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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.11.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19101117029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910111702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910111702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-17
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
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Amtsblatt des Nates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. stledaktton and Aelchafttstellei Fodannisgaste o. Fermpre-ber: I4V0L >«V!lv. >4804. Haupt-Filiale LreSdea: Seestruge 4, i (Telephon 4621). i«r Inter»» au, reivzig uno ilmgedum, di« Sgewaltene SO mm breite Petit,eil« 25 ch, di« 74 mm dritte Rektamezeile > ^gk von auiwärt« -B Ps, Reklamen i-20 ukt Inserate von Beddrden '» amtlichen Tril di« 74 mm breit« Vet>iz«il« 4l) 2^ «eichäiiSan,eigen mu P apvorichrrite» und tu der AdendauSgab« in> Prene erhöht. Rabatl nach Taril. Beilagegednbr 5 p. Lauieno «xki. Postgebühr. Festeri eilt« Luiträge kdnnen nichi zurück» gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmien Tagen uno Plätzen wird kein» Saranti« übernommen. Anzeigen. Annahme: UuguNu«vl«, bei sämtlichen Filialen u. alle» Annoncen» stjpeditionen des In- und Autlaade». Nr. 317 vonnrrswg, üen l7. November ISI0. 104. Jahrgang. Mrlletzung -es verkallungs- ksmpkes in Mecklenburg. Abergläubisch scheint man in der Heimat Fritz Reuters heute nicht mehr zu sein, sonst wäre der Allgemeine Landtag nicht ausgerechnet auf einen Freilag nach Malchin einberufen worden. Und dieser Landtag soll wieder eine über den gewöhnlichen Rahmen hinausgehende Bedeutung haben, denn unter Nr. 4 der angekündigten Regierungsvorlagen befindet sich auch die Position „Aenderung der be stehenden Landesverfassung". Der Kamps um die Verfassung wird also eine neue Auslage er leben, und mit Interesse sieht man allenthalben im Reiche dem Verlaufe sowie der Lösung der Frage ent gegen, ob nun wirklich dem mecklenburgischen Idyll ein Ende bereitet werden oder auch weiter alles hübsch beim alten bleiben wird. Alle bisherigen Versuche, in den beiden Eroß- herzoglümern Mecklenburg die Stände zu beseitigen und durch eine aus allgemeinen Wahlen heroorge- gangene Volksvertretung zu ersetzen, sind gescheitert an dem Wider st ande der Ritterschaft. Die Hoffnung, daß auch im Obotritenlande das Volk zu seinen politischen Rechten kommen werde, erhielt einige Nahrung, als im März 1907 die Großherzöge die geplante Einberufung eines außerordentlichen Landtages verkündeten, der sich mit einer den berech tigten Anforderungen der neuen Zeit genügenden Umgestaltung der Verfassung beschäftigen sollte. Am 12. Mai 1908 trat dieser außerordentliche Landtag zu sammen, und am gleichen Tage wird der von der Regierung ausgear beitete Derfassungsent- wurf veröffentlicht, der eine herbe Enttäuschung brachte, denn er ließ die Stände bestehen und ge währte der großen Masse des Volkes nur eine ge ringe Vertretung im Landtage. Das Wahlrecht, wenn von einem solchen gesprochen werden konnte, war — und das will viel sagen — noch schlechter als das preußische. Immerhin mußte man in dem Re- gierungsentwurfe einen Anfang zum Besseren er blicken. Die winzigen Vorteile, die er gegen den alten Zustand brachte, hätten als Abschlagszahlung akzeptiert werden können, aber dahin sollte es gar nicht kommen, denn die Ritterschaft lehnte die Vorlage ab, und der außerordentliche Land tag wurde am 21. Oktober 1908 geschlossen. Im folgenden Jahre erschien ein neuer Der- fassungsentwurf, der gleichfalls die Stände der Ritter schaft und Landschaft beibehielt und der stark be- schränkten Allgemeinheit nahezu die Hälfte der Sitze im Landtage einräumte. Wenn die Regierung auf Grund des Verlaufes der kommissarischen Verhand lungen gehofft hatte, nunmehr zu einer Verständigung mit der Ritterschaft zu gelangen, so sah sie sich bald enttäuscht, da die Vorlage am 30. November 1909 dem Schicksale ihrer Vorgängerin verfiel. Auch von den Bürgermeistern hatten sieben gegen die allgemeinen Wahlen gestimmt und sich nur für den Ausbau der ständischen Verfassung durch Angliederung von berufsständischen Vertretern an die bisherigen zwei Stände ausgesprochen. Auf diese Entscheidung drückten die Regierungen in Schwerin und Neustrelitz ihr Befremden über das Verhalten der Landtagsmehrheit aus und gaben zu erkennen, daß sie im nächsten Landtag auf die Ver- fassungsresorm zurückkommen und diese unbedingt mit allen ihnen geeignet erscheinenden Mitteln zum Abschluß bringen würden. Der Zeitpunkt hierzu ist mit dem Zusammentritt der Stände da, und man muß nun abwarten, ob die Regierung ihren Willen durchzusetzen vermag. Daß die Aussichten hierzu günstiger geworden seien, kann nicht behauptet wer den. Eine in diesem Frühjahr abgehaltene Versamm lung von Ständcmitgliedern nahm nach mehrstündi gen Beratungen einstimmig eine Resolution an, worin die Bereitwilligkeit erklärt wird, einer neuen Vor lage, in der unter Beibehaltung der ständischen Ver tretung weiteren Kreisen eine Mitwirkung an der Gesetzgebung gewährt wird, jedoch unter Ab lehnung von allgemeinen Wahlen, näherzutreten. Ohne allgemeine Wahlen aber kann es keine „den berechtigten Anforderungen der neuen Zeit genügende Umgestaltung der Verfassung", wie sie die Eroßherzöge im März 1907 ankündigten, geben. Demnach dürfte abernials eine Ablehnung der Vor lage oder ein Konflikt zu erwarten sein. Die ReicksoerMerungskommiMon förderte am Dienstag in ihrer fünften Sitzung der zweiten Lesung die Durchberatung der gewerb lichen Unfallversicherung um ein erheb liches Stück. Die gesamte Ausländerfrage, von der ein Paragraph über Kapitalabfindung zur Be ratung stand, wurde, und zwar einschließlich der schon durch Beschlüsse erledigten Paragraphen, der für den Territorialantrag Eamp eingesetzten Subkommission überwiesen. Der Abschnitt über den Gegenstand der Unfallrersichp-rung wurde im übrigen erledigt, ebenso die über die Berufsgenossenschaften als Träger der Versicherten, ihre Zusammensetzung, die Aenderung ihres Bestandes, die Mitgliedschaft und Stimm berechtigung, die Anmeldung der Betriebe, das Ve- tricbsverzeichnis, Aenderung in der Zugehörigkeit zur Genossenschaft, die Satzung und die Genossenschafts organe. Hierbei bemängelte ein Kommissionsmit glied die unverhältnismäßig hohen Entschädigungen, die von einzelnen Berufsgenossenschaften ihren Vor sitzenden gezahlt würden. Die Regierung gab diesen Mißstand zu, wies aber einen Vorwurf gegen das Reichsversicherungsamt entschieden zurück, das sein Aufsichtsrecht nach Möglichkeit ausübe. Eine sehr eingehende Verhandlung fand dann über den Abschnitt statt, der die Verhältnisse der Eenossen- schaftsbeamten behandelt. Vom Zentrum wird in einer Reihe von Paragraphen eine vollständige Neu ordnung der Beamtenverhältnisse beantragt. Wesent lich ist dabei u. a. die Bestimmung, daß vor dem Er laß der D i e n st o r d n u n g , ebenso vor ihrer Aende rung die Angestellten zu hören sind. Ferner, daß ein Angestellter, der unter der Dienstordnung steht, nur aus einem wichtigen Grunde ohne Kündigung ent lasten werden kann: das gleiche gilt nach fünfjähriger Beschäftigung für die Kündigung. Die Aus übung des Vereinigungsrechts und die religiöse und politische Betätigung der Angestellten außerhalb ihrer Dienstgeschäfte dürfen, soweit sie nicht gegen die Ge setze verstoßen, nichtgehindert werden und gelten an sich nicht als Gründe zur Kündigung oder so fortigen Entlassung. Für alle vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem Dienstverhältnis ist der Rechts weg zulässig. Geldstrafe darf nur bis zum Betrage eines einmonatlichen Diensteinkommens vorgesehen werden. Im Verlause der Verhandlung wurde dieser Antrag etwas eingeschränkt: Ueber die Dienst ordnung sind nur die festangestellten Beamten zu hören. Organisationsfragen und Einschränkung des Betriebes gelten als wichtiger Grund für Entlastung oder Kündigung. Mit diesen Einschränkungen wurde der Zentrumsantrag gegen die beiden konservativen Parteien und die Nationalliberalen ange nommen. Die Beratung gedieh bis 8 846. Doch wurden die 88 741 bis 747, die den Reservefonds der Berufsgenostenschaften behandeln, zurückgestellt. Die Kommission beabsichtigt, vom Wieder zusammentritt des Reichstagsvlenums ab wöchentlich vier Sitzungen abzuhalten; Montag und Sonnabend sollen sitzungsfrei bleiben. politische Nachrichten. Zum sächsischen Königsbesuch in Wien. Wien, 17. November. (Tel.) Der Kaiser hat gestern vormittag nach dem Besuch des Königs den Staalsminister Grasen Vitzthum v. Eckstädt, Eeneraladjutant Generalleutnant v. Müller, Flü geladjutant Major Frhr. v. Könneritz, Kämmerer Generalleutnant z. D. v. Erie gern und Leibarzt Generalarzt Dr. Selle in der Hofburg in besonderer Audienz empfangen. Zur Erörterung der Schiffahrtsabgaben und des böhmischen Nationalitätenausaleichs wird der Hauptausschuß des Alldeutschen Ver bandes am 4. Dezember hier zusammentreten. Der Aufenthalt des Kaisers in Donaueschingen dürfte bis zum 17. oder 18. November dauern. Für die darauffolgenden Tage wird, wie die „Sieue pol. Korr." meldet, ein Besuch des Kaisers in Kiel erwartet. ' Zur Wahl eines 2. Vizepräsidenten des Reichstags verlautet in der Presse, daß in der Kandidatenfrage Schwierigkeiten beständen und man bereits mit einer Nichtbesetzung des Postens rechne. Hierzu erfahren wir von kompetenter Seite, daß irgendwelche verbindliche Verhandlungen mit einzelnen Ab geordneten seitens der Fraktionen bisher nicht stattgefunden haben und die Besetzung erhebliche Schwierigkeiten kaum bieten wird, wenn erst Be ratungen der Fraktionen stattgefunden hätten, und von einem Rumpfpräsidium nicht die Rede sein könne, weil der Posten geschäftsordnungsmäßig besetzt sein müßte. Die Walst dürfte allerdings erst etwa acht Tage nach dem Wicderzusammnetritt stattfinden. Die antiklerikale Bewegung in Frankreich. Paris, 17. November. (Tel.) Der Gerichtshof von Pau verurteilte den Pfarrer von Sevignacq zu 50 Franken Geldbuße, weil er mehrere Familien aufgefordert hat, ihren Kindern die vom Episkopat verbotenen Schulbücher wegzu nehmen. Srlelmille einer Lteckns-el. 1) Von Maxim. Rudolph Schenck (Leipzig). Ich bin blau und habe einen schwarzen Kopf aus Glas. Ick erinnere mich noch ganz genau der Zeit, da ich noch kopflos und weiß gewesen bin, das war, als ich mit vielen Tausenden andern verdorbenen Nähnadeln aus der großen Nähmaschinenfabrik in Aachen hinuntergeschickt wurde nach Gablonz, in die Stadt des schönen Glasschmucks. Uns allen fehlte das Wichtigste an der Nähnadel, das Oehr; das war uns ausgebrochen, und darum sollten wir Stecknadeln werden. Wie sie uns dann in den schwarzen, heißen Glasfluß tauchten, ist unser Stahl von der Hitze blau angelaufen. So ward ich blau. Meinen schwarzen Kopf hat mir der große Florian machen lasten von einem armen Knaben Alois, der wegen mir viel Schläge bekommen, denn ich war mißlungen, wie viele andere meinesgleichen, die der Junge gemacht hatte. Anstatt rund zu werden, kriegte ich das kleine Zipfelchen, was ich noch heute habe, denn der Junge war noch neu in dem Fache und der Faktor Florian batte ihn nur aus Mitleid für seine arme Mutter anlernen wollen. Nun bekam er wegen mir Schläge und wurde sortgeschickt. Die verpfuschten Nadeln packte man ihm ein, den Schaden zog man ihm ab, und Alois ging mit dem Reste des verdienten kargen Lohnes. — Wohin? — Nach Hause durste er nicht, — die Mutter hätte sich gar so sehr gegrämt. So machte cr sich auf den Weg nach den Dörfern; dort wollte er die schlechten Nadeln hausieren tragen, und mit dem erlösten Geld« würde er dann heimkehren. Aber die Nacht kam; es ward sehr kalt, ehe er den nächsten Ort erreichte, und um sich vor dem Froste zu schützen kroch er in einen Strohfeimen. Am andern Morgen brannte der Feim nieder. Die Gendarmen ergriffen Alois als den Brand stifter, weil er der einzige in der Nähe war und er auch nicht leugnete, im Stroh genächtigt zu haben. Er beteuerte seine Unschuld, versicherte, nie Zünd hölzchen bei sich gehabt zu haben; trotzdem behielt man ihn tagelang in Gewahrsam, bis man in der Asche die Ueberreste eines verkohlten Leichnams, eines Mannes fand, der offenbar der Urheber des Brandes war. Nun ließ man d«n Knaben frei, aber seine kranke Mutter war inzwischen vor Kummer und Herzeleid gestorben. Das bißchen Hab und Gut ver kaufte die Gemeinde zur Deckung der Schulden, und Alms stand allein, ohne Obdach und Nahrung. Da begann er denn von neuem das Gewerbe des Hausierers. Diesmal mit mehr Erfolg, denn bald waren seine Nadeln bis auf die schlechtesten alle weg. Unter den schlechtesten war ich. So kam ich mit nach der Residenz. Da nahm man es mit der Ware des armen Jungen nicht so genau. Man kaufte und be zahlte, ohne zu feilschen, und trotz meines Zipfels löste er für mich einen blanken Zehner von einer feinen Dame. In wundervoller Equipage saß sie mit einem Knaben und einem Mädchen. Sie war um die Kinder sehr besorgt. Ein wenig zu Fuß gehen wollte man, darum stiegen sie aus. Da fehlte es an einer Nadel, den weichen Schal, den die schöne Frau umgehangen hatte, festzustecken, und ich kam geraoe recht. In welch feines Haus war ich geraten! Was für vornehme Gesellschaft umgab mich abends auf dem blauseidenen Nadelkisten in dem reizenden Boudoir, wo alles mit blauer Seide geschmückt war, durchdufter von zarter Reseda. Da war ein kleines, süßes LI aus vielen Diamanten, ein Pfeil aus Smaragden, «in Halbmond aus sehr großen Rosetten, in deren Mitte ein mächtiger Tropfen hing — ein« große, reine Perle. Und dazwischen im Ileberfluß all die Nadeln, ganz in der Form wie ich, aber mit goldenen Stielen und die Köpfe aus edlen Steinen. Ich kam mir recht ärmlich vor. Und dennoch: die schöne Frau bevorzugte mich. Ich mußte ihr am meisten dienen, und das schmeichelte mir. Hinterher habe ich mir den richtigen Grund überlegt: weil ich nichts wert und die geringste war; di« niedrigsten und letzten müssen am meisten schaffen. Die schöne Frau war nur die Tante von den Heiden Kindern Sascha und Annie; die Mama laa schon seit Jahren krank und hatte gerade erst kürzlich eine schwere Operation erduldet. Noch viele Monate würde sie fortbleiben müssen, sagte man. Die Kinder vermißten die Mutter gar nicht. Tante war so lieb und hatte die Schwester längst ersetzt, sich in die kleinen Herzen ganz eingeschmeich«lt. Und auck Papa war so gut mit Tant« Mary, ganz wie er mit Mama gewesen; fast noch zärtlicher. Geraoe als ich den ersten Abend im Hause war, kam er das erstemal in das kleine blauseidene Boudoir, nachdem die Kinder schon schlafen gegangen. Tante Mary war zwar sehr erzürnt darüber, — aber Srrgius Northoff wußte so heiß zu bitten, daß sie sanfter blickte und er — bleiben durfte. Ein wonniges kleines Herzchen aus funkelnden Diamanten steckte er am nächsten Abend auf das blaue Kissen neben mich. — Seitdem kam er öfter, zuletzt täglich. Immer hatte er Briefe zu bringen von der kranken Schwester oder noch — vieles zu fragen, um die Kinder. Mich hatte man lange vergessen. Nur die schönen bunten und goldenen Nadeln paßten zu den eitlen Freuden der selbstsüchtigen, treulosen Schwester. Aber eines Tages griff sie nach mir und steckte mich in einen langen, schwarzen Crepe-Schleier, der über das stumpfe Trauerkleid herabhing, denn di« kranke Bessy war gestorben. Anfangs gab es viele Tränen und Weinen, und oft saß meine schöne Frau über einen Brief ge beugt. darin stand gar schwere Anklage: „Ich scheide, ob ich Dir auch fluchen müßte^mit versöhntem Herzen; Du raubtest Mir alles! Mache die Schmach gut! Sei meinen armen Kindern und ihm, — das, was ich ihnen und ihm nie sein konnte!" Wochenlang war es still und stumm im blauen Boudoir, dann aber kamen Sascha und Annie wie früher, spielten fröhlich und heiter, und Tante er zählte wieder schöne Geschickten. Und eines Tages stand Mary vor dem Spiegel, probierte eine schwarz weiße Schleife, darinnen das süße Diamantenherzchen steckre. Abends kam Sergius Northoff von da an alle Tage. Nachdem aber ein Jahr veraanaen war, da gab es eine große Aufregung im Zause, viele Besuche, Kommen undGehen; denn Mary sollte Frau Northoff werden und den Kindern die zweite Mutter. Die Direktrice der berühmten Madame Diröt kam. um Anprobe zu halten für das Brautkleid. Alle Stecknadeln wurden gebraucht, und schließlich nahm man auch mich Zn der weißen Atlasschleppe verließ ich mrine schöne Frau und das blauseidene Kisten und kam in das Atelier der allmächtigen Madame Lirät. Welch ein Abstand! Spiegel, Polster, seltene Möbel, Gobelins und Teppiche, Wunder der Tapeziererkunst dort; und nun hohe, kahle, weite Räume ohn« jeden Schmuck und ohne alles Behagen. Auf Dächer und Schornsteins der großen Stadt sahen die Fenster, und das einzige Grün, das das Auge entdeckte, waren einige kümmer Der Nachlaß König Leopolds. Brüssel, 16. November. (Tel.) Die Zeitung „Patricke" meldet: Der Justizminister erklärte in Erwiderung auf eine Anfrage mehrerer Kommissions mitglieder der Deputiertenkammer, die Verhand lungen über die Aufteilung des Nachlasses König Leopolds II. würden zu einem günstigen Er gebnis führen, sei es auch durch gütlichen Vergleich mit einer Prinzessin, und bestätigte, daß eine Summe von mehr als 30 Millionen Franken bei der Nationalbank hinterlegt ist, bis über die Ansprüche des Staates auf den königlichen Nachlaß endgültige Bestimmungen getroffen sind. Die portugiesischen Wahlen. Lissabon, 16. November. (Tel.) Der Zeitpunkt für die Wahlen zur konstituierenden Ver sammlung ist noch nicht festgesetzt. Die Regierung geht immer noch Hand in Hand mit allen revolutionären Komitees. Das Ende der Verhandlungen zwischen Spanien und Marokko. Madrid, 16. November. (Tel.) Die Konven tion zwischen Spanien und Marokko wurde heute abend von El Mokri und dem Mini st er des Aeußern unterzeichnet. klus Leipzig UN- Umgeyenü. Leipzig, 17. November Wetterbericht der Könial. Sachs. Landeswetterwarte in Dresden. Voraussage für den 18. Novembers Südwestwind, heiter, kalt, vorwiegend trocken. Pöhlberg: Vormittags und nachmittag» starker Nebel, schwache Schneedecke bis Annaberg, starker Rauhfrost erhält sich lange. Fichtelberg: Gute Schlittenbahn bis in die Täler, starker, anhaltender Reif, großartiger Rauh frost, glänzender Sonnenaufgang, Morgenrot. * Der Verein Leipziger Gemeindebeamten beging im Großen Saale des Zoologischen Gartens sein 36jäbrigcs Stiftungsfest unter zahlreicher Beieiligung von Mitgliedern und Gästen. Der Vereinsvorsitzenüe Obersekretär Pqul Hübschmann begrüßte in einer Anspruch» bis < Fchieucucn, insoesl-nd^e o>.« E.-reu- gaste, unter denen Bürgermeister Roth, --tadt- oerordnetenvorsteher Zustizrat Dr. Rothe, Stadt rat Bart hol u. a. bemerkt wurden. Der Redner gab dabei einen kurzen Bericht über die Tätigkeit des von ihm geleiteten Vereins und bemerkte, öaß der Verein zur Regelung der Urlaubsverhältnisse der Eemeindebeamten dem Rate der Stadt eine Petition unterbreitet habe und daß, obwohl in der Gehalts frage schon viel geschehen sei, immer noch Wünsche laut würden, die zunächst einer Kommission zur Be gutachtung überwiesen worden seien. Im übrigen bestand die Feier in Konzert und Ball. * Der Deutsche Nationalbund hielt eine gut be- suchte Versammlung ab, in der der Bundesoorsitzende Schubert (Chemnitz) über „Die Taktik für die kommenden Reichstagswahlen" sprach. Er bezeichnete die gegenwärtige politische Lage Deutschlands als günstig für die Sozialdemo kratie, die aber, von dieser falsch ausgenützt, ihr sehr nachteilig werden könne. Suche die Sozialdemokratie, so führte er u. a. aus, ihre durch die Fehler der Kon servativen entstandene günstige Lage dahin auszu nützen. eine Gesetzgebung in sozialistischem Sinne zu liche Blumenstöckchen, die die Köchinnen in der Hinter, front des mächtigen Hauses in den Küchenfestern pflegten, und der höchste Wipfel eines Baumes, der fern über dem Dache des dritten Vordergebäudes her- vorrogre, als Wahrzeichen lebendiger Natur für jene, die zwischen Stein und Mauern ihr Leben ver brachten. Kern blauseidenes, duftendes Kisten mehr und keine funkelnden Nachbarn, In gemeinem bunten Tonnapsc lag ich inmitten einer Unmenge messingner Stecknadeln der gewöhnlichsten Sorte, unter die sich allerhand Haken, Knöpfe und Oesen gemischt hatten. Auch einzelne Nähnadeln waren darunter; die er- kannten mich gleich wieder als Verunglückte ihrer Sippe und lachten mich weidlich aus ob meiner Farbe und meines Kopfes. Mich genierte das nicht, denn es ist nun einmal der Nähnadel Art, sich besser zu dünken als die Stecknadel, etwa so, wie sich der Fabrikant erhaben dünkt über den Kaufmann. Ich erzeuge und schaffe, spricht di« Nähnadel, du Stecknadel bist nur Händler, Krämer! — Was tat es! Ich war doch von allen die erste bei der Direktrice. Ich hatte einen Stein im Brette. Ueberallhin nahm sie mich mit, weil ich groß war und zuverlässig, und ich lernte viele große Damen samt ihren Schwächen und ihrem Eigen, sinn kennen. Ich sah, wie unendlich wichtig die Toilettensrage ist, wie sie oft der Hauptzweck eines Frauendaseins werden kann. Die Fürstin Oloff unterzog sich gleich viel« Stunden lang dem Anprobieren; sie konnte lachen und in die Hände klatschen wie ein Backfisch, wenn ihr etwa«- gut stand und paßte, und sie weinte und stampfte mit den Füßen wie ein ungezogenes Kind, wenn ibr etwas misslungen schien oder anders gemacht war, als sie sich gedacht hatte. Die Gräfin Hohenwald küßte überschwänglich die Direktrice für ein gut- passenoes Kleid, und knuffte und knipp sie wütend vor Zorn wegen einer unvorteilhaften Garnitur. Exzellenz von Streitberg lieferte selbstentworsene Modebilder, verbrachte oft ganze Tage in dem lauschigen Anprobezimmer mit den vielen großen Spiegeln die ihre kleine Person von allen Seiten zeigten. Tie arrangierte sich die Schlippen der Kleider alle selbst, indem sie das Hintere Teil d«s Rockes nach vorn anzog. und war auf dieses Verfahren nicht wenig stolz. Noch mehr aber brüstete sie sich, daß ihr al(e Selbstbeherrschung abgehen könne, wenn sie sich mißverstanden sähe in ihren Ideen, und daß
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