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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.01.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-01-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110113014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911011301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911011301
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-01
- Tag 1911-01-13
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Monat
1911-01
-
Jahr
1911
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Deutscher Reichstag. 104. Sitzung. «s. Berlin, 12. Januar. lPriv.-Tel.) SttmmungsvUü. Die Nachwehen des endlich beendeten Moabiter Prozesses machten sich im Reichstag bemerkbar. Gleich in der ersten Stunde der heute ersolgten zweiten Lesung der Novelle zum Strafgesetzbuch, der sogenannten „kleinen" S t r a f g e j e tz r e f o r m, drehten sich die Verhandlungen um den Schutz der Staatsautorität. Bon der Rechten — Wagner (Sachsen) — wurde auf die Moabiter Vorgänge und von einem Vertreter der äußersten Linken auf den Moabiter Prozeß hingedeutet. Anlaß dazu bot der schon in der Kommission abgelehnte polnische Antrag auf Milderung des Aufreizungsparagraphen des Strafgesetzbuches. Dr. v. Dziembowski gab sich alle erdenkliche Mühe, seinen Kollegen im Reichstage klarzumachen. Laß man bei Aufreizung doch das Be- wußlsein Haden könne, daß es zum mindesten in naher Zukunft nicht zu Gewalttätigkeiten kommen werde, und plädiert dafür, daß in solchen Fällen eine Straf milderung eintritt. Ein Extrem jagt das andere. Nachdem der Redner der Polen erst behauptet hatte, der Paragraph würde in Wirklichkeit gar nicht gegen die Aufrührer, sondern immer nur gegen die Polen angewendet, versteigt er sich gleich daraus zu ocr Be hauptung, die deutsche Presse verlange oa, wo es sich um Polen handle, Außerachtlassung Les bestehen den Rechts, und bezeichnet das seinerseits als Auf reizung zu Gewalttätigkeiten. Für seine Ausfüh rungen findet er bei den anderen Parteien wenig Verständnis. Selbst das Zentrum, das sonst 'gern mit dem polnischen Bruder Arm in Arm geht, verläßt ihn diesmal, und als getreuer Sekundant steht den Polen diesmal nur die Sozialdemokratie zur Seite. Für sie ergreift Stadthagen zweimal das Wort. Versöhnend tritt Staatssekretär Dr. Lrsco, der heute allein die Bundesratsplätze ziert, dazwischen, und erklärt in Ucbereinstimmung mit dem Bericht erstatter, dem Fortschrittler Heckschcr, daß durch diese Novelle nur die schreiendsten Mißstände be seitigt, die tiefer eingreifenden Materien aber bei der Gesamtresorm behandelt werden sollten. Währenddessen werden die ersten Paragraphen, wie die mildere Bestrafung des gemernschaftlichen Hausfriedensbruches und eine neue Fassung über die Entziehung minderjähriger Personen aus der elter lichen Gewalt, ohne weiteres Aufheben angenommen. Der nächste Abschnitt der Kommisjionsbe- schlüssc fügt die Haft als Strafe für bos haftes Lluären von Tieren ein, wogegen nichts einzu- wenüen ist: weiter aber auch die vom Zentrum üurch- gedrückte Vorschrift „Landesrechtliche Vorschriften, welche in individuelle Vorschriften einer Religionsge- seUschaft über das Schlachten von Tieren eingreifen", find unzulässig." Die sächsische Regierung hat sich belannttich beeilt, den äußeren Vorwand für diese unorganische und juristisch angreljoare Fest setzung durch die Aufhebung des von lhr erlassenen Schächteoerbotes zu beseitigen. Nicht Mitgefühl mit etwaigen Gewisfensvedcnken unserer jüdischen Mit bürger hat das Zentrum zu seinem Vorgehen ver anlagt. sondern der Wunsch, seinem Toleranzantrag die Wege zu ebnen. Avg. Gröber als Verfechter der Gewissensfreiheit — wir sind ja in der Fafchings- zeit, wo die Menjäzen Masken vorzunehmen lieben, dis Demastierung vorzunehmcn, zeigt diesmal nie mand besondere Neigung. Man wendet sich vielmehr den juristische!! Prüfungen der Toleranzbestimmung zu. Zu einem ungünstigen Urteile kamen auf diese N)eise Wagner (Kons.) und Heinze (Natl.). Siebenbürger (Kons.) erklärte sich oom Stand punkt des Tierfreundes gegen das Schächten. Die antrsemitijäzen Abgeordneten Gräse und Werner gingen naturgemäß ihre besonderen Wege. Die Natwnallrberalen waren in der juristischen Frage nrcht geschlossen. Nicht Antisemitismus, sondern a ..a i. . und ftaalsremltlcne Erwägungen führ ten Hernze, der für einen Teil der National liberalen sprach, zur Ablehnung der Bestimmung. Aber unzweideutig kam hier zum Ausdruck, daß die gesamte nationalliberalc Fraktion wohl Verstand für den jüdischen Ritus hat und Achtung für die Stellungnarfme der oUyodoxen Juden hegt. Auch ohne Len polnischen Antrag sei sicher, daß das Schäch ten non un» r den Begriff der Tier ¬ quälerei einbezogen werden könne. Auch Staats sekretär vom Nelchsjustizamt Dr. Lisco verneint die Frage, ob die Dinge, um die es sich hier handelt, der Reich-gesetzgebung unterliegen. Bedenkliche Runzeln lagen bei diesen Worten auf seiner Stirn. Wird das b>esstz deswegen scheitern? Schon kommt aus seinem Munde ein „unannehmbar". Etwas zag haft zwar und verklausuliert klingt es, und deshalb fordert der fortschrittlickfe Abg. Müller-Mei ningen, der, wie seine politischen Freunde, den Kommissionsbeschlüssen zustimmt, von der Regierung eine nähere Erklärung. Staatssekretär Dr. Lisco gab sie sofort, in dem Sinne, daß tatsächlich die ge samte Novelle unannehmbar würde, wenn die Bestimmung ausrechtcrhalten bliebe. Das Haus kehrte sich nicht daran und nahm mit großer Mehr heit den Kommissionsbefchluß an. Zu debattieren hatte man nun keine Lust mehr, nahm noch schnell die Beleidigungsbestimmungen in der Fassung der Regierung an, und vertagte sich auf Freitag. Sitzungsbericht. Am Bundesratstische Staatssekretär Dr. Lisco. Präsident v. Schwerin-Löwitz eröffnet um 1 Uhr -0 Alin, die Sitzung. Auf der Tagesordnung steht die zweite Lesung de, Gesetzentwurfes über die Aenderung des Strasg srtzbuches. Die Vorlage sieht u. o. eine Veränderung der Be strafung wegen Hausfriedensbruches, Be- lciüigungTierquälerei und Nahrungs mitt e l s ä l s chu n g vor. Die Kommission be antragt, einen Paragraphen einzufügen, in dem die Ausnutzung minderjähriger Personen zum Betteln und zu aewinnsüchtigen oder unsittlichen Zwcckcn unter Strafe gestellt wird, ferner eine Be stimmung §ur schärferen Bestrafung von Betrug und Täuschung. Dr. o. Dziemdowski-Domian (Pole) befürwortet einen Antrag seiner Fraktion, in dem verlangt wird, daß tz 130 StGB, dahin geändert würde, daß Auf reizung zu Gewalttätigkeiten verschiedener Bevölkerungsklassen gegeneinander mit Geldstrafen bis zu 600 oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft wird, sofern die Wirkung der Aufreizung in »aber Zukunft lreat. Das Reichsgericht hat dagegen dahin entschieden, daß auch solche vtrasfälle betroffen werden sollen, deren Wirkung in fernerer Zukunft liegt. Berichterstatter Aba. Dr. Heckscher (Fortschr. Dpt.): Ich bitte namens der Kommission um Ablehnung dieses Antrages. Staatssekretär Dr. Li«ca: Durch diese Vorlage sollen nur schreiende Mißstände beseitigt werden, alle Momente sollen aber vermieden werden, die politische oder religiöse Gegensätze auszulösen ge eignet find. Abg. Stadthagen (Soz.): Wenn irgendwo, so be stehen beim 8 130 schreiende Mißstände, unter denen allerdings nur die Sozialdemokraten und Polen zu leiden haben. Abg. Dr. Wagner-Sachsen (Kons): Wenn wir davon abst'hen, die Unterhöhlung der Staatsautoritär unter Strafe zu stellen, so haben wir uns davon leiten lassen, daß wir jetzt nur die allerwichtig sten Aenderungen vornehmen wollen. Abg. Dr. v. Dziembowski-Pomia» (Pole): Wir wollen die Aufreizung zu Eewalltäti-zkeiten keines wegs straffrei lassen. In dem gegenwärtigen Zu stand liegt aber eine große Ungerechtigkeit. Der Antrag wird ad gelehnt. Die Bestim mungen über Hausfriedensbruch und Frei heitsberaubung werden angenommen. Es folgen die über Tierquälerei. Die Kommission hat folgende neue Vorschrift als Absatz III des 8 300 in das Strafgesetzbuch einzufügen vorgeschlagen: „L a n d e s g e j e tz l r ch e Bestimmungen, welche in die rituellen Vorschriften einer Religions gemeinschaft über das schlachten von Tieren cin - greifen, sind unzulässig." Die letztere Bestimmung beantragt die wirtschaft liche Vereinigung zu streichen. Abg. Gröber (Zlr.j: Nach der Vorlage soll Tier quälerei als Vergehen mit Gefängnis bestraft wer den. Die Kommission sieht sie als Uebertretung an und läßt auch Haftstrafe zu. Diesen Beschlug be grüßen wir. Ein Verbot desschächtens wäre ein Gewissenszwang, dein man aus Grund sätzen religiöser Duldung nicht zustimmen kann. Die Rechte der Einzelstaaten werden durch eine Bestim mung, die ein landesiechtliches Verbot des Schächtens auflfebt, nicht berührt. In dieser Frage mutz im weitestenMaßeDuldung herrsch.,!. (Bravo!) Abg. Graes-Weimar (Wirtsch. Vgg ): Wir sind stets für ein allgemeines Schächtoerbot in ganz Deutschland eingetreten. Die Frage ist Deutschland eingetreten. Die Frage ist keine religiöse Frage, sondern eine solche der öffentlichen Humanität. Dieser Ansicht sind nicht bloß Anti semiten, sondern sämtliche Tiers huüvereinc Deutschlands, einige fünfhundert Schlachthof- direktoren und andere Sachverständige. Nach dem bisherigen Recht war Schächten keine Tier quälerei. Dennoch ist es eine solche. Die landesgesetz lichen Verbote des Schächtens aufzuheben, würde in die Selbstverwaltung der Kommunen eingreifen, was auch der Linken unerwünscht 'ein muß. Hoffentlich ist eine derartige B slimmuna für die Regierung un annehmbar. (Bravo! rechts.) Staatssekretär Dr. Lisco: In der Kommission habe ich schon damals gewarnt, die Frage des Schachtens in weiterem Umfange zu erörtern, als nach der Voilage geboten sei. Es ist in der Be gründung der Vorlage zweifellos anerkannt worden, daß das Schächten nicht unter die Straf bestimmungen gestellt wird, denn es kann un möglich als eine Roheit angesehen werden, wenn dabei religiöse Vorschristen befolgt werden. Dieser Standpunkt ist in der Kommission gebilligt worden. Wenn nun ein Eingreifen der Lan- dcsgesetzgebung gegen das Schächten für unzulässig er klärt werden soll, so wird dadurch der Rahmen dreses Notgesetzes erheblich überschritten. Es wird damit eine Frage zur Erörterung gestellt, die notwendig Gegensätze in religiöser Beziehung herbeiführen muß, uns solche Fragen müssen außer Bet-achl bleiben. Aber auch sachlich muß ich dem Kommissions vorschlag widersprechen. Durch die An gaben des Kommissionszusatzes würde der ganze Ge setzentwurf aufs ernstUchstc gefährdet werden. Die verbündeten Negierungen würden diesen Teil Les Gesetzentwurfes für unannehmbar erklären müßen. Die Hauptsache ist, daß die Frage noch ao r n i ch t g e l l ä r t i st, ob mit dem Schächten den Tieren Schmerz bereitet wird. Die Schlachtmethoden können auch vervollkommnet werden. Dem Reiche unterliegt die Gesetzgebung über das Strafrecht. Es kann eine Hanolung als strafbar oder straflos er klären. Die Kommission verbietet aber allgemein jeden Eingriff der Landesgesctzgebung in die rituellen Do»schriften einer rclrgiöien Gescllichast. Die Stel lung des Staates zu den religiösen Gesellschaften unterliegt aber nur landesgesetzlicher Regelung. Auch aus diesen, Grunde kann ich die Zustimmung der ver bündeten Negierungen zu dem Absatz der Kommission nicht in Aussicht ftell-'n. Die Reichsregierung bat in keiner Weise Anlaß, in die religiösen Eewoyn- heiten der religiösen Gemeinschaften einzugreifen. Auch von diesem Gesichtspunkte aus wird es not wendig sein, wenn die Vorlage Gesetz werden soll, diesen Absatz zu streichen. Abg. Dr. Wagner-Lachsen (Kons.): Auch wir haben Achtung vor der Frömmigkeit und Achtung vor der Ueberzeugung, auch bei orthodoxen Juden; aber wenn die,e Bestimmung, die die Regierung für unannehmbar erklärt, gestrichen wird, so wird damit das Schächten nicht etwa verboten. Darum handelte es sich absolut nicht. Bei früheren Beratungen im Reichstage war die Frage, ob von Reichs wegen das Schächten verboten werden soll, und der Reichstag hat Has abgelehnt. Ich bin erstaunt, daß diese stanze Frage bei diesem Notgcsetz wieder zur Debatte ge st eilt worden ist. Eine Tierquälerei in strafrechtlichem Sinne ist das Schächten nicht. Das ist auch in der Kommission festgestellt worden. Eine Verordnung gegen das Schächten würde also nicht als eine Verordnung zur Verhütung der Tier- quälerei anzusehen sem. Es handelt sich hier um Staatsgewalt oder Kirchengewalt, eine Frage, die der Landesgesetzgebung überlassen ist. Hier soll verfügt werden, ob über Staatsgewalt Kirchengewalt geht. Lx uvxus Isoncan. Es liegt hier tatchcklich ein Eingriff in das Verwaltungs- und Polizerrecht der Einzelstaaten vor und von diesem Gesichtspunkte aus ist der Kommissionszusatz höchst bedenklich. Aber darüber ist kein Zweifel, daß die Landesgesctzgebung oom allgemeinen Gesichts punkte aus über die «chlachtmethode Bestimmungen treffen kann, da sie bestimmen kann, wieweit sich die Staatsgewalt vor den Krrchensatzungen zurückzieht. Die Herren müssen sich also mit ihren Wünschen an die Landesgesctzgebung wenden. Ich lehne es ab, vor dem Forum des Reichstages die sächsischen Landtagsangelegenheiten zu behandeln ebenso, wie wir dagegen sind, baß die oreußijchen Landesangelegenheiten oder die süd- deutschen Wahlrechtsfragen hier angeschnitten werden. Wir wollen diese Vorlage doch nicht dadurch gefähr den, daß wir ihr einen Ballast anhängen, der mit dieser Vorlage nichts zu tun hat. Lehnen Sie des halb den Kommrkstonszusotz, wenn nicht schon jetzt, so wenigstens in der dritten Lesung, ab. (Beifall.) Abg. Dr. Heinze (Natl.): Meine Fraktion ist in bezug auf die Frage desSchächtverbots ge seilter Meinung. Ich bin gegen diesen Zusatz aus juristischen und staatsrechtlichen Gründen. Es ist durchaus ausgeschlossen, daß das Schächten unter den Begriff der Tierquälerei künftig subsumiert werden wird. Der Begriff der Tierquälerei geht das rituelle Schächten gar nichts an. Im Namen meiner ganzen Fraktion kann ich erklären, daß auch wir durchaus wollen, daß der jüdische Ritus sich in durchaus althergebrachten Formen vollzieht. Wir wünschen auch, daß wir diese Freiheit der Religionsllbung des Ritus auch weiterbehalten, und wir begrüßen es, daß die sächsische Regierung die Verordnung von 1892, durch die das Schächten unter den Gesichts punkt der Tierquälerei gebracht worden war, wieder aufgehoben hat. Wir wünschen ferner, daß auch Li« übrigen deutschen Landesregierungen das Verbot gegen da» rituelle Schächten beseitigen. Aber aus juristischen Gründen kann ein Teil meiner Fraktion dem Zusatz der Kommission nicht zustimmen. Zweifellos ist die Reichsgesetzgebung berechtigt, den Begriff der Tierquälerei zu bestimmen, aber Las rituelle Schächten fällt niemals unter den Begriff der Tierquälerei. Dieser Zusatz greift in die landesgesetzliche Derordnunqsgewalt ein. Er geht auch über den Rahmen der Novelle selbst hin aus. Würde dieser Zusatz Gesetz, so würde die von mir erwähnte neue sächsische Verordnung in ihrer jetzigen Form unmöglich sein, ebenso andere Verord nungen, die bestimmte Vorschriften über die Art oder die Vorbedingungen des Schächtens erlassen, und die als ein Eingriff in di« rituellen Vorschriften auf gefaßt werden können. Es ist unmöglich, irgend welche sanitären Dorschrifien in dieser Beziehung zu erlassen. Der Zusatz ist aber auch verfassungs rechtlich bedenklich. Die Vorlage selbst dehnt nur das Strafrechr aus, der Kommissionszusatz dagegen be rührt eine Frage des Kirchenrechtes und des Staais- rechtes; deshalb werde ich mit einem großen Teil meiner Freunde gegen diesen Zusatz stimmen. (Bei fall bei den Nationalliberalen.) Abg. Dr. Müller-Meiningen (Fortsch. Dpt): Es besteht Einigkeit darüber, datz das Schächten als solches keine Tierquälerei im Sinne des 8 115 b ist. Dann aber sind die landespolizeilichen Anordnungen gegen das Schächten nicht als Ver- hütungsvo'rschriften gegen Tierquälerei anzusehen. Der Staatssekretär hat den Standpunkt der verbün deten Regierung?» nicht klar präzisiert. Die Regie- rung möge klar aussprechen, was bei Annahme des Kommissionszusatzes zu erwarten ist. Staatssekretär Dr. Lisco: Das Schächten als religiöse Handlung ist niemals Tierquälerei. Ich habe erklärt, mit Annahme dieser Bestimmung ist die Vorlage für uns unannehmbar. Wenn aller dings dieser Teil herausgenommen würde, könnte das übrige von der Negierung wohl angenommen werden. Abg. Frohme (Soz.): Auch die Jagden hoher Herrschaften sind als Tierquälerei anzu sehen. Abg. Dr. Hövel (Npt.): Das gehört zu den jüdi schen religiös'» Bräuchen. Ein Verbot dürste viele unserer jüdischen Mitbürger in Verlegenheit bringen. Eine einheitliche Regelung des Gegenstandes ist j den- falls wünichenswert. Dafür wird sich hoffentlich bis zur dritten Lesung eine geeignete Fassung finden. Nach weiterer unerheblicher Debatte werden, nachdem das Haus den Antrag der Wirtschaftlichen Vereinigung abgelehnt hat, die Bestimmungen über Tierquälerei mit dem Zusatz der Kommission des landesgesetzlichen Verbots des Schächtens angenommen. Den 8 186, Beleidigungsparagraph, hat die Regierungsvorlage in mehreren Punkten verschärft, insbesondere nach der Richtung, daß die Bestrafung wegen Beleidigung, ohne Rücksicht auf die Erweislichkeit der Tatsachen, auch dann eintrete, wenn diese lediglich Verhältnisse des Privatlebens betrifft, die das öffentliche Interesse nicht berühren. Eine Beweisaufnahme über die behaupteten oder verbreiteten Tatsachen sollte nach der Regierungs vorlage nur mit Zustimmung des Beleidigten zulässig sein. Die Kommission hatte in ihrer ersten Lesung beschlossen, daß eine Beweisaufnahme Uber die be haupteten oder verbreiteten Tatsachen überhaupt un zulässig sein solle, in zweiter Lesung aber ihre Be schlüsse erster Lesung und die Regierungsvorlage über diesen Punkt vollständig abgelehnt. Jetzt liegt nun mehr ein Antrag des Abgeordneten Dr. Wagner- Sachsen vor. die Regierungsvorlage wie derherzustellen. Dieser Antrag wird ohne Debatte zum Beschluß erhoben. Um 147 Uhr wird dann die weitere Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt. 2. Deutscher Seimsrdeitertsg. Der 2. Deutsche Heimarbeitertag trat am Donners tag in der Neuen Philharmonie in Berlin zu sammen, um kurz vor der Entscheidung im Reichs tage zu dem Entwurf eines Heimarbeiter gesetzes Stellung zu nehmen. Den Vorsitz führte Professor Dr. Francke, neben dem am Vorstands tische Platz nahmen Stadtverordneter Gold schmidt von den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvrr- einen, Neichstagsabg. Robert Schmidt von den Freien Gewerkschaften und Frl. Behm vom christ lichen Gewerkoerein der Heimarbeiterinnen. Außer ordentlich groß war die Zahl der erschienenen Par lamentarier. Man sah die Reichstagsabgeordneten Trimborn, Dr. Hitze, Hoffmeister, Manz, Naumann, Göhr«, Ahlhorn, Lehmann- Wiesbaden und viele andere. Für den Verein für Sozialpolitik waren erschienen Professor 0. Schmal- ler und Herkner, für die Gesellschaft für soziale Reform Staatsminister Frhr. 0. Berlepsch. Der Reichskanzler und das Reichsamt des Innern ließen sich vertreten durch Geheimen Oberregierungsrat Koch, das preußisch« Ministerium für Handel und Gewerbe durch Geheimen Oberregierungsrat Neu mann, das württembergische Ministerium des In nern durch Ministerialrat 0. Köhler, das badische Ministerium des Innern durch Geheimen Oberregie- rungsrat Dr. Bittmann und der Berliner Ma gistrat durch Magistratsrat Meyer. Außerdem waren 18 Unternehmerverbänd« vertreten. Professor Dr. Francke eröffnete di« Verhand lungen mit der Mitteilung, daß alle Hausindustrie zweige und alle Gegenden Deutschlands auf diesem zweiten Deutschen Heimarbeiterkongreß vertreten sind. Der Kongreß steht politisch auf völlig neutralem Boden. Dor allen Dingen muß das Lohn problem gelöst werden. Ist das geschehen, dann ergibt sich die Lösung der anderen Fragen ohne besondere Schwierigkeiten. Hierauf wurde in die Tagesordnung eingetreten. Der Kongreß nahm zunächst das Hauptrrferat des Professors Dr. Wilbrandt-Tübingen entaegen. Seinen Ausführungen legte er folgende Resolution zugrunde: „1) Der Deutsche Heimarb«itertag begrüßt in dem Entwurf eines Hausarbeitsgesetzes, da» dem Reichs tag zur Beschlußfassung vorliegt den ersten Vorstoß eines gesetzlichen Heimarbeiterschutzes, für den auch das Arbeitskammergesetz und die Reichsversicherungs ordnung eine Ergänzung bieten können. Dringend erforderlich ist indes, daß die bis jetzt von den Neichstaaskommisstonen hinzugefügten Verbesse rungen der Gesetzentwürfe erhalten bleioen, beim Hausarbeit«"^»!! di» obligatorischen Lohn tafeln und Lohnbücher, beim Arbeitskammergesetz die Wählbarkeit der Angestellten der Berufsverein«, ohne die die Heimarbeiter ihrer besten Vertreter beraubt sind. 2) Der Heimarbeitertag erinnert an di« Heim arbeiterausstellung 1906 in Berlin, deren Ergebnisse in Deutschland, ja weit über dessen Grenzen hinaus den Eindruck erschreckend niedriger Bezahlung der Heimarbeit hinterließen und Rückschlüsse aufdrängten auf da, Elend und die Verkümmerung der hausindustriellen Schichten der Nation. An alle dem wird durch den Entwurf des Hausarbeitsgesctzes noch nichts geändert. Die Entlohnung der Arbeit bleibt schrankenloser Konkurrenz und persönlicher Willkür, der Ausbeutung der Notlage, der Unkennt nis und des sozialen Leichtsinns preisgegeben. 3) Der Heimarbeitertag erklärt übereinstimmend mit de» wissenschaftlichen Untersuchungen über das Wesen der Heimarbeit und im Einklang mit den internationalen Erfahrungen praktijckzcr Reformver suche: In der Heimarbeit muß staatlicher Arbeiter schutz vor allem durch Hebung der oft unwürdig geringen, zu Ueberarbeit und gesundheitsschädlicher Arbeitsweise zwingenden Löhne geleistet werden. Alle den Fabrikgejetzen nachgebildcten Maßnahmen, so nötig sie für das Gemeinwohl sind, treffen den Hausarbciter selbst und machen ihn persönlich ver antwortlich für die Folgen des niedrigen Lohnes. Für diese Verantwortung muß als Voraussetzung bessere Bezahlung, die de» Heimarbeiter tragsähig für die Anforderungen des Gesetzes macht, verlang: werden. 1) Diese Erkenntnis, ein Gemeingut moderner Sozialpolitik, hatte bereits zu dankenswerten De schlösse» im Reichstag geführt, so unter anderem dazu, daß es zu den Aufgaben der Arbeiterkammern ge hören soll: „In der Hausindustrie die Vereinbarung und Regelung der Lohnsätze zu fördern." Für hilfs bedürftige Industriezweige jedoch müssen außerdem durch den Bundesrat oder die Landeszentralbehörden Einrichtungen geschaffen werden mit der Befugnis, durch gewählte Vertreter der Arbeitgeber und Arbeiter unter unparteiischem Vorsitz Tarife ausarbeiten zu lasten, die dann rechtsver kindlich und in ihrer Durchführung staatlich ge- - schützt sind. 5) Nur dann, wenn die hier versagende Kraft der Arbeiterorganisationen durch die des Staates ersetzt wird, um Tarifverträge zu erringen und durchzu führen, wird der anständige Unternehmer von der Schmutzkonkurrenz der Heimarbeit, von dem verhängnisvollen Lohndruck befreit, nur dann wird dem hoffnungslos Ermatteten die Kraft der Selbst hilfe gegeben, kurz wirklicher Heimarbeiterschutz auf der Basis des Gesetzes errichtet sein. 6) Aus dieser Hauptforderung erneuert der Heim arbeitertag die während der letzten Jahre in zahl reichen Eingaben und Kundgebungen ausgesprochenen Wünsche der Heimarbeiter, und zwar: für das Hausarbeitsgesetz Auferlegung der allgemeinen Reglstrcerpflicht, Unterstellung unter die Gewerbeaufsichl, Durchführung eines sanitären Schutzes, Beschränkung der Ausnahmen auf di« dringendsten Fälle, Abkürzung der Uedergangsoor- schrcftcn, allgemeine Einführung von Abrechnungs büchern, obligatorischer Aushang von Lohnlafeln, Entschädigung für unverschuldete Zei.verjäumnis beim Holen oder Dringen von Arbeit: für das Ar- beilskammergejetz Verpflichtung zur Förderung der Vereinbarung und Regelung der Löhne in oer Heim arbeit oder Wählbarkeit der Angestellten der Be- rufsoereine, und für die Reichsverstcherungsordnung Ausdehnung der Versicherungspslicht auf alle Heim arbeiter nicht nur für die Krankenoerjich>.rung, son dern auch für sämtliche übrigen Zweige der Neichs- versicherungsordnung. Der Deutjcl)« Heimarbeitertag gibt der Ueber zeugung Ausdruck, daß mit der Verwirklichung Ljeser Forderungen dem Elend in der hausickdustriellen Be völkerung gesteuert werden kann, uno erwartet des halb vom Bundes rat und R e i ch s t a g, *daß diese Resolution bei der Beratung über di« Be schlüste volle Berücksichtigung sinder." Professor Dr. Robert Wilbrandt (Tübingen) führte aus: Wir stehen vor einer großen Entscheidung. In den Beratungen des Reichstages soll bas Schicksal von Millionen eine entscheidende Wendung erfahren. Es gilt daher, den Entwurf zu prüfen. Er bietet manches Gute. Der Kreis der Personen, die das Gesetz umfassen soll, ist weit genug gefaßt. In einem Punkte hat der Entwurf freilich hier keine Ent scheidung gebracht: es fehlen die kleinen Z w i s ch e n m e i st e r, z. V die Spielwarenmacher in Thüringen. Es hängt aber nur von dem guten Willen des Bundesrats ab, diese Lücke auszufüllen. Gut ist auch der Grundgedanke des Gesetzes. Es gibt nur den Rahmen ab, der durch Verfügungen der Behörden auszufüllcn ist. Die Vollmachten der Be hörden sind genügend weitgehend. Zum Beispiel können Beschäftigungen, di« mit Schäden für die Ge sundheit verbunden sind, durch die Behörden einfach verboten werden. Die Forderung der auszulegenden Lohnlisten hat die meiste Mühe von dem ganzen Ent wurf gekostet. Allgemein kann man sagen, ein formell geschicktes, aber ein hilfsarmes Werk ist zustandegekommen. Praktisch werden die Aermsten der Armen durch den Entwurf noch zu weiteren Ausgaben gezwungen. Ueber die Wirkung des Gesetzes äußert sich treffend Gertrud Dyhrenfurt, sie meint, wenn nach zehn Jahren wieder eine Heimarbeitausstellung zustandc- komme, dann würde diese die Marzipanschweinchen, die in Schlafzimmern hergestellt werden, nicht mehr aufweisen, aber sonst würde alles beim alten bleib«». Der Entwurf bedeutet eine Regelung der Not durch Strafen. Nicht der Arbeitgeber hat sich vor diesem Gecetz zu fürchten, sondern der Heimarbeiter. Der Entwurf muh gleichwohl im Interesse der Volks- gesundhert empfohlen werden. Bei allen Bo stimmungen darf man nicht di« realen Verhältnisse der Arbeiter vergessen. Die Heimarbeit hat die Tendenz der sinkenden Löhne des ehernen Lohn gesetzes Hier ist ein Lohnwucher zustandegekommen, schl'mmer als der Leihwucher. Wir haben hier mit sinkenden Schichten zu rechnen. Hygiene und Moral sind schöne Dinge, aber unerschwinglich für Leute, die kein Geld haben. Daher hat die Hebung einzu setzen bei der Bezahlung der Heimarbeit. Der Kanz ler sagt, das zu erreichen würde unmöglich sein. Abe. die englische Kolonie Victoria und England selbst haben es möglich gemacht. Es wird auch bei uns möglich sein auf dem Wege der Tarifverträge Auch in Deutschland haben wir manches kleine Victoria, so Hessen, wo sich der Minister Brqun für die Regelung der Lohnfrage bei den Heim arbeitern ausgesprochen hat, oder das Musterländle Raden. Der verdienstvolle Nachfolger Wörris- hofers in der Fabrikinspektion, Bitt mann, kommt ru demselben Schluß wie wir. Es ist daher zu wünschen, daß nicht nur der Bundesrat. sondern auch die einzelnen Bundesstaaten Vollmachten geben, um auf diesem Wege weiterzuschreiten. In England machen Balfour und Chamberlain in der Heim arbeiterfrag« gemeinsame Sach« mit den Liberalen und Arbeiterparteien. Das kommt davon, daß in England «ine Generation länger an der Frage ge arbeitet worden ist. Wir Deutschen haben hier noch wenig getan. Daher ist der heutige Heimaroeitertag nicht da» Ende, sondern der Anfang unserer Tätig keit. Nötig ist allerdings, daß eine Organisation geschaffen wird, die die Arbeit des heutigen Tages kortsetzt. Der Entwurf bedeutet eine Vorarbeit, es bedarf viel guten Willens, damit ein wirklicher Heim arbeiterschutz daraus wird. Lebhafter Beifall.)
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