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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.10.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191010300
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19101030
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19101030
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-10
- Tag 1910-10-30
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Monat
1910-10
-
Jahr
1910
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Nr. 3oo. l04. Jatzrssns. * Etat und Reichsfiaaaze». Di« MilitLrvor. läge liegt seit kurzem in der vom Kaiser nicht ohne anfänglichen Widerstand genehmigten, zwischen dem Kriegsministerium und dem Reichsschatzamt verein barten, stark gekürzten Form fertig vor und befindet sich bereits in der Hand von verschiedenen Bundesratsmitgliedern. Zusammen mit dem Etat wird die Borlage, die so gefasit sein soll, datz sie ohne besondere parlamentarische Kümpfe angenommen werden dürfte, dem Reichstage bald nach seinem Zu sammentritt zugehen. Der Etat mit der Hecres- novelle balanciert, samt der vorgesehenen Schulden tilgung, derart, datz das A n l« i h e b ed ii r f n i s (des Etats für außerordentliche Ausgaben) für 1911/12 auf wenig iioer 100 Million« n Mark — gegen 150 Millionen im lausenden und 200 Mil lionen im vorigen Jahre — beschrankt bleibt. Dieser Rückgang ist um so bemerkenswerter, als der Kaiser- Wilhelm-Kanal 5g Millionen (00 Millionen Mark mehr als für 1910/11) benötigt, und die Flotte mit dem bisher höchsten Anleihebedars, nämlich 20 Mil lionen mehr als im Borjahre, austritt. (Von 1912 an geht dies vom Flottengesetz vorgesehene Anleihe bedürfnis der Flotte stetig zurück und sinkt im Jahre 1916 aus -1 Millionen Mark.) Das durch jene An forderungen entstehende Mehr wird jedoch durch die Schuldentilgungsguote des kommenden Jahres aus geglichen. Allerdings wird bei der Etatsbalancie rung in Negierungskreisen mit der Annahme der Re ich s w e r t z u w a ch sst e u e r bestimmt gerech net. Ihr Ertrag soll neben der Aufbringung von Mitteln für die Militärvorlage auch die Durchführung der Veteranenfürsorge ermög lichen. Mit dieser Voraussetzung bewegt sich das Reichsfchatzamt auf anscheinend durchaus sicherem Boden, da nicht nur die Mehrheitsparteicn während der letzten Tagung des Reichstages sich für die An nahme dieser Steuer ausgesprochen und fcstgelegt haben, sondern sogar ein grotzer Teil der Linken im Prinzip für eine derartige Belastung des unver dienten Vermögenszuwachses ist. Die noch bestehen den Differenzen hofft man in der 3. Kommissions lesung zu bchcben und die Vorlage so zu fördern, datz sie im Plenum noch vor der Weihnachtspausc er ledigt werden kann. " Die Justizkommission des Reichstags nahm ein stimmig zn Ls 117 der Strasprozeßnovclle folgende Bestimmungen an: Sobald der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt ist, darf dem Verteidiger die Einsicht aller dem Gericht vorgelegten Akten nicht versagt werden. * Di« prompt zahlende Türkei. Die Summe von 18 Millionen Mark, als Kaufgeld für die beiden von der Türkei erworbenen Panzer der Brandendurgklasse, ist bereits bei der Reichshaupt kasse abgc liefert und vom Reichsfchatzamt als vereinnahmt verrechnet worden. * Kein Besuch Nasr «l Mulls in Berlin. In der ausländischen Presse ist gemeldet worden, datz der neue Regent Persiens, Nasr el Mulk, die Absicht habe, in Berlin Besuche beim Reichs kanzler und beim Staatssekretär des Auswärtigen Amts abzustatten. In diplomatischen Kreisen findet diese Meldung keine Bestätigung. * Die Verständigung zwischen den Nationallibe ralen und Freisinnigen. Aus Berlin wird uns ge schrieben: Die Verständigung zwischen den Natio nalliberalen und Freisinnigen tritt bei der Ersatzwahl in Labiau-Wehlau klar in die Erscheinung. Es entspricht das dem Abkommen, das zwischen beiden Parteien für ganz Ostpreuhen geschlossen ist. Für Württemberg schweben Verhandlungen, für Thüringen erhofft man den Abschlag eines Kompromisses, für die Provinz Brandenburg ist es bereits erfolgt. Für gewisse süd deutsche Striche ist das Zusammengehen von Natio- nallrberalen und Freisinngen herkömmlich. In anderen Gegenden sind Verhandlungen im Werke, obne datz man, wie z. B. in der Provinz Hannover, schon mit Sicherheit sagen kann, wie sie ausfallen werden. Aus den Kreisen der nationalliberalen Jugend heraus, namentlich von Bau-Köln, ist eine Leipziger Tageblatt. generelle Verständigung durch das ganze Reich hin verlangt worden. Dazu ist es nun aller dings nicht gekommen, aber auch ihre Befürworter sehen es als notwendig an, datz man bei einer generellen Abmachung bestimmte Wahlkreise, die nun einmal ein Zankapfel sind — z. B. schleswig-hol steinische —, ausnedmen müßte. In den Kreisen der nationalliberalen Partei, so auf dem Kasseler Partei, tage, hat man mit der größten Offenheit die Ver ständigung mit dem Fortschritt verlangt und ge predigt. Man kann kaum sagen, datz man auf fort- jchrittlichen Tagungen mit gleicher Begeisterung das Zusammengehen mit den Nationalliberalen ge wünscht hat, aber es liegen doch auch gewichtige Kundgebungen nach diese- Richtung vor. Eelegent, lich entstehen auch gerade bei den Verständigungs bemühungen arge Mitzhelliakeiten. In Hannover ist man erbittert über falsche Nachrichten, die über den Stand der Verhandlungen in das „Bert. Tagebl." gesetzt werden und von da auch in andere Blätter übergehen. Man ist mehr erbittert über das Auf treten des dortigen fortschrittlichen Parteisekretärs Heile, der selbst in Hoya kandidiert und ganz kürzlich den Abgeordneten Bassermann als „Seiltänzer" charakterisieren zu sollen glaubte. Keine Partei, die auf sich hält, wird solche Anwürfe aus den Führer ruhigen Blutes hinnehmen. Sie sind nicht geeignet, die Verständigung zu erleichtern. Im allgemeinen aber mutz man sagen, datz die Verständigung zwischen Nationalliberalen und Fortschrittlern so weit ge diehen ist, wie wohl in den letzten 25 Jahren nicht. Die politischen Ereignisse und die dem Zusammen schluß günstige Strömung in der nationalliberalen Jugend hat das herbeigeführt. * Geheimrat Rießer als Reichstagskandidat? Für den Reichstagowahlkreis Göttingen-Minden soll Geheimrat Rießer, der Präsident des Deutschen Hansabundes, als n a t i o n a l l i b e r a l er Kandi dat für die nächsten Reichstagswahlen in Aussicht ge nommen sein. Die Fortschrittliche Volkspartei würde angeblich die Kandidatur unterstützen. Eine Be stätigung steht noch aus. Der Wahlkreis wird zurzeit durch den welfischen Abgeordneten Götz von Olen husen vertreten. * Fuhrmanns Mißerfolg. Trotz der so freund lichen Haltung, die der nationalliberalc Reichstags abgeordnete Fuhrmann in seiner Lübecker Rede den Konservativen und Agrariern gegenüber gezeigt hat, erwies sich diese Liebesmüh umsonst. Der Bund der Landwirte beschloß für Stendal- Osterburg gegen den Abg. Fuhrmann den Oeko- nomierat H o e s ch- Neukirchen als Kandidaten auf zustellen. * Eine Sitzung des Vorstandes und des Ausschusses der Hauptstelle Deutscher Arbeitgeberverbände fand am 28. Oktober in Berlin statt, in der namentlich die großen Arbeiterbewegungen des laufenden Jahres einer eingehenden Besprechung und Kritik unterzogen wurden. Es wurde hierbei festgestellt, daß die großen Kämpfe vom Standpunkt der Arbeitgeber nicht zu be friedigenden Erfolgen geführt hätten, und es wurde übereinstimmend die Befürchtung ausgesprochen, dgß gerade der Ausgang des Kampfes auf den deutschen Seeschiffswersten nicht geeignet sei, dieser und der übrigen Metallindustrie den wirtschaftlichen Frieden zu erhalten. Dieser Ausgang im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Aussperrung im Baugewerbe legten der deutschen Unternehmerschaft erneut die Sorge um den weiteren Ausbau der Arbeitgeber organisationen nahe. Die Verbandsversammlung wurde auf den 17. Dezember anberaumt. * Segen die Scharsmacherei des Abgeordneten von Oldenburg hat der nationalliberale Parteisekretär für Ostpreußen, Dr. Kipper, in einer nationallibe ralen Versammlung in Marienburg kräftig Protest eingelegt: Abg. o. Oldenburg spiele sich bei jeder Gelegenheit auf den guten Preußen hinaus und verfolge mit besonderem Hatz die Süddeutschen. Wenn Herr v. Oldenburg wirklich in den Fuß stapfen Bismarcks wandelte, würde er die süddeut schen Staaten ganz anders behandeln. Was predigt nicht in dieser Beziehung gerade die Marienburg? Sei nicht Heinrich von Plauen ein Sachse, Ulrich von Jungingen ein Schwabe gewesen? Und wo anders seien denn die Hohenzollern hergekommen als aus Süddeutschland? Jede Gewaltpolitik sei zu ver werfen. Das Volk müsse gesammelt werden ohne den Bund der Landwirte und ohne die Sozialdemokratie. Die Politik des Herrn v. Oldenburg, der immer nur danach strebe, den Majoratsbesitz zu stärken, sei die alte Raubritterpolitik, nur etwas modernisiert. Früher zogen die Vorfahren dieser Herren auf die Landstraße und beraubten die friedlichen Kaufleute, heute täten sie dasselbe, indem sie die Klinke der Ge setzgebung in die Hand nehmen. Der Bund der Landwirte suche nur für die Größten unter sich Sondervorteilc zu verschaffen, um die Kleinen kümmere er sich nicht. lluslsnü. Oelierretth-Ungsrn. * Bei den Neuwahlen in Kroatien hat die oppo sitionelle Koalitionspartei von 55 Mandaten 28 ver loren. Der Banus konnte keine feste Mehrheit zu stande bringen. Die betreffenden Mandate verteilen sich aus verschiedene Fraktionen, die jedoch zu einem Kompromiß mit der Regierung ge neigt sind. Der Banus selbst ist in Agram mit großer Majorität gegen die oppositionellen Kandi daten gewählt worden. * Vom Petersburger Botschasterposten. Das „Fremdenblatt" bestätigt die Nachricht, daß Graf Beicht old vor eiliger Zeil aus Familienrück sichten um seine Abberufung aus Petersburg gebeten und an diesem Wunsche sestgehalten habe. Ein Wechsel auf dem Petersburger Botschasterposten werde jedoch in nächster Zeit nicht erfolgen. Berchtold beabsichtige, Anfang Dezember nach Petersburg zurückzukehren und jedenfalls den nächsten Winter dort zu bleiben. FrankrelH. * Anarchistische Rowdns bei einer Ferrer-Ver- sammlung. Die Freitagabend zur Erinnerung an die Erschießung Feuers abgehaltene, zahlreich be suchte Versammlung, der aus Soledad und Villa- franca eine Anzahl Deputierter beiwohnten, ist äußerst stürmisch verlaufen. Einige Pariser spanische A n a r ch i st e n, die beschlossen hatten, einen General und den früheren Marineminister Pel la t a n nicht zu Worte kommen zu lassen, weil sie in Spanien ebenso gehandelt haben würden, wie die spanischen Minister, die Ferrer erschießen liehen, unterbrachen Pelletan, als er das Wort ergriff, durch den Ruf: „Nieder mit den Parlamentariern!" sowie durch Absingen der Internationale und Pfeifen. In folgedessen entspann sich ein heftiger Wort wechsel zwischen Pelletan und seinen Widersachern. Als dem früheren Minister anderseits Beifall gezollt wurde, kam es zu einem unbeschreiblichen, lang andauernden Tumult, der Pelletan am Sprechen verhinderte. Das Bureau der Versammlung ver suchte, eine Tagesordnung zur Abstimmung zu bringen, in der die spanische Regierung aufgefordert werden sollte, das Volk von Joche der Kirch« zu be freien und Ferrer zu rehabilitieren, aber die Anarchisten nahmen im Sturm die Tribüne. Bei dem sich nun entwickelnden Handgemenge wur den der Saal und die Bänke völlig demoliert, Frauen herumgestotzen und zu Boden geworfen. Als die Anarchisten Herren der Räumlichkeit waren, wollten sie die Versammlung fortsetzen, wur den aber dadurch gehindert, daß die Verwaltung das elektrische Licht ausschalten ließ. Die Versammlung ging darauf ohne neue Prügeleien auseinander. * Die Parteien und der Eisenbahnerstreik. Die sozialistisch-radikale Kammergruppe hielt am Freitag abermals eine Versammlung ab, um sich über ihre Haltung schlüssig zu werden. Nach längerer Debatte faßte die übrigens nur sehr schwach Sonmsg, 30. Oktober l910. besuchte Versammlung mit 25 gegen 14 Stimmen den Beschluß, am Ende der Interpellationsdebatte eine Tagesordnung einzubringen, in der über den Eisen- babner streik das Bedauern ausgesprochen werde, und die Regierung ersucht wird, die For derungen der Eisenbahner einer Lösung entgegen zuführen, die an der Sabotage beteiligten Eisenbahn- beoiensteten wieder einzustellen und die Freiheit der Syndikate zu schützen. — Der größte Teil der Radi kalen und Republikaner der Linken dürfte die be reits unter den Deputierten zirkulierende Tages ordnung annehmen, in der der Regierung das Vertrauen ausgesprochen und ihr Vorgehen so wie ihre Erklärungen gebilligt werden. Die regierungsfreundlichen radikalen Blätter erklären, das Ministerium werde nur eine ganz offene Der- trauenstagesordnung onnehmen. Es sei Sache der republikanischen Parteien, sich über einen durchaus unzweideutigen Wortlaut zu einigen. Eine beson ders scharfe Sprache führt u. a. der „Figar o". Er schreibt: Man darf sich nicht verhehlen, wenn die Deputierten am Sonnabend nicht ihre volle Pflicht tun, wenn sie nicht eine entschiedene und bestimmte Tagesordnung annehmen und dem Ministerium Vriand nicht durch ein unumwundenes Ver trauensvotum die Kraft verleihen, das Land vor verbrecherischen Treibereien zu schützen, dann steht der Bürgerkrieg vor der Tür. Lnglanü. * Ministerreden. In Darlington hielt am Frei tag Staatssekretär Grey eine Rede, in der er sagte, die Haupterörrerungen des gegenwärtigen Jahr hunderts würden sich wahrscheinlich nicht um Fragen der auswärtigen Politik, sondern um solche des sozialen Fortschritts drehen; die Völker seien mehr von einander abhängig geworden. Er sehe weder einen Grund zum Kriege, noch mache er sich auf einen solchen gefaßt. Die große Mehrheit der Menschen wünsche den Frieden. — Minister Peasc hat in Manchester eine Rede gehalten, in der er ausführte: Solange die liberale Regie rung am Ruder sei, könne er nicht glauben, daß eine irgend nur denkbare Lage eintrete, in der es nötig sein würde, Geld für die Flotte zu borgen. Eng land befinde sich gegenüber jeder anderen Nation oder Kombination von Mächten in so über legener Stellung, daß es als absolut gewiß gelten könne, daß ein Ein fall in sein Gebiet nicht möglich sei. Deutschland halte mit der Ausführung seines Flottenprogramms zurück und hoffe zuversichtlich, daß dies der erste Schritt in der Richtung auf Verringerung der Kriegsrüstungen sein möge. Vereinigte Staaten. * Streikunruhen. Unruhen ernsterer Art ereig neten sich am Freitag in Jersey City anläßlich des Streiks der Angestellten der Paketpostgescll- schaften. Viele Personen wurden verletzt, davon 16 schwer. Süüsmerika. * Das neue peruanische Kabinett setzt sich wie folgt zusammen: Vorsitz und Justiz Salvador Tavcro, Inneres Basadri, Aeußcres Per ras, Finanzen Oyangules, Krieg Pi zarro und öffentliche Arbeiten Ego Agulrre. * Ministerdemission in Uruguay. Die Ent lassung des Ministers des Aeußern Vach ini ist angenommen worden. Finanzminister Dr. Blas Vidal ist provisorisch mit der Führung der aus wärtigen Angelegenheiten betraut worden. Gin neuer Koma« von Seyerlein. (Nachdruck verboten.) Der literarische Winter 1910 bringt uns gleich zu Beginn eine Ueberraschung. Einer unserer Besten, der an die sieben Jahre geschwiegen, Franz Adam Beyerlein, den wir Leipziger mit Stolz den Unseren nennen, veröffentlicht einen neuen Roman. Nachdem er 1903 mit seinem grandiosen Artillerie roman „Jena oder Sedan?" einen Erfolg errang, wie ihn nur der dithmarsche Frenssen erreichte, und mit diesem in einer Viertel Million Exemplaren auf gelegten Roman tatsächlich ins Volk drang, nachdem er >m gleichen Jahre die Unteroffizierstragödie „Zapfenstreich" hinausgab, die seitan noch von keinem großen oder mittleren deutschen Theater vernach lässigt wurde, bat er danach kaum noch etwas ge schrieben. „Similde Stegewalt" blirb trotz reifer innerer Schönheit unbekannt, der „Eroßknecht" setzte sich nicht durch. Und Franz Adam Beyerlein schwieg sich aus und schuf weiter. Böse Zunge« sagten ihm nach, er habe genug Geld verdient, ruhe auf den goldenen Lorbeeren und Tantiemen aus, wisse, daß er sich ausgeschrieben habe. Aufrichtige Freude seiner ehrlichen, aufrechten Kunst hofften und verstummten in den langen Jahren. Nun hat er uns alle überrascht. Ich sage mit voller Absicht, daß er uns überraschte, denn sein neuer Roman, der heute im Charlotten burger Derlagshaus Vita erschien (4 -K, geb. 5 ^t), zeigt uns einen ganz neuen Franz Adam Beyerlein. Schon der Titel „Stirb und werde", das Thema der Goethischen „Seligen Sehnsucht" nach Persönlichkeit, deutet dem Aufmerksamen vieles an. Und die Lektüre des reichlich 22 Bogen starken Buches bestätigt die Vermutung, daß unser Franz Adam Beyerlein des „Jena oder Sedan? «in ganzer und reifer Künstler geworden ist. Karl Straube, dem verdienten Thomas- kantor, widmet er diesen Leipziger Pro fessorenroman. Die Person des Widmenden läßt vermuten, daß Beyerlein von seinem liefen Hang zur Tradition des Thomaschors manches in sein Werk cinfließen ließ, und wer d«r Vorliebe dieses sel tenen Dichters für den großen, heute in seiner Größe vielfach noch so unerkannten Johann Sebastian Bach liebevoll nachzugehen Gelegenheit hatte, findet das in dem Roman bestätigt, denn dieser Roman ist so recht ein Bekenntnisbuch Beyerleins, nicht mehr und auch nicht weniger. Ich will vorerst noch ein Wort über das äußere Geschehen in dem Buche sagen. Vorausgeschickt sei, daß die eigentliche Handlung entgegen Beyerleins früheren Werken hier ziemlich belanglos und meist auch als äußerer Hintergrund fast dürftig erscheinen muß. Auf den reichen, reifen, gedanklichen Gehalt konzentriert sich diesmal die gan^e Kunst de« Dichter», der, sich geradezu einer klassischen Einfachheit be fleißigend, nicht bloß im Titel goethische Wege wandelt. Wir begegnen dem Geheimrat Terbrüggen, Pro fessor für innere Krankheiten, an der Leipziger Uni versität, mit seiner klugen, schönen und gereiften Toch ter Hildegard auf der F«rienreise im Bannkreis der bayrischen Königsschlösser. Ein Maler, ebenfalls in gereiften Jahren, ist mit auf der Fahrt, Leykauf. Er verehrt den klugen Geheimrat und liebt mit einer verstohlenen, ehrerbietigen Liebe die feinsinnige Toch ter. Er malt den Vater, und sie wandern selboritt. Gespräche um große Geister und Gedanken gehen zwischen ihnen her und hin. Der Geheimrat ist einer von den wenigen im Lande, die Richard Wagners Person und Kunst nicht überschätzt willen mögen, dem der Maler mit schwärmerischer Verehrung anhängt. Dafür hat dieser Maler über Italien und italienische Kunst ein weniger überhebendes Urteil. Unter sol chen Gesprächen und besangen von den Schönheiten der sie umgebenden Natur durchwandern die Drei das bayrische Bergland. Den Jungen teilt sich unmerk lich vieles von der wohladgemessenen, professoralen heiter ironisierenden Würde mit, die Terbrüggen innerlich besitzt, nicht bloß zur Schau trägt. Das hauptsächliche Geschehen spielt sich jedoch in Leipzig ab, wo Geheimrat Terbrüggen im Geyler- schen Garten sein Gelehrtenheim hat und wo ihn Leykauf wiederum malt. Des umständlichen Malers und der Prosessorentochter Neigung bleibt auch hier uneingestanden gegeneinander. In den Rahmen der drei Geistreichen, Eemütstiefen, di« sich um Wagners willen wortreich bekämpfen, treten Hildegards Brü der, ein philologischer Professor mit einer adligen Frau und ein humorvoller Major, des en frische, ge sunde Gattin ihm sieben, acht Kinder schenkte. Dies letzte Baar hat der Dichter jo recht aus dem Vollen geschaffen, daß man Freude an ihnen haben muß. Der Geheimrat sieht sich in seinem Können und Denken einem jungen Prioatdozenten unterlegen und gesteht sich die Niederlage so ehrlich ein, daß er, der Gefeierte, Hochgeehrte, als Exzellenz aus allen aka demischen Aemtern scheidet. Der Professor der Physik, an dessen Krankheit sie beide ihre Kraft und ihr wissenschaftliches Denken erproben, stirbt. Terbrüggen sieht sich überholt von der Jugend, fühlt sich aus seinem Schaffen und Leben gedrängt. Er leidet schwer an der Erkenntnis. Hildegard umgibt ihn mit treu sorgender Liebe und entsagt heldisch ihrer Neigung zu dem Maler Leykauf um des Vater« willen. An der rührenden Treue der Kinder erkennt Terbrüggen den Unwert seines Alters und grüßt nach bitteren Zweifeln und harten Kämpfen den Tod als eine Erlösung. Er ist sich selbst der „trübe Gast auf der dunklen Erde", aber das „Sterben und Werden", das Goethe meint, wird uns an ihm nicht überzeugend offenbar, und die Gestalten des Malers und der Tochter sind zuletzt zu verschwommen, als daß wir es an ihnen zu erkennen vermöchten. Vieles andere, z. B. die Episode des alten Fräuleins aus dem Lrd- muthenstist ist nur Beiwerk. Eine runde, ausge glichene Zeichnung bietet nur der treue Hausgeist Finchen und viellercht noch der gutmütige Major Fritz. Ich sagte schon, die äußere Handlung ist ziemlich belanglos für den Reichtum an inneren Schönheiten dieses Werke«. Einfachheit und Größe, ein Adel, der etwas Bezauberndes hat, die Reife eines ge ruhigen, wägenden Alters, das sind die Vorzüge, die den Wert dieses Buches ausmachen. Man sollte sich hüten, es mit den Professorenromanen eines Schirokauer u. a. in einem Atem zu nennen. Beyer lein, der ,m Zapfenstreich soviel Aeußerlichee gab, der in „Jena oder Sedan?" durchweg als ein Stürmer und Dränger erschien, ist ein Reifer geworden. Etwas Feines, Innerliches hält uns fest bei diesem Buche, ein Zauber, der bestrickt und verstummen macht. Von sexuellen Dingen ist nicht mit einem Wort mehr die Rede. Liebe und Ehe erscheinen uns hier nicht im Mißverhältnis von „Jena oder Sedan?", sondern in einem idealen Lichte. Auffallen wird die Absage an Wagner, die aber denen nicht überraschend kommt, die Beyerlein als Bachverehrer kennen. (Als Probe stück aus dem Roman bringen die heutigen „M uße - stunden" mit gütiger Erlaubnis des Verlages „Vita" das schöne 5. Kapitel „Motette in der Thomaskirch e".) Von dieser großen Liebe Beyer leins zu Bach hätte er uns freilich mehr geben sollen In allem tritt er klug und bestimmt, überall be scheiden auf. Sein Roman steht ganz abseits von den Modernen mit ihrem prätentiösen Gebaren. Mit der besonnenen Würde e «es Weisen flicht Beyerlein seiner Stadt, der Wissenschaft und wahren Kunst gol dene Kränze! Uebrigens ist der Roman ein — aller dings vornehm literarischer Schlüsselroman, dessen einzelne Persönlichkeiten unter den lebenden bezw. letztoerstorbenen bekannten Persönlichkeiten der Leip ziger Gelehrten- und Künstlerwelt herauszufinden, dem kundigen Leser leicht gelingen und großes Ver gnügen bereiten wird. Besonnenheit und Wahrheit ist alles in diesem Buche, Mäßigung und stille Menschheitswürde. Die wilden Leidenschaften haben ausgerast. Eine Wiedergeburt hat sich in dem Dichter vollzogen, der diesen Roman schrieb, und jene lauten Geister, die ibn lärmvoll schalten, als er noch mit den Stür men seiner Jugend rang, werden verstummen vor der Gemessenheit seine« Mannesschaffens. Ich weiß nicht, ob mir die Persönlichkeit des Dich ters zu sehr daointerstand, als ich dies Buch genoß, aber ich empfand von der ersten bis zur letzten Seit« ein« innere Wärme, die mir daraus wohltuend ent- aegenströmte. Wenn er ihr jemals opferte, so hat sich Franz Adam Beyerlein mit diesem „Stirb und Werde" von der Moderne gänzlich abgekehrt und ist in ein Fahrwasser gekommen, das geradeswegs zu Goethe yinführt. Darum werden, die ihrer Zeit leben, diesen Roman vielleicht völlig mißverstehen und sogar langweilig schellen. Das spricht ihnen ,hr eigenes Urteil. Es ist etwas vom Geiste Bachs in diesem Buch«, und der ist ja auch so grenzenlos unmodern. Seine Zeit wird erst noch kommen, später, viel später. . . ?aul Lcüikiuvaduyx. Georg Schuman«. Die Leipziger „Singakademie" weist mit ihrem Konzert morgen, Montag, den 31. Oktober, nach drücklich aus einen Tondichter hin, der hier noch wenig bekannt ist, wenngleich hier und da einiges von ihm aufgeführt worden ist. Georg Schumann ist 1866 als der Sohn des Stadtmusikoirektors in König stein an der Elbe geboren. Bon seinem Vater er hielt er schon frühzeitig die erste technische Aus bildung. so daß er bereits mit neun Jahren unter den ersten Geigern im Orchester seines Vaters mitwirken konnte. Dadurch hatte er den Vorteil, schon lm frühesten Kindesalter mit dem Orchester bekannt zu werden, wodurch die Grundlage zu der meisterhaften Behandlung des Orchesters in seinen Werken gelegt wurde. Von seinem Großvater erlernte er das Orgel spiel, und schon mit dem 12. Lebensjahre konnte er das Organistenamt in seiner Daterstcüit ausüben. Später war er Schüler von C. A. Fischer, V. Rollfuß und Fr. Baumfelder in Dresden. 1881 trat er zum erstenmal öffentlich als Pianist auf. Der Erfolg seines Spiels gewann Meister Reineckes Interesse, und so bezog er 1882 das Leipziger Konservatorium, wo er zu den „sieben Raben" des Holsteinstifts ge hörte. Hier widmete er sich nachdrücklich der Kom position und bereitete sich auf den Dirigentenberuf vor. 1888 verließ er das Leipziger Konservatorium, war von 1890 bis zum Herbst 1896 Dirigent des „Ge sangvereins" in Danzig, 1896—1899 Dirigent der Bremer Philharmonie und wurde dann auf den be deutsamen Dirigentenposten der Berliner Sing akademie berufen, mit dem die Mitgliedschaft der Kö niglichen Akademie der Künste verbunden ist. Hier brachte er in das in der Tradition etwas erstarrte Institut durch Aufführung moderner Werke neues Leben. Als Komponist gehörte er der modernen Rich tung an. Große Orchesterwerke und neuerdings auch große Chorwerke mit Orchester haben Schumann be deutende Erfolge eingetragen, so daß er heute mit im Vordergründe des musikalischen Interesses steht. Im Toncharakter etwas gemäßigter als Reger und Strauß, erregen seine Werke vorzüglich durch die aus gezeichnete Behandlung des Orchester« hohe» Inter esse. An der Auslegung des Gedankeninhalts erkennt man überall den Tonpoeten. Zivtur Fsstlqxel. O * Bo« Leipziger Stadttheater. Das Schauspiel wird, wie bereits bekannt, als nächste Premiere am kommenden Donnerstag im Alten Theater das vier aktige Lustspiel „Der gute König Dagobert" von AndrL Rivoirr bringen. Als Neueinstudierung in der Operette soll Ende November Zellers „Do gel Händler" wieder in den Spielplan ausgenommen werden. Das Opernensemble ist beschäftigt mit dem Studium der Oper „Der Talisman", die ihre Uraufführung hier am 19. November erleben wird. Dem Textbuch liegt das gleichnamige Lustspiel von Ludwig Fulda zugrunde. Die Komponistin Sldela Maddison hält sich gegenwärtig hier auf und nimmt an den Proben teil. * Kammersänger Walter Soomer, der sich heute als „Holländer" vor seinem Amerika-Urlaub vom hiesigen Publikum verabschiedet, batte am ver gangenen Sonntag im Großen Velodrom-Saale in Nürnberg große Erfolge mit der Partie des „Am- fortas" au» „Parstfal" zu verzeichnen. Der Künstler kehrt Mitte April nach Leipzig zurück. — Wirklich? Nach dieser Notiz, die uns au« dem Tbeaterbureau zugeht, und der gemäß Herr Soomer SV? Monate der Hauptsaison dem Leipziger Stadttheater fernbleibt, könnte man fast annehmen, daß der Künstler in New York engagiert sei und ge legentlich in Leipzig Gastspiel« gibt. D. Red.
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