Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191011166
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19101116
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19101116
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-16
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Preit tcke L«tppa u»d >i)vr»rtt durch «ch«, träaer uud Lpedit«« 2««l »4,sich «« H«u« gebrach«: Uv nauatl., L.70 »tarielMrl. Bet unt«ra Niltalr» «. Lu. nahmeftellea abgehoU, 7L m»na«l., ».» vleNrliLhrt. Durch dl« V»ft: luuarhalb Deurtchlaadi uu^ der deultchn, »aloaieu vierleljLhrU 8.«U mimarl. ILch -a»schU Pof«bestellgeId. Ferner >n Belgien, Dänemark, den Donaustaaten, Italien, Luxemburg, Siiederlande, Stör» "«aen. Oesterreich- Ungarn, «utziand, Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« ÄeschäsUstelle de« Blatte« erhälUich. Da« Lechziger Tageblatt erscheint 2 »al täglich, wann- n. Feiertag« nur morgen«. üldoaneiuent-Annabme: Lugustuäplatz 8, det »nserrn Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, sowie Postämtern mro Briefträgern. Slnzelverkousäpretr »er Morgen, «nägade der Abendausgabe s MpMerTagtblaü Handelszeitung. Nmtsvkatt -es Rates und -es Volizeiamles -er Lta-t Leipzig. Lnzeigeu-Prell »chr Sasa««» an« Lech8, and Umgedn», ti« A,spalten, S0 nun breit» Peiitzeil« 25 die 74 nun breit, SieklamezeU, l von antwärt« M bieklamen t.20 atkl Inserate v.n Bebärbe, >m amtlichen Teil di« 74 nun drrtt, Beti tzeU, 4t) »esch4s«anzeiaen mit Pllchvorschrtste» an» ,, der Ldenbautaab» im Prelle rrhih«. Rabatt nach Tarif. Beilage,»büdr ü ^k ». Taasrn» exkl. Postgebühr. Festertellt« Aul träge kbnnen mcht zurück- gezogen werde». Für da« Erschein« «n le stimmten Tagen und Platzen wird kein« Baranti« übernommen. «nzetgen- Annahme: Lnguanäplatz bei sämtlich« Mltal« n. all« Lanonken» stlpeditchoeli des I»- und Lullaade«. Medaktton «nd Orschäftsklell»« Johanni«,ässe 8. Serulprech«! I4ML 148»), I4S04. -außt-Stlial« Lreätze« Seestra ie 4, l (Telrphan 4621). Nr. 3l6. Miuwnch, üra lS. Nourmder lSlv. 104. Jahrgang. Vas Wlüfüglte. * Die sächsische Regierung stellt gegen wärtig Erhebungen zur Linderung der Fleisch not an. (S. d. des. Art.) * Die luxemburgische Regierung will in derselben Weise wie Elsaß-Lothringen uns Baden die Grenzen zeitweilig für französisches Vieh öffnen. * Die Zarin beabsichtigt, im nächsten Jahre in Bad Nauheim wieder eine längere Kur durch zumachen. («. Dtschs. R.) * Wilhelm Raabe ist gestern abend ' ^5 Uhr in Braunschweig im achtzigsten Lebensjahre an Altersschwäche gestorben. (S. Feuill.) * Zn Athenstedt starb der feinsinnige Volks schriftsteller Fritz Anders (Mar Allihn). (E. Kunst u. Wiss.) * Nachrichten aus Tula zufolge ist Tolstoi schwer erkrankt. (S. Tageschr.) Der Sicher. Häßliches Wetter. Niedrig und dumpf drückt ein grauer, nasser Himmel auf die Erde, die den letzten Blattschmuck mählich niederflattern sieht. Bald nieselt Regen, bald fällt, schwer und ahne lustiges Gestöber, schmelzender Schnee, der auf dem feuchten Boden sich bald in Schmutz ouflöst. Melancholisch krächzen Krähen übers Feld. Das große Sterben in der Natur ist im Gange, und die Erde hat sich schaudernd in graues Leichentuch gehLNt.... So wie in den letzten Tagen mag auch das Wetter sich angelassen haben, als aus Iasnaja Poljana ein lebenssatter Greis zu seltsamer Pilgerfahrt aufbrach. Ein Ge fährte geleitet ihn; einer, dessen Mienen spiel man ansieht, ihm sei die Sorge um den greisen, kranken Gefährten Lebens beruf. Doch der schert sich wenig um des Jüngeren Rat und sanfte Mahnung. Er schreitet fürbatz, den ungepflegten Leib in den Bauern kittel gehüllt, das tiefgefurchte Haupt gesenkt, und nur zuweilen, wenn ihm im Innern eine neue Aszetenweisheit in eine seltsam blutlose Form sich kleidet, öffnet er die Lippen, sie dem lauschenden Gefährten zu künden. Ein bäurischer Sektierer, wie sic so zahlreich Rußlands end losen Ebenen entwachsen? Einer, der sich, müh sam des Lesens schwere Kunst handhabend, in des Herrn Wort hineinbohrte und zu anderer Lehre kam.als sie der Pope dem Dorfe gelegentlich kündet? So möchte es scheinen. Auch das Gesicht straft den Ecsamteindruck kaum Lügen. Die Furchen» die sich dort in langen Jahrzehnten meißelten, scheinen sich in nichts von denen zu unterscheiden, die Tausende alter Bauern als sichtbare Nieder schrift langer Mühsal im verwitterten Antlitz tragen. Wäre der Begleiter nicht, dessen Wesen und Gesicht den Studierten noch nicht verleugnen können, so würde man kaum genau Hinschauen. Und dann sicher nicht gewahr werden, daß sich an Auge und Mund ein paar Falten finden» die ein schlicht-einfältiger Bauersmann niemals ins grübelnde Gesicht bekäme. Diese zwei, drei Fältchen verraten, daß das nicht ein Armer im Geiste ist, der sich als Büßer auf die Pilgerschaft machte. Sie erzählen, daß ein Fürst des Geistes in seltsamer Laune ins Bauernkleid schlüpfte; einer, dessen Ge danken einst rings alle Reiche des Wissens und der Kunst durcheilten, ehe sie sich zu starrer Einseitigkeit, zu kindlicher Beschränkung zwangen. Lew Nikolajewitsch Tolstoi ist der Name des Achtzigers, der sich fiebergeschüttelt, Hartes sinnend, einmal wieder von dem Gute seiner Väter aufgemacht hat, um fern den Angehörigen in unbelauschter Stille mit sich allein sein zu können. Sein Leben in Jasnaja Poljana ist, trotz aller strengen Aszese, doch nur ein halbes Ding. Gattin und Kinder hindern ihn immer wieder, aus Erkennen und Erleben eine große Einheit zu schmieden. „Gebt alles den Brüdern" — sie hindern ihn, so zu tun. Daß er sich im Schlöffe eine ärmliche Bauernstube zurecht gemacht hat, in der er seine Tage versinnt, darein haben sie sich murrend geschickt. Aber sie selbst hat er nicht zu seiner herben Lehre zu bekehren vermocht. Sie haben nicht ge- j duldet, daß er sein Land an die Bauern austat. Sie Hausen in sündhafter Behaglichkeit des Lebens — wenn es auch allmählich immer ärmlicher zugeht im Herrenhause von Jasnaja Poljana. Ts ist ein Riß zwischen dem eifernden Greise und denen, die ihm dem Blute nach die nächsten sind. Und dieser Riß geht mitten durch des Greises Seele. Er findet schließlich die Worte nicht mehr, die Gräfin zu widerlegen, wenn sie verlangt, daß er ihr und ihrer Kinder standesgemäßes Leben nicht gefährden dürfe. All die Begriffe, die ihr die Kraft zum Wider stehen gegen den unerbittlichen Lebensverneiner geben und mit denen sie argumentiert, hat Lew Nikolajewitsch längst zerbohrt, wertlos und sündig gefunden, über Bord geworfen. Und dach, ward er ihrer ganz frei? Ist restlos in ihm ausgetilgt, was einst auch seines Lebens Inhalt ausmachtc in den Tagen des Unver standes und der Sünde, da er Offizier erst, dann Dichter war? Der Büßer schreitet schnel ler. Er wagt cs nicht, die selbstquälerische Frage zu bejahen. Zur Schwester will er, der greisen Nonne, die sich längst vom Leben rest los löste. Sie soll ihm helfen, Ist es die höchste Weisheit, die dem Men schenwitz gegeben ward, zu erkennen, oder ist es der Ueberwitz eines senil vertrockneten Hirns, was dieses Greises Lehre ausmacht? Zu den Quellen des Christenglaubens ist er zu- ' rückgekehrt. Dem Worte des Herrn allein ent nimmt er der Lehre und des Lebens Richtschnur. Und dach: Ist das Christentum, was er lehrt und lebt? Wo ist die Freude hin, die die frohe Botschaft den Menschen verheißt? Wo die weise lächelnde, liebende Duldung der Schwächen der anderen? Der Büßer hier, der schwere Sündenschuld aus Tagen der Eitel keit, der Gottlosigkeit, des Fleisches zu tilgen zu müssen meint, ist ein finsterer Eiferer. Seine Lehre ist hart und schonungslos; selbst das Ge bot der Liebe klingt in seinem Munde nicht wie das selige Geheimnis von Gottes Kindern, sondern wie die Kunde von einer ermüdenden, mürbenden, unerbittlichen Pflicht. Wehe dem, der sich ihr entzieht. Wehe dem, der sich nicht täglich im aufreibenden Kampfe mit der Sünde in sich als der Stärkere erweist. Tolstois Christenlehre heißt nicht leben und siegen, es heißt kämpfen, immer neu kämpfen und unter liegen. Ehrwürdig ist die Gestalt, ehrwürdig das Haupt Lew Nikolajewitsch Tolstois. Dem Buß tage just die rechte Vignette. Er mahnt an vieles, das im Wirbel der Tageshetze kaum je die gleich wieder üüertäubtc Stimme erhebt. Aber wie er dort hineinschreitet in die endlose Steppe, ein Anachoret im Bauernflausch, ein Verneiner des Leben», dessen Becher er einst bis zur Hefe lehrte, ist er uns kein rechter Führer. Unser Weg geht in anderer Rich tung. Wir wollen in ernster Arbeit eine Lebensbejahung, eben weil wir im Leben stehen, und darum halten wir es mit Goethe: „Das Leben ist des Lebens Pfand; cs ruht nur auf sich selbst und mutz sich selbst verbürgen." Herr Müller-MM „berichtigt". Wir erhielten folgendes Schreiben des Zentrums abgeordneten Müller-Fulda: Fulda, den 14. November 1910. Redaktion des Leipziger Tageblatts, Leipzig. In Ihrer Nummer 010 findet sich mit meiner Unterschrift ein Brief abgedruckt, den ich als eine Fälschung bezeichnen mutz. Ich bitte Sie deshalb unter Bezugnahme auf ff 11 de» Gesetzes vom 7. Mai 1874 um Aufnahme folgender Berichtigung: Es ist unwahr, daß ich mich in einem Schreiben an Herrn v. Nostitz als „alten Freund der Kon servativen" bezeichnet habe, mein Bries enthält keinerlei Hinweis auf Beziehungen zu Lieser Partei. Es ist auch unrichtig, daß ich in dem Briefe gesagt habe, Herr Foerster hätte „die Arbeiten bester gelerstet als jein Nachfolger", ich habe nur gesagt, daß Herr Foerster „der deutschen Industrie sehr gute Dien st e geleistet habe, bessere als sein Nachfolger". Mein Schreiben enthält überhaupt kein Wort über Herrn Dr. Weber. Meine Ansicht über die Tätigkeit eines Berufs genossen der Textilindustrie auszusprechen, wird mir wohl niemand verwehren. Hochachtungsvoll Richard Müller, M. d. R Wir haben nach Empfang diese» Schreibens bei der „Sächsischen Nationalliberalen Korrespondenz", die den Wortlaut des Briefes veröffentlichte, Er kundigungen eingezogen und die Mitteilung erhalten, j daß der von uns wiedergegebene Wortlaut des Briefes des Abgeordneten Müller-Fulda auf einem 1 Stenogramm beruht, das in der Löbauer Der- I sammlung während der Rede des Herrn v. Nostitz I ausgenommen worden ist. Herr Müller-Fulda wird daher begreifen, daß wir uns den Ausdruck I „Fälschung" als völlig verfehlt verbitten müssen. Herr Rittergutsbesitzer v. Nostitz-Wallwitz, der Vor sitzende Les Konservativen Vereins im 2. sächsischen Reichstagswahlkreise, hätte uns ja zweifellos schon selbst mit einer Berichtigung beglückt, wenn er Irr tümer in der Wiedergabe des Schreibens hätte fest stellen können. Außerdem vermögen wir bei allem guten Willen keinen wesentlichen Unter schied darin zu sehen, ob der Abgeordnete Müller- Fulda in seinem Brief gesagt hat. Herr Foerster habe „die Arbeiten besser geleistet als jein "Nachfolger" oder Herr Feister habe „der deutschen Industrie sehr gute Dienste geleistet, bessere als sein Nachfolger". In der zweiten Redewendung ist das Urteil auf einen be stimmten Erwerbskreis begrenzt, im ganzen aber wird doch Herr Foerster über seinen Nachfolger gestellt. Einigermaßen komisch wirkt es, wenn der Ab geordnete Müller-Fulda Wert darauf legt, er habe überhaupt kein Wort über Herrn Dr. Weber in seinem Briefe gesagt. Ja, wen meint er dann sonst mit dem Nachfolger Foersters? Etwa den sozialdemokratiscken Abgeordneten Sindermann, der allerdings der direkte Nachfolger Foersters im Wahlkreise Löbau ge wesen ist? Jedenfalls wird auch durch diese angebliche Berich tigung der höchst fatale Eindruck des Briefes eines Zentrumsabgeordneten an einen sächsischen Konser vativen trotz aller sehr durchsichtigen Abschwächungs versuche von gewisser Seite nickt gemindert. Es bleibt im Gegenteil die Tatsache bestehen, daß der Zentrums abgeordnetc Müller-Fulda ein auffällig starkes Interesse für die konservative Kandidatur Foerster gegenüber einer natio nalliberalen Kandidatur Weber an den Tag legt Und für so etwas bot man ganz besonders in Sachsen ein sehr feines Gefühl. Die Leipst-er Thesterverhültmlle. Am kommenden Freitag werden unsere Stadtver ordneten vor einer schwerwiegenden Entscheidung stehen: die Regelung der künftigen Ver hältnisse unserer städtischen Theater Wir haben schon mitgeteilt, daß sie auf dem Wege der Ucbernahme der Theater auf städtische Rechnung und der Anstellung eines In tendanten erfolgen soll. Es ist kein Zweifel, daß dem Rat dieser Beschluß unter den ob waltenden Umständen nicht leicht geworden ist. Das haben die Worte unseres Oberbürgermeisters in der letzten Sitzung der Stadtverordneten deutlich er kennen lassen. Nur die Gewinnung einer so hervor ragenden Kraft, wie des Geh. Hofrats Direktors Marter steig, des erprobten Leiters der Kölner Theater, hat vielleicht in letzter Linie den Ausschlag gegeben. Man wird hierbei gleich einwenden, daß der Rat in früheren Jahrzehnten schon zweimal die Anstellung eines Intendanten in Vorschlag gebracht hatte, 1875 und 1881. Aber beide Male geschah es aus dem Beweggründe, daß der Rat den Verdrieß lichkeiten, die den tüchtigsten Direktoren hier in der Stellung zum Publikum erwachsen waren, auf an derem Wege begegnen wollte. Man hatte den Ab gang Wittes erzwungen (1869), und bald darauf den Laubes (1870), so daß der gewählte Bern- dal die Ucbernahme der Direktion schließlich ab lehnte. indem er schrieb: „In Leipzig sind die Fluten der Meinungsverschiedenheiten über das Theater so hock gegangen, daß es mit jeder Stunde schwerer wird, auf ebenes Gleis zu gelangen, geschweige denn auf demselben zu bleiben." Es kam dann Haase, der aus seinem Kontrakt schon nach vier Jahren ent lassen werden wollte (den der Rat aber nicht entließ), und dann die Direktion F ö r st e r - N c u m a n n, die ebenfalls von fortdauernden Reibereien begleitet war. Unter diesen Umständen hatte der Rat zweimal die Anstellung eines Intendanten vorgeschlagen, die aber beide Male von den Stadtverordneten abgelehnt wurde. Aus diesen Zeiten sind wir glücklicherweise seit fast dreißig Jahren heraus. Heute sind es vornehmlich Beweggründe künstlerischer Natur, die den Rat zum Beschluß der Ucbernahme der Theater auf städtische Rechnung und der Anstellung eines Inten danten veranlaßt haben. Wir lasten noch einmal die darauf bezügliche Stelle aus der am Donnerstag ver öffentlichten Ratsvorlagc hier folgen. Sie lautete: „Fast alle ernstlich in Betracht kommenden Be werbungen (bei der vom Rate veranstalteten Aus schreibung halten erkennen lasten, daß die Be werber die Pachtung unseres Theaters trotz der lm vergangenen Jahre dem jetzigen Pächter ein geräumten Lergünstigungen für ein finanziel les Wagnis hielten, auf das sie sich nur im Vertrauen auf ihre Erfahrung und Gewandtheit in der geschäftlichen Leitung eines Theaters einließen. Die bei dieser Sachlage mindestens zu befürchtende Betonung des geschäftlichen Standpunktes aber könnte schließlich eoensowenig von Vorteil sein wie eine ausschließliche Berücksichtigung der künstlerischen Interesten. Die Veranlassung zu all zu starker Verfolgung geschäftlicher Interesten fällt fedoch fort, sobald dem Pächter ein hinreichend hohes jährliches Einkommen gesichert ist. Bon diesem Gesichtspunkte sind denn auch verschiedene Stadtgemeinden beim Abschlüsse der Verträge über Verpachtung ihrer Theater ausgegangen und haben im übrigen noch auf irgendeine Weis« den Pächter an einem günstigen Jahresabschlüsse zu inter- «stieren gewußt, z. B. dadurch, daß sich die festen Bezüge de» Pächters um bestimmte Prozentsätze er. höhen, falls der von der Stadt zu leistende Be triebszuschuß unter einer gewissen Summe bleibt. Wir sind zuderlleberzeugung ge kommen, daß es auch uns nur aus diesem Wege möglich sein wird, einen Leiter von Ruf für unser Theater zu ge winnen, wie ihn die Bedeutung un serer Stadt und unseres Theaters e r - forder t." Dieser Ueberzeugung hat der Rat seine finan ziellen Bedenken geopfert, und wir meinen, daß er wohl daran getan hat. Nachdem in der Person Martersteigs ein Intendant gewonnen war, dessen hohe künstlerische Befähigung außer jedem Zweifel steht, würden die Freunde der Kunst sicher dem Rate einen schweren Vorwurf gemacht haben, wenn er diesen Weg nicht beschritten hätte. Wir kommen nun zu dem zweiten Punkte: der Erpachtung des Operettentheaters durch die Stadt. Bei dem Für oder Wider können für uns in erster Linie ebenfalls nur künstlerische Ge sichtspunkte in Betracht kommen. Wie liegen die Verhältnisse in dieser Beziehung? Jeder Bühnen leiter hat heute mit drei Geschmacksrichtungen des Publikums zu rechnen: Oper, Schauspiel, Operette. Auf jedem dieser drei Gebiete kann Gutes geleistet werden. Es ist nun nicht zu bestreiten, daß gegenwärtig die Operette dem Bühnenleiter zu den größten Kastenerfolgen verhilft. Ein Beispiel für diese Geschmacksrichtung im Publikum ist Ham t' u r g, wo gerade jetzt das dritte Operettentheater er öffnet worden ist. Auch unser jetziger Theaterdirektor hat sich diesem Faktor des „Kastenrapports" nicht zu entziehen vermocht. Und nun kommt die Zwickmühle, in der sich der Theaterleiter befindet: das Neu- Th e ater, in dem er vorzugsweise von den Wünschen der Abonnenten abhängig ist, muß er fast ganz der Oper einräumen, denn er muß befürchten, sonst einen großen Teil der Abonnenten zu verlieren. Das Alte Theater aber wird er von der Operette beherrschen lasten muffen, wenn er seinen Etat einigermaßen im Gleichgewicht erhalten will. So ist denn dem Schauspiel nur die Rolle eines „Gastes" auf beiden Bühnen zugewiesen, sicher selbst zum Leid wesen eines so feinsinnigen Bühnenleiters, wie wir ihn jetzt im Direktor Volkner haben. Hier gibt cs nur einen Au»weg: eine eigene Bühne für dasSchauspiel. Und wollen wir unsere Theater frage in großzügiger Weise lösen, so muß zur Er pachtung eines dritten Theaters für die Operette geschritten und das Alte Theater zum festen Sitze des Schauspiels werden. In dieser Hinsicht schrieben wir bereits in unserem Artikel „Was er wartet Leipzig von seinem Intendanten?" in unserer Donnerstaguummer: „Das Alte Theater, noch ein letzter Zeuge aus einer großen Zeit des deutschen Dramas, das Theater, in dem der junge Goethe saß, ist nun fast ganz zur Operettenbühne geworden, selten sieht man dort noch ein gutes Schauspiel. Und doch wie wunderbare Wirkungen erzielt ein seines Lust spiel in dem intimen, historischen Theater am Fleischerplatz! Die Intendanz muß fortan doch darauf bedacht sein, diese klassische Stätte dem Schau, spiel, dem guten Schauspiel zu erhalten." Auch das moderne Schauspiel wird daun mehr gepflegt werden können als jetzt. Jetzt muß der Direktor etwas diffiziler denken in dieser Beziehung. Mancher Abonnent des Neuen Theaters geht in ein anderes Theater, um ein Stück moderner oder modernster Rich tung zu sehen. Im Neuen Theater will er es sich aber nicht aufzwingen lasten — aus mancherlei Gründen. ! Soll also dem Schauspiel eine druchgreifende bessere Pslege angedeihen, so muß die Operette aus dem Alten Theater heraus und ihr eine eigene Stätte ge schaffen werden. Nun könnte allerdings die Stadt auch ein eigenes drittes Theater bauen. Don der Schwierigkeit der Platzsrage wollen wir einmal ganz absehcn — eins muß aber jedem einleuchten: diese fünfte Bühne in unserer Stadt (neben Operettentheater und Schau spielhaus) würde nur dazu beitragen, die Ein nahmen der vier anderen Theater herabzudrücken. Auf diesen Plan würde wohl kein städtischer Intendant, dessen Aufgabe es sein soll, neben den künstlerischen Interesten auf solche finanzielle Ergebnisse zu sehen, die die Stadt in nicht zu hohem Maße belasten, eingehen können. Endlich ist eingewendet worden, daß man damit einen Weg beschreite, den man vor elf Jahren dem Direktor Staegemann abgeschnitten, als die Stadtverordneten ihm auferlegten, die Pacht der dritten Bühne (des Carola-Theaters) aufzugeben. Hierüber äußerte sich der Betroffene selbst in einem Schreiben vom 10. Dezember 1899 wie folgt: „Die Be nutzung der Bühne für Proben war bei dem hiesigen Mastenbctriebe ein nicht zu unter- schätzenderVorteilfürdiekünftlerische Arbeit. Alsa (bei Versagung der dritten Bühne) materiell und künstlerisch eine De- I nachteiligung. welche mich mit Sorge in die I Zukunft blicken läßt." Was Staegemann I voraussah, traf ein. Und damals war das lieber- wuchern der Operette noch lange nicht so im Schwange wie heute. Sollen wir nun, wo sich die Gelegenheit bietet, Abhilfe zu schaffen, davon obsehen? Blaß I der sogenannten „freien Zugluft der Konkurrenz" halber? Rein, dreimal nein. Wir müssen so handeln, wie es das Interesse der städtischen Theater, da» Interesse der Kunst und nicht zuletzt das Interesse des technischen Vühnenbetriebes erfordert. Diese Richt, schnür bleibt die oberste. Und nun lassen wir den neuen Intendanten sein I neues Amt antreten. Geben wir ihm frei« Bahn. Bei ? der Beurteilung seiner Leistungen können wir uns I dann wieder sprechen. .
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite