrie sei dort am Platze noch wenig qualitativ ent wickelt, resp. dieselbe liege noch sehr im Argen. In nachfolgenden Zeilen will ich Einiges über den Stand der italienischen Textil-In- dustrie, wenigstens soweit das nördliche Italien in Betracht kommt, mittheilen. Wie wohl allgemein bekannt, befinden sich die meisten italienischen Textil - Fabriken im Piemontschen und in der Lombardei. Was den übrigen Theil Italiens angeht, so finden sich noch einige Fabriken in Prato und Florenz, zwei benachbarten Städten. Wollwaaren, z. B. Herrenstoffe und Fla nelle werden zunächst in der Umgegend von Turin, z. B. in Carignano, dann in Casselle angefertigt. Der Hauptsitz der Wollen-In dustrie befindet sich jedoch in Biella und Umgegend, nämlich in Vale-Mosso, Coggiola, Gandino, Cassata, Dessia, Pianceri, Pollone, Lodi, Cossila und noch in einigen andern kleinen Plätzen der Provinz Novara. In Monza und Umgegend sind viele Woll- hutfabriken; in Dessia werden Shawls und Decken angefertigt. Letztere Artikel werden auch in Turin, Pianceri und Vale-Mosso in wunderschöner Ausführung hergestellt. In der Gegend von Vicenza in der Lom bardei befinden sich gleichfalls einige sehr grosse Fabriken für Herren- und Damen stoffe, so zum Beispiel in Schio, Pieve, Val- dango. Es existiren in der Provinz Novara Städte mit 10 bis 30 Tuchfabriken, worunter solche mit 300 bis 500 Webstühlen, auf wel chen Streich-, Cheviot- und Kammgarnstoffe sowie Flanelle angefertigt werden. Vor ca. 25 Jahren, als ich diese Gegenden auch besuchte, lag die Fabrikation noch sehr darnieder; heute dagegen findet man überall schöne, moderne Waaren, welche alle auf mechanischen Webstühlen hergestellt werden. Am meisten sind deutsche Webstühle vertreten, dann englische, belgische und zwar je die neuesten Systeme. An den besten Spinn- und Appretur maschinen fehlt es auch nicht; das Gleiche gilt von den Carbonisir- und Färbmaschinen. In Biella werden seit bereits 25 bis 30 Jahren sehr viele Spinn- und Appretur maschinen gebaut, und diese Fabrikation hat sich seit der Zeit bedeutend vergrössert. Kammgarnspinnereien giebt esmehrere recht grosse; Cheviotkämmereien existiren, soviel mir bekannt, 8 an der Zahl und in der Gegend von Vale-Mosso sind noch einige im Bau begriffen. In Bergamo, Ranica und Umgegend, dann in Biella giebt es grosse Fabriken, welche gemusterte Sachen in Damenartikeln mit Kammgarnketten anfertigen. Ein grosser Theil der in Italien angestell ten Dessinateure stammt aus Belgien, Frank reich, Deutschland und Oesterreich. Im Laufe des letzten Herbstes feierte z. B. ein Belgier in Biella ein Jubiläum, und bei der Festlich keit waren 34 belgische Dessinateure, welche in der dortigen Gegend angestellt sind, ver treten. Was nun die Fabrikation der Baumwoll stoffe angeht, so kann ich melden, dass die selbe einfach grossartig vertreten ist, und zwar werden die einfachsten Sachen, welche zum Druck bestimmt sind, sowie auch Damen artikel mit den complicirtesten Dessins an gefertigt. Zunächst finden wir derartige Fabriken wieder in Turin — wo auch deutsche Firmen vorkommen —, dann in Intra am Lago Mag giore, in Mailand, Biella, in Migliano bei Biella, wo beispielsweise ein Haus allein mit 3000 Webstühlen arbeitet und die schönsten figurirten Sachen fabricirt. Weiter finden wir derartige grosse Etablissements in Ber gamo, Ponte St. Pietro, Ranica, Ponte di Nossa, und viele derselben haben gleichzeitig Spinnerei, Weberei, Färberei und Druckerei. Die Dessinateure der Baumwollfabriken sind zum Theil Deutsche, Oesterreicher, Fran zosen und endlich Schweizer. Viele Fabrik besitzer der Baumwollwaarenbranche gehören gleichfalls der letzteren Nation an. Die Seidenfabrikation blüht in Turin, Mailand, Monza und Como, und dort werden die einfachsten Sachen, ferner Westenstoffe, Bänder, die feinsten Damenrobeartikel, sowie Paramente und andere mehr angefertigt. Ein grosser Theil der bedeutenden Ge- 1*