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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.10.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191010237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19101023
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19101023
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-10
- Tag 1910-10-23
-
Monat
1910-10
-
Jahr
1910
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Bezuftt.Preis >tr Uopjl« »»» »orortt durch „l« Irtger und Lpedoeure 2««l täglich m« vau« gedrachi: 00 iduuü., LIO^U vttrleljLdrl Vrt un>«rn Hilial«« «. »u« .nahmefteürn «dgehoUr 72 ch aeoatl-, L.AS vienrl,tdrl. , Durch di« V»k! wuerdulb Lrullchland« und der deutschen «»Ionien vterteliLhrl. !t.«» «»«atl. I^i» aullchl. Postbrslellael». ferner m Belgien, Dänemark, den Donauslaate», Italien, Uuremdurg, Niederlande, iltor» ivegen, Oeilerreich Ungarn, Aukland, Schweden, Schweiz u. Spanien. I» allen übrigen Staaten nur diretl durch di« ÄejchLil»,l«ü« de« Blatte« erhattlich. Dal Leipziger Dageblatt «scheint 2 mal itglich, L»nn- u. Keicriag« nur mmrgen«. »vona« - eni-Lnnadme: Luguftusplatz 8, b« unteren Drtgern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern und Äriesträgern. irinzeloerkaustprei» der Morgen, ausgabe 10 Lk der Abend-ulgabe 2 ch. WpMtrTMblM Handelszeitung. Ämtsökatt des Rates und des Rotrzeiamtes der Ltadt Leipzig. Luzelfttll-Preis chr Luser«« au« rewng uoo ^mgebunq di» d^ipalttne SO mm brmte Hetitzeil« 22 «k di« 74 nun dr«tt« »«klamezeile l lm» «»«wär«« uv Aekl«m«a l-L- Jcherare »en Beddrden '» emlllchen Dell di« 74 mm breit« Vetitz«il« «v DK »eschäit«anz«,gen mU P atzdorlchritten und i» der Ldendaulaad« im pre»e erhöht. Aadaii nach Daris. Beilagegebüdr s p. Daulen» exkl. Poltgedühr. sseftertrUt« Aulträge kinurn nicht zurllck- aezogea werden. ,sür da« erscheinen »u bestlmmteil Lagen und Blähen wir» kein« ularantie übernommen Anzeigen. Annahme i Lugullu4»l«tz 8; der sämttichen Filialen u. allen Annoii«,» ltrpebttionen de« ,fn- und Ausland««. Redaktion und Seschäfttftell«: ^odimaiegasse ». Srrnwrecher: I460L >4tÄlr. ,4804. Haupt-Siliale Dretden: Seestrad- 4,1 (Delephoa 4621). M. 293 Suiimsg, -en 23. Dkloder ISIS 104. Jahrgang. Das Dichriglte. * Auf dem Dertretertag der Jung- liberalen in Köln hielt der Vorsitzende des Verbandes Dr. Fischer eine glänzende Rede über die politische Lage. (S. d. bes. Art.) * Erneute Einigungsversuche im Bremer Straßenbahner streik sind ge scheitert. (S. Dtschs. R.) * Fürst Franz zu Teck, ein Bruder der Königin von Großbritannien, ist gestern in London gestorben. (S. Ausl.) * Frankreich stellte bei den Mächten den Antrag, die provisorische Regierung Portugals an zuerkennen. Deutschland hat neben ver schiedenen anderen Mächten bereits zu gestimmt. lS. Ausl.) * Dr. Crippen wurde des Mordes an seiner Frau für schuldig befunden und zum Tode ver urteilt. (S. Letzte Dep.) * Als voraussichtlicher Sieger in der Ballon- wettsahrt um den Eordon-Bennett-Preis gilt der Ballon „Eermani a". Zwei Ballons feh len noch. (S. Sport u. Letzte Dep.) Mehr Kulturgefühl! Unselbständige Zeiten haben stets eine Freude am Mummenschanz; man findet sich selbst so ungeheuer banal, daß einem die Fest stimmung unmöglich ist, solange man im eigenen Gewände einherschreitet. Dieses Gefühl der eigenen Banalität ist im Deutschen Reiche nicht unberechtigt. Wir sind zwar auf aller hand Gebieten nichts weniger als das. Von der Kunst sei nicht geredet. Um die steht es freilich, trotz Niveauhebung und recht stattlicher Einzelleistungen, noch nicht blendend. Aber auf dem Gebiete der Wissenschaft, zumal der irgendwie praktisch gerichteten, auf den Ge bieten der Technik, der Industrie, des Handels können wir Menschen von heute Leistungen aufweisen, die sich hinter denen keiner früheren Zeit zu verstecken brauchen. Ja, wir beginnen allgemach schon so etwas wie Kultur zu be kommen. Unser Leben wird erfreulich zivili siert. Wir bauen — der Staat tut es freilich zumeist noch nicht — Häuser, die schon einiger maßen Stil haben; zum mindesten aber das Streben nach einem solchen zeigen. Wir tisch lern Möbel, die aus den Bedürfnissen des Heute die Formensprache entnehmen. Und so dies und das. Zum Festefeiern aber langt das bißchen Kultur, das schon vorhanden oder auf dem Marsche ist, durchaus noch nicht. Dazu gehört Unbefangenheit. Wir empfinden, gerade wenn wir froh sein wollen, wenn wir unserm Leben etwas Glanz ersehnen, am tiefsten unsere Banalität. Und darum setzen wir überall bei solchen Gelegenheiten den Mummenschanz ein, daß er uns unserer Nüchternheit enthebe. Wenn daher eine Kaiserpfalz gebaut wird, die in erster Linie nicht ein Wohnhaus, sondern ein Repräsentationsgebäude sein soll, so fliehen wir eilig in die Ver gangenheit. Die Kaiserpfalz zu Goslar, der Sachsenkaiser stattliches und schönes Haus, wird äußerlich kopiert. Innerlich muß natürlich etwas ganz anderes Zustandekommen, sintemalen wir insgesamt keinerlei Geschmack daran finden würden, in die Unbequemlichkeiten des Lebens von Anno 1050 einzugehen. Wir bauen also das Innere „mit allem Komfort der Neuzeit", aber in Formen, von denen wir an nehmen, daß sie dem Stil der Uroäterzeit sich anschmiegen. Also Klubsessel, elektrische Beleuch tungskörper, Telephonapparate und, im Zim mer der Kaiserin, gar einen dreigeteilten Toilcttespiegel im „romanischen Stil!" Wie bekannt, sitzt der Kaiser, wenn er schreibt, nicht gern auf einem Sessel, sondern auf einem Bock der eine Art Herrensattel als Sitz trägt. Auch dieser Bock bekommt einen Unterbau romani schen Stils! So bis ins Tausendste. Schauder voll, höchst schaudervoll, sagt Hamlet, Prinz von Dänemark. Die Wut, etwas Echtes gestalten zu wollen — eine Wut am untauglichen Objekt, denn es kann ja nur ein furchtbar Zwitterding dabei « herauskommen —, diese Wut geht aber noch viel weiter. Und wenn der Kaiser von Posen nach der Marienburg gerät, findet er Posen übertrumpft. Das alte Hochmeisterschloß ist längst stilgerecht, was wir so nennen, restauriert. Nun kommt irgend jemand auf eine sinnige Idee, wie der Aufenthalt auf dem Schlosse noch „echter" zu gestalten sei. Als der Kaiser die Marienburg betritt, sind Hof und Gänge von Deutschrittern im Ordenskleid gefüllt. Das wallt von weißen Mänteln, blitzt und klirrt von Waffen, strahlt von Wappenschilden — die, nebenbei bemerkt, die Ordensregel streng verpönte. Wunderbar, wie echt das alles ist, solange man nicht genau hinsieht! Sieht man aber genau hin, so kann's einem anders werden. Dem Deutsch- herrenorden gehörten die Söhne der stolzesten Adelsgeschlechter Deutschlands an. Hier werden sie gemimt von biedern Musketieren. Diese wackeren Vaterlandsverteidiger in allen Ehren. Aber die Deutschritter haben doch etwas anders ausgesehen. Nicht, weil die Kostüme doch nicht ganz so echt sind, wie vielleicht mancher ver meint, sondern weil die Gesichter nicht echt sind. Heinrich Reuß von Plauen hat nun einmal eine andere Physiognomie gehabt als der Musketier Neumann sie hat. Da hilft alles nichts. Und die Deutschherren sind etwas weniger nach den Regeln preußischen Drills, dafür aber auch etwas Herrenhafter geschritten. Die Feste, die das Jubiläum der Ber liner Universität umrauscht haben, bieten dasselbe Bild, gegen das freilich hier wesentlich weniger einzuwenden ist. All diese Vermum mungen in der Großväter und Urgroßväter Gewandung haben hier doch wenigstens dem Anlaß nach einen gewissen Sinn gehabt. Und so verschieden auch der Student von heute von dem Hörer Fichtes und Schleiermachers ist, immerhin klafft hier doch nicht der Abgrund, der zwischen einem Deutschritter von 1400 und einem Musketier von heute aufgetan ist. Schlimmer ist schon, daß der Teil des Festes, der modern war und sein sollte, auch in ver staubt alter Gewandung einherstelzte. Die Doktorpromotionen wurden lateinisch ab gemacht. Sehr sinnig ist das in einer Zeit, wo unter Professoren und Studenten kaum einer, unter den Ehrengästen sicherlich keiner die Sprache so beherrscht, daß er den fremd und pompvoll einherrauschenden Worten zu folgen vermöchte. Dieser ganze lateinische Formelkram dürfte ruhig beiseite gelassen werden. Warum tut man es nicht? Die Ber liner juristische Fakultät hat in dem Ehren diplom für den Kaiser den Beweis ge liefert, daß sie selbbewußt zu sein weiß. Keiner Liebedienerei, das ist ihr hoch anzurechnen, hat sie in den Text Aufnahme gewährt. Der Kaiser wird lediglich in seiner Eigenschaft als gesetzgebender Faktor gefeiert, und es fest gestellt, daß er mit die Veranlassung zur Neu kodifikation unseres bürgerlichen Rechtes ge worden ist. Das ist eine der Fakultät und des Kaisers würdige Sprache. Denn in Verhimm- lungen L la Maltzahn liegt, recht betrachtet, eine große Herabwürdigung des Monarchen. Eine völlig falsche Einschätzung des Kaisers finden wir aber auch darin, daß die Berliner Universität es nicht gewagt hat, einen Vertreter der deutschen Wissenschaft, der eine Weltautori tät besitzt, Ernst Häckel zur Feier einzu laden. Natürlich ist die Einladung dieses alten Berliner Studenten unterblieben, weil man beim Kaiser Anstoß zu geben fürchtete. Das heißt aber doch fürwahr dem Kaiser eine Enge des Gesichtskreises und eine Kleinheit zu trauen, gegen die der Monarchist am lautesten protestieren muß. Wir denken höher vom Kaiser. Aber die Berliner Universität hat sich eben auch hier nicht sicher gefühlt. Man merkt überall, daß unsere Kultur noch sehr frisch, noch nicht organisch mit uns verwachsen ist. Deshalb sollten wir uns alle eifrig an die Be seitigung dieser innern Schäden machen. StichmahlprSlaüien. Die Sozialdemokratie hat der Ausfall der beiden Landtagswahlen in Leipzig und Plauen-Land in eine arge Verlegenheit gebracht. Statt des sicher erwarteten Stimmenzuwachse» hat sie in Plauen-Land 500, in Leipzig gar Uber 110V Stimmen eingebüßt. Mögen dafür auch äußere Gründ« mit ausschlaggebend gewesen sein, die Tatsache ist nicht au« der Welt zu schaffen, daß die Werbe kraft der Sozialdemo kratie verloren hat. Das robuste Auftrumpsen des Radikalismus der Zubcil und Genossen in Magde burg, die wüsten Vorgänge in Moabit, deren Ver teidigung einer für Freiheit und Gleichheit schwär menden Partei so reizend ansteht, haben doch manchen der Mitläufer aus früherer Zeit aufgerüttelt und veranlaßt, der Partei den Rücken zu kehren, von der für uns in Deutschland in der Tat kein Heil zu erwarten ist. Diese Erkenntnis der Sachlage treibt jetzt an gesichts der Stichwahl in Leipzig V die „Leipz. Volkszrg." zu den gewaltigsten Wutausbrüchen gegen das Bürgertum im allgemeinen und die national liberale Partei im besonderen. Sie hofft, daß es ihr gelingen werde, am 25. Oktober durch die Kandidatur Bammes von den 2363 Wählern. die am 18. Ok tober zu Hause geblieben sind, die Mehrzahl für sich mobil macken zu können. Wir erwarten dem gegenüber von dem gesunden Sinn der säcksischen Staatsbürger im 5. Leipziger Wahlkreis, daß sie sich durch derartige Machinationen ihr gesundes Urteil nicht trüben lassen. Der Sieg des nationallibe ralen Kandidaten Dr. Zöpkel am Stich wahltage ist zweifellos sicher, aber er muß über wältigend werden. Darum richtet sich unser Appell in erster Linie an die Liberalen jenes Wahl kreises, mit gleichem Eifer wie am Hauptwahltage auch am 25. Oktober zur Stichwahl ihre Pflicht zu erfüllen. Der ihnen zu verdankende Vorsprung der nationalliberalen Kandidatur vor dem sozialdemo kratischen — 3000 Stimmen! — muß un bedingt erhalten bleiben. Er kann und wird zweifellos auch noch übertroffen werden, wenn auf Dr. . Zöphel alle nationalen Wähler in Leipzig V ihre Stimmen vereinigen. Wir hoffen zuversichtlich, daß die Angehörigen aller bürgerlichen Parteien für den natio nalliberalen Kandidaten votieren werden, da mit der Sozialdemokratie klar wird, daß trotz schärfster Auseinandersetzungen innerhalb der bürger lichen Parteien ein Gedanke al« einigendes Band lebendig ist, demgegenüber alle sozialdemokratischen Tiraden machtlos sind, der Gedanke des Ratio» nalismus. In diesem Zeichen muß jetzt dem nationalliberalen Kandidaten Dr. Zöphel zum glän zenden Siege oerholfen werden. Der Parteitag üer Jungliderslen. Köln, 22. Oktober. (Priv.-Tel.) Heute nachmittag fand die erste öffentliche Versammlung des Vertretertages statt. Hierzu hatte der Parteiführer Bassermann folgendes Telegramm gesandt: „Zu Ihrer Tagung herzlichen Gruß und gutes Gelingen. Frisch auf zum Kampf für den nationalen und liberalen Gedanken! Kaiser und Reich, Vaterland und Freiheit sei unsere Losung." Reichstagsabgcordneter Fuhrmann und Land tagsabgeordneter Maurer waren zu den Verhand lungen erschienen, die in dem Großen Festsaal der Lese stattfanden und von mehreren hundert Per sonen besucht waren. Der Verbandsvorsitzende Dr. Fischer legte in glänzender Rede die politische Lage des Reiches dar. Er ging von dem Parteitag in Kassel aus und und von der Stellung der Jungliberalen zu diesem Tag und zu Bassermann. Es sei falsch, daß sich die Jungliberalen den nach rechts drängenden Kreisen der Partei unterwerfen, es sei aber unver- a n t w o r t l i ch, vor der großen Reichstagswahl 1911 ein zweites Goslar heroorzurufen. Das hätte sich nicht mit der Treue der Jungliberalen zur nationalliberalen Partei vertragen und wäre unver einbar mit der Üebereinstimmuna mit dem ent schiedenen Willen Bassermanns, ihn in seiner seit dem Berliner Vertretertag bekundeten Politik zu unterstützen. Der Jungliberalismus habe nicht nur in Kassel keinen Schaden erlitten, sondern sei eine tüchtig« Strecke vorwärts gekommen. Fischer stellt die Bitte um Vertrauen zu den Jungliberalen an die älteren Parteifreunde und fragt, wo denn die Parteigrundsätze von den Jungliberalen verlassen worden seien? Sodann stellt Fischer in scharf um- rissener Form den Gegensatz zur Sozial demokratie, ähnlich wie ihn Bassermann in Kassel betont hatte, auf und weist den Vorwurf einer der Sozialdemokratie freundlichen Stellung der Jungliberalen ebenso zurück wie den einer Industrie gegnerschaft. Die taktische B e h a n d l u n oder Sozialdemokratie besprach Fischer kurz. Diese Haltung müsse rein verstandesmäßig ein gerichtet werden. Indem Fischer für Baden, aber nur für Vaden, die Großblockpolitik gelten lassen will, kommt er auf die Stellung der nationalliberalen Partei in der Opposition und auf die Regierungspolitik zu sprechen. Der Reichskanzler verkenn« mit seiner Sammlungspolitik die Wirklich keit; den Liberalen könne nicht durch die Berufung eines oder auch zweier liberaler Männer in die Re gierung genügt sein. Nicht den Feudalsten, sondern den Tüchtigsten frei« Bahn, darin gipfelt unsere Forderung der Gleichberechtigung. Es steckt joviel Autoritätsglaube, aber auch soviel echtes vaterländisches Empfinden im Volke, daß es nur eine» energischen Staatsmannes bedarf, um alle diese Kräfte in den Dienst einer großzügigen nationalen Politik zu stellen. Dieses aoer heißt: Hinaus treten au» den Ministerien, persönlich vor das Volk hintreten und im Vertrauen auf den guten Sinn des Volkes es zur Mitarbeit in unzweideutig klaren Worten auffordern! Der Rede Fischer» folgt« minutenlanger stürmischer Beifall. Die Diskussion drückte auch im allgemeinen die Zustimmung zu Fischers politischen Ansichten aus, die sich schließlich in der einstimmig angenomme nen, die Flscherschen Grundsätze vertretenden Reso lution verdichtete. Es sprachen u. a.: v. Lassaulx (Frankfurt), Landtagsabgeordncter Maurer (Saar brücken), Dr. Wölzl (Stuttgart), Chefredakteur Jung (Köln) und Regierungsrat Poensgen (Berlin). Ein von Oberingenieur Kohler und Redakteur Fleischer (Frankfurt) eingehend begründeter und ebenfalls ein. stimmig angenommener Antrag Frankfurt er klärt, es sei unumgänglich notwendig, daß noch in dieser Reichstagsperiode eine Pensionsver- sicheruna für Privatbeamte geschaffen werde. Weiter sei es dringend erforderlich, daß endlich die Frage der Arbeiter-Witwen- und Waisenoersicherung eine geeignete Lösung finde. Im allgemeinen kam auf diesem Vertretertag eine mindestens ebenso einmütige Stimmung wie die jenige von Kassel zur Geltung, die in dem Bekenntnis zu dem Führer Bassermann und dem speziellen Führer der jungliberalen Bewegung, Dr. Fischer, der seit zehn Jahren an der Spitze des Verbandes steht, leb haft zum Ausdruck kam. Deutsches Kelch. Leipzig, 23. Oktober. * Der schwerfällige Jnstanzenzug. Aus dem Reichsverband deutscher Städte, der gegenwärtig hier seine erste allgemeine Versammlung aohält und sich gestern mit den Fragen der Verwaltungsreform beschäftigte, gab Bürgermeister Dr. Belian (Eilen burg), um den heutigen Geschäftsgang bei manchen Behörden zu kennzeichnen, folgendes Erlebnis aus seiner eigenen Praxis zum besten: „Die von mir vertretene Stadt Eilenburg ist in zwanzig Minuten von Leipzig aus zu erreichen. Die Leipziger Behörde will einem Dienstmann, der zufällig in Eilenburg geboren ist, ein Ehrenzeichen verleihen. Um zu erfahren, ob gegen dieien Mann etwas vorliegt, wendet sich di« Stadt Leipzig in unserer Zeit de» Telephons zunächst an die ihr übergeordnete Amtshauptmannschaft, diese an das sächsische Ministerium des Innern, dieses an das Mi nisterium des Aeußern, dieses an die sächsische Gesandtschaft in Berlin, diese an den deutschen Staatssekretär des Aeußern, dieser an den preu ßischen Minister des Innern, dieser an den Ober präsidenten, dieser an den Regierungspräsidenten, dieser an den Königlichen Landrat in Delitzsch, dieser endlich an die Polizeiverwaltung in Eilen burg. (Große Heiterkeit.) Als wir darauf pflicht getreu meldeten, daß wir den zur Dekorierung vorgeschlagenen Herrn nicht kennen, geht die Sache genau ebenso auf demselben Wege zurück, nach ' dem zwanzig Minuten von Eilenburg entfernten Leipzig. (Schallende Heiterkeit.) — Ein klassisches Beispiel dafür, wie modern der deutsche Bundes- staat im Zeitalter des Verkehrs arbeitet." An der Schwerfälligkeit dieses Jnstanzenzugs ist natürlich nicht die Leipziger Behörde schuld, sondern dafür sind die nun einmal geltenden Vorschriften verantwortlich zu machen. Deren Reformbedürslig- keit ist aber bereits überall anerkannt worden. Wenns nur auch einmal zu einer Reform käme. * Zur Reform des Bolksschulgesetzes hat bisher nur die Lehrerschaft genügend Vorschläge gemacht und begründet. Diese Vorschläge müssen aber mehr als bisher Gegenstand der allgemeinen Erörterung werden. Tiefgehende allgemeine Teilnahme haben bisher nur die Pläne zur Reform des Religions unterrichts gefunden. Dies ist durchaus be zeichnend, denn der Geist, in dem der Religionsunter richt erteilt wird, kennzeichnet den Geist des gesamten Unterrichts. So ist die Frage der Reform des Reli gionsunterrichts zur Kern- und Entscheidungsfrage geworden. Die Anhänger des Buchstabenglaubens haben sich in Sachsen organisiert, bekämpfen die Bestrebungen der sächsischen Lehrerschaft und suchen auf die Gesetzgebung Einfluß zu gewinnen. Werden in Zukunft nur Aeußerungen dieser Organisation be merkbar, so ist zu befürchten, daß die Kundgebungen eines kleinen Teiles der Bevölkerung für den Aus druck des gesamten Volkswillens angesehen werden. Um diesem Irrtum entgegenzuwirken, hat sich in den letzten Wochen ein über das gesamte Königreich Sachsen sich erstreckender Verein gebildet, der nach seinen Satzungen bezweckt, die Bestrebungen der Lehrerschaft in der Reform des Reli gionsunterrichts zu unter st Litzen zur Er zielung einer einheitlichen Geistes- und Charakter bildung. Wie dieser Verein alle Berufsstände um fassen will, zeigt die Zusammensetzung seines engeren Vorstandes. Diesen bilden: ein Rechtsanwalt, ein Pastor, ein Lehrer, ein Vertreter der Arbeiterschaft, ein Schriftsteller und ein Arzt. Wer also für die Verjüngung der Volksschule eintreten will, wer ins besondere den Religionsunterricht im Sinne der Zwickauer Thesen umgestaltet sehen willl trete bei dem Sächsischen Schuloerein zur Reform des Religionsunterrichts und sende seine Bei trittserklärung an die Geschäftsstelle, Dresd«n-A., Chemnitzer Straße 59e, part. Der Jahresbeitrag wird nach Selbsteinschätzung entrichtet, Mindest beitrag 30 Pf. Nach dem Zustandekommen eines Gesetzes zu mäkeln, hat in konstitutionell regierten Ländern wenig Wert, zur rechten Zeit aber seine Meinung klar kundzugeben und dadurch auf die Gesetz gebung mit einzuwirken, ist Recht und Pflicht jedes Staatsbürgers. In Leipzig erteilt nähere Aus kunft Herr Dr. Wünsche. Gohli», Roßlauer Str. 1. * Der Jahwe-Prozeß. Vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Leipzig findet am 18. November die Verhandlung gegen den Herausgeber des ,Lam- mer", Th. Fritsch, wegen Verletzung religiöser Ge fühle von Angehörigen de» israelischen Glauben» statt. * Am gestrigen Geburtstag« der Kaiserin hat der Deutsche Kriegerbund an hilfsbedürftige Witwen ver-
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